7 Der Gaußsche Integralsatz Im Folgenden sei eine k-dimensionale Untermannigfaltigkeit des R n und a. 7.1 Tangentialvektoren. Ein Vektor v R n heißt Tangentialvektor an in a, falls es eine stetig differenzierbare Kurve γ : ] ε,ε[ gibt (ε > 0 geeignet) mit der Eigenschaft, dass γ(0) = a und γ (0) = v. Die Gesamtheit aller Tangentialvektoren in a wird als der Tangentialraum in a bezeichnet. Wir schreiben T a. 7.2 Satz. (a) T a ist k-dimensionaler Unterraum des R n. (b) Ist ϕ : T V (T offen in R k ) eine lokale Karte in einer Umgebung von a, und ist t T mit ϕ(t) = a, so bilden die Vektoren (c) (t),..., (t) t 1 t n eine Basis von T a. Ist U eine offene Umgebung von a in R n und sind f 1,...,f n k : R stetig differenzierbare Funktionen mit ( ) fi (a) U = {x U : f 1 (x) =... = f n k (x) = 0} und rang = n k, x j so gilt T a = {v R n : v gradf j (a),j = 1,...,n k}. i=1,...,n k;j=1,...,n Beweis. Es sei T 1 der Vektorraum aus (b) und T 2 der aus (c). Wir zeigen, dass T 1 T a T 2. Wegen dimt 1 = dimt 2 = k folgt dann Gleichheit. T 1 T a : Es sei v = λ 1 t 1 (t) +... + λ k t k (t). Definiere γ : ] ε,ε[ durch γ(τ) = ϕ(t 1 + λ 1 τ,...,t k + λ k τ). Dann ist γ(τ) für hinreichend kleine τ, und γ(0) = ϕ(t) = a. Ferner ist γ (0) = ϕ (t)λ = v. T a T 2 : Nun sei v T a und γ : ] ε,ε[ stetig differenzierbar mit γ(0) = a und γ (0) = v. Da γ in verläuft, gilt f j (γ(τ)) = 0. Differenzieren liefert 0 = gradf j (γ(0))v = gradf j (a),v, somit v T 2. 7.3 Normalenvektoren. Ein Vektor w R n heißt Normalenvektor an in a, falls w T a. us 7.2 sehen wir sofort: Die Normalenvektoren bilden einen (n k)-dimensionalen Unterraum des R n, der mit N a bezeichnet wird und der von den Vektoren aufgespannt wird. gradf 1 (a),...,gradf n k (a) 46
7.4 Definition. Es sei R n kompakt. Wir sagen, habe glatten Rand, falls es zu jedem Randpunkt a von eine offene Umgebung U und eine stetig differenzierbare Funktion ψ : U R mit folgenden Eigenschaften gibt: (i) U = {x U : ψ(x) 0} (ii) grad ψ(x) 0 für alle x U. 7.5 Satz. it den Bezeichnungen von 7.3 ist U = {x U : ψ(x) = 0}. an nennt ψ daher eine randdefinierende Funktion. Insbesondere folgt, dass eine (n 1)-dimensionale Untermannigfaltigkeit des R n ist. Beweis. Ist x U mit ψ(x) < 0, so ist auch ψ(y) < 0 für alle y in einer Umgebung von x. Wegen (i) liegt diese Umgebung in, somit ist x kein Randpunkt. Ist x U mit ψ(x) = 0, und ist v = grad ψ(x) 0, so betrachte τ ψ(t + τv) = ψ(t) + gradψ(a),τv + o( τv ) = 0 + τ v 2 + o( τv ). Diese Funktion wechselt in 0 das Vorzeichen. Damit enthält jede Umgebung von x Punkte y mit ψ(y) > 0; diese liegen nicht in. Daher ist x Randpunkt. 7.6 Satz. Es sei R n ein Kompaktum mit glattem Rand und a. Dann existiert ein eindeutig bestimmter Vektor ν R n mit folgenden Eigenschaften: (i) ν T a (ii) ν = 1. (iii) ε > 0: a + τv / für 0 < τ < ε. an nennt ν = ν(a) den äußeren Normalenvektor an in a. Beweis. Existenz: Ist ψ eine randdefinierende Funktion nahe a, so hat ν(a) = die gewünschten Eigenschaften (vgl. Beweis 7.5). grad ψ(a) grad ψ(a) Eindeutigkeit. Es ist dimn a ( ) = n dim = 1. lso ist v = λgrad ψ(a) für ein λ 0. Wegen (ii) ist λ = ± grad ψ(a) 1. us (iii) folgt, dass λ > 0. 7.7 Folgerung. Die äußeren Normalenvektoren an eine kompakte enge mit glattem Rand bilden ein stetig differenzierbares Vektorfeld ν : R n \ {0}. 7.8 Beispiel. Es sei = {x R n : x r} die Vollkugel vom Radius r. ls randdefinierende Funktion kann man ψ(x) = x 2 r 2 wählen. Hier ist = {x : x = r}; der Normalenvektor an a ist ν(a) = a r. 47
7.9 Gaußscher Integralsatz. R n sei kompakt mit glattem Rand und ν : R n die äußere Normale. Ferner sei U offen und F : U R n ein stetig differenzierbares Vektorfeld. Dann ist divf(x)dx = F(x),ν(x) ds(x). (1) 7.10 Erweiterung. Es sei R n kompakt. an nennt einen Randpunkt a von regulär, wenn es eine Umgebung U von a gibt, so dass U eine glatte n-dimensionale annigfaltigkeit ist. nsonsten heißt a singulär. Der Satz von Gauß gilt auch noch, wenn die enge der singulären Randpunkte den (n 1)-dimensionalen inkowski-inhalt Null hat, die Funktion F auf stetig ist und divf auf dem Inneren von stetig ist. (ohne Beweis) Für den Beweis einige Vorbereitungen: 7.11 Graphdarstellung. Ist kompakt mit glattem Rand und a, so kann nahe a als enge unterhalb des Graphen einer Funktion von n 1 Variablen (obd der ersten n 1) dargestellt werden: Es sei ψ : U R eine randdefinierende Funktion auf einer Umgebung U von a. Dann ist grad ψ(x) 0 auf U. OBd sei xn ψ(x) > 0. Nach dem Satz von der impliziten Funktion finden wir R n 1 offen und I = ],β[ mit I U sowie eine stetig differenzierbare Funktion g : I, so dass für (x,x n ) I gilt: Dann ist ψ(x,x n ) = 0 x n = g(x ). ( I) = {(x,x n ) I : ψ(x,x n ) 0} = {(x,x n ) I : x n g(x )}. it ψ(x) = x n g(x ) haben wir dann eine weitere randdefinierende Funktion. Das zugehörige äußere Normalenfeld ist also ν = grad ψ(x) grad ψ(x) = ( grad g,1). 1 + grad g 2 7.12 Definition. Es sei f : R n C m eine Funktion. Der Träger von f ist die enge suppf = {x : f(x) 0} (bschluss in R n ). 7.13 Lemma. Ist U R n offen und hat die stetig differenzierbare Funktion g kompakten Träger in U, so ist xj g(x)dx = 0, j = 1,...,n. U Beweis. OBd j = n. Wir setzen durch Null fort und fassen g als stetig differenzierbare Funktion auf R n auf. Dann ist xn g(x)dx = xn g(x)dx = xn g(x)dx n dx = 0dx = 0. U R n R n 1 R n 1 48
7.14 Lemma. (Zentraler Spezialfall des Satzes von Gauß) Es sei R n 1 offen, I = ],β[ ein Intervall und g : I stetig differenzierbar. Wir setzen = {(x,x n ) I : x n g(x )} = {(x,x n ) I : x n = g(x )}. Dann gilt für jede stetig differenzierbare Funktion f : I R mit kompaktem Träger in I und alle j = 1,...,n xj f(x)dx = f(t)ν j (t)ds(t), wobei ν j die j-te Komponente des Normalenvektors ν ist. Beweis. Wir unterscheiden zwei Fälle. Fall 1: 1 j n 1. Wir beobachten zunächst, dass nach der Kettenregel g(x ) xj f(x)dx n = Dann folgt: xj f(x)dx Fubini = da nach 7.11 und 6.13 Fall 2: j = n. Hier ist ν n (x) = Somit ist (1) = 7.13 = 0 + g(x ) xj f(x)dx n + f(x,g(x )) xj g(x ). (1) ( ) g(x ) xj f(x)dx n dx xj ( ) g(x ) f(x)dx n f(x)ν j (x)ds(x), dx f(x,g(x )) xj g(x )dx xj g(x ) ν j (x) = und ds(x) = 1 + grad g(x ) 2 dx. 1 + grad g(x ) 2 1 1 + grad g(x ) 2 und, wie bisher, ds(x) = 1 + grad g(x ) 2 dx. xn f(x)dx = f(x,g(x )) f(x,) dx = }{{} =0 f(x)ν n (x)ds(x). 7.15 C -Zerlegung der Eins. Es sei K kompakt und {U j : j = 1,...,N} eine Überdeckung durch offene engen. Wir setzen U ε j = {x U j : dist(x, U j ) > ε}. Da {U ε j : j = 1,...,N;ε > 0} ebenfalls eine offene Überdeckung von K ist, und da Uε j Uδ j für ε > δ, finden wir ein ε > 0 mit der Eigenschaft, dass K N j=1 Uε j. Indem wir die eine zu {Uj ε } gehörige grobe Zerlegung der Eins nach 6.6 mit einer geeigneten glatten Funktion falten (Übung), erhalten wir eine der Überdeckung {U j } untergeordnete Zerlegung der Eins. Unter Kartenwechseln bleiben diese glatten Funktionen -mal differenzierbar. 49
Beweis des Satzes von Gauß. Wir überdecken mit endlich vielen offenen engen U j so, dass entweder (i) U j \ (U j schneidet den Rand nicht) oder (ii) nach evtl. Umnummerierung der Koordinaten ist U j = I mit offen in R n 1 und I = ],β[ und U j = {(x,x n ) I : x n g(x ).} it Hilfe einer untergeordneten Zerlegung der Eins können wir annehmen, dass F seinen Träger in einer dieser engen hat. Im Fall (i) gilt (1), weil nach Lemma 7.13 die linke Seite Null ist und die rechte ohnehin Null ist (F = 0 auf ). Im Fall (ii) folgt die ussage durch Summation über j = 1,...,n aus Lemma 7.14. 7.16 Beispiel. Wir betrachten auf R n das Vektorfeld F(x) = x mit div F(x) = n j=1 1 = n für alle x. Für jede kompakte enge mit glattem Rand ist dann nach Gauß vol = 1 div F(x)dx = 1 x, ν ds(x). n n 7.17 Greensche Formel in der Ebene. Es sei ϕ : [a,b] R 2 eine stetig differenzierbare, überschneidungsfreie geschlossene Kurve, die den Rand der kompakten enge G R 2 im positiven Sinn durchläuft, d.h. es sei G = ϕ([a,b]), ϕ (t) 0 für alle t und für x = ϕ(t) sei die äußere Normale ν(x) = (ϕ 2 (t), ϕ 1 (t)) ϕ. (t) Das Oberflächenmaß auf ϕ ist ds(t) = ϕ (t) dt. lso folgt nach 7.16 vol G = 1 2 G x,ν ds(x) = 1 2 b a ϕ 1 (t)ϕ 2(t) ϕ 2 (t)ϕ 1(t)dt. Dies ist aber gerade ein Kurvenintegral. it der üblichen Schreibweise (x, y) für die Variablen in R 2 und für Kurvenintegrale ( γ f,dx = b a f j(γ(t))γ j (t)dt) erhalten wir also vol G = 1 xdy y dx. 2 Bemerkung. Es langt hier, dass ϕ stückweise stetig differenzierbar ist. ϕ 50