THEORETISCHE PHYSIK TEILCHEN, KRÄFTE, FELDER TEIL I. Hans-Jürgen Matschull

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Transkript:

THEORETISCHE PHYSIK Hans-Jürgen Matschull Institut für Physik, Universität Mainz 5.1.2003 TEIL I TEILCHEN, KRÄFTE, FELDER

Was ist eine physikalische Theorie? Auf diese Frage gibt es sicher keine eindeutige, allgemein akzeptierte präzise Antwort. Verschiedene Physiker haben oft sogar sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was sich hinter diesem Begriff verbirgt. Die Antworten reichen von sehr weit gefassten Umschreibungen wie eine physikalische Theorie ist eine Beschreibung von Naturvorgängen, vielleicht noch ergänzt durch den Zusatz in der Sprache der Mathematik, bis hin zu sehr konkreten Erklärungen wie eine physikalische Theorie ist eine -Algebra von beschränkten Operatoren auf einem Hilbert- Raum. Während die erste Definition viel zu vage ist, um damit konkret zu arbeiten, besticht die zweite an dieser Stelle wohl vor allem durch ihre Unverständlichkeit. Wir wollen versuchen, eine einerseits möglichst allgemeine, auf die gesamte Physik anwendbare, aber andererseits auch sehr konkrete Definition zu geben. Eine solche Definition des Begriffes physikalische Theorie zur Hand zu haben, wird sich an vielen Stellen als nützlich erweisen. Was wollen wir mit einer physikalischen Theorie eigentlich erreichen? Zunächst wollen wir die Phänomene beschreiben, die wir beobachten können. Darüber hinaus wollen wir Gesetzmäßigkeiten formulieren, die wir in diesen Phänomenen erkennen. In einem gewissen Sinne wollen wir die Phänomene auch verstehen, indem wir sie auf möglichst wenige, vielleicht unerklärbare Grphänomene zurückführen. Und schließlich wollen wir mit Hilfe eine Theorie Vorhersagen machen über zukünftige Phänomene Beobachtungen, was auch zu der Möglichkeit von praktischen Anwendungen führt. Als Werkzeug, zwar sowohl als methodisches als auch als sprachliches Werkzeug, wollen wir dabei die Mathematik verwenden. Eine physikalische Theorie baut auf einer mathematischen Theorie auf. In einer mathematischen Theorie werden grlegende Begriffe durch Axiome definiert. Axiome beschreiben die Objekte, aus denen eine mathematische Theorie aufgebaut wird, durch ihre Eigenschaften ihre Beziehungen zueinander. Die Axiome einer mathematischen Theorie sagen allerdings nichts darüber aus, was diese Objekte sind. Sie sagen uns nur, wie sie sich zueinander verhalten. Genau das ist die Stärke der Mathematik. Sie lässt offen, was man sich unter den abstrakten Begriffe, die sie definiert, konkret vorstellen soll kann. Und das ist auch genau die Schnittstelle, an der eine physikalische Theorie ansetzt. Eine physikalische Theorie wählt aus einer mathematischen Theorie einige abstrakte Begriffe aus, identifiziert sie mit realen, beobachtbaren Objekten. Sie fügt zu den mathematischen Axiomen einer Theorie physikalische Axiome hinzu. Ein physikalisches Axiom beantwortet also die Frage, was ein zunächst abstraktes mathematische Objekt ist. Es ordnet ihm ein Objekt in der realen Welt zu. Typischerweise wird eine solche Zuordnung durch eine Messvorschrift hergestellt. Wie wir gleich im ersten Kapitel sehen werden, können wir zum Beispiel eine Methode angeben, mit der wir den Abstand zweier Orte im Raum messen können. Als eine andere Messgröße werden wir später die Zeit einführen. Sie wird, wie sollte es anders sein, mit einer Uhr gemessen. Eine physikalische Theorie identifiziert diese Messgrößen mit abstrakten Größen, die zuvor völlig kontextfrei in einer mathematischen Theorie definiert wurden. Sie stellt in diesem Sinne eine Beziehung zwischen Mathematik Realität her. Eine physikalische Theorie ist eine Abbildung von realen Objekten auf abstrakte mathematische Strukturen. Ein physikalische Theorie ist also mehr als reine Mathematik, denn die reine Mathematik kennt eine solche Zuordnung nicht. Ihre Objekte existieren im luftleeren Raum der reinen Logik. Die Physik erweckt die mathematischen Strukturen gewissermaßen zum realen Leben. Eine physikalische Theorie ist aber andererseits auch mehr als eine reine Naturbeschreibung. Durch die Abbildung der realen Objekte auf mathematische Strukturen macht sie sich nämlich die sehr effektiven Möglichkeiten der Mathematik zu nutze, nahezu beliebig neue Objekte Strukturen einführen zu können. Die Stärke einer physikalischen Theorie liegt darin, mit diesen Objekten Strukturen rechnen arbeiten zu können, ohne sich darüber Gedanken machen zu müssen, welchen realen Objekten sie entsprechen. Um mit Hilfe einer Theorie eine Vorhersage über eine zukünftige Beobachtung zu machen, gehen wir in der Regel so vor, dass wir die bereits durchgeführten Messungen Beobachtungen zunächst in die Sprache der Mathematik übersetzen. Dazu benötigen wir die Abbildung der Realität auf die Mathematik, die eine physikalische Theorie herstellt. Dann können wir, ganz ohne Bezug zur Realität, reine Mathematik betreiben, um aus unseren Beobachtungen logische Schlüsse zu ziehen. Erst dann tauchen wir wieder auf, indem wir die Ergebnisse wieder in eine physikalische Sprache zurück übersetzen so zum Beispiel das Ergebnis einer Messung vorhersagen. Es ist dabei nicht nötig, mit allen in den Zwischenschritten verwendeten Begriffen Zusammenhängen irgendwelche physikalischen, also realen Vorstellungen zu verbinden. Meistens geht das auch gar nicht, weil nur sehr wenige der in einer Theorie definierten mathematischen Objekte überhaupt einen direkten Bezug zur physikalischen Realität haben. Und in der Regel sind dies auch nicht die durch die mathematischen Axiome definierten Objekte, sondern daraus abgeleitete, also im mathematischen Sinne komplexere Objekte. Die im mathematischen Sinne primitiven Objekte einer Theorie, also die, die durch die mathematischen Axiome definiert werden, müssen nicht gleichzeitig die im physikalischen Sinne primitiven Objekte sein, also diejenigen, die unmittelbar der Beobachtung oder Messung zugänglich sind. In den klassischen Theorien, die wir hier zunächst einführen werden, liegen Mathematik Realität noch sehr eng beieinander. Die meisten mathematischen Größen haben zumindest eine anschauliche Entsprechung in der Realität, auch wenn sie nicht einer unmittelbaren Messung zugänglich sind. Die meisten mathematischen Konstruktionen, die wir in diesen Theorien benötigen, können wir uns unmittelbar anschaulich vorstellen, was das Verständnis oft sehr erleichtert. Jedoch besteht dadurch auch ein wenig die Gefahr, die wahre Stärke eine physikalischen Theorie zu verkennen. Das ist die Fähigkeit, auch mit mathematischen Objekten arbeiten zu können, die keinen direkten Bezug zur Realität mehr haben, oder deren Bezug zur Realität wir nicht kennen. Spätestens, wenn wir uns mit der Quantenmechanik beschäftigen, werden wir mit dieser Tatsache ganz unmittelbar konfrontiert werden. Dort treten nämlich mathematische Strukturen auf, 1

die wir für die Berechnungen benötigen, von denen wir aber nicht sagen können, welchen realen Strukturen sie eigentlich entsprechen. Das führt sogar zu allerlei metaphysikalischen, also philosophischen Fragen darüber, was man von so einer Theorie eigentlich halten soll. Aber entscheidend ist, dass sie sehr gut funktioniert, zwar selbst dann, wenn wir nicht von allen mathematischen Begriffen, die wir benutzen, den Zusammenhang mit der Realität kennen. Viel tiefer wollen wir an dieser Stelle nicht in die Frage nach dem Wesen eine physikalischen Theorie einsteigen. Vieles verstehen wir ohnehin erst, wenn wir ein paar Beispiele für physikalische Theorien kennen vor allem benutzen gelernt haben. Die grlegende Eigenschaft einer physikalischen Theorie, also die Definition einer Abbildung der Realität auf die Mathematik, sollten wir jedoch stets im Auge behalten, wenn wir verstehen wollen, was eine physikalische Theorie leisten kann vor allem was sie nicht leisten kann. (d) (a) (b) (c) Abbildung 1.1: Vektoren werden durch Pfeile im Raum dargestellt. Zwei Pfeile repräsentieren denselben Vektor, wenn sie durch eine Verschiebung (a) aufeinander abgebildet werden. Die Addition (b) von Vektoren erfolgt durch Zusammensetzen, die skalare Multiplikation (c) durch Strecken der Pfeile. Der inverse Vektor ergibt sich durch Umkehren der Richtung. 1 Die Struktur des Raumes Den physikalischen Raum stellen wir uns als eine Menge von Punkten vor. Einen Punkt oder Ort im Raum können wir durch einen Gegenstand markieren, etwa die Ecke eines Tisches oder den Mittelpunkt der Erde. Natürlich müssen wir an dieser Stelle ein wenig idealisieren, denn in der Praxis können wir einen Ort immer nur mit einer endlichen Genauigkeit bestimmen. Weder die Ecke eines Tisches noch der Mittelpunkt der Erde definiert einen wirklich punktförmigen Ort im Raum. Wir können uns aber vorstellen, dass wir einen Ort beliebig genau festlegen können, wenn wir unsere Methoden nur immer weiter verfeinern. Jedenfalls beruht die klassische Physik auf der Annahme, dass das im Prinzip möglich ist. Aber der Raum besteht nicht nur einfach aus einer Menge von Punkten, sondern diese Menge hat auch einer Struktur. Die klassische Physik geht davon aus, dass der physikalische Raum die Struktur eines dreidimensionalen Euklidischen Raumes besitzt. In einem Euklidischen Raum sind die aus der Geometrie bekannten Größen wie Längen Winkel definiert, es gibt Operationen wie Verschiebungen Drehungen, das Konzept der Vektorrechnung. Allen diesen mathematischen Strukturen entsprechen gewisse physikalische Strukturen des Raumes. Im Sinne der Einleitung ist dies bereits eine physikalische Theorie. Die Euklidische Geometrie macht Aussagen über bestimmte Größen, die wir im physikalischen Raum messen können, über Beziehungen zwischen solchen Messgrößen, die wir experimentell nachprüfen können. Sie ist daher die älteste physikalische Theorie im modernen Sinne, obwohl die Erkenntnis, dass es eine solche ist, relativ neu ist. Alle üblicherweise als klassisch bezeichneten physikalischen Theorien, darunter die Newtonsche Mechanik die Maxwellsche Elektrodynamik, bauen auf dieser Theorie über die Struktur des Raumes auf. Wir werden uns deshalb in diesem dem nächsten Kapitel etwas ausführlicher mit der Euklidischen Geometrie beschäftigen zeigen, in welchen Sinne sie als physikalische Theorie zu verstehen ist. Allerdings werden wir sie nicht auf den traditionellen Euklidischen Axiomen aufbauen, sondern eine für unsere Zwecke etwas besser geeignete Formulierung verwenden. Sie baut auf dem Konzept eines metrischen affinen Raumes auf. Was das ist, werden wir natürlich erst einmal erklären. Vektorräume Bevor wir den physikalischen Raum selbst als Punktmenge beschrieben, ist es nützlich, das Konzept eines Vektors einzuführen. Die wichtigsten Eigenschaften von Vektoren sind in Abbildung 1.1 dargestellt. Einen Vektor stellen wir uns als einen Pfeil im Raum vor. Ein Pfeil ist die gerichtete Verbindungslinie zweier Punkte. Ein Pfeil hat eine Länge eine Richtung. Wir betrachten zwei Vektoren als gleich, wenn sie durch Pfeile gleicher Länge Richtung dargestellt werden. Das ist genau dann der Fall, wenn die Pfeile durch eine Verschiebung ineinander übergehen. Schließlich können wir Vektoren addieren, indem wir die Pfeile aneinander ansetzen, wir können sie mit reellen Zahlen multiplizieren, indem wir die Pfeile strecken bzw. stauchen. Aus dieser anschaulichen Vorstellung wird das mathematische Konzept eines Vektorraumes abgeleitet. Ein Vektorraum über dem Körper der reellen Zahlen besteht aus einer Menge von Vektoren. Wir bezeichnen Vektoren durch ein Symbol mit Pfeil, das heißt wir schreiben für die Elemente von. Die Struktur des Vektorraums wird durch zwei Abbildungen festgelegt, nämlich die Addition von Vektoren, Vektoraddition die skalare Multiplikation von Vektoren mit reellen Zahlen, skalare Multiplikation (1.1) (1.2) Bezüglich der Addition bildet der Vektorraum eine abelsche Gruppe, das heißt die Addition ist 2

kommutativ assoziativ. Für alle Außerdem gibt es einen Nullvektor, so dass gilt, sowie zu jedem Vektor (1.3) einen inversen Vektor (1.4) Die skalare Multiplikation ist distributiv bezüglich der Additionen in in, mit der Multiplikation in verträglich. Für alle alle gilt (1.5) Wegen der Assoziativität der Addition (1.3) können wir statt oder auch einfach schreiben. Das gleiche gilt für die skalare Multiplikation. Wegen der dritten Eigenschaft in (1.5), also der Verträglichkeit mit der Multiplikation in, schreiben wir statt oder einfach. Und schließlich benutzen wir für. die Abkürzung Aufgabe 1.1 Man zeige, dass es zu je zwei Vektoren stets genau einen Vektor gibt mit, dass es demnach auch nur genau einen Nullvektor, zu jedem Vektor nur genau einen inversen Vektorgibt. Aufgabe 1.2 Man beweise, dass für alle Das Skalarprodukt folgende Identitäten gelten: (1.6) Um den Betrag die Richtung eines Vektors zu definieren, benötigen wir als zusätzliche Struktur auf dem Vektorraum ein Skalarprodukt oder eine Metrik. Die beiden Begriffe werden oft synonym verwendet. Ein Skalarprodukt ist eine Abbildung, die jedem Paar von Vektoren eine reelle Zahl zuordnet, Skalarprodukt Es hat die folgenden Eigenschaften. Es ist symmetrisch, das heißt für alle (1.7) gilt (1.8) Aus der Symmetrie (1.8) folgen dann natürlich auch die entsprechenden Eigenschaften bezüglich des zweiten Argumentes, (1.10) Schließlich ist das Skalarprodukt eines Vektors mit sich selbst stets positiv nur dann gleich Null, wenn der Vektor der Nullvektor ist. Es gilt also für alle (1.11) Auch hier können wir wieder die Eigenschaften des Skalarproduktes verwenden, um die Schreibweise zu vereinfachen. Statt wir einfach schreiben. Wir müssen bei solchen vereinfachten Schreibweisen nur darauf achten, dass auf beiden Seiten des Punktes stets ein Vektor steht. Wir verwenden außerdem die Abkürzung. Ein Vektorraum, auf dem ein Skalarprodukt definiert ist, heißt metrischer Vektorraum. In einem metrischen Vektorraum hat jeder Vektor einen Betrag, der durch das Skalarprodukt des Vektors mit sich selbst definiert ist, Betrag oder (1.12) Der Betrag eines Vektors ist stets positiv, nur der Nullvektor hat den Betrag Null. Oft spricht man statt vom Betrag auch von der Länge eines Vektors. Wir wollen das Wort Länge aber für einen anderen Begriff reservieren, auf den wir am Ende dieses Kapitels näher eingehen werden. Der Begriff des Betrages ist ein wenig allgemeiner, wie wir dort sehen werden. Einen Vektor, der die Eigenschaft hat, dessen Betrag also gleich Eins ist, nennen wir Einheitsvektor. Ein Einheitsvektor definiert quasi nur eine Richtung. Zu jedem Vektor gibt es einen Einheitsvektor, der in dieselbe Richtung zeigt wie, nämlich. Mit Ausnahme des Nullvektors lässt sich jeder Vektor auf diese Weise eindeutig in Betrag Richtung zerlegen, mit (1.13) Um auszudrücken, dass der Vektor in die Richtung von zeigt, schreiben wir, das heißt ist zu Das ist genau dann der Fall, wenn es ein proportional. gibt mit. Wenn das Skalarprodukt von zwei Vektoren verschwindet, also ist, so nennen wir die Vektoren orthogonal schreiben. Der Nullvektor ist in diesem Sinne zu allen Vektoren, auch zu sich selbst, orthogonal. Dass diese Sprechweise tatsächlich etwas mit rechten Winkeln zu tun hat, wird in Aufgabe 1.20 gezeigt. Außerdem es linear, das heißt es verhält sich distributiv gegenüber der Addition, es ist mit der skalaren Multiplikation verträglich. Für alle alle gilt Aufgabe 1.3 Man beweise die binomischen Formeln (1.9) (1.14) 3

lässt sich eindeutig in einen Anteil auf die Richtung von eplacements (c) (d) Abbildung 1.2: Ein Vektor senkrecht zu einem Einheitsvektor orthogonale Projektion von (a) (b). zerlegen (a). Das Skalarprodukt (b) repräsentiert die proportional einen Anteil Basis Dimension Um in einem Vektorraum konkrete, also numerische Rechnungen durchzuführen, müssen wir eine Basis einführen. Eine Basis ermöglicht es, das formale Rechnen mit Vektoren auf das Rechnen mit Zahlen zurückzuführen. Das benötigen wir, um später zum Beispiel ganz konkret die Bahn eines Körpers im Raum zu berechnen, was ja eine typische Aufgabe der Mechanik ist. Wir betrachten einen Vektorraum, sowie einen Satz von beliebig ausgewählten Vektoren, wobei eine positive ganze Zahl ist. Der Index, mit dem wir die einzelnen Vektoren durchnummerieren, soll im folgenden immer von bis laufen, also Werte aus der Indexmenge annehmen. Den kompletten Satz von Vektoren bezeichnen wir mit. Wir können ihm gewisse Begriffe Eigenschaften zuordnen. Eine Linearkombination der Vektoren ist ein Ausdruck der Form. mit (1.20) Aufgabe 1.4 Man beweise die folgenden Eigenschaften des Skalarproduktes. Bei Multiplikation eines Vektors mit einer reellen Zahl dieser um den Faktor wird gestreckt, das heißt für alle alle gilt (1.15) Aus der Kenntnis der Beträge aller Vektoren kann man das Skalarprodukt rekonstruieren. Es gilt nämlich für alle (1.16) Außerdem gilt für alle Vektoren Wann gilt hier das Gleichheitszeichen? die Schwarzsche Ungleichung (1.17) Wir multiplizieren jeden Vektor neuen Vektor. Die Zahlen, die wir ebenfalls zu einem Satz zusammenfassen können, sind die Koeffizienten der Linearkombination. Ein Satz von Vektoren als Linearkombination der gegebenen Vektoren dargestellt werden kann. Es existiert also für jeden Vektor ein Satz von reellen Zahlen (1.21) mit heißt vollständig, wenn jeder Vektor Wir sagen in diesem Fall auch, dass der Vektorraum von den Vektoren Ein Satz von Vektoren aufgespannt wird. heißt linear unabhängig, wenn das Gleichungssystem mit einer reellen Zahl addieren die Ergebnisse zu einem (1.22) Aufgabe 1.5 Eine weitere nützliche Eigenschaft des Skalarproduktes ist in Abbildung 1.2(a) dargestellt. Es sei irgendein Vektor ein Einheitsvektor. Dann kann man in zwei Vektoren proportional ist, senkrecht steht, also zerlegen, zwar so, dass zu zu (1.18) Man zeige, dass eine solche orthogonale Zerlegung immer existiert, dass sie sogar eindeutig ist, dass sich die Vektoren wie folgt darstellen lassen, für die Variablen nur genau dann erfüllt ist, wenn alle sind. Es gibt also nur genau eine Linearkombination der Vektoren, die als Ergebnis den Nullvektor liefert. Das ist die, bei der alle Koeffizienten gleich Null sind. Eine Basis von ist ein Satz von Vektoren, der sowohl linear unabhängig als auch vollständig ist. Wenn eine Basis von ist, dann lässt sich jeder Vektor auf genau eine Art Weise als Linearkombination der Basisvektoren schreiben. Es gibt also zu jedem Vektor genau einen Satz von Komponenten, so dass (1.19) (1.23) Aufgabe 1.6 In Abbildung 1.2(b) wird gezeigt, dass das Skalarprodukt die orthogonale Projektion eines Vektors auf einen Einheitsvektor definiert. Wie ist das zu verstehen? Warum kann die orthogonale Projektion von auf nur Werte zwischen annehmen? Dass es mindestens einen solchen Satz gibt, ergibt sich aus der Vollständigkeit der Basisvektoren. Dass es für jeden Vektor nur genau einen Satz von Komponenten gibt, folgt aus der linearen 4

Unabhängigkeit der Basisvektoren. Sei nämlich Eigenschaft (1.23). Dann ist ein zweiter Satz von Komponenten mit der (1.24) Dabei ist natürlich die Dimension von. Explizit ist die Abbildung wie folgt gegeben, Basis mit (1.26) Das ist ein Gleichungssystem der Form (1.22) für die Variablen. Somit folgt wegen der linearen Unabhängigkeit der Basisvektoren, dass alle. Wenn es eine Basis von gibt, die aus Vektoren besteht, dann besteht jede andere Basis von auch aus Vektoren. Das ergibt sich aus dem folgenden, sogar noch etwas allgemeineren Satz. gleich Null sind, also Aufgabe 1.9 Es sei eine Basis eines dreidimensionalen Vektorraumes. Ferner sei (1.27) Aufgabe 1.7 Es sei mit, mit ein linear unabhängiger Satz von ein vollständiger Satz von Man zeige, dass Vektoren. ist. Vektoren, Da jede Basis sowohl vollständig als auch linear unabhängig ist, folgt daraus, dass jede Basis aus gleich vielen Vektoren bestehen muss. Die Zahl der Basisvektoren ist eine Eigenschaft des Vektorraumes. Sie wird als Dimension bezeichnet mit bezeichnet. Wir betrachten hier nur endlich-dimensionale Vektorräume, also solche, die eine Basis aus endlich vielen Vektoren besitzen. Mit Hilfe einer Basis lässt sich das Rechnen mit Vektoren auf das Rechnen mit reellen Zahlen zurückführen. Um eine Vektoraddition oder eine skalare Multiplikation durchzuführen, müssen wir nur die entsprechende Operation auf die Komponenten der Vektoren bezüglich irgendeiner Basis anwenden. Aufgabe 1.8 Man zeige, dass für alle gelten, für alle die folgenden Rechenregeln Sind die Vektoren bzw. vollständig? Sind sie linear unabhängig? Aufgabe 1.10 Es sei ein -dimensionaler Vektorraum. Warum ist jeder vollständige Satz von genau Vektoren eine Basis von? Warum ist jeder linear unabhängige Satz von genau Vektoren eine Basis von? Aufgabe 1.11 Nicht jeder Vektorraum ist endlich-dimensional. Der Raum aller (stetigen, differenzierbaren, integrierbaren,...) Funktionen wird zu einem Vektorraum, wenn wir die Addition zweier Funktionen mit einer reellen Zahl durch bzw. die skalare Multiplikation einer Funktion (1.28) erklären. Man zeige, dass die Vektorraumaxiome erfüllt sind, dass dieser Vektorraum aber keine Basis aus endlich vielen Vektoren, also besitzt. Funktionen (1.25) Orthonormalbasis Kronecker-Symbol Der Raum aller -Tupel von reellen Zahlen ist natürlich selbst ein Vektorraum, wobei die Addition die skalare Multiplikation eintragsweise erklärt sind, also bzw.. Das entspricht genau den entsprechenden Operationen in (1.25), so dass durch die Zuordnung eines Vektors zu seinen Komponenten eine lineare Abbildung definiert wird. Eine Abbildung zwischen zwei Vektorräumen heißt linear, wenn sie mit der Vektoraddition der skalaren Multiplikation verträglich ist. Die Summe von zwei Vektoren wird auf die Summe der Bilder der beiden Vektoren abgebildet, das skalare Vielfache eines Vektors auf des entsprechende Vielfache des Bildes. Genau das ist die Aussage von (1.25). Ist die Abbildung zudem bijektiv, so werden die beiden Vektorräume vollständig miteinander identifiziert. Wir können die Eigenschaften einer Basis daher wir folgt zusammenfassen: Eine Basis ist eine bijektive lineare Abbildung. Um auch das Skalarprodukt damit den Betrag eines Vektors durch eine einfache Funktion seiner Komponenten auszudrücken, müssen wir eine spezielle Art von Basis wählen. Es sei zunächst, mit, irgendeine Basis eines -dimensionalen metrischen Vektorraumes. Dann gilt für das Skalarprodukt von zwei Vektoren (1.29) Um diesen Ausdruck weiter umzuformen, müssen wir einen der Indizes umbenennen. Dann können wir die Summen aus dem Skalarprodukt herausziehen, indem die Eigenschaft (1.9) verwenden, (1.30) 5

Aufgabe 1.12 Man mache sich die einzelnen Schritte dieser Umformung durch explizites Ausschreiben der Summen klar. Warum ist es unbedingt nötig, den Indizes, über die jeweils summiert wird, verschiedene Namen zu geben? hätte die folgende spezielle Eigenschaft. Für die Skalarpro- Nehmen wir nun an, die Basis dukte der Basisvektoren gilt Orthonormalbasis für für (1.31) Eine solche Basis heißt Orthonormalbasis. Die spezielle Eigenschaft einer Orthonormalbasis ist, dass alle Basisvektoren Einheitsvektoren sind, dass sie paarweise zueinander senkrecht stehen. Genau das wird durch die Forderung (1.31) ausgedrückt. Eine Orthonormalbasis besteht aus zueinander orthogonalen Einheitsvektoren. Es ist nützlich, für die Eigenschaft (1.31) der Basisvektoren ein spezielles Symbol einzuführen. Es heißt Kronecker-Symbol wird wie folgt definiert, Kronecker- Symbol für für (1.32) Die Eigenschaft (1.31) einer Orthonormalbasis lässt sich dann sehr einfach durch die Gleichung Das Skalarprodukt zweier Vektoren ist durch die Summe der Produkte ihrer Komponenten bezüglich einer Orthonormalbasis gegeben. Für den Betrag eines Vektors gilt dann die einfache Formel (1.36) das heißt das Quadrat des Betrages eines Vektors ist durch die Summe der Quadrate seiner Komponenten gegeben. Aufgabe 1.13 Im folgenden laufen alle Indizes von bis, es sei ein beliebiger Satz von Vektoren. Man beweise die folgenden allgemeinen Rechenregeln für das Kronecker-Symbol, Man berechne anschließend (1.37) (1.38) Der Einfachheit halber fasst man Summen über mehrere Indizes zu einem Summenzeichen zusammen. Man mache sich klar, dass die Reihenfolge, in der die einzelnen Summationen ausgeführt werden, unerheblich ist. (1.33) ausdrücken. Ferner lassen sich Summen, in denen das Kronecker-Symbol auftritt, sehr leicht vereinfachen. So gilt zum Beispiel für einen beliebigen Satz von reellen Zahlen die Regel (1.34) Aufgabe 1.14 Man zeige mit Hilfe des Kronecker-Symbols, dass die Komponenten Vektors bezüglich einer Orthonormalbasis Vektors auf die Basisvektoren gegeben sind, also eines durch die orthogonalen Projektionen des (1.39) Wenn unter einer Summe ein Kronecker-Symbol steht, wobei über einen der beiden Indizes summiert wird, so bleibt von der Summe nur ein Term übrig, nämlich der, für den die beiden Indizes gleich sind. Das Kronecker-Symbol greift gewissermaßen einen der Summanden aus der Summe heraus vernichtet alle anderen. Natürlich gilt das nur, wenn alle beteiligten Indizes, hier also bis laufen, auch alle Indizes, über die nicht summiert wird, Werte von bis annehmen, ist das stets gewährleistet. Wenn wir die Eigenschaft (1.33) der Basisvektoren in (1.30) einsetzen anschließend diese Regel auf die Summe über den Index Ausdruck für das Skalarprodukt von zwei Vektoren,, denselben Wertebereich haben. Da hier alle Summen von anwenden, so erhalten wir den folgenden einfachen (1.35) Aufgabe 1.15 Man beweise, dass jeder endlich-dimensionale metrische Vektorraum eine Orthonormalbasis besitzt. Affine Räume Wir wollen nun die anschauliche Vorstellung von einem Vektor als Pfeil, das heißt als gerichtete Verbindungslinie zweier Punkte im Raum, mathematisch präzise formulieren. Wir benötigen dazu das Konzept eines affinen Raumes. Ein affiner Raum besteht aus einem Punktraum einem zugeordneten Vektorraum. Die Elemente von, die wir mit großen Buchstaben bezeichnen, repräsentieren die Punkte oder die Orte im Raum. Die Elemente von, die wir wieder nennen, repräsentieren 6

Punktraumes auf sich selbst, Verschiebung mit (1.42) (a) (b) (c) Abbildung 1.3: Vektoren werden in einem affinen Raum durch Pfeile dargestellt, die jeweils zwei Punkte miteinander verbinden. Zeigt ein Pfeil von ein anderer von nach, so wird die Summe der beiden Vektoren durch einen Pfeil von nach dargestellt (a). Verschiebt man sowohl den Anfangs- als auch den Endpunkt eines Pfeiles jeweils um einen Vektor, so bleibt der Abstandsvektor der beiden Punkte unverändert (b). Der Abstand zweier Punkte ist durch den Betrag des Abstandsvektors gegeben (c). nach Diese Abbildung ist eine Verschiebung um den Vektor. Jeder Punkt wird durch den Vektor auf einen Punkt verschoben. Eine Verschiebung hat genau die Eigenschaft, die wir am Anfang postuliert haben. Betrachten wir nämlich den Abstandsvektor zweier beliebiger Punkte, verschieben beide, wie in Abbildung 1.3(b) gezeigt, um einen Vektor, so gilt gemäß der Definition einer Verschiebung für die Bildpunkte. Daraus folgt (1.43) Der Abstandsvektor wird durch die Verschiebung nicht verändert. Das ist genau die anschauliche Eigenschaft eines Vektors, von der wir ausgegangen sind. Ein Vektor verändert sich nicht, wenn wir ihn im Raum verschieben. Wir können das wie folgt zusammenfassen: die Vektoren, die durch Pfeile im Raum dargestellt werden. Die Beziehung zwischen dem Punktraum dem Vektorraum ist durch eine Abbildung festgelegt, die je zwei Punkten einen Abstandsvektor zuordnet, Der Abstandsvektor Punkt Abstandsvektor (1.40) wird anschaulich durch einen Pfeil dargestellt, der vom Punkt zeigt. Er soll folgende Eigenschaften haben. Für alle gilt zum (1.41) Das ist die formale Schreibweise für die in Abbildung 1.3(a) dargestellte Vorschrift, nach der Vektoren durch das Zusammensetzen der entsprechenden Pfeile addiert werden. Zeigt ein Pfeil von nach ein zweiter Pfeil von nach, so wird die Summe der beiden durch einen Pfeil von nach dargestellt. Zusätzlich müssen wir noch verlangen, dass die Abbildung (1.40) im folgenden Sinne umkehrbar ist. Zu jedem Punkt jedem Vektor gibt es genau einen Punkt, so dass ist. Um einen Vektor als Pfeil darzustellen, können wir einen beliebigen Anfangspunkt Der Vektor zeigt dann von dort zu einem eindeutig definierten Punkt wählen.. Dadurch ist unter anderem garantiert, dass wir immer die Vorschrift (1.41) anwenden können, um zwei Pfeile zu addieren. Wir können den Anfangspunkt des zweiten Pfeiles stets so wählen, dass er mit dem Endpunkt des ersten Pfeiles übereinstimmt. Wir können diese Eigenschaft eines affinen Raumes auch anders interpretieren. Wir betrachten einen Vektor halten diesen fest. Zu jedem Punkt gibt es dann genau einen Punkt, so dass ist. Folglich definiert der Vektor eine Abbildung des Ein affiner Raum besteht aus einem Punktraum einem Vektorraum. Ein Vektor wird durch einen Pfeil dargestellt erzeugt eine Verschiebung im Punktraum. Tatsächlich ist das der Ursprung des Wortes Vektor. Es leitet sich aus dem lateinischen vehere (etwas fahren, transportieren) ab. Ein Vektor transportiert etwas von einem Ort zum anderen. Statt als Pfeil im Punktraum können wir uns einen Vektor auch als Verschiebung, das heißt als eine Operation auf dem Punktraum vorstellen. Entscheidend ist dabei, dass ein Vektor eine gerichtete Größe ist. Ein Pfeil zeigt in eine bestimmte Richtung, genau wie eine Verschiebung. Eine Größe, die in irgendeiner Weise mit einer Richtung im Raum verknüpft ist, wird stets durch einen Vektor dargestellt. Im Gegensatz dazu bezeichnet man eine Größe, die nicht gerichtet ist, als Skalar. Daher kommt auch die Bezeichnung Skalarprodukt skalare Multiplikation. Eine reelle Zahl ist ein Skalar. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Wort Skala ab, da man den Wert eines Skalars an einer Skala ablesen kann, den Wert eines Vektors jedoch nicht, da es eine gerichtete Größe ist. Ein gutes Beispiel, um diesen Unterschied deutlich zu machen, ist die Definition des Abstands zweier Punkte in einem affinen Raum, die in Abbildung 1.3(c) dargestellt ist. Ist der zugeordnete Vektorraum ein metrischer Vektorraum, so ist der Abstand zweier Punkte im Punktraum durch den Betrag des Abstandsvektors definiert, Abstand (1.44) Auf diese Weise wird dem Vektor, also der gerichteten Größe, ein Skalar, also eine ungerichtete Größe zugeordnet. Wenn zum Beispiel zwei verschiedene Punkte gleich weit einem Punkt von, das heißt die ungerichteten Abstände sind entfernt sind, so gilt 7

an der Stelle gleich. Die Vektoren, also die gerichteten Größen, die neben der Information über den Abstand auch noch die Richtungsinformation tragen, sind jedoch nicht gleich. Ein affiner Raum, auf dem auf diese Weise der Abstand zweier Punkte definiert ist, heißt metrischer affiner Raum, oder auch Euklidischer Raum. Um die Struktur des physikalischen Raumes zu beschreiben, müssen wir nur noch sagen, was die Dimension eines affinen Raumes ist. Sie ist einfach durch die Dimension des zugeordneten Vektorraumes definiert. Es gilt also. Aufgabe 1.16 Man zeige, dass sich der Nullvektor der inverse Vektor wie folgt als Pfeile darstellen lassen, (1.45) dass der Abstand zweier Punkte genau dann gleich Null ist, wenn ist. Aufgabe 1.17 Verschiebungen lassen sich wie alle Abbildungen durch Verkettung verknüpfen. Man zeige, dass die Verknüpfung zweier Verschiebungen wieder eine Verschiebung ist, dass die Menge aller Verschiebungen eines affinen Raumes dadurch zu einer abelschen Gruppe wird. Welcher Eigenschaft des zugeordneten Vektorraumes entspricht das? Aufgabe 1.18 Man beweise, dass es zu jedem Punkt Punkt einen gibt mit. zu jedem Vektor Aufgabe 1.19 Man beweise die Dreiecksungleichung. Für je drei Punkte metrischen affinen Raum gilt Wann gilt das Gleichheitszeichen? genau in einem (1.46) Aufgabe 1.20 Aus der Euklidischen Geometrie kennen wir den Satz des Pythagoras, wonach ein Dreieck genau dann im Punkt rechtwinklig ist, wenn für die Seitenlängen die Beziehung mit (1.47) gilt. Man zeige, dass dieser Satz auch in einem metrischen affinen Raum gilt, wobei rechte Winkel Längen über das Skalarprodukt der entsprechenden Abstandsvektoren definiert sind. Der physikalische Raum Da wir jetzt wissen, was ein metrischer affiner Raum, also ein Euklidischer Raum ist, was die Dimension eines affinen Raumes ist, können wir an dieser Stelle unsere erste physikalische Theorie explizit formulieren. Die Kurzfassung lautet: Der physikalische Raum hat die Struktur eines dreidimensionalen Euklidischen Raumes. Wir identifizieren die Orte im physikalischen Raum mit den Punkten eines dreidimensionalen Euklidischen Raumes, den wir mit bezeichnen. Jedem Punkt entspricht ein Ort im Raum, den wir ebenfalls mit bezeichnen. Wir können diese Zurordnung einer physikalischen Struktur zu einer mathematischen Struktur auch als Messvorschrift verstehen. Wir messen einen Ort, also einen Punkt, indem wir ihn mit einem Gegenstand markieren. Damit allein können wir allerdings noch nicht viel anfangen. Wir können jetzt zwar verschiedene Orte messen, indem wir sie markieren, aber wir können daraus noch keine Aussagen über die Struktur des Raumes ableiten, die wir experimentell testen können, oder mit deren Hilfe wir Voraussagen über noch nicht durchgeführte Messungen machen können. Eine Messvorschrift allein für einzelne Punkte reicht noch nicht aus, um mit der Theorie sinnvolle Aussagen machen zu können. Wie benötigen noch andere Messvorschriften. Eine Messgröße, die sich dazu anbietet, ist der Abstand zweier Orte. Mit einem geeigneten Messinstrument, zum Beispiel einem Maßband, auf dem wir eine Skala angebracht haben, können wir den Abstand zweier Orte messen. Wir legen das Maßband zwischen den zuvor markierten Orten an, spannen es, lesen die Skala an der Stelle ab. Dann bilden wir den Betrag der Differenz der beiden Skalenwerte, nennen das Ergebnis den Abstand von. Das klingt zunächst sehr primitiv, es ist wohl kaum möglich, auf diese Weise etwa den Abstand von hier zum Mond zu messen, oder den Durchmesser eines Atoms. Darauf kommt es aber im Moment nicht an. Entscheidend ist nur, dass wir eine Messvorschrift definiert haben, die zumindest auf bestimmte Paare von Orten anwendbar ist, die im Rahmen einer gewissen Messgenauigkeit ein reproduzierbares Ergebnis liefert. Damit das Ergebnis reproduzierbar ist, also eine zweite Messung dasselbe Ergebnis liefert, muss die Skala auf dem Maßband regelmäßig sein. Regelmäßig heißt, dass die Skalenstriche immer den gleichen Abstand haben. Diese Forderung hört sich zunächst etwas merkwürdig an, weil ja durch das Maßband die Größe Abstand überhaupt erst definiert wird. Sie ist aber durchaus sinnvoll lässt sich auch überprüfen, nämlich indem man dieselbe Abstandsmessung mehrmals wiederholt dabei unterschiedliche Abschnitte des Maßbandes verwenden. Eine gutes Maßband erkennen wir daran, dass es reproduzierbare Ergebnisse liefert. Die so definierte Messgröße bilden wir nun auf eine mathematische Größe ab, die wir in der Theorie bereits eingeführt haben. Das ist natürlich die Größe mit dem gleichen Namen, also der Abstand, der über den Abstandsvektor dessen Betrag, also das Skalarprodukt definiert ist. Sobald wir diese Zuordnung einer physikalischen Messgröße zu einer mathematischen Größe vorgenommen haben, wird unsere Theorie zu einer experimentell überprüfbaren Theorie über die Struktur des Raumes. Sie macht jetzt nämlich Aussagen über Beziehungen zwischen Messgrößen, die wir durch nachmessen überprüfen können. Es ist nicht ganz leicht, solche Aussagen zu finden, die nicht ganz trivial sind allein auf der Messung von Längen beruhen. Da es aber sehr wichtig ist, zu verstehen, warum genau in diesem Moment der Übergang von der reinen Mathematik zur Physik stattgefen hat, wollen wir ein Beispiel für eine solche Vorhersage ganz explizit vorführen. 8

Das Experiment sieht wie folgt aus. Wir markieren im Raum fünf verschiedene Orte. Dann messen wir ein paar Abstände zwischen ihnen finden zufällig, dass neun davon den gleichen Wert haben, (1.48) Das ist natürlich nur eine Annahme, die wir machen, um die Rechnung etwas zu vereinfachen. Im Prinzip könnten wir auch von neun verschiedene Werten ausgehen. Dann würde die folgende Rechnung jedoch nur unnötig kompliziert werden. Den einzigen Abstand, den wir noch nicht gemessen haben, ist. Wir wollen zeigen, dass dieser durch die Theorie vorhergesagt wird. Wir benötigen dazu nichts weiter als die Definition des Abstandes über des Skalarprodukt von Vektoren die Behauptung der Theorie, dass der Raum dreidimensional ist. Die Herleitung dieser Vorhersage ist ein wenig länger, aber sie ist eine gute Übung für den Umgang mit Vektoren Skalarprodukten. Wir definieren zunächst die Vektoren Wir wissen, dass alle diese Vektoren den Betrag haben, Außerdem ist somit (1.49) (1.50) (1.51) Die Gleichheit der letzten drei Ausdrücke impliziert, (1.56) zusätzlich bekommen wir folgende Gleichung, wenn wie die drei letzten drei Ausdrücke in (1.55) addieren, Jetzt benutzen wir, dass der Raum dreidimensional ist, dass die Vektoren eine Basis bilden. Das ist leicht zu beweisen. Da es sich um drei Vektoren handelt, müssen wir nur zeigen, dass die Vektoren linear unabhängig sind. Die Gleichung (1.57) (1.58) darf also nur die Lösung besitzt. Bilden wir auf beiden Seiten nacheinander das Skalarprodukt mit, teilen das Ergebnis jeweils durch, so ergeben sich die Gleichungen Also ist (1.59) eine Basis, somit können wir den Vektor also Linearkombination schreiben, (1.60) Jetzt benutzen wir die Gleichung (1.56). Setzen wir (1.60) dort ein teilen das ganze wieder durch, so ergibt noch einmal ein ähnliches Gleichungssystem, nämlich Die gleiche Überlegung für jeweils zwei andere Vektoren ergibt (1.61) (1.52) Die Koeffizienten der Linearkombination (1.60) müssen alle gleich sein, also Gesucht ist die Länge des Vektors (1.53) Benutzen wir diese Gleichungen, um die gestrichenen Vektoren durch die ungestrichenen auszudrücken, so lauten die letzten drei Gleichungen von (1.52) (1.54) (1.62) Um die Zahl zu bestimmen, benutzen wir die Gleichung (1.57). Sie lautet nun also oder somit. Den ersten Fall können wir ausschließen, denn dann wäre. Also ist (1.64) (1.63) Wenn wir die Klammern ausmultiplizieren die ersten drei Gleichungen von (1.52) verwenden, so ergibt sich daraus (1.55) Um die Länge dieses Vektors zu berechnen, benötigen wir nur noch das Skalarprodukt (1.65) 9

Wir finden also (1.66) Offenbar behauptet die Theorie, der Abstand sei genau um den Faktor größer als die Abstände (1.48). Die Theorie macht also eine Vorhersage über eine Messung, die wir noch nicht durchgeführt haben. Wenn wir das vorhergesagte Messergebnis tatsächlich in der Realität finden, dann bestätigt das die Richtigkeit der Theorie. Wie wir bereits aus unserer alltäglichen Erfahrung wissen, ist das der Fall. Alle Experimente dieser Art bestätigen die Euklidische Geometrie. Sonst würden wir sie hier nicht als Theorie über die Struktur des Raumes einführen. Auf ihr beruhen alle Landkarten, Baukonstruktionen, mechanischen Geräte letztlich überhaupt alle Anwendungen der klassischen Physik. Die Euklidische Geometrie beschreibt die Verhältnisse im physikalischen Raum richtig, jedenfalls im Rahmen einer gewissen Messgenauigkeit. Es könnte aber auch sein, dass wir ein ganz anderes Messergebnis finden. Um das Konzept einer physikalischen Theorie zu verstehen, sollte man sich deshalb klar machen, dass es keinerlei vernünftigen, also rein logischen oder mathematischen Gr gibt, warum die Messung des Abstandes den Wert liefern soll. Es handelt sich um eine Messung, die von den anderen neun durchgeführten Abstandsmessungen völlig unabhängig ist. Und tatsächlich, wenn man genau genug misst, stellt man fest, dass der Faktor gar nicht genau ist. Allerdings muss man schon sehr genau hinschauen. Die Abweichung von der Euklidischen Geometrie, die man bei Abstandsmessungen dieser Art im irdischen Bereich findet, beträgt etwa ein milliardstel. Das heißt für unser Experiment, dass eine Messung der Strecke erst dann eine Abweichung von ergeben würde, wenn wir alle Abstände bis auf mindestens zehn Stellen genau messen würden. Man stellt also bei genauerem Hinsehen fast, dass die Euklidische Geometrie doch nicht die richtige Beschreibung der Struktur des Raumes ist. Sie liefert eine sehr gute Näherung, aber keine exakte Beschreibung. Für unsere Zwecke ist diese Näherung aber gut genug. Solange wir keine wirklich famentale physikalische Theorie gefen haben, was vielleicht nie der Fall sein wird, können wir von einer physikalischen Theorie ohnehin nur erwarten, dass die sie Natur innerhalb einer gewissen Näherung möglichst gut beschreibt. Die klassischen physikalischen Theorien haben also schon allein deshalb einen beschränkten Gültigkeitsbereich, weil sie auf der Euklidischen Geometrie des Raumes aufbauen. Will man zu einer genaueren Beschreibung übergehen, so muss man zur Beschreibung der Struktur des Raumes die allgemeine Relativitätstheorie heranziehen, die die Euklidische Geometrie durch eine Verallgemeinerung, die Riemannsche Geometrie ersetzt. Aber darauf können wir hier aus verständlichen Gründen nicht näher eingehen können. Das würde weit über das eigentliche Thema hinaus führen. Es sei nur noch angemerkt, dass zwar so gut wie alle alltäglichen physikalischen Anwendungen mit der Euklidischen Geometrie als Beschreibung des Raumes auskommen, dass es jedoch inzwischen eine bekannte sehr nützliche Anwendung gibt, die in unser tägliches Leben vorgedrungen ist, die nicht mehr mit dieser Beschreibung des Raumes auskommt. Das ist das Global Positioning System GPS. Ein GPS-Gerät bestimmt seinen Ort durch Abstandsmessungen zu anderen, bekannten Orten, nämlich denen von Satelliten, die ihre Umwelt ununterbrochen darüber informieren, wo sie sich gerade befinden. Um seinen Standort zu bestimmen, muss ein solches Gerät Rechnungen ausführen, die im wesentlichen genau von der Art sind, wie wir sie gerade durchgeführt haben. Würde man diesen Rechnungen jedoch die Euklidische Geometrie zugre legen, so würde man feststellen, dass immer wieder Fehler auftreten, die sich nur dadurch erklären lassen, dass die Euklidische Theorie die Struktur des Raumes nicht richtig beschreibt. Erst eine Berechnung mit Hilfe der allgemeinen Relativitätstheorie der Riemannschen Geometrie liefert ein Ergebnis mit ausreichender Genauigkeit. Aufgabe 1.21 Bei einem anderen Experiment der gleichen Art wie oben findet man die folgenden Abstände von fünf paarweise verschiedenen Punkten, (1.67) Man bestimme. Warum sind mindestens fünf Punkte nötig, um eine solche Vorhersage für eine Abstandsmessung zu machen? Wieviele Punkte wären nötig, wenn der Raum vierdimensional wäre? Aufgabe 1.22 Wie kann man allein durch Abstandsmessungen feststellen, ob drei Punkte so angeordnet sind, dass gilt. Was bedeutet das anschaulich? Koordinatensysteme Im Prinzip reicht eine Messvorschrift für Abstände zwischen Punkten vollkommen aus, um sämtliche Aussagen der Euklidischen Geometrie experimentell zu überprüfen darauf andere Theorien wie die klassische Mechanik aufzubauen. Wie wir gerade an einem relativ einfachen Beispiel gesehen haben, erfordert das aber recht komplizierte Rechnungen, wenn wir konkrete Beobachtungen Experimente beschreiben wollen. Um das Rechnen mit Punkten ihren Abständen zu erleichtern, führen wir ein Koordinatensystem ein. Ein Koordinatensystem in einem affinen Raum ist das Analogon zu einer Basis in einem Vektorraum. Es ermöglicht, das formale Rechnen mit Punkten Vektoren auf das konkrete Rechnen mit Zahlen zurückzuführen, zwar in einer sehr viel einfacheren Weise als wir dies gerade getan haben. Wir werden ein Koordinatensystem zuerst als mathematisches Konzept einführen, anschließend zeigen, wie man es durch eine Messvorschrift im physikalischen Raum realisieren kann. Die Konstruktion eines Koordinatensystems ist in Abbildung 1.4(a) dargestellt. Der erste Schritt besteht darin, einen Ort als Bezugspunkt oder Ursprung des Koordinatensystems 10

des Vektors, schließlich um in Richtung des Vektors die wir dabei zurücklegen, bilden die Kanten eines Koordinatenquaders. Je nachdem, in welcher Reihenfolge wir dieser Verschiebungen durchführen, durchlaufen wir verschiedene Kanten dieses Quaders. Die so definierte bijektive Abbildung kartesische Koordinaten mit verschieben. Die Strecken, (1.69) (a) (b) Abbildung 1.4: Ein kartesisches Koordinatensystem im dreidimensionalen Raum wird durch einen Ursprung eine Orthonormalbasis festgelegt (a). Die Koordinaten eines Punktes findet man, indem man den Ortsvektor orthogonal auf die Koordinatenachsen projiziert. Der Abstand zweier Punkte ergibt sich aus der Summe der Quadrate der Seitenlängen des von aufgespannten Koordinatenquaders (b). eine um- Ein kartesisches Koordinatensystem wird durch einen Ursprung Orthonormalbasis definiert. Es ordnet jedem Punkt kehrbar eindeutig einen Satz von Koordinaten zu. von die jedem Punkt umkehrbar eindeutig seine Koordinaten zuordnet, heißt kartesisches Koordinatensystem. Ortsvektoren bzw. Ein kartesisches Koordinatensystem hat die folgenden nützlichen Eigenschaften. Um den Abstandsvektor zweier Punkte zu bestimmen, müssen wir nur die Differenzen ihrer Koordinaten bilden. Seien nämlich zwei beliebige Punkte, ihre, so gilt für den Abstandsvektor deren Komponenten, also die Koordinaten von jedem Ort wird festzulegen. Durch die Auswahl des Bezugspunktes ein Ortsvektor zugeordnet. Umgekehrt bestimmt jeder Ortsvektor genau einen Ort mit. Die Zuordnung eines Ortes zu seinem Ortsvektor ist also bijektiv. Der Ortsvektor gibt an, wie weit in welche Richtung wir den Ursprung verschieben müssen, um zum Ort zu gelangen. Im zweiten Schritt führen wir eine Orthonormalbasis im Vektorraum ein. Es ist üblich, die Basisvektoren im physikalischen Raum mit zu bezeichnen. Der Index, der die Basisvektoren. An den formalen Beziehungen zwischen den Basisvektoren den Komponenten von Vektoren ändert das nichts, weil wir die Indexmenge ohnehin nie explizit ausgeschrieben haben. Nur die Dimension des Vektorraumes ist jetzt immer gleich. Der Ortsvektor eines Punktes kann nun in seine Komponenten zerlegt werden, Ortsvektor durchnummeriert, läuft also von nun an über die Indexmenge (1.68) Auf diese Weise wird jedem Punkt ein Satz von Koordinaten zugeordnet. Umgekehrt wird jeder Punkt wird eindeutig durch seine Koordinaten identifiziert. Wie in Abbildung 1.4(a) gezeigt, finden wir den Punkt mit den Koordinaten, indem wir den Ursprung zuerst um in Richtung des Vektors, dann um in Richtung (1.70) Außerdem können wir sehr leicht den Abstand zweier Punkte berechnen. Aus (1.70) (1.36) folgt nämlich (1.71) Das ist die dreidimensionale Verallgemeinerung des Satzes des Pythagoras. Um den Abstand zweier Punkte zu ermitteln, betrachten wir den in Abbildung 1.4(b) dargestellten Koordinatenquader, dessen gegenüber liegende Eckpunkte die Punkte sind, dessen Kanten in die Richtungen der Koordinatenachsen zeigen. Das Quadrat der Länge der Diagonalen ist dann durch die Summe der Quadrate der Kantenlängen gegeben. Da die Bestimmung des Abstandsvektors das Abstandes die einzigen Rechenoperationen sind, die wir mit Punkten durchführen können, haben wir haben damit auch das formale Rechnen mit Punkten in einem affinen Raum auf des konkrete Rechnen mit Zahlen, also mit Koordinaten Komponenten zurückgeführt. Allerdings müssen wir beachten, dass die Wahl eines kartesischen Koordinatensystems stets willkürlich ist. Wenn wir mit Koordinaten von Punkten Komponenten von Vektoren rechnen, müssen wir stets mit angeben, bezügliche welchen Koordinatensystems diese definiert sind. 11

gegeben, so dass für deren Ortsvektoren in einem Der Gr dafür ist, dass der physikalische Raum symmetrisch ist. Es gibt in ihm keinen irgendwie ausgezeichneten Punkt, also auch keine bevorzugte Wahl eines Ursprungs für ein Koordinatensystem. Wir sagen auch, dass der Raum homogen ist. Das bedeutet, dass alle Punkte in ihm gleichberechtigt sind. Der Raum sieht überall gleich aus, ist also symmetrisch unter Verschiebungen. Dasselbe gilt für die Orthonormalbasen. Es gibt keine besonders ausgezeichnete Basis des Vektorraumes. Der Raum ist auch isotrop, das heißt er sieht in alle Richtungen gleich aus. Wir können eine Orthonormalbasis beliebig drehen. Solange die Basisvektoren zueinander senkrecht stehen Einheitsvektoren sind, können wir eine Orthonormalbasis prinzipiell nicht von einer anderen unterscheiden. Das hat gewisse Vor- Nachteile. Ein großer Vorteil dieser Freiheit der Wahl des Koordinatensystems besteht darin, dass wir, vor ein ganz spezielles physikalisches Problem gestellt, das Koordinatensystem dem Problem anpassen können. Wir können den Ursprung die Basis so wählen, dass das Problem möglichst einfach formuliert möglicherweise gelöst werden kann. Davon werden wir später sehr häufig Gebrauch machen. Ein Nachteil ist allerdings, dass wir, wenn wir allgemeine Gesetzmäßigkeiten finden formulieren wollen, stets darauf achten müssen, dass diese Gesetzmäßigkeiten nicht davon abhängen, welches Koordinatensystem wir wählen, um sie zu beschreiben. Das ist auch der Gr, warum wir in der Physik überhaupt das abstrakte Konzept eines metrischen affinen Raumes benötigen. Durch ein Koordinatensystem wird dieser, wie wir gesehen haben, mit dem Raum identifiziert. Also könnten wir doch gleich sagen, dass der physikalische Raum die Struktur des hat, statt den Umweg über einen affinen Raum zu machen. Das käme der Auswahl eines festen, ein für alle Mal fixierten Koordinatensystems gleich. Mit einer solchen Festlegung würden wir jedoch die Symmetrien des Raumes nicht mehr in seiner Beschreibung wiederfinden. Denn es gäbe dann einen ausgezeichneten Punkt im Raum, nämlich den Ursprung dieses Koordinatensystems, es gäbe auch ausgezeichnete Richtungen, nämlich die der ausgewählten Basisvektoren. In einer solchen Beschreibung würden wir wichtige Eigenschaften einer physikalischen Theorie, nämlich ihre Symmetrien, nicht mehr oder jedenfalls nur noch schwer erkennen. Symmetrien, dazu gehören unter anderem die Symmetrien des Raumes unter Drehungen Verschiebungen, sind jedoch ein ganz entscheidendes Kriterium, um physikalische Theorien zu klassifizieren um deren Konsistenz zu prüfen. Tatsächlich bauen fast alle modernen physikalischen Theorien auf sehr famentalen solchen Symmetrieprinzipien auf. Wir werden uns daher später sehr ausführlich mit der Frage beschäftigen, was genau passiert, wenn wir von einem Koordinatensystem zu einem anderen übergehen, wie sich physikalische Gesetzmäßigkeiten dabei verhalten. Für den Anfang genügt es jedoch, immer nur ein, zwar willkürlich gewähltes, aber festes kartesisches Koordinatensystem zu verwenden, um den physikalischen Raum damit zu erfassen. Die einzige zusätzliche Forderung, die wir noch an das Koordinatensystem stellen können, ist, dass es eine positive Orientierung hat. Das bedeutet folgendes. Wenn wir die Basisvektoren, ausgestreckten Daumens, des ausgestreckten Zeigefingers des angewinkelten Mittelfingers betrachten, so zeigen diese Vektoren in der gegebenen Reihenfolge in die Richtungen des (a) Abbildung 1.5: Der Übergang von einem kartesischen Koordinatensystem (a) zu einem anderen Koordinatensystem (b) setzt sich aus einer Verschiebung des Ursprungs einer Drehung der Basisvektoren zusammen. erset- der rechten Hand. Allgemein bezeichnen wir einen Satz von drei linear unabhängigen Vektoren, die diese Rechte-Hand-Regel erfüllen, als Rechtsystem. Wir haben dann immer noch die Freiheit, die Basisvektoren beliebig im Raum zu drehen, aber wir können sie nicht mehr spiegeln. Würden wir zum Beispiel den Vektor zen, das Koordinatensystem also an der - -Ebene spiegeln, so würden die drei Basisvektoren durch (b) hinterher ein Linkssystem bilden. Das gespiegelte Koordinatensystem hätte eine negative Orientierung. Das wollen wir im folgenden ausschließen. Die Beschränkung auf positive orientierte Koordinatensysteme ist nützlich, da sie an vielen Stellen eine Fallunterscheidung unnötig macht. Wo genau, werden wir im nächsten Kapitel sehen. Aufgabe 1.23 Es sei ein Punkt der um den Vektor Wie hängen die Koordinaten von mit den Koordinaten von Aufgabe 1.24 Es seien drei Punkte kartesischen Koordinatensystem gilt Welche Bedingung ist an die Zahlen ist? Wann ist es rechtwinklig? verschobene Punkt. zusammen? (1.72) zu stellen, damit das Dreieck gleichseitig Aufgabe 1.25 In Abbildung 1.5 sind zwei kartesische Koordinatensysteme dargestellt. Das ungestrichene Koordinatensystem wird durch einen Ursprung eine Basis festgelegt, das 12