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Transkript:

Einleitung Die menschliche Affektivität ist in den letzten Jahren ein vielbeachtetes Thema der philosophischen Diskussion geworden. Zwar haben sich die Emotionen oder Affekte seit der Antike immer wieder in den Blick der Philosophen gedrängt, doch dies geschah zumeist so, daß diese ihr eigentliches Interesse einer anderen, umfassenderen Fragestellung zugewendet hatten, bei deren Untersuchung die Emotionen als Nebenproblem thematisch wurden oftmals, so etwa in der Stoa, als Antagonisten der für den Menschen eigentlich relevanten höheren Seelenvermögen. Als eigenes philosophisches Forschungsgebiet konstituieren sich die Emotionen allerdings im wesentlichen erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1 Soll ein angemessenes Verständnis der menschlichen Affektivität erreicht werden, gilt es jedoch zu beachten, daß diese nicht allein durch die Phänomenklasse der Emotionen im engeren Sinne bestimmt wird. Es müssen vielmehr noch weitere Formen des gefühlshaften Erlebens berücksichtigt werden, um die Affektivität des Menschen annähernd vollständig beschreiben zu können. Zu nennen sind hier vor allem die Stimmungen und die Atmosphären. Ist jedoch schon die Frage, was genau unter dem Begriff»Emotion«verstanden werden muß, bisher alles andere als zufriedenstellend beantwortet, sieht sich der Versuch einer exakten terminologischen Festlegung der Begriffe»Stimmung«und»Atmosphäre«mit noch weitaus größeren Schwierigkeiten konfrontiert. Im Falle der Stimmungen scheint ein gewisser Mangel an Substantialität grundsätzlich dem Bestreben nach definitorischer Klarheit 1 Angesichts der thematischen Anlage der vorliegenden Untersuchung kann eine auch nur einigermaßen vollständige Nachzeichnung der in der Geschichte des europäischen Denkens formulierten philosophischen Auffassungen von der Natur der Emotionen hier nicht geleistet werden. Es sei darum auf in den letzten Jahren erschienene Darstellungen verwiesen, die mit allgemeinerer oder konkreterer Zielsetzung die Geschichte der philosophischen Emotionstheorien angemessen würdigen. Zu nennen sind hier etwa die Bände: Landweer, Hilge/Renz, Ursula (Hrsg.): Klassische Emotionstheorien. Von Platon bis Wittgenstein, Berlin 2008 und Perler, Dominik: Transformationen der Gefühle. Philosophische Emotionstheorien 1270 1670, Frankfurt am Main 2011.

12 Einleitung im Weg zu stehen. 2 Auch mit dem Begriff»Atmosphäre«wird konnotativ ein Beiklang des Vagen und Nebelhaften verbunden, was seine Inanspruchnahme für eine wissenschaftliche Theorie der menschlichen Affektivität von vornherein zu erschweren scheint und in der Tat wird der Atmosphärenbegriff erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit in systematisch-terminologischer Weise gebraucht. Zwar können als Ursprung der Auseinandersetzung mit atmosphärischen Phänomenen bereits Walter Benjamins Untersuchungen zur»aura«gelten, 3 der Terminus»Atmosphäre«selbst wurde jedoch in der Hauptsache erst von Hermann Schmitz im Rahmen der Systembildung der Neuen Phänomenologie zur Grundlage einer allgemeinen Theorie der Leiblichkeit und des affektiven Erlebens gemacht eine Interpretation der Atmosphären, die in der Folge etwa Gernot Böhme für sein Programm einer Neuen Ästhetik aufgreifen konnte. 4 Von einer disziplinübergreifend geteilten Definition des Stimmungs- wie des Atmosphärenbegriffs kann allerdings zur Zeit noch keine Rede sein. Sollen jedoch Stimmungen und Atmosphären trotz der genannten Schwierigkeiten beim Verständnis der Natur dieser Phänomene bzw. trotz der noch nicht geleisteten interdisziplinären Etablierung des letzteren Konzepts als wissenschaftliche Kategorien zur Erfassung des affektiven Erlebens neben den Emotionen akzeptiert werden, muß die Frage nach dem Zusammenhang der genannten Erlebnistypen gestellt werden. Dabei muß vermieden werden, vorschnell davon auszugehen, es handele sich bei Emotionen, Stimmungen und Atmosphären um drei jeweils voneinander getrennte Kategorien, die im wesentlichen unverbunden nebeneinander bestehen und sich unabhängig voneinander als isolierte konkrete Gefühlserlebnisse verwirklichen können. Die vorliegende Untersuchung stellt sich dieser Aufgabe, d. h. der Auseinandersetzung mit der Frage nach dem inneren Zusammenhang von Emotionen, Stimmungen und Atmosphären. Den weiteren Ausführungen soll dabei die These zugrunde gelegt werden, daß dieser Zusammenhang ein zentrales Strukturmoment der menschlichen Affektivität im Ganzen darstellt und zwar in dem Sinne, daß für die Erfahrung eines konkreten Gefühlserlebnisses sowohl eine quasi-objektive atmosphärische Prägung der jeweils herrschenden Situation, als auch eine individuelle Gestimmtheit, als auch eine bestimmte emotionale Regung notwendig ist wobei sich der Zusam- 2 Vgl. Heidegger, Martin: Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt Endlichkeit Einsamkeit, hrsg. v. Herrmann, Friedrich-Wilhelm von, 3. Aufl. (Martin Heidegger Gesamtausgabe 29/30), Frankfurt am Main 2004, S. 94 ff. 3 Vgl. Benjamin, Walter:»Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, in: ders.: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt am Main 1977, S. 7 45, hier S. 15. 4 Vgl. Böhme, Gernot: Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt am Main 1995, S. 28 ff.

Einleitung 13 menhang von atmosphärischem, stimmungshaftem und emotionalem Erleben nicht als bloße Parallelität dreier Empfindungen begreifen läßt. Um jedoch eine Auslegung zu verhindern, die aus der soeben formulierten These, auf Grund der zuvor konstatierten semantischen Unterbestimmtheit der zentralen Begriffe, die Unmöglichkeit einer Inanspruchnahme der Konzepte Atmosphäre, Stimmung und selbst Emotion für die wissenschaftliche Beschreibung des Affektiven ableiten möchte, gilt es allerdings, nicht nur die Interpretation dieser Phänomene als diskrete Kategorien zu vermeiden. Es ist vielmehr gleichermaßen notwendig, nicht im Gegenzug der Versuchung zu verfallen, Stimmungen, Emotionen und Atmosphären als an und für sich bedeutungslose und letztlich willkürlich markierte Punkte auf einem ungegliederten Gradienten aufzufassen, als welcher die menschliche Affektivität vorgestellt wird. Der Zusammenhang zwischen den genannten Phänomenklassen darf also weder als bezugslose Koexistenz separater Erscheinungsformen des affektiven Erlebens, noch als unstrukturiertes Ineinanderfließen nicht näher bestimmter Instanzen der Affektivität, die sich in letzter Konsequenz kaum noch individuieren lassen, verstanden werden. Um die innere Struktur der menschlichen Affektivität angemessen erfassen zu können, ist es also nötig, eine Perspektive zu gewinnen, die es der jeweiligen Spezifik von Emotionen, Stimmungen und Atmosphären erlaubt, hervorzutreten, ohne jedoch den Zwang zu einem kategorisierenden Rigorismus zu implizieren. Diese angestrebte Perspektive darf, wie zu zeigen sein wird, sich allerdings nicht allein auf die reine Affektivität als Forschungsgegenstand ausrichten, da diese durch eine solche Verengung zu einem bloßen Subsystem des Mentalen unter anderen, ohne eine besondere, herausgehobene Bedeutung für das menschliche Dasein im Ganzen degradiert würde. Sie muß vor allem ein Verständnis der eigentümlichen Weise erlauben, auf die sich der Mensch als leiblich-räumliches Wesen in seiner Welt bewegt. Atmosphären, Stimmungen und Emotionen sollen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung demnach als Phänomene bestimmt werden, die auf eine noch genauer herauszuarbeitende Weise die leiblich-räumliche Verfaßtheit des menschlichen Daseins und sein Eingebundensein in größere lebensweltliche Zusammenhänge affizieren. Kann gezeigt werden, in welcher Form dies geschieht, so besteht die Hoffnung, durch die Analyse der Art und Weise der Einwirkung des Affektiven auf die leiblich-räumliche Verfaßtheit des Menschen und auf die Weltbezüge, in denen dieser sich bewegt, Indizien zu gewinnen, die zum Ausgangspunkt für eine Skizze der menschlichen Affektivität und ihrer inneren Gliederung werden können.

14 Einleitung Der Aufbau der Untersuchung Die vorliegende Arbeit ist in zwei Teile unterteilt, einen rekonstruktiven und einen systematischen. Die Kapitel 1 und 2 sind dem rekonstruktiven Teil zugehörig und sollen Emotionen, Stimmungen und Atmosphären als Gegenstände der Philosophie sowie die epistemologischen Grundbegriffe Welt, Leib und Raum einführen, die jedes angemessene Verständnis der menschlichen Affektivität fundieren müssen. Die Kapitel 3, 4 und 5 bilden den zweiten Teil der Untersuchung. Sie sind zunächst der Aufgabe gewidmet, die Art der jeweiligen Verwurzelung der hauptsächlichen Erscheinungsformen des Affektiven in den genannten epistemologischen Kategorien herauszuarbeiten. Auf diese Weise, d. h. über den Nachweis der gemeinsamen Fundierung von Emotionen, Stimmungen und Atmosphären in Raum, Leib und Welt, soll die Möglichkeit dazu geschaffen werden, ihren inneren Zusammenhang verständlich zu machen, den es abschließend zu skizzieren gilt. Im ersten Kapitel erfolgt zunächst eine Skizze verschiedener historisch einflußreicher und zeitgenössischer Emotionstheorien aus der kognitivistischen Theoriegruppe sowie eine Darstellung einiger theoretischer Ansätze, die die philosophische Auseinandersetzung mit den Phänomenen Stimmung und Atmosphäre prägen. Ziel ist es, die jeweils spezifischen Schwierigkeiten herauszustellen, die die Untersuchung der verschiedenen Erscheinungsformen der menschlichen Affektivität mit sich bringt. Während die philosophische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Emotion oftmals die nur scheinbar triviale Bemerkung Robert Solomons nur wenig berücksichtigt, daß, vom phänomenologischen Standpunkt aus, das Wesen der Emotion ihre Phänomenologie ist 5 und vielmehr versucht, die Emotionen als besondere Erscheinungsformen anderer Gegenstände der Philosophie, etwa als eine spezielle Klasse der Urteile oder Handlungen, zu begreifen, steht die philosophische Erforschung der Stimmungen vor einem geradezu entgegengesetzten Problem. Konkurrieren nämlich im Fall der Auseinandersetzung mit den Emotionen eine Vielzahl von positiv begründeten theoretischen Zugängen, werden die Stimmungen in der Hauptsache negativ definiert, wodurch ihre substantielle Selbstständigkeit nur noch in vager und verschwommener Form thematisch werden kann. Auch die Auseinandersetzung mit den affektiv wirkenden Atmosphären ist von großen Schwierigkeiten geprägt. Die Einführung dieses Konzepts in eine Theorie der menschlichen Affektivität eröffnet zwar auf der einen Seite eine Fülle von in hohem Maße angemesse- 5»[F]rom the phenomenological point of view, the essence of an emotion is its phenomenology.«(solomon, Robert C.:»Emotions in Phenomenology and Existentialism«, in: Dreyfus, Hubert L./Wrathall, Mark L. (Hrsg.): A Companion to Phenomenology and Existentialism, Malden 2006, S. 291 310, hier S. 294)

Einleitung 15 nen Beschreibungsmöglichkeiten, die das unmittelbare leibliche Erleben des Affektiven begrifflich erfaßbar machen, stellt auf der anderen Seite jedoch vor das Problem, sich mit der verwickelten Frage nach dem ontologischen Status der Atmosphären auseinandersetzen zu müssen. Die Herausarbeitung der Ambiguitäten und Schwierigkeiten, die sich bei der philosophischen Untersuchung der drei Hauptphänomenklassen der menschlichen Affektivität jeweils ergeben, erlaubt es dem ersten Kapitel, das Problemfeld abzustecken, auf dem sich die vorliegende Untersuchung im Anschluß bewegen muß. Das zweite Kapitel ist, wie das erste, rekonstruktiver Natur. Ziel ist es, die drei phänomenologischen Leitbegriffe»Leib«,»Welt«und»Raum«herauszuarbeiten sowie ihren Bezug zur menschlichen Affektivität vorgreifend anzudeuten. Die Darstellung des Weltbegriffs geht dabei zunächst von Edmund Husserls Konzeption der Lebenswelt, wie sie in der Schrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie von 1936 entwickelt wird, aus. Vor allem jedoch soll die von Martin Heidegger in Sein und Zeit im Rahmen seiner Fundamentalontologie entwickelte Analyse des In-der-Welt-seins des Daseins für die vorliegende Untersuchung fruchtbar gemacht werden. Über den Weltbegriff von Sein und Zeit hinausgehend, nimmt die Untersuchung zusätzlich noch einige spätere Schriften Heideggers in den Blick, um eine begriffliche Unterscheidung einzuführen, die insbesondere für die Auseinandersetzung mit der Intentionalität der Emotionen von großer Bedeutung ist: Ziel ist es, den in Heideggers Abhandlung Der Ursprung des Kunstwerkes von 1936 sowie später im Aufsatz Das Ding von 1950 entwickelten Dingbegriff terminologisch in Abgrenzung zum formalen Gegenstandsbegriff zu fixieren und die Dinge als die primären Objekte der intentionalen Bezüge der Emotionen zu bestimmen. Im zweiten Abschnitt des Kapitels muß der Leibbegriff thematisiert und zunächst im Hinblick auf seine epistemologische Bedeutung durchleuchtet werden. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit diesem Begriff steht jedoch Maurice Merleau- Pontys Leibphilosophie. Von besonderer Bedeutung für den Fortgang der vorliegenden Untersuchung sind vor allem Merleau-Pontys Interpretation der nicht eindeutig festgestellten Natur des Leibes und die aus diesem Wesensmerkmal resultierende eigentümliche Weise, auf die der menschliche Leib unter den ihn umgebenden Dingen situiert ist. Der dritte Abschnitt des Kapitels widmet sich schließlich dem Raumbegriff, dessen Bedeutung für das Verständnis der verschiedensten Gegenstandsbereiche seit einigen Jahren von der philosophischen Forschung zunehmend erkannt wird. 6 Nach der zu Be- 6 Ein Zeichen für das gestiegene Interesses am Raum sowie ein instruktives Beispiel für seine Anwendung auf verschiedene Fragen der Philosophie der Emotionen stellt exemplarisch ein kürzlich erschienener Sammelband dar: Lehnert, Gertrud (Hrsg.): Raum und Gefühl. Der Spatial Turn und die neue Emotionsforschung, Bielefeld 2011.