Erfahrungen mit wissenschaftlichen Leitlinien aus Sicht der DGP

Ähnliche Dokumente
Von Light -Linie zur Leitlinie. Leitlinien in der Physiotherapie

Evidence-based Medicine. Praxis Hospitationsprogramm Allgemeinmedizin (HeiPrax A)

Ist Evidenced-based Medicine in der Dialyseshuntchirurgie überhaupt realisierbar?

Information in der Medizin Expertenmeinung bis Leitlinie. Sylvia Stracke Leiterin des Bereichs Nephrologie + Rheumatologie

3. DGP- Hochschultag Innovationspotential der Pflege Voraussetzungen, Konzepte, Erfahrungen, Ergebnisse

Von der Leitlinie zum Behandlungspfad

I. EG-Richtlinie 89/391

Gute Gesundheitsinformationen zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Dr. rer. medic. Klaus Koch Ressort Gesundheitsinformation

Carotis. was bleibt nach der S3 - Leitlinie für den Stent?

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) Präsident Prof. Dr. Albrecht Encke

Leitlinienentwicklung und Evidenzgenerierung

Empfehlungsgrad und Nachweisstärke der Effektivität einer Leitlinie * Empfehlungsgrad ** Evidenzgrad

Erfahrungen mit wissenschaftlichen. Leitlinien aus Sicht der. Bundesanstalt für Arbeitsschutz. und Arbeitsmedizin

Wie schreibe ich eine Richtlinie?

Qualität ethischer Leitlinien

Statut. des Lungenzentrums. des UNIVERSITÄTSKLINIKUMS ULM

Demographie unserer Gesellschaft

S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer Krebserkrankung

Zubereitung von Zytostatika «Guidelines - right or wrong?»

LEITLINIEN. Dr. Pamela Kantelhardt. Begleitender Unterricht für Pharmazeuten im Praktikum. 9. September 2016

Die Verbindung von Forschung und klinischer Praxis Leitlinien als Erleichterung eines Evidenz-basierten (Be-)Handelns in der Physiotherapie

Evidenzbasierte Dekubitusprophylaxe 2016

Kongress der European Respiratory Society 2012: Neues Positionspapier zum Paradigmen wechsel in de. in der COPD-Therapie

Leitlinien und Begutachtung aus Sicht der Wissenschaft sieben Thesen

Evidence-based Nursing

Regulierung von Interessenkonflikten bei der AWMF

Nutzenbewertung von Arzneimitteln im Rahmen des Programms für Nationale Versorgungs-Leitlinien

Die Realisierung von Evidenz-basierter Medizin im deutschen Gesundheitssystem

Einführung in die evidenz-basierte Logopädie/Sprachtherapie

Kritische Bewertung der Evidenz von ernährungsmedizinischen Metaanalysen am Beispiel der perioperativen Immunonutrition.

Aktueller Stand der Entwicklung einer S3-Leitlinie mit dem Arbeitstitel

Michael Pfeifer Regensburg/ Donaustauf. Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin

Leitlinien. Anna Skibniewski Angelika Untiedt Jonathan Vaassen Cathrin Vietmeier Frauke Weber

Die Nationalen Expertenstandards Von der Idee bis zur Einführung. Ute Braun. Fachtagung Gliederung

Lungenfunktion/Spirometrie in der Praxis - Durchführung und Interpretation

Gemeinsam klug entscheiden in der Ernährungsmedizin. Leitlinie DAG. DGEM Fortbildung, Machern Prof. Dr. med. J. G.

Delegiertenkonferenz der AWMF Leitlinienkommission und AWMF-IMWi

Strategien erfolgreicher Prävention. J. Wolstein, Bamberg

Qualität kostet Geld: Über die Machbarkeit der Erstellung von infektiologischen Leitlinien bei ungenügenden finanziellen Ressourcen

Die neue S3-Leitlinie Invasive Beatmung und Einsatz extrakorporaler Verfahren bei akuter respiratorischer Insuffizienz

Die Leitlinie zielt auf die Verbesserung der medikamentösen Therapie durch den Rheumatologen.

COPD - Outcome IPS Symposium St. Gallen, 12. Januar 2016

Evidenzbasierte Medizin und Zweitmeinungsverfahren. Ingrid Mühlhauser Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Gute Praxis Gesundheitsinformation

Tagung der Sektion nächtliche Atmungs- und Kreislaufregulationsstörungen* (SNAK)

Leitlinien und die Initiative Gemeinsam klug entscheiden. Grundlagen für ein Qualitätsmanagement mit Augenmaß

Medizinische Leitlinien: Analyse und Forderungen von

Sackett DL et al. 2000

Statut. des Lungenzentrums. des UNIVERSITÄTSKLINIKUMS ULM

Kombination von Heparinen und Thromboseprophylaxestrümpfen auf den Prüfstand

Zielsetzung des Projektes

21. Jahrestagung der PEG Bonn AWMF Weiterentwicklung der Leitlinien in Deutschland

Warum ist der informierte Patient (in D) eine Chimäre geblieben? Dr. phil Anke Steckelberg

Prof. Dr. phil. Anke Steckelberg

Parkinson kommt selten allein

Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik WIE ENTSTEHT WISSEN? EVIDENZBASIERTE MEDIZIN

EbM in den Medien. Klaus Koch Klaus Koch Freier Journalist

Leitlinien / Leitfäden und Klinische Behandlungspfade

Wachstumsfaktoren bei hämatologischen Ek Erkrankungenk Relevanz aktueller Leitlinien

Leitlinien in der Rehabilitation Chancen und Risiken. Franz Petermann Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation Universität Bremen

Patientensicherheit in der Psychiatrie: Die Position der DGPPN

17. Münchner Intensivpflegetag 22. März 2013 Bernhard Müller

Ärztetage velden. HERZ & Gender Medizin M. Hochleitner

Grundzüge der Literaturbewertung

Die neuen Reanimations-Leitlinien Dr. med. S. Wiese

Klinische Forschung. Klinische Forschung. Effectiveness Gap. Versorgungsforschung und evidenzbasierte Medizin. Conclusion

S3-Leitlinie Bipolare Störungen Recovery-orientierte Behandlung

Diagnostik und Therapie der obstruktiven Ventilationsstörung beim alten Menschen

Oskar und Helene-Medizinpreis am 6. Oktober 2010 in Berlin erstmalig verliehen

Internationale Harmonisierung der Methodik: GRADE als Chance

TDM= therapeutisches Drug Monitoring

Normative Evidenz. Ein Problemaufriss. Prof. Dr. Dr. Daniel Strech. EBM-Kongress 2009, Berlin

Training können den Behandlungserfolg steigern

Evidence-based nursing (EBN)

PROGRAMM. Innere Medizin

Wolfgang Kröll. Klinische Abteilung für Allgemeine Anästhesiologie, Notfall und Intensivmedizin

Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e.v. Grundlagen und Verfahren der Qualitätssicherung in der Krebsregistrierung Hagen Barlag ADT

Evidenzbasierte Physiotherapie aktueller Stand und Perspektiven

PD Dr. med. Nicole Skoetz. Ist GRADE die Lösung?

Patient im Mittelpunkt: G-I-N Public und Evidenz zu Patientenzentrierten Interventionen Corinna Schaefer

Pneumologie Update 2018

Leitlinien als Basis für die individuelle Therapiestrategie

Die neue S2k-Leitlinie

Quarzstaublungenerkrankung (Silikose), Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101

Gesundheitsspezifische Informationen im Netz Die Perspektive(n) des IQWiG. Klaus Koch

Neue AWMF-Leitlinie Diabetes und Parodontitis

Leitlinien der Stand der Dinge?

Kriterien für die Anerkennung von Weiterbildungszeiten an einer zugelassenen Weiterbildungsstätte (WBS)

Interessenkonflikte bei Leitlinien:

Das Leid mit den Leitlinien: Leitlinien und deren Stellenwert in der Behandlung chronisch Schmerzkranker

Diagnostik und Versorgung von Patienten im Rahmen der pädiatrischen Kardiologie Anlage 3, Nr. 8

Diagnose und Management der Influenza.

Evidenz der koronaren Revaskularisation

Für Grundversorger, Pneumologen und medizinisches Fachpersonal

Evidenz in der Präventionsmedizin

S2k Leitlinie Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der chronischen respiratorischen Insuffizienz Revision 2017

Transkript:

Erfahrungen mit wissenschaftlichen Leitlinien aus Sicht der DGP LL Workshop, DGAUM, 19.6.09, Rostock Helmut Teschler Ruhrlandklinik Abt. Pneumologie Universitätsklinikum Essen

Medizinische Leitlinien (LL) Definition: Systematisch entwickelte Hilfen zur Entscheidungsfindung über die angemessene ärztliche Vorgehensweise bei speziellen gesundheitlichen Problemen d.h. LL sind Orientierungshilfe im Sinne von Handlungs- und Entscheidungsoptionen, von der in begründeten Fällen abgewichen werden kann oder sogar muss!

Handlungs- und Entscheidungshilfen der DGP

DGP in der AWMF: Medizinische Leitlinien Die DGP ist als wissenschaftliche Gesellschaft Mitglied der AWMF Aufgabe der AWMF ist es laut Sachverständigenrat (1995), die Entwicklung von Richtlinien, Leitlinien und Empfehlungen durch Fachgesellschaften voranzutreiben und zu koordinieren Die Fachgesellschaften (u. a. DGP) in der AWMF haben diese Aufgabe angenommen und begonnen, Leitlinien zu entwickeln Die Entwicklung der Leitlinien erfolgt (meist) aus Eigenmitteln der Fachgesellschaften

Leitlinien der DGP nach AWMF-Standard Ihr Hauptzweck für die DGP ist die Darstellung des fachlichen Entwicklungsstandes unserer Profession (State of the art). Sie geben den Mitgliedern der DGP und den mit pneumologischen Fragestellungen befassten Nicht- Pneumologen ) Orientierung im Sinne von Entscheidungsund Handlungsoptionen. Die Umsetzung liegt bei der fallspezifischen Betrachtung im Ermessensspielraum des Arztes Im Einzelfall (insbesondere bei Fragen zur Therapie) sind die Präferenzen der Patienten in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Leitlinien der DGP mit AWMF Standard LL der DGP mit Bezug zur Arbeitsmedizin Stand 10/2009

Medizinische Leitlinien als Handlungsempfehlungen in der DGP Priorisierung welche LL erstellen systematisch entwickelt welche Klassifikationssystem wissenschaftlich begründet welches Niveau Praxis-orientiert. welche Zielgruppe

Projektplan für eine LL der DGP gemäß AWMF Relevanz für die Pneumologie? geplantes LL-Niveau? Finanzierung möglich? Langfristige Kosten? Eigene Experten in den Sektionen? Kooperation mit welchen Fachgesellschaften? Anteilige Kostenübernahme? Oberstes Prinzip Unabhängigkeit?! Spektrum der Empfehlungen von der Prävention über die Diagnostik und Therapie bis hin zur Bemessung des Körperschadens Aktualisierungsintervall?

Von der DGP bei der AWMF angemeldete Leitlinien in Planung und Entwicklung Leitlinie Anmeldung Fertigstellung Niveau Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit akutem und chronischem Husten (Update) 2008 2009 S3 Bronchialkarzinom 2005 2009 S3 Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der 2006 2010 S2k chronischen respiratorischen Insuffizienz Asbest-bedingte Erkrankungen 2009 Ende 2010 S2k Malignes Mesotheliom 2009 Ende 2010 S3

Evidence Based Medicine (EBM) British Medical Journal 2007 Gordon Guyatt Development of EBM one of the 15 greatest medical breakthroughs of the last 166 years In the running with other medical milestones such as the development of anesthesia antibiotics the Pill vaccines and the risks associated with smoking.

Was bedeutet Evidenz im Englischen = Beweis im Deutschen = Offensichtlichkeit

Medizinische Leitlinien als Handlungsempfehlungen in der DGP Priorisierung welche LL erstellen systematisch entwickelt welche Klassifikationssystem wissenschaftlich begründet welches Niveau Praxis-orientiert. welche Zielgruppe

Entwicklungsstufen von LL nach AWMF S1 (niedrigste Qualitätsstufe ): von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet Kosten? S2 (mittlere Qualitätsstufe): eine formale Konsensfindung und/oder eine formale Evidenz - Recherche hat stattgefunden?? S3 (höchste Qualitätsstufe ): Leitlinie mit zusätzlichen/allen Elementen einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und Outcome - Analyse, Bewertung der klinischen Relevanz wissenschaftlicher Studien)???

Projektplan für eine LL der DGP gemäß AWMF Relevanz für die Pneumologie? geplantes LL-Niveau? Finanzierung möglich? Langfristige Kosten? Eigene Experten in den Sektionen? Kooperation mit welchen Fachgesellschaften? Anteilige Kostenübernahme? Oberstes Prinzip Unabhängigkeit?! Spektrum der Empfehlungen von der Prävention über die Diagnostik und Therapie bis hin zur Bemessung des Körperschadens Aktualisierungsintervall? Kumulative Kosten?

Von der DGP bei der AWMF angemeldete Leitlinien in Planung und Entwicklung Leitlinie Anmeldung Fertigstellung Niveau Diagnostik und Therapie von erwachsenen Patienten mit akutem und chronischem Husten (Update) 2008 2009 S3 Bronchialkarzinom 2005 2009 S3 Nichtinvasive und invasive Beatmung als Therapie der 2006 2010 S2k chronischen respiratorischen Insuffizienz Asbest-bedingte Erkrankungen 2009 Ende 2010 S2k Malignes Mesotheliom 2009 Ende 2010 S3

Medizinische Leitlinien als Handlungsempfehlungen in der DGP Priorisierung welche LL erstellen systematisch entwickelt welche Klassifikationssystem wissenschaftlich begründet welches Niveau Praxis-orientiert. - Prävention - Diagnostik - Therapie - Körperschaden

BK Nr. 4101: Quarzstaublungenerkrankung: Expertise der DGP Diagnosesicherung Funktionseinschränkung Körperschaden

Welche klinische Einteilung? COPD GOLD Stages vs. Clin. Judgement 100 90 not classified 0 80 FEV1/FVC (%) 70 60 50 40 30 20 IV III II I n=1000 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 110 120 130 140 Köhler D et al. Thorax 2003 FEV1 (%-predicted)

Welche Referenzwerte? The Lower Limit of Normal versus the Fixed FEV 1 /FVC FEV 1 /FVC (%) 74 Potentially underdiagnosed 72 70 68 66 64 62 60 58 Lower limit of normal Potentially overdiagnosed 30 40 50 60 70 80 90 Mannino et al, Thorax 2007; 62: 237-241 Age (years)

BK Nr. 4101: Quarzstaublungenerkrankung: Expertise der DGP: Bemessung des Körperschadens! Diagnosesicherung Funktionseinschränkung Körperschaden Schweregrad: Lunge Herz Kreislauf etc. DGP lediglich Berater im Konsensprozess für die MdE-Bemessung

Eminenz vs. Evidenz Limitationen: Am Anfang stehen Annahmen Medizin ist keine exakte Wissenschaft Eminenz Medizin bedeutet Extrapolation RCT in der Arbeitsmedizin kaum verfügbar / unethisch Meta-Analysen nicht vorhanden Komorbiditäten häufig kardial vs. pulmonal vs. Systemisch, etc. Der Faktor Mensch Evidenz Rauchen, Medikamente, etc. Der Faktor Umwelt Rasse, Kultur, Lebensraum, etc.

Erfahrungen der DGP zu Evidenz - und konsensbasierten Leitlinien: Erstellung von LL medizinisch sinnvoll Von Sachverständigenrat und Politik eingefordert LL ermöglicht definiertes, transparent gemachtes Vorgehen Erstellung durch multidisziplinäre Expertengruppen als Garant für mehr Objektivität und Unabhängigkeit (Glaubwürdigkeit?) Multidisziplinärer Konsens zu Vorgehensweisen in der Medizin unter Berücksichtigung der besten verfügbaren Evidenz als Chance für alle Beteiligten Formulierung von Forschungsbedarf als klare Chance für die systematische Weiterentwicklung unseres fachspezifischen Wissens

Erfahrungen mit wissenschaftlichen Leitlinien aus Sicht der DGP LL Workshop, DGAUM, 19.6.09, Rostock Helmut Teschler Ruhrlandklinik Abt. Pneumologie Universitätsklinikum Essen