Aufgabenblatt 1: Steuertarife

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Transkript:

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 1 Aufgabe 1 (Steuertariflehre) Aufgabenblatt 1: Steuertarife Intention: Die Teilnehmer machen sich mit den zentralen Begriffen und Konzepten der Besteuerung (von Einkommen) vertraut. (a) Steuertarife im Vergleich. Der Grenzsteuersatz T gibt an, wie hoch die Steuerbelastung für eine zusätzliche Einheit der Bemessungsgrundlage ist. Einkommenssteuertarif 1999 Freibetrag: bis zu einem Jahreseinkommen von 6681 Euro keine Steuer Eingangssteuersatz: der 668. Euro wird mit 6% besteuert (d.h. die Steuerzahlung für diesen Euro beträgt 6 Cent) Grenzsteuerbelastung steigt danach kontinuierlich (linear) bis 34% bei 8.493 Euro (d.h. der 8493. Euro wird mit 34 Cent besteuert), danach Knick und steilerer (linearer) Anstieg des Grenzsteuersatzes bis 53% bei 61.374 Spitzensteuersatz: 53% ab 61.374 Euro Einkommenssteuertarif 006 Freibetrag: bis zu einem Jahreseinkommen von 7665 Euro keine Steuer Eingangssteuersatz: der 7666. Euro wird mit 15% besteuert (d.h. die Steuerzahlung für diesen Euro beträgt 15 Cent) Grenzsteuerbelastung steigt danach kontinuierlich (linear) bis 4% bei 1.739 Euro (d.h. der 1739. Euro wird mit 4 Cent besteuert), danach Knick und flacherer (linearer) Anstieg des Grenzsteuersatzes bis 4% Spitzensteuersatz: 4% ab 5.15 Euro Mögliche Gründe für die Tarifänderungen: Sozialpolitisches Motiv: Entlastung von Individuen mit niedrigen Einkommen

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 Erhöhung des Freibetrages von 6681 Euro (1999) auf 7665 Euro (004) Senkung des Eingangssteuersatzes von 6% auf 15% Allokatives Motiv: Entlastung hoher Einkommen als Anreiz zusätzlicher Einkommensgenerierung Senkung des Spitzensteuersatzes von 53% (1999) auf 4% (006) Vergrößerung der Gruppe der Spitzenverdiener: Senkung der Spitzenverdienergrenze von 61.374 Euro (1999) auf 5.15 Euro (006) Aber beachte: der Grenzsteuersatz 1999 bei 5.000 Euro rund 4% Fiskalmotiv: Sicherstellung von Einkommenssteuereinnahmen Einführung einer höheren Progression bei niedrigen Einkommensgruppen (zwischen 7.665 und 1.739 Euro, hier zahlt jeder Steuern und eine Erhöhung des Grenzsteuersatzes wirkt stark auf die Steuereinnahmen) wird bei Steueränderungen in den Medien i.d.r. nicht wahrgenommen, sondern nur Entwicklung des Eingangs- und Spitzensteuersatzes (b) Berechnung der Steuerzahlung Gesucht ist die Steuerschuld bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen in Höhe von 40000 Euro. Die Steuerschuld entspricht dem Integral über die Grenzsteuerfunktion, also der Fläche unter der Grenzsteuerkurve: T(40000) = 40000 0 T ()d. Um das Integral zu berechnen, kann man aus der Grafik die Grenzsteuerfunktion T aufstellen und dann integrieren; alternativ bietet sich hier die Berechnung der Fläche unter der Grenzsteuerkurve auf geometrischem Wege an. Dazu unterteilen wir die Fläche wie folgt in zwei Rechtecke A und C sowie zwei Dreiecke B und D: A = 0, 15 (1739 7665) = 761, 10 B = 1 (0, 4 0, 15) (1739 7665) = 8, 33 C = 0, 4 (40000 1739) = 654, 64 D = 1 (T (40000) 0, 4) (40000 1739) = 1697, 00,

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 3 wobei T (40000) 0, 4 40000 1793 = T (40000) = 0, 4 0, 4 515 1793 0, 4 0, 4 (40000 1793) + 0, 4 = 0, 3645. 515 1793 Also ergibt sich insgesamt eine Steuerschuld in Höhe von T(40.000) = A + B + C + D = 99, 07 Euro und ein Durchschnittssteuersatz in Höhe von t(40000) = T(40000) 40000 = 99, 07 40000 = 0, 307. (c) Progressionsmaße Der Durchschnittssteuersatz t gibt an, wie hoch die Steuerbelastung durchschnittlich pro Einheit der Bemessungsgrundlage ist. Steuerbetrag und Durchschnittssteuersatz sind in den Abbildungen 1 und jeweils in Abhängigkeit von dem Jahreseinkommen dargestellt. T() Steuerbetragsfunktion 006 45 Grad T() Linearer Steuertarif (Steigung nicht Steigung positiv zunehmend) und schwach da konstanter zunehmend, da Spitzengrenzsteuersatz schwach Steigung positiv steigender 7665 1739 und stark Grenzsteuertarif 515 zunehmend, da stark steigender Grenzsteuertarif Abbildung 1: Aufgabe 1c: Steuerbetragsfunktion Wir betrachten folgende Progressionsmaße (vgl. Vorlesung):

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 4 T/ Durchschnittssteuersatzfunktion 006 4% 7665 1739 515 Abbildung : Aufgabe 1c: Durchschnittssteuersatzfunktion Differenz von Grenz- und Durchschnittssteuersatz π 1 () = T () t() Marginale Änderung des Durchschnittssteuersatzes π () = d t() d Marginale Änderung des Grenzsteuersatzes π 3 () = T () Steueraufkommenselastizität π 4 () = dt d T Residualelastizität π 5 () = d[ T] d Der Tarif ist progressiv, da π 1 () = T () t() > 0. T Damit der Steuertarif nach diesem Progressionsmaß progressiv ist, muss der Grenzsteuersatz größer sein als der Durchschnittsteuersatz. Dies ist für jeden konvexen Steuertarif (d.h. Tarif mit steigenden Grenzsteuersätzen) und für Tarife mit Steuerfreibeträgen und konstantem Grenzsteuersatz gegeben (vgl. Abbildung 1). π () = d t() d > 0. Der Durchschnittssteuersatz muss im Einkommen steigen. Das ist gegeben, wenn die Grenzsteuersätze mit dem Einkommen steigen oder

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 5 wenn bei konstanten Grenzsteuersätzen ein Freibetrag vorliegt. Intuition: Wenn die Grenzsteuersätze mit dem Einkommen steigen, dann steigt auch der Durchschnittssteuersatz mit dem Einkommen. Bei Freibetrag: Mit steigendem Einkommen steigt das Verhältnis von besteuerten -Einheiten zu nichtbesteuerten -Einheiten (Freibetrag) und damit steigt der Durchschnittssteuersatz. π 4 () = dt = T () > 1. d T t Die Aufkommenselastizität gibt an, um wieviel Prozent eine Steuerzahlung ansteigt, wenn das Einkommen um 1% steigt. Wenn der Grenzsteuersatz mit dem Einkommen steigt, dann wird auf die neue Einkommenseinheit relativ mehr Steuer gezahlt als auf jede Einheit davor, das heißt die Einkommenseinheit erhöht die Steuerzahlung überproportional. Die Elasitizität ist größer als eins. π 5 () = d[ T] < 1. d T Die Residualelastizität gibt an, um wieviel Prozent das Residualeinkommen (Nettoeinkommen) ansteigt, wenn das Einkommen um 1% steigt. Wenn der Grenzsteuersatz mit dem Einkommen steigt, dann wird auf die neue Einkommenseinheit relativ mehr Steuer gezahlt als auf jede Einheit davor, das heißt der Haushalt erhält auf diese Einheit des Bruttoeinkommens weniger Nettoeinkommen als auf jede vorherige Einheit. Die letzte Bruttoeinkommenseinheit erhöht das Nettoeinkommen unterproportional. Die Elasitizität ist kleiner als eins. π 3 () = T () > 0. Progression gilt nach diesem Progressionsmaß, wenn der Grenzsteuersatz mit zunehmendem Einkommen steigt. Dies gilt für den deutschen Tarif 006 nur für Einkommen zwischen 7.665 und 5.15 Euro, davor wird jede Einheit mit 0 und danach mit dem Spitzensteuersatz 4% versteuert, d.h. T = 0 (Steigung der Grenzsteuerkurve gleich Null). (d) Aufkommens- und Residualelastizität Aufkommenselastizität. Zu zeigen ist: 1. Wenn der Steuertarif die Form T() = a α hat, dann ist die Aufkommenselasitizität konstant: π 4 () = α = const.. Wenn die Aufkommenselastizität π 4 () = α und damit für alle konstant ist, dann hat der zugehörige Steuertarif die Form T() = a α. ad 1: Sei T() = a α ; dann gilt π 4 () = dt d T = aαα 1 = α. (1) aα

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 6 Also beträgt für alle Steuertarife der Form T() = a α die Aufkommenselastizität π 4 = α. q.e.d. ad : Sei π 4 () = α; dann gilt π 4 () = dt d T = α dt = α d T dt d = α T ln T = α ln + c, wobei c eine beliebige Integrationskonstante ist. Mit a x = e x lna folgt durch Anwenden der Exponentialfunktion T = e c α, () wobei e c =: a eine Konstante ist. Es gilt also T = a α, d.h. die Aufkommenselastizität eines Steuertarifes beträgt nur dann α, wenn der Steuertarif die Form T = a α hat. q.e.d. Residualelastizität. Zu zeigen ist: 1. Wenn der Steuertarif die Form T() = b β hat, dann ist die Residualelasitizität konstant: π 5 () = β = const.. Wenn die Aufkommenselastizität π 5 () = β und damit für alle konstant ist, dann hat der zugehörige Steuertarif die Form T() = b β. ad 1: Sei T() = b β ; dann gilt T() = b β und somit π 5 () = d[ T] d [ T] = bββ 1 = β. (3) bβ Für alle Steuertarife der Form T() = b β beträgt die Aufkommenselastizität somit β. q.e.d. ad : Sei π 5 () = β; dann gilt Mit T() =: x folgt π 5 () = d[ T] d [ T] = β dx = β d x dx d = β x ln x = β ln + c

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 7 wobei c wieder eine beliebige Integrationskonstante ist. Analog zu obigem Vorgehen ergibt sich x = e c β, (4) und mit e c =: b folgt x = b β, also T() = b β. q.e.d. Implikation für den deutschen Steuertarif : Der deutsche Steuertarif entspricht weder der Form T() = a α noch der Form T() = b β, d.h. der deutsche Steuertarif ist weder isoaufkommenselastisch (d.h. es gilt nicht dt d T = α=const.) noch isoresidualelastisch (d.h. es gilt auch nicht d[ T] d = [ T] β=const.). Um wieviel Prozent die Steuerzahlung (bzw. das Residualeinkommen) steigt, wenn die Steuerbasis um ein Prozent wächst, hängt somit durchaus von der absoluten Höhe der Steuerbasis ab und ist nicht gleich für alle. Dadurch kann zum Beispiel die Schätzung von Steuereinnahmen erschwert werden. (e) Leistungsfähigkeitsprinzip Wir betrachten folgendes Beispiel. Karin ist wissenschaftliche Assistentin an der LMU. In den Jahren 006 und 007 erzielte sie jeweils ein Bruttojahreseinkommen in Höhe von 40.000 Euro. Rainer ist Schriftsteller. Im Jahr 006 hielt er sich mit einigen Kolumnen und einem Bruttojahreseinkommen von 10.000 Euro über Wasser. Im Jahr 007 erschien sein neuer Roman Top oder Flop, der ihm ein Bruttojahreseinkommen von 70.000 Euro bescherte. In den beiden Jahren 006 und 007 zusammengenommen haben also beide jeweils ein Bruttoeinkommen von 80.000 Euro erzielt. Unter der Annahme, dass das individuelle Einkommen ein perfektes Signal für die individuelle Leistungsfähigkeit darstellt, waren demnach beide gleich leistungsfähig. Dennoch war Rainers T R Steuerschuld aufgrund der Progression höher als die von Karin T K : T R = T(10.000) + T(70.000) > T(40.000) = T K. Fazit: Steuerprogression diskriminiert volatile Einkommen. Aufgabe (Ehegattenbesteuerung) Intention: Die Teilnehmer formalisieren am Beispiel der Ehegattenbesteuerung abstrakte Konzepte der Besteuerung und charakterisieren deren Auswirkungen auf mögliche Steuertarife.

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 8 (a) Methoden der Ehegattenbesteuerung Haushaltsbesteuerung: Berechnung des gesamten Haushaltseinkommens 1 + und Anwendung des Individualsteuertarifs auf dieses Gesamteinkommen. Individualbesteuerung: Anwendung des Individualtarifs auf die Einzeleinkommen 1 und getrennt. Die Steuerschuld des Haushaltes entspricht dann der Summe der Steuerzahlungen aus der Individualbesteuerung. Ehegattensplitting: Berechnung der Hälfte des Gesamteinkommens 1+. Dieses wird dann zweimal zum Individualsteuertarif versteuert. b) Postulate für die Ehegattenbesteuerung Nichtdiskriminierung. Das Ehepaar soll nicht stärker besteuert werden als zwei Unverheiratete (besonderer Schutz der Ehe): E( 1, ) T( 1 ) + T( ). (5) Globaleinkommensbesteuerung. Die Steuerschuld eines Ehepaars soll nur vom Gesamteinkommen, nicht aber von der Verteilung der Einkommen zwischen den Ehepartnern abhängen (horizontale Gerechtigkeit zwischen verschiedenen Ehepaaren): E( 1, ) = E( 1 + ) für alle 1,. (6) c) Haushaltsbesteuerung verletzt Nichtdiskriminierung Zu zeigen: Haushaltsbesteuerung ist unvereinbar mit dem Postulat der Nichtdiskriminierung. Beweisstrategie: Finde ein Beispiel, bei dem H( 1, ) > T( 1 ) + T( ) gilt und damit das Ehepaar gegenüber den Unverheirateten benachteiligt ist. Beispiel: Betrachte zwei Personen mit gleichem Einkommen: 1 = =. Die Steuerschuld als Ehepaar beträgt H(, ) = T(), als Unverheiratete T() + T() = T(). Bei Progression gilt, dass die Durchschnittssteuersätze steigen, und damit T() > T() T() > T(). (7) Das Ehepaar zahlt also mehr Steuern, das Nichtdiskriminierungspostulat ist verletzt.

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 9 d) Individualbesteuerung verletzt Globalbesteuerung Zu zeigen: Individualbesteuerung ist unvereinbar mit dem Postulat der Globaleinkommensbesteuerung, falls T(0) = 0. Beweisstrategie: Finde ein Beispiel, bei dem 1 + = 1 + aber I( 1, ) I( 1, ). Beispiel: Betrachte die folgenden beiden Ehepaare. Ehepaar 1: 1 =, = 0. Gesamteinkommen: 1 + =. Steuerschuld nach Individualbesteuerung: T() + T(0) = T(). Ehepaar : 1 =, =. Gesamteinkommen 1 + =. Steuerschuld nach Individualbesteuerung: T() + T() = T(). Weitere Argumentation wie oben: Bei Progression gilt T() > T() T() > T() und damit ist Ehepaar 1 gegenüber Ehepaar horizontal benachteiligt, da die Gesamtleistungsfähigkeit beider Ehepaare gleich ist, aber Ehepaar 1 mehr Steuern zahlen muss. e) Ehegattensplitting erfüllt Postulate Zu zeigen: Bei jedem konvexen Steuertarif erfüllt das Ehegattensplitting die Postulaten der Nichtdiskriminierung und Globalbesteuerung. Nichtdiskriminierung: Es muss gelten: S( 1, T( 1 ) + T( ) ( ) 1 + T T( 1 ) + T( ) ( ) 1 + T T( 1) + T( ) Diese Bedingung ist bei Konvexität der Steuerbetragsfunktion stets erfüllt. Globalbesteuerung: Dass das Postulat der Globalbesteuerung erfüllt ist, geht direkt aus der Definition des Ehegattensplittings hervor. Nur das Gesamteinkommen 1 + ist für die Besteuerung ausschlaggebend: ( ) 1 + S( 1, ) = T.

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 10 f) Bedingte Steuermaximierung durch Ehegattensplitting Zu zeigen: Es gibt keinen konvexen Tarif, der beide Postulate erfüllt und eine höhere Steuerbelastung des Ehepaares gewährleistet als das Ehegattensplitting. Beweisstrategie: Wir zeigen, dass jeder konvexe Tarif, der eine höhere Steuerbelastung hervorbringt und das Postulat der Globalbesteuerung erfüllt, dem Postulat der Nichtdiskriminierung widerspricht (Widerspruchsbeweis). Beweis: Damit ein alternativer Steuertarif E( 1, ) eine höhere Steuerbelastung des Ehepaars generiert als das Ehegattensplitting S( 1, ), muss E( 1, ) > S( 1, ) gelten. Da das Globalbesteuerungspostulat gelten soll, können die Tarife folgendermaßen umgeformt werden: ( 1 + E( 1, ) = E( 1 + ) = E + ) 1 + = E(ỹ + ỹ) = E(ỹ, ỹ), ( 1 + S( 1, ) = S( 1 + ) = S + ) 1 + = S(ỹ + ỹ) = S(ỹ, ỹ). Für das Ehegattensplitting gilt, dass ỹ zweimal zum Individualsteuersatz versteuert wird und damit Somit folgt S(ỹ, ỹ) = T(ỹ) = T(ỹ) + T(ỹ). E(ỹ, ỹ) > T(ỹ) + T(ỹ), im Widerspruch zum Postulat der Nichtdiskriminierung, da ein Ehepaar mehr Steuern zahlen würde als zwei Unverheiratete mit gleichem Einkommen. q.e.d. g) Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Postulate zur Besteuerung von Ehepaaren aufgestellt: Nichtdiskriminierung und Globaleinkommensbesteuerung. Haushaltsbesteuerung ist verfassungswidrig, da das Nichtdiskriminierungspostulat verletzt ist (Teilaufgabe c)). Deshalb wurde sie 1957 vom Bundesverfassungsgericht abgeschafft.

Prof. Dr. R. Borck/Dr. M. Sahm Lösungshinweise SS08 11 Individualbesteuerung ist verfassungswidrig, da das Postulat der Globaleinkommensbesteuerung verletzt ist (Teilaufgabe d)). Ehegattensplitting ist verfassungskonform und unter den verfassungskonformen, konvexen Tarifen aufkommensmaximierend. ABER: Problem beim Ehegattensplitting ist der Splittingvorteil für verheiratete Paare, da nach dem Nichtdiskriminierungspostulat gelten muss, dass S( 1, ) T( 1 ) + T( ) Dieser Splittingvorteil wird weithin als Nachteil empfunden, da er gegenüber der Ehe nicht neutral ist, sondern de facto Paaren Anreize zur Heirat setzt. Besser wäre ein neutraler Tarif, der sicherstellt, dass E( 1, ) = T( 1 ) + T( ). (8) Gibt es einen anderen Ehegattentarif, der zusätzlich zu den beiden Postulaten auch den Splittingvorteil des Ehegattensplitting reduziert? In Teilaufgabe f) wurde gezeigt, dass unter allen konvexen Tarifen, die die beiden Postulate erfüllen, das Ehegattensplitting S der Tarif mit der höchsten steuerlichen Belastung des Ehepaares ist. Die einzige Lösung besteht also in einem Verzicht auf Progression und der Verwendung eines proportionalen Tarifs.