GRUNDBEGRIFFE DER SOZIOLOGIE Markus Paulus DIPL.-PSYCH. (UNIV.), M.A. Radboud University Nijmegen
VII, IDENTITÄT & HABITUS Quelle: Liebsch, in Korte/Schäfers, 2000, 65ff
1, DER IDENTITÄTSBEGRIFF Symbolischer Interaktionismus Struktur der Selbstbeziehung einer Person Synthese zu einheitlicher Gesamtheit
1, DER IDENTITÄTSBEGRIFF I (impulsives Ich) vorsozial, unbewusst nie vollständig sozialisierbar neues, schöpferisches me (reflektiertes Ich) Summer der sozialen Bilder Bilder typischer Situationen Konstruktion Nie festgefügt, in Bewegung, da Vielzahl der Perspektiven Differenz zwischen I und me self /Identität aus Differenz entwickelt sich reflexives Bewusstsein konsistentes Verhalten: Synthetisierug zu einheitlichem Selbstbild self als dieses einheitliche Selbstbild ist nie fest, wird immer neu entworfen
1, DER IDENTITÄTSBEGRIFF NEUERE ANSÄTZE Gestaltungsmöglichkeiten, Risiken, Scheitern Individualisierung und Pluralisierung in modernen Gesellschaften Verschiedene Lebenswelten Konzept widerspruchsfreier Identität nicht mehr aufrechtzuerhalten Alternative: aus mehreren Lebenserfahrungen zusammengesetztes Selbstbild Patchwork-Identität (H. Keupp), multiple Selbst (H. Bilden), Bastelexistenzen
2, IDENTITÄTSARBEIT/-POLITIK IDENTITÄTSARBEIT Nicht unmittelbar gegeben, reflexives Projekt Ständige Selbstbefragung Als Erzählung, Interpretation eigener Lebensgeschichte Geschichten werden bearbeitet Kreativität Lebenserfahrungen müssen mit Lebens-Erzählung in Einklang gebracht werden Interaktive und rhetorische Strategien der Präsentation
2, IDENTITÄTSARBEIT/-POLITIK IDENTITÄTSPOLITIK Positive Stellungnahme für marginalisierte Gruppen Ziel: Entwicklung eines Bewusstseins für Merkmale und Besonderheiten der jeweiligen Gruppen Positive Besetzung der Gruppenspezifika Stärkung des Selbstbewusstseins Anerkennung in der/durch die Öffentlichkeit
3, BESCHÄDIGTE IDENTITÄTEN Eigenschaften, die normative Rollenerwartungen verletzen stigmatisieren Individuum Wird zum master status Alles Verhalten durch Brille des Stigmas gedeutet Stigmatheorie : Zuschreibung einer langen Kette von Unvollkommenheiten Retrospektive Interpretation/ biographische Rekonstruktion Individuum (mit einer solchen Eigenschaft) antizipiert Verhalten Anderer auf Stigma Stigmamanagement Veränderung des Selbstbildes, der Identität Eingeschränkte Rollenausübung Beschädigte Identität
3, BESCHÄDIGTE IDENTITÄTEN Beispiel: Analphabetismus Rollenerwartung: Lesen und Schreiben können Analphabetismus stigmatisiert Betroffene Stigmatheorie: werden für dumm, unmotiviert etc. gehalten Biographische Rekonstruktion: immer schon Defizite bemerkbar, schon als Kind langsam im Begreifen Stigmamanagement: Brille vergessen, Vermeidung von Situationen Belastung für persönliche Identität und Selbstbild über bloßes Faktum des Nicht-Lesen-Könnens hinaus Quelle: Paulus & Rodarius, 2009, 52ff
4, DER HABITUSBEGRIFF HABITUS vielschichtiges System von Denk-, Wahrnehmungsund Handlungsmustern Auch: Geschmacksempfindungen, Moralvorstellungen, Formen der Scham und Peinlichkeit Gesellschaftlicher Ursprung: soziale Lage, Milieu, Geschlecht, individuelle Biographie Gesetz der Gewöhnung führt zu reproduzierbaren Modell niemand kann aus seiner Haut
4, DER HABITUSBEGRIFF Körperliche Verankerung der Praxisformen: inkorporiert Im Körper aufbewahrt, bleiben unbewusst erhalten Grammatik des Handelns : bestimmt Formen und Regeln von Handlungen Erscheint als zweite Natur des Individuums Soziale Voraussetzungen häufig nicht mehr beachtet, als angeboren verstanden Der Reflexion kaum zugänglich, schwierig abzuwandeln strukturierende Strukturen (Bourdieu) Reproduziert objektive Strukturen Beispiel: männlicher Habitus
5, HABITUS UND KAPITAL BEI P. BOURDIEU DER KAPITALBEGRIFF Marx: Eigentum an Produktionsmitteln, Ausbeutung Lohnarbeiter Bourdieu: Warenaustausch spezieller Fall sozialen Austauschs KAPITAL Ökonomisches Materieller Besitz Soziales Soziale Beziehungen, Ehre und Prestige Kulturelles Bildungskapital Durch Familientraditionen vererbbar Bestimmter Habitus des Umgangs mit Bildungsinstitutionen, Sprache Inkorporiert, bspw. wie bewegt man sich in Opern Mittel der Distinktion, Hierarchisierung, Macht
5, HABITUS UND KAPITAL BEI P. BOURDIEU Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft (1979/1987) Ziel: Entlarvung d. Ideologie, dass es wahren, aufgeklärten Geschmack und minderwerigen, barbarischen Geschmack gibt These: Geschmack ist etwas gesellschaftliches Durch soziale Herkunft Erwerb eines Habitus, Umgang mit Kultur unbewusst angeeignet Essgewohnheiten: Feinheit, Exquisitheit, Formvollendung der Bourgeoisie Kunstwerke Mobiliar, Kleidung: populärer Geschmack am Notwendigen Sag mir, was du isst, [ ] wie deine Wohnungseinrichtug ist etc., und ich sage dir, ob du zum Groß-, Bildungsbürger-, Kleinbürgertum oder [ ] zu den unteren Schichten einer Gesellschaft gehörst. (Treibel, 2000, 222f)