Mitbestimmung für die Gestaltung Guter Arbeit bei Veränderungsprozessen nutzen Prof. Dr. Wolfhard Kohte, Zentrum für Sozialforschung Halle (ZSH) 21.06.2017
Menschengerechte Gestaltung der Arbeit für viele unsichtbar, aber nicht unwirksam Anders als 1972 ist die Pflicht zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit in ihren gesundheitsnahen Bereichen Teil des jeden Arbeitgeber verpflichtenden Arbeitsschutzes ( 2 ArbSchG) Daher können Regelungen zur Realisierung dieser Pflicht mit Hilfe von 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG durchgesetzt werden. Das ist eine 1996 intensiv versteckte Verbesserung der Rechtslage (dazu Kohte, Gute Arbeit 4/2016)
Menschengerechte Gestaltung der Arbeit für einige sichtbar z.b. 6 BetrSichV 2015 Der Arbeitgeber hat die Verwendung der Arbeitsmittel so zu gestalten und zu organisieren, dass Belastungen und Fehlbeanspruchungen vermieden oder auf ein Mindestmaß reduziert werden Dabei sind zb folgende Grundsätze einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit zu berücksichtigen: es sind ein Arbeitstempo und ein Arbeitsrhythmus zu vermeiden, die zu Gefährdungen der Beschäftigten führen können Es sind Bedien-und Überwachungstätigkeiten zu vermeiden, die zu Gefährdungen der Beschäftigten führen können
87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG Nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber diese aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat und ihm bei der Gestaltung Handlungsspielräume verbleiben. Dadurch soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Betrieb erreicht werden. Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen des Fehlens einer zwingenden Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Eine Ausgestaltung als Rahmenvorschrift liegt vor, wenn die gesetzliche Regelung Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erfordert, die zu treffenden Maßnahmen aber nicht selbst detailliert beschreibt, sondern dem Arbeitgeber lediglich ein zu erreichendes Schutzziel vorgibt. Ob die Rahmenvorschrift dem Gesundheitsschutz unmittelbar oder mittelbar dient, ist unerheblich. Ebenso wenig kommt es auf eine subjektive Regelungsbereitschaft des Arbeitgebers an (BAG 18. August 2009-1 ABR 43/08 - Rn. 16, 18, BAGE 131, 351). BAG 17.01.2012 1 ABR 62/10, Rn. 13
Die Regelung der Gefährdungsbeurteilung als gemeinsame betriebliche Aufgabe ( 87 I 7 BetrVG BAG 8.6.2004 1 ABR 4/03) Welche inhaltlichen Schwerpunkte zu setzen sind Welche Checklisten/Instrumente einzusetzen sind Welches Vorgehen, z.b. Grob-/Feinanalyse Gleichart. Bedingungen 5 ArbSchG regelt insbes. nicht konkret Organisation der Durchführung der Analysen, (z.b. Verantwortung, Beteiligung) Wann Gef.-Beurteilung durchzuführen und ggf. zu wiederholen ist
Menschengerechte Gestaltung der Arbeit besser sichtbar durch technische Regeln TRBS 1151 Technische Regeln des Ausschusses für Betriebssicherheit nach 21 BetrSichV ermitteln und veröffentlichen gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, Beispiel: Technische Regeln für Betriebssicherheit Gefährdungen an der Schnittstelle Mensch - Arbeitsmittel Ergonomische und menschliche Faktoren, Arbeitssystem TRBS 1151 (www.baua.de)
TRBS 1151 materielle Anforderungen Zur Bekämpfung von Monotonie verlangt A 2.1.3 der technischen Regel: Dem Auftreten von Monotonieerlebnissen lässt sich entgegenwirken durch einen Tätigkeitswechsel (job rotation), Aufgabenerweiterung (job enlargement; der Arbeitsinhalt wird durch mehrere ähnliche Aufgaben angereichert, die gleiches Qualifikationsniveau erfordern), Aufgabenbereicherung (job enrichment; die Arbeitsperson erhält weitere Aufgaben, die zu höheren Anforderungen führen und damit auch höhere Qualifikationsanforderungen stellen) und Erholungspausen. Sättigungserlebnissen kann durch Aufgabenbereicherung (job enrichment) und Erholungspausen begegnet werden. Konkretisierung durch Betriebsvereinbarung nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, Vorbereitung durch Information und Beratung nach 90 BetrVG
Restrukturierungen als gesundheitliche Belastung Restrukturierungsprozesse gehören heute zu den wichtigen Quellen physischer und psychischer Belastungen der Beschäftigten, dazu ausführlich die Europäische Expertengruppe Gesundheit in Restrukturierungen (HIRES) mehr dazu Satzer AiB 2013, 510 (511)
Restrukturierung als Planungsprozess Restrukturierungsprozesse sind regelmäßig verbunden mit Änderungen der verbleibenden Arbeitsplätze, z.b. durch Arbeitsverdichtung und Einführung neuer Produktlinien
Restrukturierung als Anwendungsfall der 90, 111 BetrVG über die geplanten Änderungen ist rechtzeitig nach 90, 111 BetrVG zu informieren Beratungspflicht zur Einhaltung menschengerechter Gestaltung der Arbeit und zur Vorbereitung von betrieblichen Regelungen, zb nach 6 BetrSichV
TRBS 1151 Verfahrensanforderungen Gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse verlangen Partizipation der Beschäftigten gerade bei psychischen Belastungen, so Nr. 2.3 Abs. 5 Nr. 1 der TRBS 1151, die im Anhang verschiedene Beispiele dokumentiert. TRBS Anlage 1 A 1.4: Methode DGUV-Ideentreffen zur Ermittlung psychischer Belastungen Die Methode DGUV-Ideentreffen zielt darauf ab, die Kommunikation über sicherheits- und gesundheitsrelevante Themen zu verbessern. Von besonderer Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang, die Beschäftigten systematisch mit einzubeziehen, weil sie die Verhältnisse vor Ort genau kennen. Sie sehen die Probleme in ihrem Tätigkeitsfeld und entwickeln Ideen zu deren Lösung. Das DGUV-Ideentreffen ist ein konkretes Beispiel, das in DGUV 206-007 näher dokumentiert wird. Ein solches Ideentreffen kann nach 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG vereinbart werden. Es kann bereits in der Planungsphase nach 90 BetrVG eingesetzt werden, aber auch bei der Wirksamkeitskontrolle nach 3 Abs. 2 ArbSchG. Dieses Verfahren kann auch die Verbesserung der Vorstellungskraft im Change Prozess erleichtern
91 BetrVG nicht überflüssig! 91 BetrVG ist durch 2 ArbSchG nicht überflüssig geworden, die Norm umfasst die persönlichkeitsnahen Aspekte der menschengerechten Gestaltung der Arbeit Beispiel: Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei der Planung eines Call Centers: ArbG Rostock AiB 2010, 407 mit Anmerkung U. Bernhardt; vgl. HK-BetrVG/Kohte/Schulze-Doll 90 Rn. 24