Das AGG zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Alexander Klose Büro für Recht und Wissenschaft (www.recht-wissenschaft.de)

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Transkript:

Das AGG zwischen Wunsch und Wirklichkeit Alexander Klose Büro für Recht und Wissenschaft (www.recht-wissenschaft.de)

Überblick 1. Gleichbehandlung als Versprechen 2. Realität der Diskriminierung 3. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit 4. Alte und neue Widerstände 5. Zusammenfassung 2

1. Gleichbehandlung als Versprechen 1.1. Gleichheit und Freiheit 3 Wertgleichheit aller Menschen Art. 1 I 1 GG: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Anspruch eines jeden auf gleiche Achtung unabhängig von weiteren Eigenschaften oder individuellen Leistungen, allein aufgrund des Menschseins Privatautonome Freiheit mit Ecken und Kanten Art. 2 I GG: Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Gleichheit der Freiheit der Menschen setzt diskriminierender Freiheitsausübung Grenzen.

1. Gleichbehandlung als Versprechen 1.2. Die Wurzeln des Antidiskriminierungsrechts 4 Diskriminierungsverbote des GG Art. 3 III GG: Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse oder politische Anschauung, Behinderung Unmittelbare Geltung nur im Verhältnis zwischen Staat und Bürger_in EU-Recht als Motor des Antidiskriminierungsrechts Geschlecht: Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit Rasse und ethnischer Herkunft: Antirassismusrichtlinie Religion und Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Ausrichtung, Alter: Rahmenrichtlinie

1. Gleichbehandlung als Versprechen 1.3. Allgemeines und spezielles Antidiskriminierungsrecht Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Merkmale: Rasse /ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, Behinderung, sexuelle Identität, Alter Schutz der Beschäftigten Schutz im Zivilrechtsverkehr Spezielles Gleichbehandlungsrecht Frauengleichstellungsgesetze Behindertengleichstellungsgesetze SGB IX, TSG, LPartG, PartIntG etc. 5

2. Realität der Diskriminierung 2.1. Wie kann man Diskriminierungen messen? 6 Methodische Herausforderungen Sozio-ökonomische Statistiken als Indizien Messung von Diskriminierungen? Subjektive Wahrnehmung (als Realität) weder notwendige noch hinreichende Bedingung für das Vorliegen einer Diskriminierung. Unterschiedliche Erhebungsmethoden Befragung von Betroffenen Interviews mit Expert_innen Auswertung von Gerichtsurteilen Experimente: Testingverfahren

2. Realität der Diskriminierung 2.2. Subjektivität und Selektivität S E L E K T I V S U B J E K T I V

2. Realität der Diskriminierung 2.3. Gerichtsstatistik als repräsentative Auswahl? 100% 8 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Befragung Gerichtsurteile Sexuelle Orientierung Behinderung Rasse /ethnische Herkunft Religion/Weltansc hauung Geschlecht Alter

2. Realität der Diskriminierung 2.4. Mobilisierung von Recht Merkmalspezifische Hürden und Barrieren? Die Inanspruchnahme von Recht ist abhängig von Grad der Informiertheit Häufigkeit der normrelevanten Situation Grad der normativen Abweichung Vorteilen / Nachteilen der Inanspruchnahme 9

2. Realität der Diskriminierung 2.5. Diskriminierungserfahrung in Lebensbereichen (in %) Wohnungsmarkt Internet / Medien Bildung Gesundheit / Pflege Ämter / Behörden Privater Bereich Geschäfte / Dienstleistungen 18,6 22,1 23,7 26,4 27,8 28,7 32,8 10 Öffentlichkeit / Freizeit Arbeit 40,7 48,9 0 10 20 30 40 50 60

3. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit 3.1. AGG: Das individuell - reaktive Modell Diskriminierung Person X wird von Person Y diskriminiert. Inanspruchnahme des AGG durch Diskriminierte Person X macht Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung geltend. Sanktionierung Person Y wird antragsgemäß verurteilt. Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierungen Person Y diskriminiert in Zukunft nicht mehr.

3. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit 3.2. AGG: Die Realität Diskriminierung Bemerkt X, dass sie diskriminiert worden ist? Inanspruchnahme des AGG durch Diskriminierte Weiß X, dass und wie sie sich gegen Diskriminierung wehren kann, und ist sie dazu bereit? Sanktionierung Kann X die Diskriminierung beweisen? Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierungen Wird Y sein Verhalten in Zukunft verändern?

3. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit 3.3. Reformbedarf: proaktiv + kollektiv Diskriminierung Verlängerung der Fristen + Schutz vor Maßregelung Diversity Mainstreaming: Folgenabschätzung + Kompetenz Vergabe öffentlicher Aufträge Rechtsschutz durch Verbände + Verbandsklagerecht Wirksame, verhältnismäßige + abschreckende Sanktionen Gewährung staatlicher Leistungen Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierungen

3. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit 3.4. Über das AGG hinaus: Schutzlücken schließen

3. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit 3.5. Über das AGG hinaus: In den Ländern durch Landes-Antidiskriminierungsgesetze Einfachgesetzlicher Schutz Diskriminierung durch den Staat wegen des sozialen Status institutioneller und struktureller Diskriminierungen durch unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen Landes-Antidiskriminierungsstellen speziell an Schulen und in der Polizei 15

4. Alte und neue Widerstände 4.1 Aus der Ausschussberatung im Bundestag 2005 16 erhöhte Bürokratiekosten verhinderten [ ] im Wohnungsbau private Investitionen verleiteten zum Führen von unnötigen Rechtsstreitigkeiten schädlich auf den Arbeitsmarkt auswirken schränke die grundgesetzlich garantierte Vertragsfreiheit in eklatanter Weise ein In Deutschland werde der Schutz vor Diskriminierung bereits durch eine Vielzahl einzelgesetzlicher Vorschriften gewährleistet. [...] könnten tatsächliche Diskriminierungen nicht verhindert werden, die in diesem Land nur vereinzelt vorlägen.

4. Alte und neue Widerstände 4.2 Aus dem Grundsatzprogramm der AfD 2016 17 gegen die vom Gender-Mainstreaming propagierte Stigmatisierung traditioneller Geschlechterrollen [Der] Ideologie des Multikulturalismus [...] gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen. Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Unsere Kinder dürfen in der Schule nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit werden. Die Forderung, behinderten Kindern Teilhabe am Bildungssystem zu garantieren, ist bereits umfassend und erfolgreich erfüllt. und die Beendigung der Diskriminierung von älteren Arbeitnehmern und von Alleinerziehenden.

Zusammenfassung Auch 10 Jahre nach Inkrafttreten des AGG sind Diskriminierungen eine soziale Realität. Das Regelungsmodell des AGG muss nachjustiert werden, um horizontal einen effektiven Rechtsschutz vor Diskriminierung zu gewährleisten. Ziel eines wirksamen Antidiskriminierungsrechts muss über die Verhinderung und Beseitigung von Diskriminierung hinaus auch die Förderung einer Kultur der Wertschätzung von Vielfalt sein. 18

19 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!