Sozialpsychologie GK-Nr

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Transkript:

1 Sozialpsychologie GK-Nr. 1.2.4 Susanna Niehaus & Andreas Krause Die Sozialpsychologie befasst sich mit dem Einfluss des sozialen Kontextes auf das Wahrnehmen, Denken, Erleben und Handeln von Personen. Die Sozialpsychologie betont den Einfluss des sozialen Handlungsrahmens für das individuelle Verhalten. Gesundheitsbezogene Verhaltensweisen sind dabei nur ein Teilbereich der umfangreichen sozialpsychologischen Forschung (Stroebe, Jonas & Hewstone, 2002). Gesellschaftliche Erwartungen an das Verhalten einzelner Personen werden als soziale Rollen bezeichnet ( Gesellschaft und Gesundheit). Häufig begegnen sich aufeinander bezogene Rollen, etwa Arzt und Patient oder Lehrer und Schüler. Wenn beide Seiten die mit der Rolle verbundenen Erwartungen einhalten, können soziale Kontakte unkompliziert und störungsarm verlaufen. Das Einhalten von Rollenerwartungen kann zu sozialer Anerkennung führen und Selbstsicherheit geben. Jeder Mensch übernimmt allerdings nicht nur eine, sondern stets mehrere Rollen, so dass sich Rollenkonflikte und ambiguitäten ergeben können, die sich negativ auf den Gesundheitszustand auswirken. So werden an Ärzte widersprüchliche Erwartungen gerichtet ( Arztrolle), etwa wenn einerseits ein ökonomischer Umgang mit begrenzten finanziellen Ressourcen gefordert und andererseits eine Optimalversorgung jedes einzelnen Patienten erwartet wird. Neben Rollenkonflikten haben auch Rollenverluste (z.b. infolge nicht gewollter Arbeitslosigkeit) vielfach negative Auswirkungen. Die Regeln, die das Verhalten in sozialen Situationen bestimmen, werden als Normen bezeichnet. Normen erleichtern (wie Rollen) einerseits das menschliche Zusammenleben, haben andererseits verpflichtenden Charakter und werden über Sanktionen (z.b. Missbilligung) geregelt. Ein weiterer zentraler Begriff der Sozialpsychologie ist die Einstellung. Einstellung ist die psychische Tendenz, einem bestimmten Objekt mit einem gewissen Grad an Zuneigung oder Abneigung zu begegnen. Die Ausdrucksformen beinhalten Meinungen, Gefühle und Verhaltensabsichten. Da zwischen Einstellungen und tatsächlichem Verhalten moderate Zusammenhänge bestehen, fokussieren Maßnahmen der Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung häufig Einstellungen. Durch Programme zur Einstellungsänderung (z.b. AIDS-Informationskampagnen, die Einstellungen zur Anwendung von Kondomen beeinflussen sollen) sollen auch Verhaltensänderungen (z.b. verändertes Sexualverhalten) erreicht werden. Einschränkend ist zu betonen, dass (veränderte) Einstellungen nicht unmittelbar zu Verhaltensänderungen führen.

2 Sozialpsychologie Beispielsweise ist Gruppendruck zur Verhaltenskonformität eine Bedingung, die den Zusammenhang zwischen Überzeugung und Verhalten moduliert. Vielen Menschen fällt es schwer, gegen den Widerstand der Mehrheit einer für sie relevanten Bezugsgruppe nach eigenen Überzeugungen zu handeln. Mit diesem Abweichen von sozialen Normen sind erhebliche Kosten verbunden, z.b. der Ausschluss aus der Gruppe, die Notwendigkeit der Rechtfertigung des eigenen Verhaltens, der Verlust sozialer Anerkennung und möglicherweise sogar soziale Isolation. Der normative Druck der Gruppe kann sich sowohl positiv als auch negativ auf gesundheitsbezogene Verhaltensweisen auswirken. Insbesondere während der Adoleszenz spielt Gruppendruck bei der Initiierung und Aufrechterhaltung gesundheitsschädigender Verhaltensweisen eine bedeutende Rolle. Hat ein Jugendlicher beispielsweise im Elternhaus gelernt, dass der Konsum von Alkohol und Zigaretten schädlich ist, und schließt sich dann einer neuen Bezugsgruppe Jugendlicher an, in der Rauchen und Trinken zum guten Ton gehört, wird es schwierig für ihn werden, nach seinen bisherigen Überzeugungen zu handeln. Auch für das Rückfallrisiko nach erfolgter Abstinenz sind die Normen der Bezugsgruppe relevant. Kehrt ein Patient in seine frühere Bezugsgruppe zurück, deren Mehrheit das von ihm aufgegebene Verhalten weiterhin praktiziert, dann gerät er früher oder später in eine Verführungssituation, die das Rückfallrisiko erheblich erhöht. Gelingt es dem Patienten jedoch, neue soziale Beziehungen aufzubauen oder sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen, dann können die Umstellung des gesundheitsbezogenen Verhaltens verstärkt und der Behandlungserfolg stabilisiert werden. Inzwischen ist allgemein bekannt, dass sich bestimmte Lebensgewohnheiten (wie Zigarettenkonsum, übermäßiger Alkoholkonsum, fettreiche Ernährung, sitzende Lebensweise, fehlende sportliche Betätigung, Verzicht auf Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen) auf den Gesundheitszustand und die Lebenserwartung auswirken. Menschen behalten oftmals solche gesundheitsschädigenden Verhaltensweisen bei, obwohl ihnen das damit verbundene Risiko bekannt ist. Sozialpsychologische Modelle des Gesundheitsverhaltens dienen der Analyse der mentalen bzw. kognitiven Faktoren (insbesondere Einstellungen), die das Gesundheitsverhalten bestimmen. Sie sollen helfen zu verstehen, warum Menschen sich so verhalten, wie sie es tun, und Ansätze bieten für Interventionen. Das Health-Belief-Modell geht davon aus, dass das Gesundheitsverhalten durch vier Gesundheitsüberzeugungen (Health Beliefs) bestimmt wird. Diese werden im Folgenden am Beispiel eines Rauchers, der über die Teilnahme an einem Nichtraucher-Programm nachdenkt, veranschaulicht: Wahrgenommene Anfälligkeit ( Als Kettenraucher habe ich ein erhöhtes Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken. ) Wahrgenommene Schwere der Krankheit ( Lungenkrebs ist meist tödlich. ) Wahrgenommener Nutzen ( Wenn ich jetzt aufhöre, wird mein Erkrankungsrisiko erheblich abnehmen. ) Wahrgenommene Barrieren ( Rauchen macht mir so viel Spaß. Die ersten Monate der Entwöhnung werden eine Qual sein. )

Sozialpsychologie 3 Die ersten beiden Health Beliefs bestimmen die Stärke der Überzeugung, persönlich gesundheitlich bedroht zu sein. Die letzten beiden Health Beliefs führen zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Überzeugung von der Effektivität eines bestimmten Gesundheitsverhaltens. Die Bereitschaft, gesundheitsbezogene Maßnahmen wie die Teilnahme an einem Nichtraucher-Programm und das Aufhören mit dem Rauchen zu ergreifen, wird durch ein Abwägen dieser Überzeugungen beeinflusst. In einer Weiterentwicklung des Health-Belief-Modells, dem Health-Action- Process-Approach, wurde das Konzept der Selbstwirksamkeit als zentrale Variable mit aufgenommen. Unter Selbstwirksamkeit wird die Überzeugung von der eigenen Fähigkeit verstanden, bestimmte Handlungen auszuführen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (z.b. die Überzeugung, das Rauchen aufgeben zu können). Je höher die Selbstwirksamkeit ausgeprägt ist, desto eher werden Maßnahmen umgesetzt. Die Bedeutung der Selbstwirksamkeit wurde inzwischen vielfach empirisch belegt (Schwarzer & Fuchs, 1996). Eine andere theoretische Weiterentwicklung ist die Theorie der Schutzmotivation, die den Einfluss Furcht erregender Kommunikation behandelt. Über Massenmedien wird in Kampagnen zur Gesundheitserziehung versucht, Empfänger zur Änderung von gesundheitsschädlichem Verhalten (z.b. Sexualkontakte ohne Kondombenutzung) zu motivieren, indem (1) Furcht vor einer Gefährdung hervorgerufen wird (HIV-Infizierung) und (2) eine konkrete Empfehlung für eine Handlung gegeben wird, die die Bedrohung verringert (Hinweise, dass Kondome schützen und wie sie eingesetzt werden können). Nach der Theorie der Schutzmotivation werden durch eine Konfrontation mit einer gesundheitlichen Bedrohung zwei Bewertungsprozesse hinsichtlich der Bedrohung und der Bewältigung initiiert. Bei der Bewertung der Bedrohung beurteilt eine Person die Schwere der Bedrohung ( HIV-Infizierte sterben in den meisten Fällen an AIDS. ) und ihre eigene Verletzlichkeit ( Ich könnte mich mit HIV infizieren, weil ich bei Sexualkontakten keine Kondome benutze. ) und wägen sie gegen die Belohnungen ab, die ein Beibehalten riskanten Verhaltens zur Folge hätten ( Sex ohne Kondome macht mehr Spaß. ). Bei der Bewertung der Bewältigung werden die Kosten des gesundheitsbezogenen Handelns ( Über Kondombenutzung zu diskutieren, ist peinlich und deren Gebrauch verringert das Vergnügen. ) gegen die wahrgenommene Wirksamkeit gesundheitsbezogenen Handelns ( Kondome verringern das Infektionsrisiko. ) und gegen die wahrgenommene Selbstwirksamkeit abgewogen ( Ich bin dazu in der Lage, Kondome zu verwenden. ). Das Ergebnis dieser Bewertungsprozesse bestimmt die Stärke der Schutzmotivation bzw. das Ausmaß, in dem die Person die Absicht entwickelt, eine Schutzmaßnahme zu ergreifen. Die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behavior) basiert auf motivationspsychologischen Erwartungs-x-Wert-Theorien, in denen angenommen wird, dass die Ausführung einer Handlung (z.b. regelmäßiges Joggen) um so wahrscheinlicher wird, je mehr eine Person davon überzeugt ist, durch diese Handlung ihr Ziel (wie Wohlbefinden) zu erreichen, und je größer der Wert des Zieles für die Person ist. Die Verhaltensabsicht wird in der Theorie des geplanten Verhaltens von drei Faktoren bestimmt: von der Einstellung zu einem bestimmten gesundheitsbezogenen Verhalten (bestehend aus Überzeugungen hinsichtlich der Auswirkungen dieses Verhaltens auf die Gesundheit und der Bewertung der erwarteten Auswirkungen),

4 Sozialpsychologie von subjektiven Normen (bestehend aus der Überzeugung, dass die relevante Bezugsgruppe das gesundheitsbezogene Handeln für richtig hält, und der Motivation, deren Erwartungen Folge zu leisten) sowie der subjektiv wahrgenommenen Verhaltenskontrolle (entspricht der Erwartung, das beabsichtigte Verhalten mühelos ausführen zu können). Während die bisherigen Theorien der Vorhersage einer einmaligen Verhaltensänderung dienen, gehen Phasenmodelle der Veränderung des Gesundheitsverhaltens (wie z.b. das Transtheoretische Modell; Prochaska, DiClemente & Norcross, 1992) davon aus, dass eine Person bei der Änderung eines Gesundheitsverhaltens eine Abfolge von Phasen vom Fällen der Entscheidung bis zur Handlung durchläuft, und dass beim Übergang zur nächsten Phase jeweils unterschiedliche Faktoren von Bedeutung sind. So können bei einer Tabakentwöhnung für die jeweils betroffene Person u.a. die Phasen der Präkontemplation (gesundheitsschädliches Verhalten wird als unproblematisch eingestuft), Kontemplation (Problem wird bewusst), Vorbereitung (Absicht zur Verhaltensänderung bildet sich heraus), Handlung (Maßnahmendurchführung) und Aufrechterhaltung (über einen längeren Zeitraum) unterschieden werden. Die Vertreter solcher Phasenmodelle betonen, dass bei der Beeinflussung des gesundheitsschädlichen Verhaltens etwa über Massenmedien oder Gespräche (persuasive Kommunikation) jeweils spezifische Argumente herangezogen werden müssen, die dem Stadium der Veränderung entsprechen, in dem sich die Zielperson befindet. Die vorgestellten Theorien setzen unterschiedliche Schwerpunkte, thematisieren jedoch teilweise ähnliche Aspekte. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, dass das Verhalten und v.a. Verhaltensänderungen aufgrund von Kampagnen nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden können. Es erscheint sinnvoll, neben der Gesundheitserziehung (z.b. auf der Grundlage persuasiver Kommunikation) ergänzend auch die Anreizstruktur zu modifizieren, etwa indem die Kosten für gesundheitsschädliches Verhalten wie Rauchen durch steuerliche und gesetzliche Maßnahmen (z.b. Erhöhung der Steuer auf Zigaretten) erhöht werden. Neben gesundheitsschädigenden Gewohnheiten wie beispielsweise Zigarettenkonsum oder ungeschütztem Geschlechtsverkehr kann auch ein stressreiches Leben die Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen. Die negativen Auswirkungen psychosozialen Stresses auf den Gesundheitszustand wurden im Zusammenhang mit Kritischen Lebensereignissen untersucht, die häufig mit einem Verlust sozialer Beziehungen einhergehen. Kritische Lebensereignisse wie beispielsweise der Tod einer nahe stehenden Person, eine Scheidung oder ein Verlust des Arbeitsplatzes ( Arbeit und Gesundheit) stellen erhöhte Anforderungen an die Anpassungsleistung eines Organismus und können bei Überforderung das Auftreten von Krankheiten begünstigen. Die mit einem kritischen Lebensereignis verbundenen psychischen Erfahrungen haben auch körperliche Auswirkungen und können Krankheiten verursachen. Beispielsweise steigt die Mortalitätsrate bei Witwern in den ersten sechs Monaten nach dem Tod der Lebenspartnerin. Für ein besseres Verständnis der Mechanismen, über die Stress die Gesundheit beeinflusst, werden mehr oder weniger erfolgreiche Bewältigungsmöglichkeiten und -strategien im Umgang mit Stresserfahrungen untersucht. Gesundheitserhaltende, positive Strategien und Eigenschaften können als

Sozialpsychologie 5 Schutzfaktoren bezeichnet werden. Hierbei werden in der Sozialpsychologie auch intrapersonale Faktoren berücksichtigt ( Persönlichkeit und Krankheit), wobei Persönlichkeitsmerkmale durchaus als Ergebnis früherer Erfahrungen im sozialen Kontext betrachtet werden können. So führt die Erfahrung, dass unabhängig von den eigenen Handlungen immer nur negative Konsequenzen auftreten, zu einem Verlust an Hoffnung auf eine Besserung und zum Aufgeben. Gelernte Hilflosigkeit impliziert eine niedrige Kontrollerwartung über zukünftige Ereignisse. Dieser Zustand geht mit einem Nachlassen der Handlungsbereitschaft einher, weil es sinnlos erscheint, Initiative zu zeigen. Empirische Untersuchungen haben Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen wahrgenommener Hilflosigkeit und Krankheitsanfälligkeit ergeben. Geringe Kontrollierbarkeit wirkt sich vor allem bei einer hohen Anzahl von Stressoren negativ aus. Hingegen ist die Ausübung von Kontrolle bzw. die Illusion der Kontrolle ein Schutzfaktor. Verwandte Schutzfaktoren sind die bereits erwähnten Selbstwirksamkeitserwartungen (die Grundüberzeugung, selbst wirkungsvoll Einfluss auf Ereignisse nehmen zu können) sowie eine Disposition zum Optimismus, die sich positiv auf den Umgang mit Stress und auf den Genesungsverlauf auswirken. Die Wirksamkeit einer optimistischen Grundhaltung beruht darauf, dass Optimisten eher als Pessimisten erwünschte Ergebnisse für erreichbar halten und dementsprechend mehr Anstrengungsbereitschaft zeigen. Optimisten zeigen zudem häufiger aktive Bewältigungsstrategien, betonen eher die positiven Aspekte der belastenden Situation und suchen eher soziale Unterstützung. So zeigten Untersuchungen an Bypass-Patienten sowie an Frauen, die sich einer Operation wegen Brustkrebs unterzogen, dass sich Optimisten schneller von der Operation erholten (Stroebe & Jonas, 2002). Der Attributionsstil wird als weiteres wichtiges Persönlichkeitsmerkmal angesehen und bezeichnet die individuelle Tendenz, über verschiedene Situationen und Zeitpunkte hinweg eine bestimmte Art kausaler Schlussfolgerungen zu ziehen. Attributionen vermitteln u.a. zwischen negativen Ereignissen und depressiven Symptomen. Menschen unterscheiden sich darin, wie sie z.b. schlechte Prüfungsleistungen erklären. In Tabelle 1 werden verschiedene Erklärungsmuster angeführt. Tabelle 1: Attributionsstile am Beispiel möglicher Begründungen für eine schlechte mündliche Prüfungsleistung internal external stabil instabil stabil instabil global spezifisch Ich bin ein Dummkopf. Für dieses spezielle Fach bin ich wohl nicht geeignet. Dieses Jahr habe ich mich auf die Prüfungen ungenügend vorbereitet. Das war heute nur ein Ausrutscher von mir. Mündliche Prüfungen sind immer ungerecht. Dieses Fach kann man gar nicht mündlich prüfen. An manchen Tagen sind Prüfer schlechtgelaunt und ungerecht. Der Prüfer hätte mir die Fragen heute klarer stellen müssen.

6 Sozialpsychologie Die Neigung, negative Ereignisse auf internale, stabile und globale Ursachen zu attribuieren, ist ein Risikofaktor: Für Menschen mit diesem Attributionsstil besteht ein erhöhtes Risiko, Depressionen zu entwickeln. Ein bedeutsamer sozialer Schutzfaktor ist die soziale Unterstützung, die verschiedene Unterstützungsfunktionen umfasst, u.a.: emotionale Unterstützung (sich umsorgt und geschätzt fühlen), Bewertungsunterstützung (für die Selbsteinschätzung nützliche Rückmeldungen), informative Unterstützung (Informationen über den Umgang mit Dingen), instrumentelle Unterstützung (Erhalt konkreter Hilfe). Zahlreiche Studien belegen den positiven Einfluss auf Gesundheitsindikatoren. So zeigen epidemiologische Untersuchungen, dass ein hohes Niveau sozialer Unterstützung mit einem verringerten Mortalitätsrisiko einhergeht und einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Depression. Auch das erneute Auftreten von Symptomen einer Angina pectoris im Anschluss an eine Bypass-Operation wird durch soziale Unterstützung reduziert. Umgekehrt gilt: Soziale Isolation führt nicht nur zu Einsamkeit, sondern kann ernsthafte gesundheitliche Folgen haben. Personen mit einem geringen Niveau sozialer Unterstützung haben ein höheres Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko. Studienfrage Wie kann man anhand sozialpsychologischer Modelle erklären, dass Patienten weiterhin rauchen, obwohl sie wissen, dass dieses Verhalten ihre Gesundheit beeinträchtigt? Zitierte Literatur Prochaska, J.O., DiClemente, C.C. & Norcross, J.C. (1992). In search of how people change: Applications to addictive behaviors. American Psychologist, 47, 1102-1114. Schwarzer, R. & Fuchs, R. (1996). Self-efficacy and health behaviors. In M. Conner & P. Norman (Hrsg.), Predicting health behaviour: Research and practice with social cognition models (S. 163-196). Buckingham: Open University Press. Stroebe, W. & Jonas, K. (2002). Gesundheitspsychologie - Eine sozialpsychologische Perspektive. In W. Stroebe, K. Jonas & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (4. Aufl., S. 579-622). Berlin: Springer. Stroebe, W., Jonas, H. & Hewstone, M. (Hrsg.). (2002). Sozialpsychologie (4. Aufl.). Berlin: Springer. Weiterführende Quellen Stroebe, W. (2000). Social psychology and health (2. Aufl.). Buckingham: Open University Press.