Diversity - ein Konzept zwischen Verwertungs- und Gerechtigkeitslogik

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Transkript:

Fachtagung Diversity und soziale Gerechtigkeit - Eine Herausforderung für die Berufsbildung des Bildungsteam Berlin-Brandenburg am 26.1.2012 in Berlin Diversity - ein Konzept zwischen Verwertungs- und Gerechtigkeitslogik Prof. Dr. Renate Bitzan Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg Kompetenzzentrum Gender & Diversity

Aufbau: 1. Definition Diversity, einbezogene Kategorien, Anwendungsbereiche 2. Herkunft und Motivation des Konzepts 2 Wurzeln, 2 Logiken 3. Verschiedenheit, Gemeinsamkeit, Intersektionalität 4. Fragen und Herausforderungen

1. Definition Diversity, einbezogene Kategorien, Anwendungsbereiche Diversity = Vielfalt, Heterogenität, Verschiedenheit Positive statt negative Wahrnehmung gesellschaftlicher Vielfalt Bewusster, gestaltender Umgang mit Vielfalt Nutzung und Wertschätzung der Potentiale von Verschiedenheit Abbau von Diskriminierung

üblicherweise einbezogene Kategorien: - ethnische Herkunft/Zugehörigkeit - Geschlecht - Alter - sexuelle Orientierung - Behinderung - Religion und Weltanschauung = Big 6 zusätzlich: - Staatsangehörigkeit - Status innerhalb der Organisation = Big 8

theoretisch erweiterbar, z.b. um: Status innerhalb der Organisation Bildungshintergrund körperliche und mentale Verfasstheit/Behinderung Besitz Nord-Süd/Ost-West (Sub- oder Teil-) Kultur Alter Ethnizität Sexuelle Orientierung Geschlecht Aufenthaltsstatus Sesshaftigkeit Klasse/Schicht Nationalität/Staatsangehörigkeit Hautfarbe / Rassen -Zuordnung Modern-traditionell Religion u.v.a.m. kontextabhängige Auswahl

Anwendungsbereiche: Unternehmen ( Diversity Management ) Institutionen, Organisationen, Behörden, Hochschulen usw. ( Diversity Management, Diversity Politics ) Pädagogik und Bildungsarbeit ( Diversity-Pädagogik, Diversity-Training )

2. Herkunft und Motivation des Konzepts 2 Wurzeln, 2 Logiken Diversity / Diversity Management in USA seit Mitte 1980er Jahre; inzwischen sehr weit verbreitet Diversity / Diversity Management in Europa seit Mitte der 1990er Jahre in der wissenschaftlichen Debatte; schrittweise Verbreitung in einzelnen Unternehmen und Verwaltungen sowie in Pädagogik und Bildungsarbeit in 2000er Jahren (noch nicht flächendeckend verbreitet)

Wurzel 1: US-Bürgerrechtsbewegungen (Schwarze, Frauen, Homosexuelle, Alte ) Kampf gegen Diskriminierung in 1950er/60er/70er Jahren gesetzliche Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen / Affirmative Action zur Förderung bislang benachteiligter Gruppen Diversity-Strömung Equity -Perspektive Logik: Respekt, Menschenrechte, Anti-Diskriminierung = Gerechtigkeitslogik

Wurzel 2: betriebswirtschaftliche Erkenntnis, dass sich Wertschätzung von Vielfalt ökonomisch rentiert Schub mit US-Studie Workforce 2000 (von nachrückenden Arbeitskräften zwischen 1990 und 2005 nur noch 15 % Euro-American Men [weiße Männer] high potentials vermehrt in Minderheitengruppen)

Wertschätzung von Vielfalt des Personals soll - Image als attraktiver Arbeitgeber bei Personalrekrutierung verbessern - Zufriedenheit und damit Produktivität/Leistungsbereitschaft erhöhen und Fehlzeiten und Fluktuation senken - Kreativität und nachhaltige Problemlösungen durch gemischte Teams fördern - die Diversität von Zielgruppen/Kund_innen/Geschäftspartner_innen widerspiegeln und damit Umsätze erhöhen Diversity-Strömung Business -Perspektive Logik: ökonomische Kosten/Nutzen-Rechnung; Profitsteigerung; = Verwertungslogik

unvereinbar? im Sinne reiner Lehre : widersprüchlich Pragmatisch: Aspekte aus Equity - und Business -Logik nutzbar Bsp.: Projekt des Bildungsteams: Auszubildenden werden skills für Arbeitsmarkt vermittelt (= Verwertungslogik) Auszubildende und Lehrkräfte werden i.s. von Antidiskriminierung sensibilisiert (= Gerechtigkeitslogik)

auf vorhandene Ansätze aufbauen in Institutionen (Geschlechtergleichstellungskonzepte wie GM, interkulturelle Öffnung etc.) und Pädagogik/Bildung (Menschenrechtspädagogik, Antirassismusarbeit, gendersensible Pädagogik etc.) Boom strategisch nutzbar (Ressourcen) inhaltliche und konzeptionelle Füllung gestaltbar Interventionsmöglichkeit, nicht Feld überlassen

3. Verschiedenheit, Gemeinsamkeit, Intersektionalität Diversity-Verständnis reduziert auf Unterschiede Fallstricke: Festschreibung des Individuums auf Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kategorie Überbetonung der Unterschiede vorurteilsbehaftete Verhaltenserwartungen Essentialisierung

Diversity-Verständnis Unterschiede und Gemeinsamkeiten : neben Unterschieden immer auch Gemeinsamkeit aller als Menschen an sich wahrnehmen mit unserem Recht auf menschenwürdiges Dasein und mit unserem Streben nach Glück und Zufriedenheit Heterogenität innerhalb von Gruppen wahrnehmen; nicht pauschalisieren Intersektionalität (Durchkreuzung / Verschränkung): Individuen vereinigen in sich unterschiedlichste Zugehörigkeiten, sind in sich divers, erleben spezifische Verschränkungen von benachteiligenden und/oder privilegierenden Zugehörigkeiten und Differenzachsen und haben damit auch immer vielfältige Berührungspunkte zu anderen

4. Fragen und Herausforderungen Wie verhält sich Diversity zu Intersektionalität? I = Analysekonzept; D = Anwendungskonzept Aber nicht alle D-Konzepte sind intersektionell angelegt Wie verhält sich Diversity zu anderen pädagogischen Konzepten? - Pädagogik der Vielfalt - Inklusion (kategorien-übergreifend begriffen, wie z.b. im Projekt inklusive menschenrechte ) - Anti-bias-Training - Menschenrechtsbildung - Social Justice etc. kein Widerspruch; ähnlich; nur anderes Labeling?

Konkurrenz-/Bedrohungs-Empfinden durch Diversity bei Ein-Punkt-Ansätzen - gendersensible Pädagogik / GM / Frauen-/Mädchenförderung - Inklusion / Integration (bezogen ausschl. auf Behinderung ) - interkulturelle Pädagogik / interkulturelle Öffnung - antirassistische Bildungsarbeit etc. Ressourcenfrage ggf. real; wie trotzdem zusammen kommen? Oft vernachlässigt: class /sozio-ökonomische Ungleichheit (Nach Fraser: Anerkennungs- und Verteilungsgerechtigkeit) Projekt Bildungsteam diesbzgl. deutlich konturiert ( Diversity und soziale Gerechtigkeit )

Diversity-Trainings oft angelegt auf Abbau von Vorurteilen; Einstellungsänderungen; Verhaltensänderungen lässt Machtinteressen außer acht (u.u. Interesse an materiellem Privilegien-Erhalt oder psychischer Selbstaufwertung) Neben Prävention (Vorurteilsabbau) und Intervention (Diskriminierungsabbau) auch Empowerment und Powersharing gefordert (vgl. z.b. Rosenstreich 2011) Wie verstrickt sind die Anbieter_innen in die Position der Mehrheitsperspektive gegenüber den als Andere konstruierten? Was schützt umgekehrt wiederum vor Essentialisierung der vermeintlichen Privilegierten-Position?

Empathie-Förderung durch wann erlebte ich mal Ausgrenzung? kann zu Nivellierung sämtlicher Diskriminierungserfahrungen/Dimensionen führen Spezifität, verschiedene Funktionsweisen und ggf. verschiedene Bedeutsamkeit herausarbeiten Tendenz in Literatur: je revolutionärer desto besser; Tendenz in institutioneller Realität: Abwehr und Hürden bei auch noch so kleinen Schritten Schere zw. Anspruch und Wirklichkeit auszuhalten = Herausforderung im Alltag

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Renate.Bitzan@ohm-hochschule.de