Schmerzensgeld, danno biologico, Nichtvermögensschaden. Das italienische System im Vergleich mit den europäischen Entwicklungen

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Transkript:

Schmerzensgeld, danno biologico, Nichtvermögensschaden Das italienische System im Vergleich mit den europäischen Entwicklungen

Ausgangspunkt. Die italienische Kodifikation von 1942 und der Einfluss des BGB Art. 2043 CC: jedwede fahrlässige oder vorsätzliche Handlung, die einem anderen einen rechtswidrigen Schaden verursacht, verpflichtet zum Schadensersatz. Art. 2059 CC: Nichtvermögensschäden sind nur zu ersetzen, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist (vgl. 253 BGB a.f.: wegen eines Schadens, der Nichtvermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden ). In der italienischen Rechtsordnung war Art. 185 des Strafgesetzbuchs von 1930 (CP) die einzige derartige gesetzliche Vorschrift, so dass immaterielle Schäden nur ersetzt werden konnten, wenn ein Strafgesetz verletzt war. In Fällen der Verletzungen des Körpers oder der Gesundheit, in denen die höheren Anforderungen des Schuldbegriffs im strafrechtlichen Sinne nicht erfüllt waren, konnte das Opfer nur den Ersatz der Vermögenseinbuße gemäß Art. 2043 CC verlangen.

Ausweitung des Immaterialschadensersatzes durch die Rechtsprechung Das System für den Ersatz von Personenschäden war für unbefriedigend gehalten worden und insbesondere für unvereinbar mit Art. 3 (Gleichheitsgrundsatz) und Art. 32 (Gesundheitsschutzgrundsatz) der Italienischen Verfassung. Frage: Wie waren die engen Grenzen des Art. 2059 CC zu überwinden? Die Rechtsprechung hat den Weg der verfassungsrechtlich orientierten Auslegung des Haftungsrechts beschritten.

Erster Schritt. der danno biologico Jahr 1986. Das Verfassungsgericht bestimmt den danno biologico als reinen Verlust der körperlichen oder psychischen Gesundheit, der für alle Personen völlig gleich zu ersetzen sei und unabhängig von den Vermögensfolgen oder dem körperlichen oder geistigen Schmerz auszugleichen sei. Der danno biologico gleicht ein verfassungsrechtliches Rechtsgut aus und unterscheidet sich vom Schmerzensgeld Der danno biologico stellt eine medizinisch diagnostizierbare Gesundheitsbeschädigung dar und muss auch in Fallen ersetzt werden, in denen die höheren Anforderungen der Straftatbestande nicht erfüllt sind. Das Schmerzensgeld stellt nur einen pretium doloris dar, fällt unter die engen Grenzen des Art. 2059 CC und muss deshalb nur in gesetzlich bestimmten Fällen (Straftat) zugesprochen werden. Folglich ist der Anspruch auf biologischen Schaden auch gegeben, wenn der Geschädigte im Koma liegt.

Bestätigung des Begriffs danno biologico durch den Gesetzgeber Art. 13 des Gesetzes vom 23. Februar 2000, N. 38 (im Bereich der Arbeitsunfallversicherung), Art. 5, Abs. 3 des Gesetzes vom 5. März 2001, N. 57 (über Gesundheitsverletzungen bei Verkehrsunfällen), Art. 138 und 139 des Gesetzes vom 7. September 2005, N. 209 (Gesetzbuch des Versicherungsrechtes).

Bemessung des danno biologico Das Verfassungsgericht hat im Jahre 1986 bestimmt, dass bei gleicher Gesundheitsverletzung die gleiche Entschädigung gewährleisten werden muss und kein vermögensrechtlicher Maßstab zu benutzen ist. Herrschende Methode: der so genannte punto di invalidità (Invaliditätsgrad, calcul au point). Erstens, Festlegung der Invalidität durch einen Gerichtsmediziner. Zweitens, Berechnung der Ersatzhöhe mittels Tabellen, die jedem Invaliditätsgrad (IG) eine konventionelle Summe zusprechen (S). Ersatzhöhe= IG S Die Tabellen werden von jedem Gerichtsstand fortgebildet. Infolgedessen ist der Gleichheitsgrundsatz nur innerhalb des jeweiligen Gerichtsstands gewährleistet. Das Gesetzbuch 209/2005 hat die Methode des Invaliditätsgrads im Bereich der Verkehrunfälle bestätigt und die Grundlagen zur Vorberatung einer nationalen Tabelle des Ersatzes des danno biologico vorgesehen.

Zweiter Schritt. Verletzung der Menschenrechte Jahr 2003. Der Kassationshof und das Verfassungsgericht haben die verfassungsrechtliche Auslegung des Art. 2059 CC bejaht, so dass nunmehr jede Verletzung eines Menschenrechts mit Verfassungsrang einen Schadensersatzanspruch begründen kann, ohne dass eine Straftat vorliegen muss. Neuer Art. 2059 CC. Der Immaterialschadensersatz muss in zwei Fälle gewährleistet werden: erstens, wenn ein Menschenrecht verletzt wird; zweitens, im Falle der Straftat und in anderen gesetzlichen Fällen auch in Ermangelung einer Verletzung eines Menschenrechts. Dreiteilung der Nichtvermögensschäden: Danno biologico (bei Gesundheitsverletzung); Nichtvermögensschaden (bei Verletzung der Menschenrechte); Schmerzensgeld (bei gesetzlich bestimmten Fälle).

Ausweitung des Immaterialschadensersatzes durch Gesetz Jahr 2003. Das in Kraft getretene Datenschutzgesetzbuch hat im Allgemeinen die Ersatzfähigkeit der Personlichkeitsrechte bestätigt (vgl. Art. 15 Abs. 2, der Art. 29 Abs. 9 des Gesetzes N. 675/1996). Auch immaterielle Schäden infolge Persönlichkeitsverletzungen einer juristischen Person sind zu ersetzen.

Fixpunkte beim Immaterialschadensersatz 1. Ersatzfähigkeit des Gesundheitsschadens. Begriff und Bemessung des danno biologico. 2. Ersatzfähigkeit der Menschenrechtsverletzungen. 3. Ersatzfähigkeit auch bei Gefährdungshaftung und Vertragshaftung. 4. Die Ersatzfähigkeit der anderen Immateriellen Einbußen setzt noch eine Straftat voraus und gilt nur bei Verschuldenshaftung. 5. Der Immaterialschadensersatz ist übertragbar und steht den Angehörigen auch iure proprio zu.

Offene Fragen Wie ist die grundlegende Gleichmäßigkeit bei der Bemessung der Immaterialschäden zu gewährleisten? Welche als unverletzlich zu definierende Menschenrechte für eine Entschädigung in Frage kommen? Sind die Bagatellschäden zu ersetzen? Zur Prüfung des immateriellen Schadens genügt die Verletzung des Rechtsgut an und für sich, oder ist es notwendig, den Schaden auch in seiner Auswirkung im Einzelfall zu bewerten?

Ausblick auf Projekte europ. Haftungsrechtsvereinheitlichung (Principles of European Tort Law ) Allgemeine Grundsätze: Vermögens- und Nichtvermögensschäden sind zu ersetzen. Gesundheit, Freiheit, Persönlichkeit und Menschenwürde werden als ersatzwürdige Interessen anerkannt. Fragen: Soll der Gesundheitsschaden zu einer anerkannten Krankheit und einer objektiven Minderung der körperlichen oder psychischen Gesundheit führen? Sind die Bagatellschäden zu ersetzen? Soll die Verletzung des Rechtsgutes selbst genügen oder muss ihre Auswirkung im Einzelfall bewiesen werden?

Schluss Danno biologico als interessantes Rechtsvorbild. Er gewährleistet Rechtssicherheit, Gleichmässigkeit und Voraussehbarkeit des Ersatzes. Das italienische System des Ersatzes der anderen Nichtvermögensschäden ist noch nicht gefestigt.