Staatsrecht II (Grundrechte) Sommersemester Skript zur Vorlesung

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Transkript:

Universitätsprofessor Dr. Jan Henrik Klement Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht Staatsrecht II (Grundrechte) Sommersemester 2017 Skript zur Vorlesung wird im Verlauf der Vorlesungszeit sukzessive ergänzt Stand: 15. April 2017

Skript, Seite 2 Sommersemester 2017 Einführung 1 Ziele und Techniken des Studiums der Grundrechte; Organisatorisches 2 Außenbezüge der Grundrechte I. Grundrechte im Alltag Ideengeschichtliche Fundamente der Grundrechte Lesehinweise: Friedhelm Hufen,, 5. Aufl. 2016, 2 Rn. 10 21; Hasso Hofmann, Die Grundrechte 1789 1949 1989, NJW 1989, S. 3177 3187. Insbesondere: Französische Revolution (1789) und Herausbildung der Idee universell geltender Menschenrechte. Rezeption durch Art. 1 Abs. 2 GG Lesehinweis: Martin Kriele, Zur Geschichte der Grund- und Menschenrechte, in: Festschrift H. U. Scupin, 1973, S. 187 211. I Grundrechte als moralisches Gedächtnis IV. Ordnungsbildende Funktion der Grundrechte Beispiele: Magna Charta Libertatum (1215): Sicherung von Privilegien des Adels, kein allgemeines individuelles Freiheitsrecht Habeas Corpus Amendment Act (1679): Machtbalance zwischen König und Parlament Religionsfreiheit: Reformation Säkularisierung der Staaten Umstellung auf demokratische Legitimation Stabilisierende Funktion der individuellen Religionsfreiheit

Skript, Seite 3 Sommersemester 2017 3 Literaturhinweise siehe gesondertes Dokument 4 Übersicht über die Vorlesung Teil 1: Grundlagen 1 Die Bedeutung der Grundrechte für das Recht I. Bedeutungslosigkeit der Grundrechte bis 1945 Lesehinweis: Konrad Hesse, in: Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, 5 Rn. 4 ff. Die Wiedergeburt des Rechts aus den Grundrechten 1. Starke Verfassung Die Grundrechte sind im ersten Abschnitt des Grundgesetzes (Art. 1 bis 19) normiert. Sie stehen auch inhaltlich an der Spitze der Rechtsordnung. Die Gewährleistung der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und die einzelnen Freiheitsund Gleichheitsgrundrechte haben nicht nur für das Öffentliche Recht, sondern auch für das Zivilrecht und das Strafrecht erhebliche Bedeutung erlangt. Das deutsche Recht wird von den Grundrechten her gedacht. a) Würde des Menschen als oberstes Prinzip Art. 1 Abs. 1 GG b) Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht Art. 1 Abs. 3 GG c) Bindung aller Staatsgewalten an die Grundrechte Art. 1 Abs. 3 GG

Skript, Seite 4 Sommersemester 2017 d) Materialisierung der Verfassung Grundlegend für die Bedeutung der Grundrechte im Rechtssystem ist das Lüth- Urteil des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, Urt. v. 15. 1. 1958 Az. 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198. Es wird als Urknall der deutschen Grundrechtsdogmatik bezeichnet (Robert Alexy). Hier eine Passage im Wortlaut: Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Das ergibt sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgängen, die zur Aufnahme von Grundrechten in die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben. Diesen Sinn haben auch die Grundrechte des Grundgesetzes, das mit der Voranstellung des Grundrechtsabschnitts den Vorrang des Menschen und seiner Würde gegenüber der Macht des Staates betonen wollte. Dem entspricht es, daß der Gesetzgeber den besonderen Rechtsbehelf zur Wahrung dieser Rechte, die Verfassungsbeschwerde, nur gegen Akte der öffentlichen Gewalt gewährt hat. Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will [ ], in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt [ ]. Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. So beeinflußt es selbstverständlich auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muß in seinem Geiste ausgelegt werden. Lesehinweis: Helmuth Schulze-Fielitz, Das Lüth-Urteil nach 50 Jahren, Jura 2008, S. 52 57.

Skript, Seite 5 Sommersemester 2017 e) Grundrechte als Teil einer grundgesetzlichen Freiheitsordnung Grundrechte als Teil materieller Rechtsstaatlichkeit Wechselseitige Ergänzung und Begrenzung von Grundrechten und Demokratie Grundrechte und Kompetenzordnung (Gewaltenteilung, Föderalismus) 2. Starkes Verfassungsgericht Starke institutionelle Stellung des Gerichts (insbesondere: Verfassungsbeschwerde!) I Funktionen der Grundrechte im Rechtssystem anhand von Beispielen 1. Zivilrecht Fall 1: Sittenwidrige Bürgschaft 2. Strafrecht Fall 2: Completly Crazy 3. Öffentliches Recht Fall 3: Erdbeeren und Fußball 2 Grundwerte der Grundrechte: Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit Menschenwürde: Achtungsanspruch des Menschen, der aus seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung folgt. Selbstbestimmung bedeutet, dass der Mensch sich in Auseinandersetzung mit seiner Umwelt ein Bild davon machen kann, wer er ist und wer er sein will und dass er sein Handeln daran auszurichten vermag (näher dazu Teil 2 der Vorlesung). Freiheit im positiven Sinne ist die Möglichkeit, dem Leben die selbstgewählte Richtung zu geben. Freiheit im negativen Sinne ist die Abwesenheit von Schranken für das Handeln einer Person.

Skript, Seite 6 Sommersemester 2017 Gleichheit: meint den Anspruch auf Gleichbehandlung Inkurs: Der Begriff des Grundrechts formaler Begriff materieller Begriff 3 Träger und Adressaten der Grundrechte I. Träger der Grundrechte 1. Natürliche Personen a) Jedermanns-Grundrechte Beispiel: Art. 2 Abs. 1 GG b) Deutschen-Grundrechte Art. 8, Art. 9 Abs. 1, Art. 11, Art. 12 Abs. 1, Art. 16 und 20 Abs. 4, Art. 33 Abs. 1 GG c) Spezifische personale Grundrechtsberechtigungen Beispiele: Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG; Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG d) Kognitiv-geistige Anforderungen an die Grundrechtsträgerschaft aa) Materielle Grundrechtsberechtigung bb) Grundrechtsausübungsberechtigung (sog. Grundrechtsmündigkeit) Lesehinweise: Albert von Mutius, Grundrechtsmündigkeit, Jura 1987, S. 272 277; Monika Roell, Grundrechtsmündigkeit eine überflüssige Konstruktion, RdJB 1988, S. 381 387.

Skript, Seite 7 Sommersemester 2017 e) Grundrechtsfreie Sonderstatusverhältnisse? BVerfG, Urt. v. 14.3.1972 Az. 2 BvR 41/71, BVerfGE 33, 1 Strafgefangenen-Urteil 2. Juristische Personen Lesehinweise: Stellos Tonikidis, Die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen nach Art. 19 III GG, Jura 2012, S. 517 525; Friedrich Schoch, Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen, Jura 2001, S. 201 207. a) Inländische Juristische Personen des Privatrechts Art. 19 Abs. 3 GG aa) Juristische Person Der vom Grundgesetz verwendete Begriff der juristischen Person ist weiter als der gesellschaftsrechtliche Begriff. Auch teilrechtsfähige Personen sind unter Art. 19 Abs. 3 GG zu subsumieren, soweit ihre Rechtsfähigkeit reicht (z.b. Gesellschaft Bürgerlichen Rechts). bb) Inländisch Inländisch ist eine juristische Person nach h.m., wenn das Zentrum ihrer Aktionen im Inland liegt (sog. effektiver Sitz; vgl. Christoph Enders, in: Volker Epping/Christian Hillgruber [Hrsg.], GG, Stand: 01.06.2015, Art. 19 Rn. 36). cc) Wesensmäßige Anwendbarkeit des Grundrechts Die Anwendbarkeit eines Grundrechts auf juristische Personen ist abstrakt vom konkreten Einzelfall zu ermitteln. Das Grundrecht ist anwendbar, wenn sich auch eine juristische Person einer hoheitlichen Beeinträchtigung ausgesetzt sehen kann, die abzuwehren der Schutzzweck des Grundrechts ist (sog. grundrechtsspezifische Gefährdungslage). b) Grundrechtsberechtigung bei Prozessgrundrechten c) Juristische Personen des Öffentlichen Rechts

Skript, Seite 8 Sommersemester 2017 Grundsatz: Juristische Personen des öffentlichen Rechts (Körperschaften, Anstalten, Stiftungen des öffentlichen Rechts) sind nicht Grundrechtsträger, sondern Grundrechtsverpflichtete. Ausnahmen: Prozessgrundrechte (Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1 GG) gelten als allgemeine rechtsstaatliche Fairnessgrundsätze für jedermann; öffentliche Hochschulen und die ihnen angehörigen Wissenschaftler (Amtsträger) sind Träger der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) BVerfG, Beschl. v. 16.1.1963 Az. 1 BvR 316/60, BVerfGE 15, 256 (262) öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten sind Träger der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 GG) BVerfG, Urt. v. 27.7.1971 Az. 2 BvF 1/68, 2 BvR 702/68, BVerfGE 31, 314 (321 f.) als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaften sind Träger der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) BVerfG, Beschl. v. 2.5.1967 Az. 1 BvR 578/63 BVerfGE 21, 362 (374) Adressaten der Grundrechte 1. Bindung der deutschen Hoheitsgewalt Art. 1 Abs. 3 GG BVerfG, Urt. v. 22. 2. 2011 Az. 1 BvR 699/06, BVerfGE 128, 226 278 Fraport 2. Mittelbare Drittwirkung

Skript, Seite 9 Sommersemester 2017 Teil 2: Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen Lesehinweise: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Menschenwürde als normatives Prinzip, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, 2006, S. 389 406; Friedhelm Hufen, Die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, JuS 2010, S. 1 10; Wolfram Höfling, Die Unantastbarkeit der Menschenwürde Annäherungen an einen schwierigen Verfassungsrechtssatz, JuS 1995, S. 857 862; Hasso Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, AöR 118 (1993), S. 353 377; Jochen von Bernstorff, Der Streit um die Menschenwürde im Grund-und Menschenrechtsschutz: Eine Verteidigung des Absoluten als Grenze und Auftrag, JZ 2013, S. 905 915. 1 Rechtsphilosophische Grundlegung I. Würde als Lebensform eine Annäherung Menschenwürde als Anspruch auf Achtung der Fähigkeit zum Selbstentwurf Fähigkeit zum Selbstentwurf: die Fähigkeit, sich im Laufe der Zeit ein Bild von der Welt und von sich selbst zu machen und das eigene Handeln daran auszurichten (Persönlichkeitsentfaltung) Die Menschenwürde ist die normative Anordnung, uns wechselseitig als willensfreie und damit vernunftfähige Wesen zu verstehen. Christoph Möllers, Willensfreiheit durch Verfassungsrecht, in: Ernst-Joachim Kampe/Michael Pauen/Gerhard Roth (Hrsg.), Willensfreiheit und rechtliche Ordnung, 2008, S. 250 (260). I Menschenwürde und Recht 1. Normativer Individualismus 2. Menschenwürde als Recht auf Rechte Hannah Arendt: Recht auf Rechte als einziges Menschenrecht

Skript, Seite 10 Sommersemester 2017 3. Menschenwürde und Freiheit 4. Menschenwürde und Gleichheit 5. Menschenwürde und Verantwortung 2 Rechtsdogmatik des Art. 1 Abs. 1 GG I. Träger der Menschenwürde Adressaten der Menschenwürde Fall 4: Bis auf die Unterwäsche I Objektive Pflicht, Grundsatznorm und Grundrecht Lesehinweis: Horst Dreier, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 41 46 und 121 127. IV. Eingriffe in die Menschenwürde Objektformel: Menschenwürde ist verletzt, wenn durch die Art der ergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenen grundsätzlich in Frage gestellt wird (BVerfG, Urt. v. 3.3.2004 Az. 1 BvR 2378/98; BVerfGE 109, 279 (312 f.). Fall 5: Die Schwangere aus einem fernen Land VI. Unantastbarkeit der Menschenwürde 3 Die Menschenwürde in der Rechtsprechung I. Luftsicherheitsgesetz BVerfG, Urt. v. 15.2.2006 Az. 1 BvR 357/05, BVerfGE 115, 118 166 siehe AG-Papier 1

Skript, Seite 11 Sommersemester 2017 Nemo tenetur se ipsum accusare (Selbstbelastungsfreiheit) 55, 136 Abs. 1 StPO BGH, Urt. v. 26.7.2007 Az. 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11 (17 f.) I Hoffnung auf Freiheit BVerfG, Urt. v. 21. 6. 1977 Az. 1 BvL 14/76, BVerfGE 45, 187 IV. Kernbereich privater Lebensgestaltung BVerfG, Urt. v. 3. 3. 2004 Az. 1 BvR 2378/98 ; BVerfGE 109, 279: Großer Lauschangriff V. Zwergenweitwurf VG Neustadt, Beschl. v. 21.5.1992 Az. 7 L 1271/92.NW, NVwZ 1993, S. 98 100 VI. Lasdrome/Paintball Laserdrome: BVerwG, Beschl. v. 24.10.2001 Az. 6 C 3/01, BVerwGE 115, 189 205; dazu Tobias Aubel, Das menschenunwürdige Laserdrome, Jura 2004, S. 255 260. Paintball: BayVGH, Urt. v. 27.11.2012 Az. 15 BV 09.2719, DVBl. 2013, S. 525 529. V Existenzminimum BVerfG, Urt. v. 9.2.2010 Az. 1 BvL 1/09; 1 BvL 3/09; 1 BvL 4/09, BVerfGE 125, 175 260.