Grundlagen der Arbeit mit einem Portfolio 10.03.2017 Prof. i. V. Renate von der Heyden Fachhochschule Bielefeld
Überblick Geschichte der Arbeit mit Portfolio Theoretischer Hintergrund Definition Differenzierungen Entwicklung eines Portfolios Erarbeitung: Ein Portfoliokonzept skizzieren Grenzen
Portfolio Portare = tragen (lat.) Folium (foglio)= Blatt (lat.) Mappe oder Ordner mit Dokumenten, die zu unterschiedlichen Zwecken vorgelegt werden. z. B. (seit der Renaissance) von Künstlern und Architekten zur Darstellung des persönlichen Arbeitsstils sowie dessen Weiterentwicklung, im Bankgeschäft: Aufstellungen über Wertpapierbestände, für Bewerbungen zur Darstellung der eigenen Expertise. (Häcker, 2003)
Portfolios in Bildungsprogrammen Impuls in den USA, als Konsequenz aus der Kritik am Schulsystem 1989: Einführung eines portfoliobasierten Bewertungssystem Rasche internationale Verbreitung der Arbeit mit Portfolios Anfang der 90er Jahre: Erste Versuche in Deutschland Wenig Resonanz sowie kaum deutschsprachige Literatur Ab 2000: stetige Zunahme von Publikationen zur Arbeit mit Portfolios (Reich, 2008)
Wurzeln der Arbeit mit Portfolio Widersprüchliche Aufgabe von Lehrern: einerseits Unterschiede ausgleichen und gleichzeitig im Rahmen der Notengebung Unterschiede herstellen. Das Portfoliokonzept ist, seit dieser Begriff 1974 erstmals in Bibliografien nachgewiesen wird, einerseits mit den Gesichtspunkten des Nachweises bzw. der Darstellung und Einschätzung bzw. Bewertung von Kompetenzen und andererseits mit deren Weiterentwicklung verbunden. teaching to the test testing drives teaching (Brunner, Häcker & Winter, 2008, S. 27)
Arbeit mit Portfolios Die Portfolioarbeit zielt auf nichts weniger ab, als auf eine Veränderung der Lernkultur (Häcker, 2003)
Relative Theoriearmut Theoretischer Hintergrund Entwicklung aus der Praxis heraus Anknüpfung an subjektorientierte Theorien Konstruktivismus Multiple Intelligenzen Selbstwirksamkeit Selbstbestimmtheit Orientierung an den Prinzipien der Kommunikation, Transparenz und Partizipation dialogische Unterrichtspraxis (Brunner, Häcker & Winter, 2008, S. 31)
Rahmenmodell selbstregulierten Lernens nach Boekaerts (zitiert nach Frackmann, Tärre, 2009)
Definition Portfolio Ein Portfolio ist eine zielgerichtete Sammlung von Arbeiten, welche die individuellen Bemühungen, Fortschritte und Leistungen der/des Lernenden auf einem oder mehreren Gebieten zeigt. Die Sammlung muss die Beteiligung der/des Lernenden an der Auswahl der Inhalte, der Kriterien für die Auswahl, der Festlegung der Beurteilungskriterien sowie Hinweise auf die Selbstreflexion der/des Lernenden einschließen. (Paulson et al., 1991 zitiert nach Brunner, Häcker & Winter, 2008, S. 36)
Ziele der Arbeit mit Portfolios Dokumentation erbrachter Leistungen, Veränderung der Leistungsbeurteilung, Verbesserung des Unterrichts, Verbesserung der Möglichkeiten, Bewertungen auch beim Einsatz von handlungsorientierten Methoden sinnvoll vornehmen zu können, Lernwege und Lernergebnisse der Reflexion verfügbar machen, um selbstständiges Lernen zu unterstützen, die innerschulische Zusammenarbeit zu stärken, individuelle Förderung, Persönlichkeitsentwicklung. (vgl. Reich, 2008; Brunner, Häcker & Winter, 2008, S. 27)
Merkmale von Portfolios Das eigene Können wird anhand ausgewählter Leistungsprodukte dargestellt. Eine kontinuierliche Sammlung und Reflexion von Arbeitsergebnissen, die fortlaufend oder abschließend sein kann. Eine möglichst multidimensionale Sammlung von Ergebnissen, die der Breite und dem Umfang und der Tiefe des Lernprozesses entspricht. Erstellung in einem Prozess mehrfacher Überarbeitungen. Verknüpfung von Produkt und Prozess. Deep learning (noch nicht Gelerntes antizipieren) anstatt surface learning (Wissensrekonstruktion). Erfordern von den Lernenden eine aktive, selbstreflexive und eigenverantwortliche Auseinandersetzung mit ihrem Lernprozess. (Reich, 2008; Brunner, Häcker & Winter, 2008; Gläser Zikuda &Hascher, 2007)
In der Arbeit mit Portfolio werden Produkte gesammelt, geordnet, reflektiert, ausgewählt, gestaltet, besprochen, präsentiert, bewertet. (vgl. Gläser Zikuda & Hascher 2007)
Versuch einer Differenzierung Lerntagebuch Dokumentation und Reflexion des Lernens Unterstützung von Lernstrategieübungen Beitrag zur Veränderung des Lernverhaltens Zielt auf Self Monitoring ab Grundlage für Lernberatungen Keine Notenvergabe Prozess Portfolio Sich mit dem eigenen Lernen vertraut machen Ausgewählte Materialien zu Lernprozessen dokumentieren, analysieren und kommentieren Materialien, die den Lernprozess geprägt haben Effektive Arbeitsmethoden und techniken Portfolio Dokumentation erbrachter Leistungen Systematische Reflexion eigener Lernergebnisse Produkt Portfolio Lernende werden an der Auswahl der Leistungsbeurteilung beteiligt Instrument zur Bewertung von Leistungen Auswahl gelungener Arbeitsergebnisse und deren Auswertung
chronologische thematische Systematisierung hohe Standardisierung geringe Standardisierung privat öffentlich verpflichtend freiwillig Begleitung durch Lehrende selbstorganisiert Differenzierungsmerkmale von Portfolios individuelle Einzelauswertung globale Auswertung in der Gruppe Bewertung durch Lehrende keine Bewertung Entwicklungsinstrument Leistungsbeurteilungsinstrument Prozessorientierung Produktorientierung
Die Arbeit mit einem Portfolio konzipieren übergeordnete Zielsetzung klären Lernbedarfe der Zielgruppe analysieren Ziele fokussieren und eingrenzen Arbeitsblätter entwickeln Implementierung planen Arbeit mit dem Portfolio planen und koordinieren Feed back bzw. Reflexion zur Arbeit mit dem Portfolio planen Begleitende Unterstützungsmaßnahmen planen (vgl. Frackmann & Tärre, 2003)
Inhalte und Grundregeln zur Einführung von Portfolios Auswahl möglicher Portfolioinhalte Kritische Situationen Reflexives Tagebuch Tutorien und Lernpläne einschl. der Reflexion Erfahrungen aus er klinischen Routine Material zur Examensvorbereitung Videoaufzeichnungen von therapeutischen Situationen Projekte Kritische Reviews von Publikationen Grundregeln zur Einführung von Portfolios Wer hat Einblick in das Portfolio? Wer kann Beiträge einfügen? Was passiert mit dem verschriftlichen Material? Welche Rolle spielen Prüfungen und Bewertungen? Wann wird das Portfolio eingesetzt und wie viel Zeit steht für die Portfolioarbeit zur Verfügung? Wo wird das Portfolio aufbewahrt? ( vgl. Snadden & Thomas, 1998)
Ablauf der Arbeit mit einem Portfolio Arbeitsphase Platzierungs phase sammeln auswählen Tätigkeiten der Lernenden reflektieren und beraten Reflexionsphase mitgestalten (mit ) beurteilen Einführungsphase Veröffentlichungsphase (vgl. Endres, 2010)
Prozess der Erstellung eines Portfolios durch die Lernenden Materialsammlung, aufgeteilt in verschiedene Bereiche plus gezielte Reflexion Präsentation eines Themas, eines Ausbildungsabschnittes, usw.
Ein Portfoliokonzept entwerfen Inhalte Zweck Entscheidungen
9. Optimale Führung der Lerngruppe 1. Strukturiertheit der Lernenden 2. Effektive Unterrichtszeitnutzung 8. Positives Lernklima 7. Oszillieren zwischen Anforderung und Voraussetzung Qualitätskriterien für eine gelungene Portfolioarbeit 6. Lernprozesse vernetzt und kummulativ organisieren 5. Vorbereitung von Lernsituationen 3. Strukturierungshilfe und Lehrer Diagnose Kompetenz 4. Schwächere Lernenden unterstützen (vgl. Häcker, 2011, S. 47f)
Portfolioarbeit in Ausbildungsprogrammen therapeutischer Gesundheitsfachberufe Merkmale der Arbeit mit Portfolio Selbstorganisiertes Lernen Bewertung gelungener Lernleistungen Bewertungen erfolgen zeitversetzt und ggf. nach mehrfachen Überarbeitungen Verankerung in eine Lernkultur Kooperation der Lehrenden Fächerübergreifend Merkmale beruflicher Ausbildungsprogramme Ausbildungs und Prüfungsordnung Berufsgesetze Entwicklung und Nachweis beruflicher Handlungsfähigkeiten Bewertungen werden zeitnah und für spezifische Fächer/Lernbereiche vorgenommen Viele Honorarkräfte
Die Arbeit mit einem Portfolio ist nicht geeignet bei einfachen Wiedergaben, Auswendiglernen, Abbildungen eines vorhandenen Wissens, geringer Komplexität der Aufgabenstellung sowie mangelndem Interesse am Thema. bei Selektionsprüfungen, die vor allem darauf gerichtet sind, einen klaren Rang in der Gruppe zu verteilen. bei Lehrenden, die nicht hinreichend auf den Einsatz von Portfolios vorbereitet sind. bei fehlendem Engagement und mangelnder Bereitschaft zu intensiven Gesprächen bzw. externer Zeitdruck. bei fehlender Akzeptanz individueller qualitativer Bewertung von Lernleistungen. wenn die Unterrichtsstrukturen auf instruktiven Frontalunterricht ausgerichtet sind. wenn unter den Lehrenden und Lernenden ein standardisiertes Testverfahren und Ranking untereinander favorisiert werden. (Reich, 2008)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Literatur Bräuer, G. (2014) Das Portfolio als Reflexionsmedium für Lehrende und Studierende. Opladen: Budrich. Brunner, I., Th. Häcker, T. & Winter, F. (Hrsg.) (2008). Das Handbuch Portfolioarbeit. Konzepte, Anregungen, Erfahrungen aus Schule und Lehrerbildung. Seelze Velber: Klett/Kallmeyer. Endres, W. (Hrsg.). (2008). Das Portfolio in der Unterrichtspraxis. Weinheim: Beltz. Frackmann M, Tärre M. Welche Lernstrategien setzen Auszubildende ein? In: Frackmann M. und Tärre, M. Hrsg. Lernen und Problemlösen Ein Handbuch für LehrerInnen und AusbilderInnen in der Beruflichen Bildung. Hamburg: VSA; 2003 Frackmann M, Tärre, M. Lernen und Problemlösen in der beruflichen Bildung. Bonn: Bundesinstitut für Berufsbildung; 2009 Friebe, J. (2012). Reflexion im Training. (2. Auflage). Bonn: managerseminare. Gläser Zikuda, M., Hascher, T. (Hrsg.). 2007. Lernprozesse dokumentieren, reflektieren und beurteilen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Häcker, T. (2011). Portfolio: ein Entwicklungsinstrument für selbstbestimmtes Lernen. (3. Auflage). Hohengehren: Schneider. Reich, K. (2008). Konstruktivistische Didaktik. Lehr und Studienbuch mit Methodenpool. Weinheim: Beltz. Sehringer, W. Scheltwort, P. (2004). Unterrichten: Reflexion und Training. Donauwörth: Auer. Snadden, D. & Thomas, M. (1998). The use of portfolio learning in medical education, Medical Teacher, 20 (3), 192 199.