14. GfR-SAT-BBS Symposium, 8.11.2013 MLU Institut für Medizinische Soziologie IMS Soziale Ungleichheiten bei reha-relevanten Parametern im Kindes-und Jugendalter. Erste Ergebnisse aus der rekju-studie Matthias Richter, Eva-Maria Fach, Sebastian Günter, Nadine Schumann Institut für Medizinische Soziologie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg m.richter@medizin.uni-halle.de 1 Soziale Ungleichheit, Gesundheit und gesundheitliche Versorgung Zunehmende Evidenz über die Existenz gesundheitlicher Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen (gerade bei chronischen Erkrankungen) (Lampert & Richter 2009). Das Wissen über den Effekt soziale Ungleichheiter auf Zugang, Inanspruchnahme und Qualität gesundheitlicher Versorgung ist gering. Personen mit niedrigem sozialen Status sind häufig (aber nicht immer) benachteiligt (Janßen et al. 2009, Knesebeck et al. 2009). Differenziertes Bild in Abhängigkeit vom Versorgungsbereich und Versorgungsaspekt (Hofreuter-Gätgens et al. 2013). Bislang fehlt es an systematischer Forschung gerade im Bereich der Rehabilitation (defizitäre Studienlage). 2 1
Soziale Ungleichheit und Rehabilitation Für Erwachsene liegen erste Hinweise vor, dass die Inanspruchnahme der Rehabilitation weitgehend schichtunabhängig abläuft, Angehörige unterer Statusgruppen mit schlechteren gesundheitlichen Voraussetzungen in die Reha kommen, sie in geringerem Maße von der Reha profitieren und tendenziell weniger Informationen über den Zweck und den Ablauf der Rehamaßnahmen erhalten, mit Ihnen seltener konkrete Rehabilitationsziele thematisiert werden und sich für die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben deutliche Ungleichheiten zeigen. (Deck 2008, 2012, Hofreuter-Gätgens et al. 2013, Mehnert & Koch 2013) Erkenntnisse über den Einfluss sozialer Ungleichheiten auf Zugang, Inanspruchnahme und Qualität von Rehaleistungen für Kinder und Jugendliche liegen nicht vor. 3 Forschungsfragen und Hypothesen Existieren soziale Ungleichheiten bei krankheitsspezifischen und reha-bezogenen Parametern bei chronisch erkrankten Kindern und Jugendlichen, die eine stationäre Rehabilitation in Anspruch genommen haben? H1: Kinder aus sozial benachteiligten Familien weisen einen schlechteren allg. Gesundheitszustand auf sowie eine höhere Krankheitsschwere. H2: Kinder aus Familien mit einem hohen sozialen Status profitieren stärker von einer stationären Rehabilitation als Kinder aus sozial benachteiligten Familien. H3: Kinder aus sozial besser gestellten Familien nehmen häufiger rehabilitative Leistungen in Anspruch als Kinder aus sozial benachteiligten Haushalten. 4 2
Die Daten Material und Methoden 5 Ziel der rekju-studie Ziel der Studie: den Effekt sozialer Ungleichheiten auf die Inanspruchnahme stationärer Rehabilitationsmaßnahmen ( 31 Abs.1 Nr. 4 SGB VI) von Kindern und Jugendlichen zu untersuchen und die Bedeutung krankheitsbezogener, psychosozialer und personaler Einflussfaktoren für die Inanspruchnahme (und möglichen sozialen Ungleichheiten) näher zu bestimmen. 6 3
Design der rekju-studie Prospektive Teilstudie (kombinierte Arzt/Eltern-Befragung): Längsschnittstudie (Befragung zu T 1 und T 2 von Eltern in Mitteldeutschland) mit kombinierter Befragung niedergelassener Kinder- und Jugendärzte. Ärzte (n=85) Übergabe Elternfrage -bogen T 1 T 2 Elternbefragung (n=330) Retrospektive Teilstudie (Eltern-Befragung): Querschnittsstudie (Elternbefragung, deren Kinder eine Reha in einer der 3 kooperierenden Rehabilitationskliniken erhalten haben) Elternbefragung (n=330) Übergabe Elternfrage bogen Rehakliniken (n=3) 7 Die (retrospektive) Stichprobe der rekju-studie Stichprobe Eltern chronisch erkrankter Kinder und Jugendlicher (7-17 Jahre), die eine stationäre Rehabilitation (DRV MD/Bund) erhalten haben (N=215, Stand Oktober 2013) Erhebungszeitraum: Oktober 2012 November 2013 (läuft noch) RR: 21% teilnehmende Rehabilitationskliniken: Kinder-Reha-Klinik Am Nicolausholz, Bad Kösen Gesundheitspark, Bad Gottleuba Charlottenhall Rehabilitations- und Vorsorgeklinik für Kinder und Jugendliche, Bad Salzungen 8 4
Die Variablen Variablen allg. Gesundheitszustand Wie würden Sie den Gesundheitszustand Ihres Kindes im Allgemeinen beschreiben? subj. Krankheitsschwere Wie schwer schätzen Sie selbst die Schwere der Erkrankung Ihres Kindes ein? Rehaerfolg Durch die stationäre Kinderrehabilitationsmaßnahme hat sich die Gesundheit Ihres Kindes? Rehainitiierung Wer hat Ihnen empfohlen, eine Rehamaßnahme in Anspruch zu nehmen? (eigene Initiative) Rehaerfahrung Hatte Ihr Kind schon zuvor an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen? (ambulant, stationär, Mutter/Vater Kind Kur) Sozialer Status nach Winkler (Bildung, Stellung im Beruf, Einkommen) Kontrollvariablen: Alter, Geschlecht, Hauptdiagnose 9 Ergebnisse 10 5
Tabelle 1. Beschreibung der Stichprobe Fallzahl (N) Mädchen % Jungen % Geschlecht 213 48,4 51,6 Alter (MW 13,1) 205 98 107 7-10 Jahre 19,0 (39) 17,4 25,6 11-13 Jahre 35,6 (73) 25,6 42,1 14-17 Jahre 45,4 (93) 54,0 37,3 Rehakliniken Fallzahl Mädchen Jungen (N) % % 213 103 110 Bad Kösen (SA) 35,7 (76) 37,9 33,6 Bad Gottleuba (S) 39,4 (84) 34,0 44,6 Bad Salzungen (TH) 24,9 (53) 28,1 21,8 Sozialer Status 211 102 109 niedrig 25,1 (53) 22,6 27,5 mittel 54,5 (115) 53,9 55,1 hoch 20,4 (43) 23,5 17,4 Hauptdiagnosen (Indikation Rehabewilligung) Adipositas 32,9 (70) 29,1 36,4 Psych./Verhaltensstörungen 28,2 (60) 25,2 30,9 Wirbelsäule/Rücken 21,6 (46) 32,0 11,8 Entwicklungsstörungen 7,0 (15) 6,8 7,3 Asthma bronchiale 6,6 (14) 5,8 7,3 11 Abb. 1. Gesundheitszustand und subjektive Schwere der Erkrankung Allg. Gesundheitszustand (N = 205) und subj. Schwere der Erkrankung (N=207) nach sozialem Status (SES) (Angaben in Prozent) 100% 90% niedriger SES mittlerer SES hoher SES 80% 70% 60% 50% n.s. n.s. 47,6% 40% 30% 34,0% 26,6% 32,6% 30,2% 35,7% 20% 10% 0% allgemeiner Gesundheitszustand (mittel/schlecht/sehr schlecht) subjektive Schwere der Erkrankung (schwer/sehr schwer) n.s. = nicht signifikant 12 6
Tab. 2. Rehaerfolg, - initiative und -erfahrungen Rehaerfolg, Rehainitiative, Rehaerfahrung nach sozialem Status (SES) (Angaben in Prozent) Gesamt niedriger SES mittlerer SES hoher SES Rehaerfolg* N = 194 N = 50 N = 103 N = 41 keine Veränderung 10,8 8,0 10,7 14,6 etwas verbesserter Zustand deutlich verbesserter Zustand 46,9 60,0 47,6 29,3 42,3 32,0 41,8 56,1 n.s. *4 Personen berichteten von einer Verschlechterung; Reha ausschließlich auf eigene Initiative N = 212 N = 53 N = 116 N = 43 nein 70,3 75,5 67,2 72,1 ja 29,7 24,5 32,8 27,9 Hatte das Kind vorher schon eine Reha? N = 211 N = 53 N = 115 N = 43 nein 58,8 64,2 58,3 53,5 ja 41,2 35,8 41,7 46,5 n.s. n.s. 13 Tab. 3. Rehaerfahrungen(multivariate Ergebnisse) Einflussfaktoren auf bisherige Rehaerfahrungen (logistische Regression) N= 195 Odds Ratio Standardfehler 95% KI Sozialer Status niedrig (Referenz) 1 - - mittel 1,80 0,78 0,77 4,20 hoch 3,06* 1,62 1,08 8,61 Schwere der Erkrankung leicht (Referenz) 1 - - mittel 0,45 0,24 0,16-1,29 schwer/sehr schwer 0,30* 0,16 0,10-0,88 Komorbidität keine (Referenz) 1 - - eine 1,60 0,64 0,73 3,52 mehr als eine 3,18** 1,43 1,32-7,66 Alleinerziehend (ja) 2,88** 1,08 1,38 6,02 Kontrolliert für Alter, Geschlecht, Hauptdiagnosen. Keine der Kontrollvariablen wies einen signifikanten Zusammenhang auf. Pseudo R² = 0,085; *p<0,05: **p<0,01 14 7
Zusammenfassung. Was der erste Blick auf die Ergebnisse zeigt Keine sozialen Ungleichheiten beim allg. Gesundheitszustand und der subj. Krankheitsschwere. (aber Tendenz, dass Eltern mit einem hohen Status die Erkrankung häufiger als schwer bewerten) Eltern mit einem hohen sozialen Status berichten häufiger von einer deutlichen Verbesserung des Gesundheitszustandes durch die Reha. Für die Rehabilitation aus eigener Initiative zeigen sich keine sozialen Ungleichheiten. Heranwachsende von sozial besser gestellten Eltern hatten bereits häufiger eine Reha in Anspruch genommen. 15 Limitationen und Ausblick Stärken und Schwächen Erste Studie zu sozialen Ungleichheiten in der Kinderrehabilitation (explorativ) Studie läuft noch erste deskriptive Auswertungen Fallzahlen recht gering Begrenzt auf drei Kliniken in Mitteldeutschland Subjektive Indikatoren (Eltern) Ausblick Wenn die Kinder und Jugendlichen den Sprung in die Reha geschafft haben, finden sich nur geringe soziale Unterschiede hinsichtlich krankheitsspezifischer und rehabezogener Parameter. Unklar ist, inwieweit soziale Ungleichheiten auf dem Weg in die Reha (Zugang/ Inanspruchnahme) zum Tragen kommen. 16 8
Vielen Dank an die kooperierenden Kliniken für die Unterstützung/ Klinik für Kinder und Jugendliche Gesundheitspark,Bad Gottleuba Kinder-Reha-Klinik "Am Nicolausholz, Bad Kösen Rehabilitations- und Vorsorgeklinik für Kinder und Jugendliche ggmbh Charlottenhall, Bad Salzungen 17 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Kontakt Prof. Dr. Matthias Richter Institut für Medizinische Soziologie Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Tel.: +49 (0)345 557 1166 Mail: m.richter@medizin.uni-halle.de Internet: http://ims.uni-halle.de/forschung/forschungsprojekte/laufende_projekte/rekju/ 18 9
Hauptdiagnosen nach sozialem Status Tab. 2: Gesamt niedriger SES mittlerer SES hoher SES Adipositas und sonstige Überernährung psychische und Verhaltensstörungen Deformitäten der Wirbelsäule und des Rücken (z.b. Skoliose) Asthma bronchiale Entwicklungsstörungen (z.b. Sprach- und Lernstörungen) 70 17 41 12 33,3 32,7 35,7 27,9 59 18 32 9 28,1 34,6 27,8 20,9 46 6 26 14 21,9 11,5 22,6 32,6 14 2 6 6 6,7 3,9 5,2 14,0 12 10 2 0 5,7 19,2 1,7 0,0 19 Übersicht Stichprobe Tab. 1: Zusammensetzung der Stichprobe Alter des Kindes in Jahren (N=203) Geschlecht (N=211) Sozialer Status der Eltern* (höchster) (N=210) Mittelwert 13,1 weiblich 47,9 niedriger SES 24,8 Min - Max 7-18 männlich 52,1 mittlerer SES 54,8 hoher SES 20,4 (Aus-)Bildungsniveau* (Eltern) (N=210) beruflicher Status* (Eltern) (N=207) Haushaltseinkommen* (N=201) niedrigstes = 1 3,3 niedrigster = 1 3,9 < 1250 14,4 2 5,2 2 21,7 1250 -< 1750 17,4 3 53,3 3 12,1 1750 -< 2250 13,4 4 9,5 4 31,4 2250 -< 3000 30,9 5 7,6 5 6,8 3000 -< 4000 17,4 6 9,1 6 19,3 4000 -< 5000 4,0 höchstes = 7 11,9 höchster = 7 4,8 >= 5000 2,5 *Winkler, J.; Stolzenberg, H. (2009): Adjustierung des Sozialen-Schicht-Index für die Anwendung im Kinder-und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) 2003/2006). Weimarer Diskussionspapiere 20 10