PROPÄDEUTISCHE ÜBUNGEN ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I WINTERSEMESTER 2014/15 JURISTISCHE FAKULTÄT LEHRSTUHL FÜR BÜRGERLICHES RECHT, INTERNATIONALES PRIVATRECHT UND RECHTSVERGLEICHUNG PROF. DR. STEPHAN LORENZ HINWEISE ZUR KLAUSUR- UND ARBEITSTECHNIK A. Umgang mit dem Sachverhalt: I. Der Sachverhalt ist abschließend. Alle wesentlichen Gesichtspunkte zur Lösung des Falles stehen im Sachverhalt. II. Keine Sachverhaltsquetsche Der Sachverhalt steht immer fest. Etwaige Lücken im Sachverhalt dürfen nur durch allgemein bekannte Tatsachen oder durch gesunden Menschenverstand geschlossen werden. III. Im Sachverhalt steht die Lösung Alles was im Sachverhalt steht, ist i.d.r. auch wichtig. Viele Hinweise zum Schwerpunkt der Klausur ergeben sich direkt aus dem Sachverhalt. In der Regel werden alle Sachverhaltsangaben zur Lösung des Falles benötigt. Am Ende der Lösung sollten Sie alle Sachverhaltsangaben für Ihre Subsumtionen verwendet haben. Auch die Argumente zur Lösung von Streitständen sind meist im Sachverhalt oft getarnt als Meinungen der Beteiligten zu finden. IV. Wenn doch etwas übrig bleibt? Falls Sie zu dem Schluss kommen sollten, einzelne Informationen oder gar viele Informationen des Sachverhaltes für Ihre Lösung nicht zu benötigen, so sollten Sie Ihre entwickelte Lösung noch einmal überprüfen. 1 1 Bei einem sehr bunten / märchenhaften Sachverhalt trifft diese Aussage ggf. nicht zu. VERONIKA EICHHORN
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) WINTERSEMESTER 2014/15 SEITE 2 VON 5 B. Empfehlung für einzelne Arbeitsschritte: I. Fallfrage Lesen Sie zuerst die Fallfrage bzw. den Bearbeitervermerk. II. Erfassung des Sachverhalts Erfassen Sie den Sachverhalt; ggf. graphische Darstellung - beteiligte Personen und ihre Beziehungen, in denen sie zueinander stehen - relevante Daten - Zeitstrahl III. Brain Storming Sammlung erster Gedanken zur Lösung; ggf. parallel Schritt 2; Intuitive Erwägungen schon beim Lesen des Sachverhalts notieren. IV. Konkretisierung der Fallfrage Wer will was von wem? bei Ansprüchen: beteiligte Personen in Zweipersonenverhältnissen gegenüberstellen; (ggf. auch Drei-Personen-Verhältnisse) V. Zurück zum Sachverhalt Lesen Sie den Sachverhalt erneut, um sicher zu gehen, dass Sie alles erfasst und ihn verinnerlicht haben. VI. Gesetzesarbeit Die konkrete Arbeit mit dem Gesetz sollte erst an dieser Stelle erfolgen! Dann muss sie aber erfolgen!! Aufsuchung der entscheidungserheblichen Rechtsvorschriften: Wer will was von wem woraus? Für das Auffinden der einschlägigen Normen ( woraus ) suchen Sie nach denjenigen Normen, welche die gewünschte Rechtsfolge beinhalten. VII. Anwendung Lösungsskizze Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften auf den Sachverhalt und Feststellung der Rechtsfolgen ( Zuordnung der Einzelprobleme aus dem Brainstorming; Anfertigen einer Lösungsskizze) VIII. Anwendung Ausformulierung Ausformulierung der Falllösung im Langtext (Gutachtenstil!)
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) WINTERSEMESTER 2014/15 SEITE 3 VON 5 C. Der Gutachtenstil 2 Der Gutachtenstil folgt einem Drei-Schritt 3 : I. Obersatz II. Untersatz / Subsumtion III. Schlusssatz / Konklusion: Antwort auf den Obersatz I. Obersatz Bei der Sachverhaltsarbeit haben Sie bereits unter Schritt B/III herausgearbeitet, wer was von wem will. In Schritt B/VI haben Sie dann bereits die entscheidungserheblichen Rechtsvorschriften zusammen getragen. Die Leitfrage Wer will was von wem woraus? wird nun streng am Gesetzeswortlaut orientiert und ggf. unter Zuhilfenahme weiterer Rechtsnormen in einen Obersatz umformuliert. Ein Obersatz sieht allgemein gehalten so aus: Die Rechtsfolge tritt ein, wenn die im Tatbestand beschriebenen Voraussetzungen vorliegen. anders formuliert: Der Anspruchsteller ( wer ) könnte gegen den Anspruchsgegner ( wem ) einen Anspruch auf das Anspruchsziel ( was ) aus der Anspruchsgrundlage ( woraus ) haben. Beispiel 4 : A könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Wirtschaftswoche aus Kaufvertrag gem. 433 Abs. 1 S. 1 BGB haben. oder: A könnte gegen B einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Wirtschaftswoche haben. Ein solcher kann sich aus Kaufvertrag gem. 433 Abs. 1 S. 1 BGB ergeben. 2 Zur Einübung der Technik des Dreischrittes kann eine strikte Schematisierung helfen. Diese Übungsmethode mit Anwendungsbeispielen ist in Roland Schimmel, Juristische Klausuren und Hausarbeiten richtig formulieren, 10. Aufl. 2012, S. 14 27, nachzulesen. 3 Die Anzahl der einzelnen Schritte wird uneinheitlich beantwortet. Dies ist jedoch in der Sache unerheblich. 4 Siehe Fall 1.
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) WINTERSEMESTER 2014/15 SEITE 4 VON 5 II. Untersatz / Subsumtion 1. 2. Begriff Die Subsumtion in ihrer engen Bedeutung bezeichnet den Vorgang, bei dem ein Begriff im Wege der Definition oder Auslegung einem Oberbegriff zugeordnet wird. Subsumtion in ihrer weiten Bedeutung ist die Unterordnung eines bestimmten Sachverhaltes unter die Voraussetzungen einer Rechtsnorm. Anwendung Folglich ist zunächst zu klären, von welchen Voraussetzungen, die Verwirklichung der Rechtsnorm abhängt. Die Voraussetzungen werden Tatbestandsmerkmale der Rechtsnorm genannt. 5 Dann ist zu prüfen, ob die soeben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Oft wird es erforderlich sein, innerhalb des Untersatzes den Dreischritt aus Obersatz Untersatz Schlusssatz für einzelne oder mehrere Merkmale des Tatbestands noch einmal oder mehrmals durchzuführen. Beispiel 6 : Voraussetzung hierfür ist, dass zwischen A und B ein wirksamer Kaufvertrag gem. 433 BGB über eine Wirtschaftswoche besteht. Ein Kaufvertrag kommt durch eine Einigung zustande, die hier in Form zweier auf Abschluss eines Kaufvertrages gerichteter, übereinstimmender und gültiger Willenserklärungen vorliegen könnte, nämlich in Form eines Angebots und einer Annahme (vgl. 145, 147 BGB). ( ) Sollte eine Voraussetzung nicht ohne weiteres als erfüllt/nicht erfüllt anzusehen sein oder handelt es sich um ein normatives Tatbestandsmerkmal, so ist dieses zu definieren und anschließend zu prüfen, ob der Sachverhalt die definierten Voraussetzungen erfüllt. normative Tatbestandsmerkmale sind wertungsausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmale, die nur aufgrund einer rechtlichen Bewertung der wahrgenommenen Tatsache oder Umstände als vorhanden festgestellt werden können. 5 Diese Darstellung ist vereinfacht. Manche Tatbestandsmerkmale ergeben sich erst aus dem Zusammenhang mit anderen Normen (Hilfsnormen); darüber hinaus existieren auch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale. 6 Siehe Fall 1.
AG ZUM GRUNDKURS ZIVILRECHT I (PROF. DR. STEPHAN LORENZ) WINTERSEMESTER 2014/15 SEITE 5 VON 5 III. Schlusssatz / Konklusion: Antwort auf den Obersatz Im Schlusssatz wird das Ergebnis der vorgenommenen Subsumtion festgestellt, mithin, dass die ein einer Norm angeordnete Rechtsfolge auch für den vorliegenden Sachverhalt zutrifft, oder gerade nicht. Die Konklusion muss stets die Antwort auf den aufgeworfenen Obersatz enthalten, nicht mehr und nicht weniger und ist daher im Indikativ zu fassen. Jeder aufgeworfene Obersatz muss durch eine Schlussfolgerung beantwortet werden. Beispiel 7 : A und B haben daher einen Kaufvertrag über eine Wirtschaftswoche zum Preis von 5, geschlossen. ( ) Folglich ist ein wirksamer Kaufvertrag zwischen A und B über die Wirtschaftswoche zum Preis von 5, zustande gekommen. Der Anspruch auf Übergabe und Übereignung der Wirtschaftswoche ist entstanden. ( ) Der Anspruch der A gegen B auf Übergabe und Übereignung der Wirtschaftswoche ist damit erloschen. ( ) A hat keinen Anspruch mehr gegen V aus Kaufvertrag auf Übergabe und Übereignung des Buches. Weiterführende Links Lorenz, Stephan Wie schreibe ich eine Klausur? Wie lerne ich? Vortrag vom 28.11.2012, als Podcats abrufbar auf www.stephan-lorenz.de oder direkt über itunesu Weiterführende Literatur: Bergmans, Bernhard Fleck, Wolfang / Arnold, Stefan Lern- und Arbeitstechniken für das Jurastudium, 2013, 11 Die Klausur im Zivilrecht Struktur, Taktik, Darstellung und Stil, JuS 2009, 881 886 Fritzsche, Jörg Fälle zum BGB Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2014, Teil 1 Schimmel, Roland Juristische Klausuren und Hausarbeiten richtig formulieren, 10. Aufl. 2012, Teile 1 3 7 Siehe Fall 1.