ANWALTSKANZLEI SEIDENHOF A D V O K A T U R N O T A R I A T M E D I A T I O N Der Aktionärbindungsvertrag 1. Einleitung 1.1. Aktionärbindungsverträge (ABVs) haben in letzter Zeit immer mehr an Bedeutung in der Schweizer Rechtslandschaft gewonnen. Derartige Verträge werden von zwei oder mehreren Aktionären in Bezug auf eine bestimmte Aktiengesellschaft (AG) zur Ausgestaltung und Koordinierung ihrer Aktionärsrechte und zur Regulierung des Aktionärsverhaltens abgeschlossen. Neben einer konformen Interessenwahrung bestimmter Aktionärsgruppen ermöglichen ABVs darüber hinaus die gegenwärtige und zukünftige Begrenzung des Aktionärskreises. Mit einem ABV kann beispielsweise die Fixierung oder Neuregelung der Beteiligungsverhältnisse, die Erweiterung der Aktionärsrechte oder pflichten, die Festlegung von Stimmbindungen, der Ausschluss von Konkurrenz, die Einführung von Erwerbsberechtigungen, die Statuierung zusätzlicher Haftungsverpflichtungen oder etwa die Sicherstellung der Nachfolge geregelt werden. 1.2. Da bei Aktiengesellschaften die Zuweisung von Rechten hauptsächlich vom Kapitaleinsatz abhängig gemacht wird, sind dem Schweizerischen Aktienrecht Pflichten wie Treue-, Loyalitäts- oder Leistungspflichten der Aktionäre fremd. Aufgrund der personenbezogenen Ausgestaltung der AG durch einen ABV stellen solche Verträge in der vielmehr kapitalistisch konzipierten Aktiengesellschaft ein personalistisches Element dar. 1.3. Die Terminologie des ABV fällt sehr uneinheitlich aus: Je nach Zielsetzung und inhaltlicher Ausgestaltung werden auch Begriffe wie Aktionärskonsortium, Syndikat oder Stimmbindungsvertrag verwendet. Die Bezeichnung hat allerdings keinen Einfluss auf die Gültigkeit des Vertrags. In den folgenden Abschnitten soll aufgezeigt werden, was einen ABV ausmacht bzw. definiert und wie der Inhalt bestmöglich ausgestaltet werden kann. 2. Vertragsart 2.1. Trotz des Fehlens einer gesetzlichen Regelung sind Aktionärbindungsverträge grundsätzlich zulässig. Auf den ABV werden subsidiär die Vorschriften über die einfache Gesellschaft angewendet. 2.2. Der ABV stellt nach herrschender Lehre und Rechtsprechung keinen Innominatkontrakt dar, sondern er kann sowohl als ein- oder zweiseitiger Schuldvertrag als auch als Gesellschaftsvertrag ausgestaltet werden. Ein einseitiger Schuldvertrag liegt zum Beispiel dann vor, wenn sich der Verkäufer von Aktien vom Käufer noch bestimmte Zusagen bezüglich der Verwendung der Aktien während einer bestimmten Zeit geben
lässt. Zweiseitige Schuldverträge liegen hingegen beim gegenseitigen Austausch von Leistungen in Fällen von beispielsweise Kaufs-, Vorkaufs- und Mitverkaufsrechten vor. Die Qualifikation des ABV als Gesellschaftsvertrag ist dann zutreffend, wenn durch den ABV ein gemeinsames, abgestimmtes Verhalten bezweckt wird, das letztlich zur Erreichung eines gemeinsames Gesellschaftszieles führen soll. 2.3. Für den (bereits vor der Gesellschaftsgründung möglichen) Abschluss eines ABV besteht kein Formzwang. 1 Allerdings empfiehlt es sich aus Beweisgründen und wegen des Schriftformerfordernisses für Schiedsklauseln oder Abzahlungsvereinbarungen, die Schriftform zu wählen. Darüber hinaus kann eine Schriftform als Gültigkeitserfordernis festgelegt werden, um konkludente oder mündliche Vertragsänderungen o- der ergänzungen in nicht schriftlich festgehaltener Form auszuschliessen. Eine öffentliche Beurkundung ist notwendig, wenn im ABV Abmachungen für den Todesfall einer Vertragspartei vorkommen (siehe 5.7. zur Rechtsnachfolge). 3. Vertragsparteien 3.1. Als Vertragsparteien kommen sowohl natürliche als auch juristische Personen in Frage, zum Beispiel Aktionäre, Nichtaktionäre oder Verwaltungsratsmitglieder. Die AG selbst darf allerdings nicht als Vertragspartei auftreten. 4. Vertragsinhalt 4.1. Mit einem ABV können Rechte und Pflichten der Aktionäre untereinander beliebig festgelegt werden. Einzige Schranke bildet das Verbot der übermässigen Bindung gemäss Art. 27 ZGB, welches laut Art. 19 OR auch auf schuldrechtliche und gesellschaftsrechtliche Verträge Anwendung findet. Einen ABV unkündbar auf die Dauer von 50 Jahren abzuschliessen, wäre folglich unzulässig. 2 ABVs können auf bestimmte oder unbestimmte Zeit vereinbart werden. Wird ein ABV auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, empfiehlt es sich, konkrete Kündigungsfristen festzulegen. Diese dürfen sich unter den Vertragsparteien unterscheiden und müssen nicht etwa für alle gleich lang sein. Lediglich der Abschluss eines ABV auf ewige Zeit ist unzulässig. Auch bei der Vereinbarung, der ABV sei auf die Dauer der Gesellschaft gültig, besteht nach Schweizer Rechtsprechung spätestens nach 20 Jahren eine Kündigungsmöglichkeit. Die Vertragsdauer kann auch von einer Bedingung abhängig gemacht werden, z.b. dass eine Vertragspartei nicht mehr Aktionär ist. Bei fehlender Vertragsklausel ist von einem Vertrag auf unbestimmte Dauer auszugehen, der auf jeden Fall kündbar ist. 1 Ergibt sich aus Art. 11 Abs. 1 OR. 2 ausführlicher zur Vertragsdauer siehe Abschnitt 3. Seite 2 von 5
4.2. Grundsätzlich sollten die Vertragsparteien sehr genau bezeichnet werden. Bei juristischen Personen ist ein Handelsregisterauszug einzuholen sowie die Unterschriftsberechtigung zu prüfen. 4.3. Es empfiehlt sich, einige generelle Klauseln in den ABV einzubauen. Hierzu zählen eine Absichts- oder Grundsatzerklärung (sog. Präambel) 3, das Festhalten der aktuellen Beteiligungsverhältnisse, die Gründungsverpflichtungen (Höhe und Art der Einlagen, Bestellung der Organe, Statutenentwurf, Liberierungspflicht etc.), die Festlegung der Vertragsdauer inkl. Kündigungsmodalitäten, die Verpflichtung zur Hinterlegung der Aktien in einem gemeinsamen Sperrdepot (insbes. bei Inhaberaktien), die Höhe der Konventionalstrafe bei Vertragsverletzungen, salvatorische Klausel sowie die Festlegung des anwendbaren Rechts und eines zwingenden Gerichtsstandes. 4.4. Zu den häufigsten Abmachungen in ABVs zählen Stimmrechtsbindungen, welche es auch kleinen Aktionärsfraktionen ermöglichen, Unzulänglichkeiten des Minderheitenschutzes im Aktienrecht auszubügeln. 4.5. Bei Aktiengesellschaften, die sich lediglich aus zwei Familien oder aus 2 Beteiligten zusammensetzen, kann es nützlich sein, einen Dritten als Vermittler oder gar als Schiedsrichter einzusetzen, um eine einheitliche Stimmabgabe zu ermöglichen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, einem unabhängigen Dritten das Verwaltungsratspräsidium anzuvertrauen. Als ultimative Lösung kann eine Versteigerungsklausel vereinbart werden, wobei jeder Partei das Recht zugesprochen wird, eine interne Versteigerung eines genau definierten Aktienpakets zu veranlassen. 4.6. Gemäss Art. 709 Abs. 1 OR steht nur den einzelnen Aktionärskategorien das Recht auf Vertretung im Verwaltungsrat zu. Mithilfe eines ABV kann ein solches Recht auch auf kleine Aktionärsgruppen ausgestreckt werden. 4.7. Bei der Regelung von Vorkaufsrechten sollten genau festgelegt werden, wann ein Vorkaufsfall eintritt, welche Fristen einzuhalten sind, der Vorkaufsumfang, die Vorkaufsberechtigten sowie der Vorkaufspreis und die Zahlungsmodalitäten. Bei der noch weiter als das Vorkaufsrecht gehenden Put-and-Call Option ist jede Vertragspartei dazu berechtigt, unter bestimmten Voraussetzungen die Aktien der anderen Partei zu genau festgelegten Bedingungen zu erwerben, und zugleich dazu verpflichtet, die Aktien zu verkaufen, sofern die andere Partei einen höheren Preis zur eigenen Übernahme finanziert. 4 3 Die Präambel ist allgemein zu formulieren, damit sie im Notfall zur Lückenfüllung dienen kann. 4 weitere Informationen zur Put-and-Call Option unter http://www.forbes.com/2006/08/23/investools-options-gein_wh_0823investools_inl.html. Seite 3 von 5
4.8. In den Vertragsinhalt sollte eine Klausel für die Rechtsnachfolge eingebunden werden. Dadurch wird sichergestellt, dass sämtliche Rechte und Pflichten einer Vertragspartei auf allfällige Rechtsnachfolger wie etwa Aktienerwerber oder Erben über tragen werden. Um diese Verpflichtung durchzusetzen, sollte während der Dauer eines ABV jeder neue Aktionär zum Zeitpunkt der Aktienübertragung ein Vertragsexemplar unterzeichnen. 4.9. Für die Erstellung eines ABV sollte ein Rechtsberater beigezogen werden. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass keine wesentlichen Vertragspunkte vergessen werden und dass eine optimale Lösung für alle Vertragsparteien gefunden wird. Im Falle, dass sich die Vertragsparteien nicht einigen können, ist es die Aufgabe der Fachperson, konkrete Lösungsvorschläge auszuarbeiten. 5. Klage 5.1. Bei den Aktionären handelt es sich (anders als bei einer Erbengemeinschaft) nicht um eine Gesamthandgemeinschaft, sodass eine Vertragspartei nicht gegen alle übrigen Parteien (der umgekehrt) klagen muss. Die Klage aus einem ABV kann grundsätzlich nur gegen eine der übrigen Vertragsparteien gerichtet werden insbesondere sind Klagen gegen die Gesellschaft oder gegen den Verwaltungsrat ausgeschlossen. 5.2. Die verletzte Vertragspartei kann neben Schadenersatz auch Realerfüllung fordern. 5 Zur Sicherung der Forderungsdurchsetzung können z.b. eine Konventionalstrafe für Vertragsverletzungen, die Hinterlegung von Aktien, eine Vertretungsvollmacht an einen unabhängigen Dritten, ein Vorkaufs- oder Vorhandrecht, ein Abstimmungsverfahren mit Mehrheitsbeschluss innerhalb der Vertragsparteien, die Überführung der Aktien in das Gesamteigentum der betroffenen Aktionäre oder die fiduziarische Aktienübertragung an einen oder mehrere unabhängige Dritte in den Vertrag eingebunden werden. 5 ZR 83 (1984) Nr. 53. Seite 4 von 5
Literaturhinweise BÖCKLI, Schweizer Aktienrecht, 2. Aufl., Zürich 1996 FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996 KUNZ, Ein- und Zweipersonen-Aktiengesellschaften in der Schweiz, ST 71 (1997), S. 65-72 MÜLLER, Der Aktionärbindungsvertrag, in: TREX Der Treuhandexperte, Zürich, Schweizerischer Treuhänderverband (abrufbar im Internet unter http://www.advocat.ch/fileadmin/user_upload/publikationen/roland_mueller/aktionaerbindun gsvertrag.pdf, zuletzt besucht am 16.4.2015) SETTELEN, Der Aktionärbindungsvertrag, in: Das aktuelle schweizerische Aktienrecht, Zürich 1992 Seite 5 von 5