Numerische Integration

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Transkript:

A1 Numerische Integration Einführendes Beispiel In einem Raum mit der Umgebungstemperatur T u = 21.7 C befindet sich eine Tasse heissen Kaffees mit der anfänglichen Temperatur T 0 80 C. Wie kühlt sich der Kaffee mit der Zeit ab? Die Temperatur T des Kaffees ist eine Funktion der Zeit, wir schreiben dies in der Form T = T ( t). Das Funktionsgesetz kennen wir vorläufig noch nicht. Die folgenden Daten wurden experimentell gewonnen: t in s 0 60 120 180 240 300 360 420 480 540 600 T in C 79.7 70.4 63.1 57.2 52.2 48.1 44.4 41.1 38.5 36.1 34.0 Das Experiment zeigt, dass die Änderungsrate der Temperatur mit zunehmender Abkühlung des Kaffees immer kleiner wird. Bereits Isaac Newton stellte auf Grund von Messungen und von physikalischen Überlegungen fest, dass die (momentane) Änderungsrate der Temperatur proportional zur Temperaturdifferenz T ( t) T u ist (Newton s Abkühlungsgesetz). Daraus ergibt sich die folgende Differentialgleichung für die Abkühlung: ( ) = k ( T ( t) T u ) T ' t Die Gleichung ist eine Differentialgleichung. Sie gibt uns einen Zusammenhang zwischen der Funktion und ihrer momentanen Änderungsrate T ', nicht aber die Funktion selbst. Das mathematische Modell für das gestellte Problem der Abkühlung des Kaffees führt uns auf ein sogenanntes Anfangswertproblem. Gegeben ist eine Differentialgleichung und ein Anfangswert, gesucht ist diejenige Funktion, die die Differentialgleichung erfüllt und durch den Anfangswert geht. 1/6

Numerische Lösung der Differentialgleichung Es verlaufe nun ein Abkühlungsvorgang gemäss der Differentialgleichung ( ) = k ( T ( t) T u ) ; T u = 20 C ; k = 0.1min 1 T ' t mit dem Anfangswert T ( 0) = T 0 = 80 C. T u ist die Umgebungstemperatur und k ein Parameter, welcher von Form, Material, Grösse und Inhalt des Gefässes abhängt. Wir stellen die Frage: Wie gross ist die Temperatur nach 6 min, wie gross also T ( 6)? Wir werden die Antwort in der Form einer Folge von immer besseren Näherungen konstruieren. Erste (grobe) Näherung in einem Schritt T '( 0) = 0.1 ( 80 20) C C = 6 min min Δt = 6 min ΔT = T ' Δt = 6 C 6 min = 36 C min T ( 6) = 80 C 36 C = 44 C Zweite Näherung in zwei Schritten Wir verwenden jetzt zwei Zeitschritte der Grösse Δt = 3min. Wir berechnen die Temperatur nach 6 min mit der folgenden Tabelle: Zeit t [min] Temperatur T ( t) Änderungsrate T '( t) [ C/min] Änderung ΔT = T ' Δt 0 80-6 -18 3 62-4.2-12.6 6 49.4 2/6

Der Verlauf der Temperatur in den ersten sechs Minuten wird hier durch eine Funktion beschrieben, die aus zwei Stücken linearer Funktionen besteht, eine sogenannte stückweise lineare Funktion. Dritte Näherung in sechs Schritten Wir verwenden jetzt sechs Zeitschritte der Grösse Δt = 1min und berechnen die Temperatur nach 6 min wieder mit einer Tabelle: Zeit t [min] Temperatur T ( t) Änderungsrate T '( t) [ C/min] Änderung ΔT = T ' Δt 0 80-6 -6 1 74-5.4-5.4 2 68.6-4.86-4.86 3 63.74-4.374-4.374 4 59.366-3.9366-3.9366 5 55.4294-3.54294-3.54294 6 51.88646 Berechne selbst die weiteren Werte der Tabelle. Zur Kontrolle: Die Temperatur nach 6 min sollte 51.88646 C betragen. 3/6

Der Graph besteht nun aus sechs Strecken, es handelt sich um eine stückweise lineare Funktion mit sechs Teilen. Das Grundprinzip der Euler-Methode Kennen wir in einer Zeile der Tabelle die Temperatur T ( t) und die Temperaturänderung ΔT, dann ergibt sich die Temperatur in der nächsten Zeile dadurch, dass wir die Temperaturänderung ΔT zur Temperatur T ( t) addieren. Da von einer Zeile zur nächsten die Zeit um Δt zunimmt, bezeichnen wir die auf T ( t) folgende Temperatur mit T ( t + Δt). Es ist also Für die Temperaturänderung gilt: Also: T ( t + Δt) = T ( t) + ΔT. ΔT = T '( t) Δt T ( t + Δt) = T ( t) + T '( t) Δt Machen Δt immer kleiner, erhöht sich zwar der Rechenaufwand, dafür aber auch die Genauigkeit. Die Berechnung der hier erklärten Methode heisst Euler-Methode. 4/6

T ( 6) nähert sich bei sukzessiver Verkleinerung von Δt immer mehr einem bestimmten Wert. Aus der folgenden Tabelle ist ersichtlich, dass sich immer mehr stellen von T ( 6) stabilisieren, d.h. sie verändern sich bei weiterer Verkleinerung von Δt nicht mehr. Δt Anzahl Schritte T ( 6) 6 1 44 3 2 49.4 1 6 51.886 0.1 60 52.829 0.01 600 52.919 0.001 6 000 52.9277 0.0001 60 000 52.9286 0.00001 600 000 52.9287 Aufgabe 1: Mit TR: Ein heisses Getränk hat die Anfangstemperatur T 0 = 95 C, die Umgebungstemperatur beträgt T u = 20 C. Die anfängliche momentane Änderungsrate der Temperatur beträgt 5 C / min. Wie lange muss man warten, bis sich das Getränk auf 55 C abgekühlt hat? (Euler-Methode verwenden mit Δt = 0.1min und Δt = 0.01min ) Aufgabe 2: Mit und ohne TR Gegeben ist das Anfangswertproblem durch die Differentialgleichung y' ( t) = 0.5 y( t) und den Anfangswert y( 0) = 1.2. Berechne unter Verwendung der Euler-Methode sukzessive bessere Näherungswerte für y( 3). Verwende die folgenden Zeitschritte: Δt = 3; 1; 0.1; 0.01; 0.001. Rechne für Δt = 3 und Δt = 1 ohne Taschenrechner und erstelle eine Tabelle. Aufgabe 3: Ohne TR Gegeben ist das Anfangswertproblem y' ( t) = y( t) ; y( 0) = 1. Verwende den Zeitschritt Δt = 1. Zeige: Es ist y 1 n ( ) = 1+ 1 n n. Aufgabe 4: Stefan-Boltzmann-Gesetz Wenn bei der Abkühlung nicht die Wärmeleitung, sondern die Wärmestrahlung als Ursache berücksichtigt wird, dann ergibt sich eine andere Differentialgleichung, nämlich: ( ) = a T 4 4 ( t) T u T ' t ( ) (Stefan-Boltzmann-Gesetz), wobei hier für die Temperatur die absolute Temperatur eingesetzt werden muss. Berechne mit den Daten von oben (Numerische Lösung der Differentialgleichung) die 5/6

Temperatur nach 6 min. Berechne dabei zuerst die Konstante T '( 0) = 6 C min a so, dass gilt (wie oben). Rechne mit der Euler-Methode und verwende Δt = 0.1. Aufgabe 5: Vergleich Newton - Boltzmann Es sein nun die Anfangstemperatur T ( 0) = 25 C, die Umgebungstemperatur T u = 20 C. Berechne die Temperatur nach 1, 2, 3,...,10 min nach Newton und nach Stefan- Boltzmann. Vergleiche die Resultate. Bestimme den Faktor a (Stefan-Boltzmann) resp. k (Newton) so, dass in beiden Fällen die anfängliche Änderungsrate der Temperatur T '( 0) = 0.5 C min beträgt. Verwende die Euler-Methode mit Δt = 0.1. 6/6