4.1 Grundlagen der psychologischen Diagnostik Wintersemester 2008/ 2009 Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) Frau Prof. Dr. Gabriele Helga Franke
GHF im WiSe 2008 / 2009 an der HS MD-SDL(FH) im Studiengang Rehabilitationspsychologie, B.Sc., 3. Semester Modul: 4.1 Einführung in die psychologische Diagnostik KAPITEL 5 DER DIAGNOSTISCHE PROZESS 2
5. Der diagnostische Prozesse 5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten 5.2 Auftragserteilung und Formulierung einer Fragestellung 5.3 Erstellung eines Untersuchungsplans 5.4 Durchführung der Untersuchung 5.5 Urteilsbildung 5.6 Beantwortung der Fragestellung 3
5. Der diagnostische Prozess Als diagnostischen Prozess wird die Abfolge von Maßnahmen zur Gewinnung diagnostisch relevanter Informationen bezeichnet. (Amelang & Zielinski, 1994, S.257) der diagnostische Prozess nimmt seinen Ausgangspunkt bei einer Fragestellung und endet in der Regel mit ihrer Beantwortung dazwischen liegen als weitere Hauptstadien die Urteilsbildung und das Gutachten psychodiagnostisches Handeln ist ein sozialkommunikativer Vorgang 4
5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten es liegt in der Verantwortung des jeweiligen Gutachters, welche Verfahren er aufgrund des aktuellen Forschungsstandes in der wissenschaftlichen Psychologie auswählt welchen Umfang der Datenerhebung er für angemessen hält was aus der Sicht der Fragestellung als mitteilungsnotwendig gilt und was zum Schutz der Persönlichkeit des Begutachteten nicht mitzuteilen ist seine Arbeit muss gekennzeichnet sein durch Bemühen um Objektivität Er muss in der Lage sein, seine psychologischdiagnostische Tätigkeit zu rechtfertigen 5
5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten Gutachterliche Stellungnahme : die psychologische Antwort auf eine eingeschränkte Einzelfrage z.b.: Wie ist das emotionale Milieu einzuschätzen, in dem XY aufwuchs? Psychologische Stellungnahme : die Stellungnahme zu einem Gutachten oder einer Fragestellung ohne eigene Befunderhebung Untersuchungsbefund : eine für Nicht-Psychologen verständlich aufbereitete Aussage über Ergebnisse einer psychologischen Untersuchung 6
5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten rechtlich relevant und inhaltlich hilfreich ist die Unterscheidung zwischen Gutachten und Befund Befund (einzelfallstatistische Darstellung): Die Feststellung und Beschreibung von Tatsachen, die der Sachverständige durch Sinneswahrnehmung und mit wissenschaftlichen, künstlerischen oder gewerblichen Methoden ermittelt hat. D.h., die rein deskriptiv abgefassten Ergebnisse von Anamneseerhebung, Exploration, Tests i.w.s. und gegebenenfalls von biographischem Inventar, Soziogramm etc. 7
5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten Befunde z.b. Ergebnisse von ärztlichen Untersuchungen, Antworten auf Fragebogen-Fragen, Feststellungen und Bewertungen von Vorgutachtern usw. im Hinblick auf die Nachprüfbarkeit der Untersuchungsergebnisse und der vom Gutachter gezogenen Schlussfolgerungen kommt den Auswertungsmethoden besondere Bedeutung zu der Fachmann möchte ausreichend informiert werden, um das Zustandekommen der Ergebnisse verstehen und gegebenenfalls überprüfen zu können 8
5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten es kann in einem Gutachten nicht dabei bleiben, dass nur die direkten Ergebnisse (Rohwerte, Zeitwerte, Anzahl von Fehlern usw.) dokumentiert werden Bewertung der Ergebnisse ist wichtig Bewertung sollte aber nicht aufgrund subjektiver Bewertungsmaßstäbe des Fachmanns erfolgen, sondern muss nach vorgegebenen Standards erfolgen, indem Testwerte in Normwerte umgewandelt werden 9
5.1 Reglementierungen und Definitionen von Gutachten Gutachten: die Schlussfolgerungen aus den ermittelten Tatsachen durch Anwendung des Fachwissens die Bekanntgabe von Erfahrungsansätzen zu einem Sachverhalt (z.b. die statistisch aufbereiteten wahrscheinlichen Verhaltensstörungen minderjähriger Kinder aus zerrütteten Ehen) was ein Gutachten erst zu einem Gutachten macht, ist die Interpretation und regelmäßig das Festsetzen der Intervention bzw. des Maßnahmenvorschlags 10
5.2 Auftragserteilung und Formulierung einer Fragestellung mit der im Auftrag enthaltenden Fragestellung werden bereits wichtige Weichenstellungen für die weitere Abfolge gelegt zuvor muss der Diagnostiker die meist in der Alltagssprache vorgetragene Problemstellung in eine psychologieadäquate Fragestellung übersetzen er muss überprüfen, ob aus dem psychologischen Wissen entsprechende Sachverhalte übernommen werden können 11
5.2 Auftragserteilung und Formulierung einer Fragestellung Präzisierungsalgorithmus dient dazu, die meist vorgegebene, nichtwissenschaftliche Fragestellung so zu präzisieren, dass sie im weiteren Prozess überprüft werden kann die Präzisierung führt den Diagnostiker dazu, die mit ihr verbundenen Strategien zu antizipieren bei der Formulierung der Fragestellung muss sich der Diagnostiker auch fragen, ob er für dieses Problem die nötige Kompetenz besitzt verfügt er nicht über sie bzw. kann er sich diese nicht beschaffen, muss er den Auftrag zurüc 12
5.3 Erstellung eines Untersuchungsplans ist die Fragestellung als psychologische formuliert, muss der Diagnostiker seine weiteren Schritte planen Operationalisierung : Hypothesen werden aufgestellt und die zur Überprüfung notwendigen und geeigneten Verfahren werden ausgewählt 13
5.4 Durchführung der Untersuchung dieser Abschnitt beinhaltet Methodenapplikation (Interview, Verhaltensbeobachtung, Fragebogen, Tests, etc.), Befunderhebung, sowie Auswertung und Interpretation diese Prozesse unterliegen einer Reihe von Störfaktoren z.b. Geschlecht und Alter des Diagnostikers, seine Kleidung, Sprache und seine Erwartungen, die räumlichen Verhältnisse bei der Untersuchung Störfaktoren auf Seite des Diagnostikanden: die Testangst, Vertrauen oder Antipathie und Widerstände 14
5.5 Urteilsbildung alle Erhebungsdaten liegen gemeinsam mit den Daten der Verhaltensbeobachtung vor und es soll nun ein Urteil gefällt werden die Verdichtung der vorhandenen Informationen erfolgt (je nach theoretischem Ansatz des Diagnostikers) durch die statistische oder kasuistische (klinische) Urteilsbildung unter diagnostischer Urteilsbildung wird jene Station im diagnostischen Prozess bezeichnet, an der die vorliegenden Informationen über einen Beurteilungssachverhalt zu einem Urteil integriert werden dieses Urteil soll (je nach Fragestellung) diagnostisch oder prognostisch nutzbar sein 15
5.5.1 Begründung des diagnostischen Urteils jedes diagnostische Urteil bedarf der Begründung um die Urteile so gut wie möglich von der mitwirkenden Subjektivität des Diagnostikers zu befreien, die auf Erfahrung oder Intuition beruhen 16
5.5.2 Subjektive diagnostische Urteilsbildung die Durchsicht der Literatur ergibt ein Bild der beschränkten Fähigkeit des Urteilenden, Informationen korrekt oder optimal zu integrieren diese subjektive Urteilsbildung wurde mit dem Begriff Heuristiken (Findeverfahren) etikettiert Hoffmann (1960) weist darauf hin, dass der Diagnostiker die Datenintegration nicht nach mathematischen Regeln vornimmt, sondern einzelne Informationen aufgrund seiner subjektiven Erwartungen gewichtet (paramorphe Repräsentation) die Daten gehen damit nicht additiv in die Beurteilung ein, sondern werden konfigural im Sinne einer Bewertung verarbeitet 17
5.6 Beantwortung der Fragestellung die Form der Antwort hängt von der Fragestellung ab an eine Institution erfolgt die Beantwortung der Fragestellung vorwiegend in schriftlicher Form die mündliche Erläuterung ist vor allem deswegen vorzuziehen, weil schriftliche Gutachten in einer dem Laien oft unverständlichen Wissenschaftssprache abgefasst sind ein Gutachten kann nur dann verstanden werden, wenn der Empfänger alle in ihm enthaltenen Begriffe kennt, wenn sich der Wortschatz des Gutachters mit dem Wortschatz des Empfängers überschneidet 18