Der UN-Sicherheitsrat zwischen Reformbedarf und Selbstblockade

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Transkript:

Politik Julia Zeihe Der UN-Sicherheitsrat zwischen Reformbedarf und Selbstblockade Interventionsstrategien im institutionellen Konflikt 1990-2005 Magisterarbeit

Der UN-Sicherheitsrat zwischen Reformbedarf und Selbstblockade Interventionsstrategien im institutionellen Konflikt 1990 2005 Magisterarbeit Julia Zeihe Studienfächer: MA Geschichte/Politik/Jura Historisches Seminar Universität Hannover

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung... 4 1.1 Thema und Fragestellung... 4 1.2 Forschungsstand... 6 2. UN-Sicherheitsrat (1945-2005)... 7 2.1 Zusammensetzung und Arbeitsweise... 7 2.2 Aufgaben und Instrumente der Konfliktbearbeitung des UN- Sicherheitsrats... 9 3. Problematik des Vetorechts... 11 3.1 Instrumente des Kalten Krieges (1945-1954)... 11 3.2 Umorientierung nach der Blockauflösung (1989-2003)... 12 4. Das Allgemeine Gewaltverbot als Grundnorm zur Beseitigung des Krieges in den Internationalen Beziehungen... 13 4.1. Die Entwicklung des Allgemeinen Gewaltverbot... 13 4.2 Ausnahmen des Allgemeinen Gewaltverbots... 15 4.2.1 Selbstverteidigung... 15 4.2.2 Kapitel VII der UN-Charta... 16 4.2.3 Rettung eigener Staatsangehöriger... 17 4.2.4 Humanitäre Intervention... 18 5. Der Kosovo Krieg das Scheitern der internationalen Staatengemeinschaft vor Kriegsausbruch... 20 5.1. Krisenherd Balkan: Vorgeschichte eines unaufhörlichen Konflikts... 20 5.2. Reaktion der Vereinten Nationen... 23 5.2.1. Die Selbstblockade des Sicherheitsrats... 23 5.3 Der Nato-Einsatz ohne UN-Mandat... 26 5.4 Gerechtfertigte Intervention?... 29 5.5 Zwischenfazit: Der Kosovo-Konflikt für den UN-Sicherheitsrat... 32 6. Der dritte Irak-Krieg Sieg des Unilateralismus der USA?... 33 6.1 Vorgeschichte des Irakkrieges... 33 6.1.1 Der Zweite Golfkrieg... 33 6.1.2 Die UN-Resolution 678 - Rechtfertigung für jeglichen militärischen Einsatz?... 36 6.1.3 Folgen des Zweiten Golfkrieges... 38 6.2 Die Zuspitzung des Irak-Konflikts ab 2001 Amerikas Irakpolitik... 39 6.2.1 9/11 Auslöser für einen Krieg gegen den Terror... 39 6.2.2 Die Bush-Doktrin Neue Nationale Sicherheitsstrategie... 41 6.2.3 Reaktion der UNO auf den Terroranschlag in New York... 43 2

7. Die Reaktion der Vereinten Nationen - Die Resolution 1441 zähes Ringen um eine Entscheidung... 44 7.1 Die USA als Initiator für einen Krieg... 44 7.2 Großbritannien transatlantischer Vermittlungspartner... 48 7.3 Das alte Europa und sein Unwillen... 50 7.3.1 Frankreich Bestrebungen nach einer Führungsposition... 50 7.3.2 Russland Handeln aus ökonomischen und traditionellen Gründen... 51 7.4 China Stratege in der internationalen Politik... 53 7.5 Deutschland ein eigener Weg... 54 7.6 Das neue Europa Ost- und Mitteleuropa... 56 7.7 Uneinigkeit im Sicherheitsrat und der Einmarsch in den Irak... 57 7.8 Uniting for Peace ungenützte Möglichkeit?... 62 7.9 Völkerrechtliche Problematik... 64 7.10 Zwischenfazit: Der Irakkrieg für den UN-Sicherheitsrat... 68 8. Reformversuche des UN-Sicherheitsrats (1992-2005)... 75 8.1 Ausgangslage vom Razali-Plan bis zur Reformdebatte 2003... 75 8.2. Neue Dynamik im Vorfeld des Gipfeltreffens anlässlich des 60- jährigen Bestehens der Vereinten Nationen... 78 8.2.1 Die Hochrangige Gruppe und der Bericht Eine sichere Welt: Unsere gemeinsame Zukunft... 78 8.2.2 Bericht des Generalsekretärs In größter Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschrechte... 79 9.1 Die Gruppe der G4 für eine Erweiterung ständiger Mitglieder... 80 9.2 Die Gruppe vereint im Konsens die reformhemmenden Maßnahmen des Coffee Clubs... 83 9.3 Die Gruppe der Afrikanischen Union gleiche Privilegien für neue Mitglieder... 84 10. Stagnation der Reform des UN-Sicherheitsrats... 86 10.1 Hohe Hürde Vetorecht und Änderung der Charta... 86 10.2 Reform vertagt keine Lösung absehbar... 87 11. Resumee... 88 12. Literatur- und Quellenverzeichnis:... 95 12.1. Nachschlagewerke:... 95 12.2 Monographien:... 95 12.3 Zeitschriften/Zeitungen... 98 12.4 Quellen:... 99 3

1. Einleitung 1.1 Thema und Fragestellung Vor fast genau zwei Jahren jährte sich der 60. Jahrestag einer Internationalen Organisation, die über sechs Dekaden Höhen und Tiefen erlebte wie keine andere. Viele Hoffnungen lagen auf der Staatengemeinschaft, die nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges für eine Sicherung des Weltfriedens stehen sollte. Der Grundstein für die Schaffung des Jubilars, die Vereinten Nationen, wurde auf der Außenministerkonferenz in Moskau im Oktober 1943 gelegt. Gemeinschaftlich erklärten die vier Mächte China, Großbritannien, die Sowjetunion und Amerika in ihrer Abschlusserklärung: (t)hat they recognize the necessity of establishing at the earliest practicable date a general international organisation, based on the principle of the sovereign equality of all peaceloving states, and open to membership by all such states, large and small, for the maintenance of international peace and security 1. Bis zu der Konferenz von Dumbarton Oaks, die zwischen dem 21.08. und 09.10.1944 statt fand, arbeiteten federführend die Amerikaner an einem Entwurf für die Staatengemeinschaft, in der im Mittelpunkt ein Executive Council für die Entscheidungsfindung innerhalb der Weltorganisation stehen sollte. Dieses outline paper bildete die Basis für ein erstes Statutenkonzept. 2 Die Idee eines Sicherheitsrats war geboren, der sich nach der Gründung der Vereinten Nationen 1945 als Hauptorgan für die Wahrung des Weltfriedens und somit zum wesentlichsten Organ innerhalb der Staatengemeinschaft manifestierte. Sechzig Jahre später wurde im Juni ein Meinungsartikel des Generalsekretärs Kofi Annan zu der Begehung des 60. Jahrestages der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen veröffentlicht. Annan schrieb in diesem Artikel: Am kommenden Sonntag jährt sich zum sechzigsten Mal die Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen. Fast genau solange ist es her, dass sich eine heiße Debatte über die Reform der Vereinten Nationen entfachte. Grund dafür ist, dass das Idealbild der Vereinten Nationen und die in sie gesetzten Hoffnungen immer größer waren als das, was sie tatsächlich zu erreichen vermochten. Allzu oft haben wir den Erwartungen der Welt nicht entsprechen können. 3 Die häufige Unfähigkeit der Vereinten Nationen, angemessen auf Konfliktsituationen in den vergangenen sechzig Jahren zu reagieren, verdeutlichte die Reformbedürftigkeit der Staatengemeinschaft. Häufig im Zentrum der Kritik stand der UN-Sicherheitsrat, der in 1 Joint Four Nation Declaration. 30.10.1943. Punkt 4. S.1. http://www.ibiblio.org/pha/policy/1943/431000a.html 2 Vgl. Gareis, Sven Bernhard/Varwick, Johannes: Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen. Opladen 2006. S.23. 3 Annan, Kofi: Meinungsartikel zur Veröffentlichung am oder nach Samstag, den 25.06.2005. S.1. http://www.un.org/depts/german/gs_sonst/op-ed-wsj.pdf 4

der Vergangenheit und Gegenwart vielen als antiquarisch erschien, da er in seiner Zusammensetzung und Arbeitsmethoden an die Nachkriegsepoche erinnerte. Die erste Phase der Staatengemeinschaft befand sich in einem Wechsel von einer euphorischen Aufbruchsstimmung hin zu einer Stagnation bedingt durch den aufkeimenden Kalten Krieg. Gefolgt von der Dekolonisation und dem Entstehen der Dritten Welt, über den sich entwickelnden Nord-Süd-Konflikt bis schlussendlich hin zu der Blockauflösung und den andauernden Reformbemühungen. Seit Gründung der Staatengemeinschaft blieben den Menschen in allen verschiedenen Phasen bestimmte Konflikte in bleibender Erinnerung. Im Kalten Krieg der Korea-Krieg, die Suez-Krise in der Dekolonisation, die sowjetische Invasion in Afghanistan, der Genozid in Ruanda und im Kosovo-Konflikt sowie der heute noch präsente Irakkrieg 2003/04. Eins hatten alle Auseinandersetzungen gemeinsam: Der UN-Sicherheitsrat verhielt sich im Vorfeld und mehrfach während der Konflikte nicht angemessen, um die sich anbahnenden Konfliktherde einzudämmen und den Weltfrieden zu gewährleisten. Es ist zu fragen, woran der UN-Sicherheitsrat scheiterte? Dementsprechend soll bei der Erläuterung des Themas der Frage nachgegangen werden, welche Faktoren zu einem Versagen des Sicherheitsrats in Konflikten führten. Wesentliche Fragestellung ist hier, ob die machtpolitischen und institutionellen Gefüge im UN-Sicherheitsrat ein angemessenes Reagieren in Krisensituationen boykottierten? Und des weiteren ist zu hinterfragen, woran mögliche Reformversuche scheitern? Im ersten Teil der Arbeit wird auf die Zusammensetzung, Arbeitsweise sowie die Aufgaben des UN-Sicherheitsrats eingegangen, um einen dezidierten Eindruck des Rats zu gewinnen. Des weiteren findet die Problematik des Vetorechts innerhalb des Sicherheitsrats Beachtung, da sich das Veto als ein wesentliches Element im Rat auszeichnet. Abschließend werden in diesem grundlegenden Teil das Allgemeine Gewaltverbot als Grundnorm zur Beseitigung des Krieges in den internationalen Beziehungen und seine Ausnahmen dargestellt, um Verständnis für die wesentlichste Grundnorm im Völkerrecht zu erlangen. Im zweiten Teil sollen im speziellen der Kosovo-Konflikt sowie der Irakkrieg 2003/04 als globale Konflikte hinzugezogen werden, um die Reaktion und das Agieren des UN- Sicherheitsrats im Vorfeld und innerhalb einer Krisensituation zu betrachten. Hierzu wird die Situation innerhalb des Rats und das Handeln der Mitglieder demonstriert, um ihre Motivlage nachvollziehen zu können. Wie gestaltete sich das Verhalten des Sicherheitsrats im Vorfeld einer Krise? Wie operieren die einzelnen Länder? Von welchen Interessen wurden sie geleitet? Konnte ein angemessenes Reagieren des UN- 5

Sicherheitsrats in Krisensituationen bestätigt werden oder war es dem Rat nicht möglich, die ihm auferlegte Wahrung des Weltfriedens zu gewährleisten? Hierzu wurden die einzelnen Länderinteressen während des Kosovo-Konflikts und im Vorfeld des Irakkriegs 2003/04 vorgestellt. Spielten machtpolitische Interessen eine Rolle? Nutzten die einzelnen Länder, privilegiert durch ihr Vetorecht, ihre Position aus? Oder handelten die Mitglieder des Rats immer zum Wohle des betroffenen Landes? Im dritten Teil folgt eine Zusammenfassung der Reformversuche sowie eine Darstellung der Berichte der Hochrangigen Gruppe und des UN-Generalsekretärs Kofi Annan, die sich im Vorfeld der 59. Generalversammlung zu möglichen Reformmodellen des UN- Sicherheitsrats äußerten. Abschließend gehe ich auf die drei Resolutionsentwürfe der 59. Generalversammlung ein und das Resultat des Weltgipfels. Wurde eine Reform des UN- Sicherheitsrats auf den Weg gebracht oder scheiterten die Reformbestrebungen an den einzelnen Staaten? Ein Resumee soll die Erläuterungen abschließen. 1.2 Forschungsstand In der folgenden Arbeit werden unter anderem zwei wesentliche Werke hinzugezogen: Die Vereinten Nationen, Aufgaben, Instrumente und Reformen von Sven Bernd Gareis und Johannes Varwick sowie Die Reform der Vereinten Nationen, Bilanz und Perspektiven herausgegeben von Andreas Zimmermann und Johannes Varwick. In beiden Werken kristallisierte sich in der aktuellen Forschung heraus, dass die Reform des Sicherheitsrats und die damit verbundenen Schwierigkeiten einmal auf die verschiedenen Länderinteressen zurückzuführen seien. Divergierende Vorstellungen, vordergründig bei den mächtigeren Mitgliedern des Sicherheitsrats ließen eine Reform scheitern. Aber auch oberflächlich gesehen wenig einflussreichere Länder, führten aus nationalen Vorstellungen über eine Veränderung in der Konstellation des Sicherheitsrats die Reform in eine Stagnation. 4 Die unterschiedlichen Interessenlager der Länder konnten ferner in eine Selbstblockade münden, die ein angemessenes Reagieren des Sicherheitsrats verhinderte. 5 Vorherige Untersuchungen stellten fest, dass der Sicherheitsrat aufgrund seines Scheiterns nach seiner neu gewonnen Handlungsfähigkeit seit Anfang der 1990er Jahre reformiert werden muss. Eine Reform des UN-Sicherheitsrats bleibt für eine grundlegendere Legitimität und Akzeptanz in der Welt unabdingbar. Diese Annahme 4 Vgl. Varwick, Johannes/Zimmermann, Andreas: Die Reform der Vereinten Nationen. Bilanz und Perspektiven. Berlin 2006. S.287f. 5 Gareis/Varwick. Die Vereinten Nationen, S.207f. 6

zieht sich durch die gesamt verwendete Literatur bezüglich der Reform des Sicherheitsrats und seine mangelnde Effektivität. Die Auswahl der Literatur erfolgte, um die Reaktion und das Handeln des UN- Sicherheitsrats im Vorfeld und innerhalb einer Krisensituation zu veranschaulichen sowie die verschieden Motivlagen der Länder, die sie zu dem jeweiligen Agieren veranlassten darzustellen. Neben politikwissenschaftlich und historisch orientierter Literatur, werden juristische Werke hinzugezogen, die einen wesentlichen Anteil in der rechtlichen Beurteilung des Handels des Sicherheitsrats beigetragen haben. Abschließend erfolgte eine Auswahl an verschiedenen Medien, die den aktuellen Forschungsstand in seiner Hypothese, dass nationale Interessen eine Reform und ein angemessenes Agieren des Sicherheitsrats vereitelten, unterstützen. 2. UN-Sicherheitsrat (1945-2005) 2.1 Zusammensetzung und Arbeitsweise Die Gründungsversammlung vom 25.04. bis zum 26.06.1945 in San Francisco ebnete den Weg für die Vereinten Nationen. Die erste Weltfriedensorganisation, der Völkerbund, gegründet nach dem Ersten Weltkrieg, konnte seinen Ansprüchen nicht gerecht werden. Die einzelnen Länder agierten häufig im Eigeninteresse und übten sich in Zurückhaltung, wenn es um Beschlüsse ging. In den 1930er verlor er mehr und mehr an politischer Bedeutung und wurde dementsprechend am 18. April 1946 als Vorgänger der Vereinten Nationen aufgelöst. 6 Wie im Völkerbund strebten die Vereinten Nationen ein System kollektiver Sicherheit an. Im Mittelpunkt dieses Systems stand der UN-Sicherheitsrat. Der Völkerbund war im wesentlichen nicht in der Lage seiner Aufgabe, der friedlichen Streitbeilegung, gerecht zu werden. Eindrucksvollstes Beispiel, einer misslungenen Konfliktvereitelung, um nur eines zu nennen, wäre der Zweite Weltkrieg. Das fehlgeschlagene Agieren des Völkerbundes, sollte in der Gestaltung der Vereinten Nationen durch eine herausgehobene Position der Großmächte verbessert werden. Demzufolge nahmen gemäß Artikel 23 UN-Charta Großbritannien, die Vereinigten Staaten von Amerika, die Sowjetunion, die Volksrepublik China und Frankreich die ständigen Sitze im Sicherheitsrat ein. Neben den ständigen Mitglieder waren seit 1965 zehn nicht-ständige Mitgliedern vertreten, die für jeweils zwei Jahre von der Generalversammlung nach bestimmten regionalen Bestimmungen gewählt wurden. 7 Die Rotation erfolgt einmal im Jahr, in dem je fünf neue Mitglieder gewählt 6 Vgl. Opitz, Peter J.: Die Vereinten Nationen. Geschichte, Struktur, Perspektiven. München 2002. S.13. 7 Vgl. Herz, Dietmar/Jetzlsperger, Christian/ Schattmann, Marc (Hrsg.): Die Vereinten Nationen. Entwicklung, Aktivitäten, Perspektiven. Frankfurt a. M. 2002. S.25. 7

wurden. Hierfür musste eine Zwei-drittel-mehrheit innerhalb der Generalversammlung erreicht werden. Eine direkte Wiederwahl war nicht möglich. Diesbezüglich erfolgte die Auswahl der nichtständigen Mitglieder über regionale Kriterien: Fünf Länder aus Afrika und Asien, zwei Staaten aus Lateinamerika, zwei aus der Gruppe der westeuropäischen und anderen Staaten sowie ein Staat aus Osteuropa. In bestimmten Ausnahmefällen konnten Staaten, die nicht im UN-Sicherheitsrat vertreten waren, bei einem Konflikt, in dem sie eine involvierte Partei darstellten, als nicht-stimmberechtigtes Mitglied an den Sitzungen des Rates partizipieren. Ferner ist es dem Generalsekretär gestattet, an den Sitzungen teilzunehmen. Eine Zusammenkunft des UN-Sicherheitsrats erfolgt über einen Antrag eines Mitgliedes an den Ratspräsidenten. In Sonderfällen konnte ein Antrag auch über ein Nicht-Mitglied des Rates oder den Generalsekretär eingebracht werden. Ständige Ausschüsse sowie Ad-hoc-Ausschüsse stehen dem UN-Sicherheitsrat unterstützend zur Seite. Das Handeln des Sicherheitsrats erfolgte über die Verabschiedung von Resolutionen sowie Erklärungen des Ratspräsidenten, die vermehrt als Artikulationsform des Gremiums wahrgenommen wurden. 8 Bei jeglichen Verfahrensfragen musste eine Mehrheit von neun Mitgliedern erforderlich sein. Substantielle Fragen wie beispielsweise Sanktionen oder Zwangsmaßnahmen erforderten jedoch die Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder, die durch ihre Vetoberechtigung eine gesonderte Stellung einnahmen. In der Gegenwart hatte es zu einer Verbesserung der Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrat geführt, indem Enthaltungen oder Abwesenheit eines der ständigen Mitglieder nicht als Veto gerechnet wurden. Ein ergebnisreicheres Agieren des internationalen Sicherheitsorgan konnte so ermöglicht werden. 9 Im Gegensatz zu der Epoche des Ost-Westkonfliktes, in der häufig das Privileg des Vetos der fünf ständigen Mitglieder zu einer Blockade des Sicherheitsrats führte. Die politischen Interessen während des Kalten Krieges divergierten wesentlich und wurden im UN-Sicherheitsrat durch das massenhafte Einsetzen des Vetos verdeutlicht. Von 1945 bis 1995 waren es von 248 Vetos insgesamt 243 eingereichte Vetos. Seit 1996 bis 2001 hingegen wurden nur fünf Vetos ausgesprochen. Diese Statistik verdeutlicht die häufige Unfähigkeit des UN-Sicherheitsrats während des Kalten Krieges, effektiv zu arbeiten. Ein angemessenes Verhalten in Krisensituationen war aufgrund der machtpolitischen Interessen der Permanent Five und ihrem institutionellen Vorteil gegenüber den anderen Mitgliedern im UN-Sicherheitsrat nicht möglich. 10 Auch nach der Blockauflösung war die Arbeitsweise und Zusammensetzung des UN- Sicherheitsrats durch die machtpolitischen Interessen der ehemaligen Siegermächte des 8 Vgl. Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen. UN Basis Informationen. Bonn 2000. S.1. 9 Vgl. Opitz. Die Vereinten Nationen, S.19. 10 Vgl. DGVN. UN Basis Informationen, S.1f. 8