Kontrastive Linguistik und Übersetzung WS 2014/15 06.11.2014 DIE KONTRASTIVE LINGUISTIK ALS SPRACHWISSENSCHAFTLICHE DISZIPLIN
die kontrastive Linguistik heute neuere Tendenzen in der KL: - Interlanguage-Hypothese - neue Form der theoretischen KL im Wechselverhältnis zur Sprachtypologie - neue Entwicklungen in anwendungsorientierter Hinsicht
Interlanguage-Hypothese Kontrastivhypothse Identitätshypothese Fehlerlinguistik > Interlanguage-Hypothese (Larry Selinker 1972) Grundannahme: Der Lerner bildet im Laufe des Zweitsprachenerwerbs sprachliche Übergangssysteme (Interlanguages) heraus, die sowohl mutter- als auch fremdsprachliche, darüber hinaus aber auch andere, von Erst- und Zweitsprache unabhängige sprachliche Merkmale aufweisen, und sich sukzessiv der zielsprachlichen Norm annähern.
Interlanguage = variables und instabiles Übergangsprodukt: - Basis bildet sich aus unterschiedlichen psycholinguistischen Prozesse heraus: 1. language transfer: Übertragung von muttersprachlichen Regeln oder Formeln auf die zu erlernende Fremdsprache richtig oder fehlerhaft 2. overgeneralization of target language material: Fehler in der Fremdsprache selbst (neben den interlingualen Fehlern) Übertragung fremdsprachlicher Regeln auf Kontexte, in denen die nicht gültig sind innerlinguale Interferenz 3. strategies of language communication: Strategien zur Bewältigung von Kommunikationsbedingungen 4. strategies of second language learning: kognitive Prozesse, durch die der Lerner seine fremdsprachliche Kompetenz weiterentwickelt Bildung von Hypothesen über Regelmäßigkeiten der Fremdsprache anhand von kontinuierlichem Input 5. transfer of training: ungeeignete Vermittlungsmethode (lernmaterialien, Unterrrichtskonzepte etc.) führen zu Über- bzw. Unterinterpretationen
Weiterentwicklung der bisherigen Hypothesen: - Berücksichtigung psycholinguistischer Prozesse neben den linguistischen Faktoren statistischer linguistischer Systemvergleich - Spracherwerb = aktiver & kreativer Prozess Lerner- & Vermittlerebene - inter- und intralinguale Aspekte Kombination aus Kontrastiv- und Identitätshypothese
Neuere Tendenzen in der kontrastiven Linguistik - typologisch orientierte kontrastive Linguistik - kontrastive Semantik - kontrastive Textlinguistik - kontrastive Pragmatik - interkulturelle Linguistik
typologisch orientierte kontrastive Linguistik - Hawkin (1986): A Comparative Typology of English and German. Unifying the Contrasts Suche nach Korrelationen zwischen Kontrasten in unterschiedlichen Subsystemen der Grammatik der verglichenen Sprachen Suche nach allgemeinen Erklärungsprinzipien synchron-vergleichende Sprachwissenschaft
pragmatische Wende 1970er Jahre: Sprachwissenschaft beschäftigt sich nicht mehr nur ausschließlich mit den Sprachsystem sondern auch dem Sprachgebrauch Bedeutung und Funktion der Sprache neue Teildisziplinen Untersuchung von: Semantik, Text, Pragmatik > neue Ausrichtungen auch in der KL
kontrastive Semantik - Beziehung zwischen Semantik und Kultur
kontrastive Textlinguistik Untersuchung: - inwiefern Textsorten von Sprache zu Sprache (bzw. von Kultur zu Kultur) differieren - welche Mittel der Textorganisation in unterschiedlichen Sprachen und Kulturen vorhanden sind und wie sie zum Aufbau des Textes eingesetzt werden - welche stilistischen Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede vorzufinden sind
kontrastive Pragmatik 1980er: - Untersuchung, inwiefern sprachliches Handeln in verschiedenen Kulturen ähnlich oder unterschiedlich gestaltet ist wie Interferenzen in interkulturellen Situationen zu Missverständnissen oder Kommunikationskonflikten führen - Untersuchungsgegenstände: Sprechakte Sprachroutinen (Gesprächseröffnungen, Bitten und Danken) erlaubte und nicht- erlaubte Themen Höflichkeit Deixis
die heutige kontrastive Linguistik Sprachvergleiche - berücksichtigen nicht mehr nur Aspekte der sprachlichen Ausdrucksseite, sondern auch Aspekte der sprachlichen Inhaltsseite - machen nicht mehr nur das Sprachsystem, sondern auch den Sprachgebrauch zum Gegenstand ihrer Untersuchungen - beziehen nicht mehr nur die Ebene des Satzes in ihre Untersuchungen ein, sondern auch die Ebene des Textes
Gegenstand der kontrastiven Linguistik - alle natürlichen Sprachen - Vergleich der Sprachmittel und -zwecke Sprachtypologie, historisch-vergleichende Sprachwissenschaft, Areallinguistik: Einbezug sprachlicher Substandards: Dialekte bzw. Regiolekte Soziolekte Idiolekte Register Sprachform regionaler Gruppen Sprachform sozialer Gruppen Sprachform einzelner Individuen Sprachform abhängig von der Gesprächssituation
- interlingualer Vergleich - intralingualer Vergleich - Kombination des inter- und intralingualen Vergleichs - crosslingualer Vergleich = direkter Vergleich zischen einem Substandard und einer fremdsprache
Gegenstand der Beschreibung - unterschiedliche Bereiche - kontrastive Untersuchungen = nur Ausschnittsdarstellungen des komplexen Konstrukts der Sprache - 1950er 1970er: Phonetik, Morphologie, Syntax, Lexik formale, sprachsystematische Aspekte Strukturalismus: strikte Trennung zwischen den Beschreibungsebenen - 1970er: vermehrt semantische Vergleiche (neben formalen auch inhaltliche Aspekte) lexikalisch-semantisch, textuell-semantisch auch hier strikte Trennung: entweder System oder Gebrauch
- keine strikte Trennung von Sprachmittel und zweck: trotz erlernter Mittel, nicht in der Lage diese adäquat zur Kommunikation zu nutzen Colliander (zit. In tekin 2012, 112): Die reine Beherrschung eines grammatischen Systems ist unfruchtbares Wissen, solange der Stellenwert oder [ ] der Kontext, in dem [es] eingebunden ist oder werden sollte, nicht transparent gemacht wird.
- keine Trennung zwischen sprachlichem Ausdruck und Inhalt Ausdrucks- und Inhaltsseite stehen in wechselseitiger Beziehung. - keine Trennung der sprachlichen Beschreibungsebenen 1. Er wollte fliehen. - Il voulait s échapper. Er versuchte zu fliehen. - Il a voulu s échapper. 2. Du weißt, wo der Laden ist. - Tu sais où est le magasin. Du weißt, wo der Laden ist? - Est-ce que tu sais où est le magasin? Sais-tu où es tle magasin?
das tertium comparationis Voraussetzung für den Vergleich: Mindestmaß am gemeinsamen Eigenschaften Zuverlässigkeit des Vergleichs > Gültigkeit der späteren Ergebnisse
1. formale Kriterien Kriterien der sprachlichen Ausdrucksseite Beispiel: Deutsch: Perfekt ich habe gegeben Französisch: passé composé j ai donné Präs. eines Hilfsverbs + Partizip Perfekt schwer, wenn das entsprechende Phänomen in einer der verglichenen Sprachen nicht existiert
2. inhaltliche Kriterien Uhlisch (zit. in Tekin 2012, 123) Da für alle Menschen die außersprachliche Realität gleich ist und weil generell die außersprachliche Wirklichkeit zwar unterschiedlich auf Grund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfahrungen im Bewusstsein abgebildet wird, muss man annehmen, dass jede Sprache alles beschreiben kann. Da aber die sprachliche Gestaltung unterschiedlich ist, muss beim Vergleich vom Inhalt des zu Untersuchenden ausgegangen werden [ ]. Tertium comparationis kann also nur ein semantisches Kriterium sein. Sapir-Whorfsches linguistisches Relativitätsprinzip es kann nicht nicht von universal inhaltlichen Vorstellungen ausgegangen werden s. sprach- und kulturspezifische Vorstellungsweisen von Farben
Frage nach dem tertium comparationis: Was ist allen Sprachen gemeinsam? Was ist die Vereinigungsmenge von Sprachen? Hjelmslev (1974) Prolegomena zu einer Sprachtheorie Ausdruckssubstanz: Menge aller möglichen Laute, phonetische Sinnzonen Ausdrucksform: unterschiedliche Formung der Ausdruckssubstanz in den verschiedenen Sprachen je nach deren Funktion Inhaltssubstanz: amorphe Gedankenmasse, ungeformter Sinne Inhaltsform: Formung dieser Gedankenmasse in den unterschiedlichen Sprachen
tertium comparationis: - das Moment, das Sprachen gemeinsam ist, wird durch die Ausdruckssubstanz und die Inhaltssubstanz repräsentiert - die Menge aller möglichen Laute und die amorphe Gedankenmasse ist als sprachuniversell zu betrachten - erst die funktionsspezifische Zuordnung führt zu sprachspezifischen Ausdrucks- und Inhaltsformen Gegenstand des Vergleichs: die von Sprache zu Sprache zu unterscheidenden Ausdrucks- und Inhaltsformen Colliander (zit. in Tekin 2012 130): Die Ausdrücke formen nun einmal die Inhaltssubstanz in Inhaltsformen, und die sind es, die verglichen werden müssen. [ ] Die Ausdruckssubstanzen sind im Prinzip als Universalien aufzufassen, während die Ausdrucksformen sprachspezifisch sind. Sie, die Ausdrucksformen, gilt es miteinander zu vergleichen.
Literatur Rein, Kurt.1983. Einführung in die kontrastive Linguistik. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft. Tekin, Özlem. 2012. Grundlagen der Kontrastiven Linguistik in Theorie und Praxis. Tübingen: Stauffenburg.