Klausurenkurs für Fortgeschrittene im Bürgerlichen Recht. Besprechungsfall Tollinesien

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Transkript:

Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Professor Dr. Peter A. Windel Klausurenkurs für Fortgeschrittene im Bürgerlichen Recht Besprechungsfall Tollinesien Die als Lebenspartner eingetragenen A und B beschließen eine Fernreise zu unternehmen. A bucht im Reisebüro Ritas Reiseladen (R) für sich und B 14 Tage Tollinesien im Doppelzimmer, all inclusive für 1.489 pro Person (Pauschalreise). Die Reiseunterlagen werden an die gemeinsame Adresse geschickt. Der Reisveranstalter ist Fail Tours (F). Auf seine Frage hin, wie es denn mit Ausflugsmöglichkeiten aussehe, bekommt A die Antwort, dass diese vor Ort zu buchen seien. Die ersten Tage im Hotel werden durch eine Ratte getrübt, die das Hotelzimmer mitbewohnt. Außerdem werden A und B am öffentlichen Strand von den Eingeborenen wegen ihrer sexuellen Identität gehänselt. Auch um all dem zu entfliehen, entschließen sie sich, einen Ausflug zu machen.

An der Rezeption ihres Hotels finden sie dafür eine Ausflugsmappe von F. Bei der örtlichen Reiseleitung buchen sie einen Tag im Ocean-Park mit Shark-Show. Als Hinweis unterhalb ihrer Buchung stand: Dieser Ausflug wird von Fail-Tours nur vermittelt. Abgeholt wurden sie von einem Reisebus mit Werbeschriftzug Fail-Tours. Als die Show ihren ersten Höhepunkt erreichte, wurde B ausgewählt, um beim Füttern der Haie zu helfen. Der zuständige Leiter (L) passte aber einen Moment nicht auf, so dass ein Hai den Arm von B erwischte. Nach einer Notversorgung der klaffenden Fleischwunde und der Rückkehr ins Hotel wurde B von der Rezeption ein Arzt vermittelt. Statt die Wunde nach den Regeln der Heilkunst zu nähen, legte dieser aber nur einen Druckverband an, weswegen dauerhaft eine sichtbare Narbe verbleiben wird. Nach dem Haifutter Ausflug beschlossen die zwei, ihre restlichen Tage nur noch in der Hotelanlange beim Animationsprogramm zu verbringen, um kein Risiko mehr einzugehen. Doch bei der Floor-Show riss das Animationsteam ständig lesben- und schwulenfeindliche Zoten, was die Mehrzahl der Hotelgäste nicht nur zu schallendem Gelächter, sondern auch fortgesetzt zu anzüglichen Bemerkungen gegenüber A und B veranlasste. Bitte prüfen Sie (nötigenfalls: hilfs-)gutachtlich, welche Rechte A und B gegen F haben.

Juristische Fakultät der Ruhr-Universität Professor Dr. Peter A. Windel Klausurenkurs für Fortgeschrittene im Bürgerlichen Recht Besprechungsfall Tollinesien I. Anspruch auf Rückerstattung eines Minderungsbetrages aus 346 Abs. 1 i. V. m. 651a, 651c Abs. 1, 651d, 638 Abs. 3, 4 BGB 1. Abschluss des Reisevertrages - Ein Reisevertrag i. S. d. 651a Abs. 1 BGB liegt vor - Wer sind die Parteien des Reisevertrages? - Das Reisebüro vermittelt als Handelsvertreter ( 84 HGB) den Reisevertrag, der zwischen dem Reiseveranstalter und dem Reisenden zustande kommt - A als alleiniger Vertragspartner; B Dritter i. S. d. 328 BGB - Bei Annahme einer Stellvertretung wird B selbst Vertragspartner von F - Mitberechtigung und Mitverpflichtung von B über 1357 BGB i. V. m. 8 Abs. 2 LPartG

2. Reisemangel, 651c BGB a) Ratte im Hotelzimmer b) Haifutter auf dem Ausflug - Die Verursachung einer Körperverletzung durch einen Erfüllungsgehilfen des Reiseveranstalters ist ein Reisemangel - L Erfüllungsgehilfe der F? - Eigene Reiseleistung der F? - Prospektgestaltung - Das Auftreten der Reiseleitung vor Ort - Die Organisation und Durchführung des Ausflugs c) Diskriminierungen aa) durch Eingeborene - Der Veranstalter haftet grds. nicht für Dritte bb) durch das Animationsteam - Animateure sind Erfüllungsgehilfen des Veranstalters cc) durch andere Mitreisende - Problem des (un-)mittelbaren Störers ( Zweckveranlassung, lies PreußOVGE 80, 176)

d) Behandlungsfehler durch den Arzt - Arzt ist kein Erfüllungsgehilfe 3. Mängelanzeige, 651d Abs. 2 BGB 4. Durchführung der Minderung - Der Reisende hat den Reisepreis i. d. R. vor dem Antritt der Reise zu leisten - Er kann den Teilbetrag nach 651d Abs. 1 S. 2, 638 Abs. 4, 346 Abs. 1 BGB zurückverlangen II. Anspruch auf Schadensersatz gem. 651f Abs. 1 BGB - besteht neben der Minderung, vgl. 651f Abs. 1 BGB 1. Mangel 2. Vertretenmüssen a) Ratte im Hotelzimmer b) Haifutter auf dem Ausflug c) Diskriminierungen d) Behandlungsfehler durch den Arzt 3. Anzeigeerfordernis nach 651d Abs. 2 BGB - Mängelanzeige ( 651d Abs. 2 BGB) auch im Rahmen des SE-Anspruchs

4. Anspruchsumfang - 651f Abs. 1 BGB erfasst alle Schäden (Nichterfüllungs-, Mangelfolgeund Begleitschäden) - Kein Schaden, wenn schon durch Minderung abgegolten - Relevant für über den Minderwert der Reise hinausgehenden Schaden III. Anspruch wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, 651f Abs. 2 BGB - Erhebliche Beeinträchtigung der Reise - Wenn Mängel zu Minderung zu 50 % berechtigen IV. Ausschlussfrist gem. 651g Abs. 1 BGB V. Schadensersatzanspruch aus 21 Abs. 2 i. V. m. 19 Abs. 1 AGG - Anwendungsbereich des GG ergibt sich aus 2 bzw. 19 Abs. 1 AGG - Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld gem. 21 Abs. 2 S. 3 AGG - Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung gem. 19 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. 3 Abs. 3 AGG - Zurechnung des Gehilfenverhaltens erfolgt analog 278 BGB - Bei dem Pauschalreisevertrag handelt es sich um ein Massengeschäft i. S. d. 19 Abs. 1 AGG

- Vertretenmüssen (str.) - Zur Geltendmachung des Anspruchs ist das Opfer der Diskriminierung berechtigt - Die Frist zur Geltendmachung beträgt gem. 21 Abs. 5 AGG zwei Monate - Einhaltung der Frist für A und B bei Annahme einer wirksamen Vollmachtserteilung - Möglichkeit der Anspruchsanmeldung besteht noch VI. 823 Abs. 1 BGB - Die Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters beschränkt sich auf die Auswahl seiner Leistungsträger sowie deren regelmäßige Überwachung VII. 823 Abs. 2 BGB i. V. m. AGG - Die Schutzgesetzqualität des AGG ist umstritten VIII. 831 BGB - Der Reiseveranstalter F haftet nicht aus 831 BGB, da die Leistungsträger des Reiseveranstalters mangels Weisungsgebundenheit keine Verrichtungsgehilfen sind

Zur Vertiefung Windel, Traumurlaub in Tollinesien, JURA 2010, S. 381 ff.