Der christologische Streit 0. Literatur: Adolf Martin Ritter, in HDThG 1, S. 222-270 -- Andresen/Ritter: Geschichte des Christentums I/1, 84-93 -- Sommer-Repi, 57-61 I. Christologie vor Konstantin - der judenchristliche Ebionismus: Jesus als bloßer geistbegabter Mensch - der gnostische Doketismus (Marcion): Christus ist nur scheinbar Mensch geworden. Vor der Kreuzigung hat er den Leib verlassen. - Tertullian: Christus hat zwei Substanzen, unvermischt, aber verbunden in einer Person - Origenes: die präexistente menschliche Seele Jesu hat sich mit dem Logos vereint, deswegen war sie sündlos. II. Unterschiede zum arianischen Streit - Das Thema: Wenn der präexistente Logos also wirklich Gott ist, wie ist dann das göttliche und das menschliche in Christus zusammen zu denken? Es wird nun auf der Grundlage des Nicänums weiterdiskutiert. - Der Kaiser spielt nun kaum eine Rolle. Der Kampf findet zwischen den Bischofsstühlen, vor allem Alexandria und Konstantinopel statt. - Zwei theologische Richtungen streiten sich ohne Kompromißbereitschaft. Von daher gab es am Ende keine Ausscheidung von Häretikern, sondern eine Kirchenspaltung III. Die Vorgeschichte 1. Die Herausbildung einer Logos-Sarx-Christologie Zu Beginn des 4. Jh. hatte die Vorstellung weite Verbreitung, daß der Logos sich nur mit einem menschlichen Leib ohne Vernunftseele vereinigt habe. Der Logos wurde sarx, aber nicht anthropos (denn er hat keine menschliche Seele). Von daher hat er auch keine zwei Naturen, sondern eine zusammengefügte Natur. Die Arianer (Arius) folgerten, daß ein Wesen, das dürstet, Angst hat, unwissend ist, usw. (und diese Dinge wurden der Seele, also dem Logos zugeschrieben!), nicht wahrer Gott sein kann. -> leidensfähiger Halbgott, menschseite unvollständig 2. Der Widerspruch durch eine Logos-Anthropos-Christologie Als erster trat Eustathius von Antiochien ( 337) den Arianern entgegen: - Für ihn hat der Logos eine vollständige menschliche Natur angenommen, einschließlich der Seele. Nur durch eine solche Lehre kann die volle Gottheit Christi gewahrt bleiben, bei gleichzeitigem Festhalten an seinen menschlichen Schwachheiten. - Ungeklärt blieb, wie die Einheit von göttlichem Logos und menschlicher Natur zu denken sei. 3. Apollinaris von Laodizea (310-390) - entschiedener Nizäner, Bischof von Laodizea: Wirkungsbereich Antiochien - er vertritt eine konsequente Logos-Sarx-Christologie - Der volle Gott-Logos ersetzt im Menschen Jesu das gesitige Personbestimmende und tritt an die Stelle der menschlichen Vernunft (). Denn ein Wesen kann nicht zwei verschiedene Willen haben. Christus hat also eine einzige Natur, es ist eine Mischung von Gottheit und Fleisch, wobei das Fleisch willenlos ist. Der göttliche Logos hat also die Dominanz. Die sarx wird sozusagen vergottet. =>. - Problem: Verkürzung der Mensch-Seite (keine menschl. Seele, Christus ist nicht wirklich Mensch) - Kritik seitens der Kappadozier: "was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst"; das ist nötig.
Die Lehre des Apollinaris wurde 377-381 mehrfach verurteilt. IV. Die Bildung von theologischen Schulen Theologische Schulen sind der morgenländischen Theologie eigentümlich, was wohl mit der regionalen kulturellen und philosophischen Verflechtung zusammenhängt. Schon Arius berief sich auf die antiochenische Schule Lukians. Erst die Schulgegensätze setzten den christologischen Streit in Gang. Zwei Hauptschulen traten in Konkurrenz: 1. Die antiochenische Schule Charakteristika: philologische Textarbeit, Erhellung des historischen Kontextes, aristotelische Wissenschaftlichkeit -- Diodor ( vor 394), Chrysostomus, Theodor von Mopsuestia ( 428), Theodoret von Kyrus ( 460) DIE CHRISTOLOGIE: Unterscheidungschristologie Logos-Mensch, Unterscheidung der zwei Naturen, Dyophysitismus. Man redete von Einwohnung und betonte dabei sogar den Unterschied von "Einwohner" und "Wohnung". Der voll göttl. Logos wohnt in einem vollständigen Menschen (). Das Verhältnis der Naturen war nicht Mischung, also nicht, sondern Verknüpfung ( ). Das Personale der Naturen und ihre Beziehung, die in Einheit handelte, wurde betont. einigung zu einer Person ( ). Soteriologisches Interesse: Böse sitzt im Menschen in seiner Seele, in seinem Willen. Willentliche Hingabe des Logos -> Heil. Kritik: + Wahrnehmung der Menschheit Christi; - Problem der Einheit: nicht ontologisch, nur ethische u. doxologisch 2. Die alexandrinische Schule Charakteristika: platonische Spiritualität, mehrfacher Schriftsinn - Origenes, Euseb von Cäsarea, Kyrill v. Alexandrien (Bischof: 412-444), Dioskur DIE CHRISTOLOGIE: Einheitschristologie, Gott und Mensch verbinden sich in Jesus zu einer einzigen göttlichen Natur. Betonung der Gottheit, Lehre von der Vermischung. Eine fleischgewordene Natur des Logos. Kyrill v. Alexandrien: - Soteriologie: Erlösung nur durch einen vollen Gott möglich - Vergottung des Menschlichen in Christus (Inkarnation) -> in Christus ist Gott leibhaftig (Joh 1,14; 12,45; Kol 2,9). - Rückgriff auf den Hypostasis-Begriff zurück. Hypostatische Einung, seinsmäßige Union. Nach Menschwerdung gibt es in Christus nur eine Natur/ Person ->. - Gott ist nicht in einen Menschen gekommen, sondern ist selbst Mensch geworden ( ) - Alle Eigenschaften () Christi gelten für die Eine Hypostase. Die Einheit Christi wird gewahrt. -> ein Person-Subjekt des Gott-Logos in Einheit mit der Menschheit Christi -> Logos bleibt und wird doch. (Paradox!) - Je nach kirchenpolit. Situation kann Kyrill die Formeln wechseln. V. Die verschiedenen Phasen des Streites Vorgeschichte: 381 in Konstantinopel wurde nach Rom nicht Alexandria, sondern (dem antiochenisch denkenden) Konstantinopel der Vorrang zugedacht. Daraus resultierte eine ständige Rivalität zwischen den beiden Patriarchaten 1. Der Streit um Origenes (392-403) - zwischen Theophilus (alexandrinisch) und Chrysostomus (antiochenisch) 2
- Streit um die Beurteilung des Origenes 2. Der nestorianische Streit (428-431) - als man sich 428 nicht auf einen Nachfolger auf dem Bischofsstuhl von Konstantinopel einigen konnte, berief der oströmische Kaiser Theodosius II. den antiochenischen Presbyter und Mönch Nestorius auf den Bischofsstuhl. - schon bald polemisierte dieser gegen den im Volk üblichen Maria-Titel "" (Geborenwerden kann von Gott nicht ausgesagft werden) und ersetzte ihn durch "". Exkurs zum : taucht schon bei Origenes auf, ab 325 immer häufiger, schließlich von Gregor von Nazianz als heilsnotwendig zu glauben hingestellt. Allerdings geht es dabei nicht um Maria, sondern um die Christologie. Die Lehre von der communicatio idiomatum (Austausch der Eigenschaften: Gottheit leidet beim Leiden mit) legte folgerichtig nahe, daß Maria wirklich Gott geboren hat. Schon Chrysostomus hatte Vorbehalte dagegen, außerdem entstanden immer mehr Mariensekten. - Nestorius wandte sich gegen einige, die nur von "anthropotokos" reden wollten. Für ihn war "Christus" der richtige gemeinsame Name der beiden Naturen. - In Konstantinopel aber, wo Maria als die "Ewig-Jungfräuliche" (aeiparthenos) als asketisches Vorbild verehrt wurde, rief er dadurch Widerspruch hervor. - Im Osterfestbrief 429 greift Kyrill von Alexandria die neue Lehre scharf an, gleichzeitig gewinnt er schnell den röm. Bischof Coelestin I. für seine Position. Eine römische Synode droht daraufhin Nestorius die Exkommunikation an. Kyrill verlangt die Zustimmung zu den "12 Anathematismen". Forderung nach. - Nestorius bittet daraufhin den Kaiser um die Einberufung eines ökumen. Konzils: - 431 Reichskonzil von Ephesus: die Stadt der Diana hatte nun einen Hang zum Marienkult. Der Bischof von Ephesus war eingekeilt zwischen Konstantinopel und Antiochien und war somit natürlich auf der Seite Alexandrias. - Als Nestorius und die Antiochener sich verzögerten, eröffnete Kyrill das Konzil (mit den ägypt., kleinasiatischen und palästinischen Bischöfen). Sie setzten Nestorius ab. Vier Tage später taten Nestorius und die Antiochener das Gleiche für die Gegenseite. Absetzung Kyrills. Rom stellte sich wenig später auf die Seite Kyrills. Die Lage war verworren. - Schließlich bestätigte der Kaiser beide Urteile und nahm Kyrill und Nestorius erstmal gefangen. - 433 unterzeichnete auch Kyrill das "ephesinische Uniossymbol", das die Antiochener 431 entwickelt hatten (mit "theotokos", aber zwei Naturen ohne Vermischung, ), um Nestorius persönlich endgültig in der Verbannung zu lassen. Nestorius bleibt bis zu seinem Tod im Exil, erlebt aber noch die Einberufung des Chalcedons, das ihm sachlich Recht gibt. - Nur die Minderheit der "Nestorianer" spalteten sich von da an ab. 3. Der Eutychianische Streit (448-451) - Auf der sogenannten "eudemischen" Synode 448 in Konstantinopel wurde gegen den 70- Jährigen Archimandriten Eutyches die Häresie-Anklage erhoben. Dieser hatte entgegen Ephesus 433 erklärt, Christus habe nach der Einung nur eine Natur ( ) und sein Leib sei mit uns nicht "homoousios". Bischof Flavian setzte ihn ab. Die Synode billigt Flavians Formel: nach der Einigung, aber bleibend 2 Naturen ( ). - Eutyches wandte sich um Hilfe nach Alexandria an Bischof Dioskur und Leo den Großen v. Rom (= Leo I, 440-461) 3
- Leo der Große sendet daraufhin einen Lehrbrief an Flavian, den "Tomus Leonis". Hierin wendet er sich gegen Eutyches: auch nach der Einung seien es zwei Naturen unversehrt in einer Person. communicatio idiomatum - Darauf übernimmt Dioskur die Führung auf dem 2. Konzil in Ephesus (449), wo mit Gewalt die Absetzung Flavians und der Nestorianer durchgesetzt wird. Eutyches wird rehabilitiert. Im Westen wird dieses Konzil als "latrocinium" (Räubersynode) nicht anerkannt. Leo drängte darauf, daß der Kaiser das Konzil annulierte und ein neues einberief. - Dies gelang aber erst nach dem Tod des Theodosius II (450). 4. Das Konzil von Chalcedon (451) - Die neue Kaiserin Pulcheria nahm sich sofort der Konzilspläne an. Es tagte im Okt/Nov 451 in Chalcedon, nahe Konstantinopel. - Es war eine große und repräsentative Synode. Aus dem Westen waren aber nur zwei Afrikaner und fünf päpstliche Legaten anwesend. Die Führung des Konzils lag bei kaiserlichen Beamten, das führte zu Ordnung. - Dioskur wurde aus disziplinären Gründen abgesetzt, die Mehrheit der Synodalen aber dachte kyrillisch! DIE ENTSCHEIDUNG: Zuerst wurden Nizänum und Konstantinopolitanum bestätigt, dann wurden Kyrills Brief an Nestorius und der Tomus Leonis anerkannt. Schließlich wird noch eine Erklärung angefügt, in der folgendes klargestellt wird: - wahrer Gott und wahrer Mensch aus Vernunftseele und Leib (antiochenisch) - homoousios der Gottheit und der Menschheit nach (antiochenisch) - Maria als theotokos (alexandrinisch) - in (nicht aus) 2 Naturen: unvermischt ( ) und unverwandelt ( ) -> gegen Monophysiten - ungetrennt ( ) und ungesondert ( ) -> gegen Dyophysiten - die Eigentümlichkeiten bleiben gewahrt, sie verbinden sich aber zu einem prosopon und einer Hypostase (alexandrinisch) Daneben wurden noch andere kirchenrechtliche Regelungen getroffen. Beurteilung: 1. Es ist überwiegend ein kyrillisches Bekenntnis, allerdings mit einem leonischen Stachel im Fleisch. 2. Die Negationen geben einen Rahmen an die Hand, in den sich seitdem jede Christologie einordnen muß. Das Dogma wird nicht durchforscht, aber es wird Raum gelassen. 3. Es wurde aber wohl doch zuviel offengelassen (wie z.b. das Verhältnis von ousia, physis und hypostasis) 4. Auf jeden Fall bleibt in diesem Rahmen das biblische Zeugnis gewahrt, im Gegensatz zu den viel "vernünftigeren" Lösungen der Arianer und Nestorianer. VI. Nachwirkungen: Die monophysitischen Streitigkeiten im Osten Im Westen wurde nach anfänglichem Zögern Leos die chalcedonensische Christologie anerkannt und verteidigt. Im Osten allerdings kam es zu den monophysitischen Streitigkeiten. Sie führten zur Konfessionsspaltung, zur Schwächung des byzantinischen Reiches und schließlich zum fast kampflosen Verlust der monophysitischen Gebiete an den Islam. Hier mischen sich ethnisch-kulturelle, politische und theologische Motive. Motive: Der Osten dachte immer stärker von asketisch-mystischer Gottesvereinigung her. Wenn in Christus nicht das menschliche vom göttlichen überhöht wurde, wie dann in uns? 1. Das Henotikon und das akakianische Schisma (484-519) 4
Das "Henotikon" ist eine Einigungsformel des Konstantinopler Patriarchen Akakios, die vom Kaiser Zenon 482 publiziert wurde, um kaiserlich die Monophysiten zu gewinnen. Es vermeidet "zwei Naturen" und redet nur von "Einheit". Es sollte Chalcedon monophysitisch verschieben und führte zum ersten Schisma. 2. Der Theopaschitische Streit - um die Formel "Heiliger Gott, für uns gekreuzigt" von Johannes Maxentius 3. 544: das Edikt der drei Kapitel von Kaiser Justinian - die Verurteilung jeglichen Nestorianismus: Theodor von Mopsuestia, Ibas von Edessa und Theodorets Schriften gegen Kyrill. 4. Das V. Ökumenische Konzil in Konstantinopel 553 - Bestätigung der drei Kapitel, Verwerfung des Origenes, Ablehnung jeder nestorianischen Interpretation. Kyrillische Deutung des Chalcedons festgehalten. 5. Abspaltung der Jakobiten In Westsyrien sammelte Jakob Baradai extreme Monophysiten als eigene Kirche gegen die chalcedonensischen Melkiten 6. Der Monergetische Streit Hier ging es um die kaiserliche Formel, daß Christus zwar zwei Naturen, aber nur eine Energie, ein gottmenschliches Wirken hatte. 7. Der Monotheletische Streit (633-681) - um die Kompromißformel, daß Christus nur einen Willen hatte. 681 verurteilt 8. Das VI. Ökumenische Konzil von Konstantinopel 681 - endgültige Rückkehr zu Chalcedon: zwei Willen und zwei Energien, unvermischt usw... 9. Der Bilderstreit der folgenden Jahrhunderte Stellt das Bild neben der Menschheit auch die Gottheit Christi dar? Oder reißt man durch Christusdarstellungen Christus auseinander (so die Ikonoklasten) Im Konzil von Nikaia 787 entscheidet der Kaiser für eine legitime Bilderverehrung Bis heute verwerfen das Chalcedonense die Armenier, Äthiopier und Kopten Schon 483 trennte sich syrisch- nestorianische Kirche von der Reichskirche, die großen Einfluß in Asien erreichte. 5