Verhaltenstherapie in der Gruppe KBAV 16.11.2013,25.01.2014 Dorothea Hoffmann Diplom-Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin
Gruppenpsychotherapie Behandlung einer psychischen Störung oder eines Anpassungsproblems mithilfe des Mediums Gruppe. Fokussiert wird auf Veränderungen auf einer interpersonellen (sozialen), intrapersonellen (innerpsychischen) oder Verhaltensebene. 2
Meilensteine der Gruppentherapie 1905: Pratt: Klassen zur Gedankenkontrolle/Tuberkulosepatienten 1928: Burrows: Gruppenanalyse mit neurotischen Patienten: Einsicht und Erwerb neuer Fähigkeiten 1942: Moreno: American Society for Group Psychotherapy and Psychodrama 1942: Slavson: American Group Psychotherapy Association 1946: Lewin: Trainingsgruppen 1948: Foulkes: Gruppenanalyse 1951: Lewin: Feldtheorie und Gruppendynamik 1951: Rogers: Klientenzentrierte Therapie in Gruppen 1951: Perls: Gestalttherapie 1961: Lazarus: Systematische Desensibilisierung in Gruppen 1970: Yalom: Lehrbuch Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie 1970: Rogers et al: Encountergruppenbewegung 1977: Meichenbaum: Kognitiv-behaviorale Therapie bei Angstpatienten 1980 heute: spezifische Gruppen für spezifische Probleme/Störungsorientierung 3
Wirkfaktoren der Gruppenpsychotherapie Gruppenklima: hohes Engagement und Abnahme des Konfliktniveaus über die Dauer der Gruppenbehandlung als positiv Kohäsion: Summe der Kräfte, die die Gruppe zusammenhalten: horizontale K., vertikale K., entwickelt sich auf der Zeitdimension Therapeutische Allianz: affektive Bindung, Verständigung über Aufgaben, Einigung über Ziele Empathie: bedeutsam für Entwicklung von Kohäsion und für positiven Therapieerfolg 4
Gruppenkohäsion ist die Anziehungskraft, durch die sich einzelne Mitglieder in der Gruppe eingebunden fühlen und ie sie mit anderen Gruppenmitgliedern verbindet begünstigt Selbstoffenbarung und konstruktiven Umgang mit Konflikten in der Gruppe ist ein signifikanter Prädiktor für therapeutischen Erfolg einer Gruppentherapie Die Kohäsion in der Gruppe ist das Gegenstück zur Beziehung in der Einzeltherapie (Yalom) 5
Förderung von Gruppenkohäsion Durch affektives Teilen der inneren Welt mit den anderen Durch die Erfahrung des Angenommenwerdens durch die anderen und die Therapeutin Durch Förderung einer Gruppenkultur : Gruppenregeln un Verbindlichkeit, Rituale, Narrativ im Sinne einer gemeinsamen Geschichte der Gruppe Durch Stärkung des Beziehungsgeflechtes der TN aufeinander 6
Gruppenanalyse Gegenpart zum klass. Setting der psychoanalytischen Einzelbehandlung Beiträge der TN werden im Hinblick auf die Gruppe verstanden (Bsp.: ein in der Gruppe erzählter Traum ist auch ein Gruppentraum) zentrale Begriffe: Resonanz und Gruppenkohäsion, Gruppenwiderstand, Containerfunktion des Therapeuten u.a. Ziel: Wiederherstellung der gestörten Kommunikation und der Partizipation des psych. Kranken an der sozialen Gemeinschaft 7
In learning to communicate, the group can be compared to a child learning to speak Foulkes u. Anthony 1957 8
Psychodynamische Gruppentherapie Initiieren von Einsichtsprozessen auf den Dimensionen: in Bezug auf Hier - und - Jetzt Interaktionen in der Gruppe In Bezug auf die aktuellen Beziehungen außerhalb der Gruppe: das Dort und - Dann In Bezug auf vergangenes Interagieren mit bedeutsamen anderen Menschen in Lebensgeschichte: das Dort und - Damals 9
Interventionstechniken psychodynamischer Gruppentherapie 1. Konfrontation: Gruppe als hall of mirrors (Foulkes) 2. Interpretation und Deutung 3. Klarifikation: Fokussieren und Analysieren psychischer Phänomene Prozess des Durcharbeitens als Herzstück psychodynamischer Gruppenarbeit. 10
Psychodrama: Handeln als Heilung Bausteine des Psychodrama: Auswahl der Protagonistin/Soziometrie Szenenaufbau/Gestalten der Bühne Gruppenmitglieder als Hilfs-Ichs Szenische Aktion: Rollenspiel, Rollentausch Doppeln, Spiegeln, Szenenwechsel, Zeitachse Katharsis: heilendes zweites Erleben Ende der Spielphase Sharing, Rollenfeedback Integration 11
Die zentrale Bedeutung der Gruppe im Psychodrama Jede/r ist hilfreich: Protagonistin - ihr Thema darstellend, TN Rollenübernahme, Doppeln emotionaler Inhalte, eigene Erfahrungen teilend als Sharing Spiel als Raum von Spontaneität und Kreativität: hängt von jeder/m in der Gruppe ab Aktive Rolle der Therapeutin: gestaltend, direktiv, strukturgebend 12
Verhaltenstherapie in Gruppen Standardisierte Konzepte: für spezifische psychische Störungen (Phobien, Eßstörungen, Depression) modularisiertes Programm mit möglichst vielen therapierelevanten Aspekten Zieloffene Gruppen: Maximierung des Prinzips der Einzeltherapie (Problem u. Zielanalyse, Therapieplanung): Verhaltensanalytische Gruppentherapie (VAG,vgl Fiedler) 13
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Standardisierte Konzepte z. B. für Eßstörungen: Bulimie, Binge Eating, Anorexie Depressive Störungen: Kognitive VT, Genussgruppen, Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (MBCT) Abhängigkeitserkrankungen Soziale Phobien und Ängste Skillstraining für Patienten mit Borderlinestörungen 15
Wirkfaktoren in der Gruppentherapie von Essstörungen Einsamkeit und Entfremdung: Erleben von Gemeinsamkeit und Unterstützung Isolation: Teilen von Erfahrung, Erleben von Verständnis durch andere Scham und Leugnen der Erkrankung: Benennen der eigenen Problematik Erfahrung der Regulation von Nähe und Distanz Selbstbestimmtes Setzen von Grenzen Containment von Affekten in der Gruppe Verständnis eigener Anteile an dysfunktionalen Interaktionen 16
Skillstraining bei Borderline Störungen: Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) 5 Module: 1. Achtsamkeit: Relativierung von Emotionen und Kognitionen 2. Stresstoleranz: Reiz Reaktionsmuster erkennen, Frühwarnzeichen, Ablenkung ( starke Körperwahrnehmung wie Eiswürfel, Zitronensaft) 3. Emotionsregulation: Umgang mit unangenehme Emotionen (Scham) 4. Zwischenmenschliche Fertigkeiten: Verbesserung der sozialen Kompetenz, vor allem durch Rollenspiel 5. Selbstwert: Selbstzuwendung (Linehan, Bohus) 17
Achtsamkeit 18
Interventionsprinzipien in der Kognitiven Verhaltenstherapie Transparenz des Vorgehens: was und wie erklären und begründen Zielorientierung schaffen Kriterien für die Zielerreichung festlegen, dabei individuelle Ziele berücksichtigen Einsatz von Rollenspielen: shaping von Verhalten Vermittlung generalisierbarer Lernerfahrungen, z. B. im zwischenmenschlichen Bereich Gezielte Anleitung zum Transfer therapeutischer Veränderungen in den Lebenskontext der Patienten Anleitung zur Selbsthilfe 19
Kritik am Konzept verhaltenstherapeutischer Gruppen Gruppendynamische Prozesse werden nicht aufgegriffen und das darin enthaltene Potential nicht genutzt Mögliches Scheitern von Therapieprozessen in der Gruppe wird nicht auf dem Hintergrund von dynamischen Prozessen und Konflikten in der Gruppe reflektiert 20
Pole - Position 21
Verhaltensanalytische Gruppentherapie: Struktur einer Sitzung Orientierungsphase: Mitteilung der TN über sich u. aktuelle Situation (Anfangsrunde), Entscheidung eines TN für anstehende Einzelarbeit Problemanalyse, Zielanalyse Gruppengemeinsame Problemanalyse und Gruppenfeedback Trainingsphase:Rekonstruktion typ. Problemsit., Problemsimulation, Rollenspiel, Skulptur, kognitive Struktur darstellen usw. (Aktion vor Diskussion!) Transfer und Planungsphase: Übungs- und Hausaufgaben, soziale Unterstützung, Rückfallprophylaxe Sitzungsevaluation 22
Differenzierung: Arten von Feedback o Selbstfeedback: was fand ich gut an mir? Was möchte ich verändern? o Rollenfeedback: was habe ich in der von mir übernommenen Rolle erlebt? o Identifikationsfeedback (= sharing i. S. von Teilen von Erfahrung) : kenne ich ähnliche Situationen, Probleme, Erfahrungen aus meinem eigenen Leben? o Beratungsfeedback durch die anderen in der Gruppe: was fand ich am Verhalten des Fokuspatienten gut und akzeptierbar? Was würde ich anders machen? (Achtung: Ratschläge sind auch Schläge!) 23
Evaluation: Vergleich zwischen standardisiertem Training (ATP) u. VAG VAG Patienten: größere Bandbreite kommunikativer Fähigkeiten, z. B. Zuschauer ansprechen ATP Patienten: höhere selbst- und fremdeingeschätzte Selbstsicherheit, z. B. bei Vortrag vor laufender Kamera, weniger Sprechpausen, weniger Angst, wortgewandt durchgeführt von Fiedler et al, Fiedler 2012 24
Rolle der Therapeutin/des Therapeuten: Anforderungen an die Gruppenleitung Aktiv strukturierend Förderung von Empathie Förderung von Kohäsion Auf Einhaltung der Gruppenregeln (z. B. Verschwiegenheit, gegenseitige Achtung) achten Die Gruppe schützen Konflikte ansprechen Rollenmodell für angemessenes soziales Verhalten 25
Möglichkeiten der Zusammenstellung von Gruppen Homogenität: Patienten ähnlichen Alters, ähnlicher biografischer Situation, ähnlicher sozialer Situation, gleichen Geschlechts begünstigt schnellere Entwicklung von Kohärenz Heterogenität: Verschiedenartigkeit, z. B. bzgl. Alter, Lebenssituation, sozioökonomischem Status, - setzt andere Prozesse in Gang (Wiederholung von Eltern- Kind- Dynamik, Mutter-Tochter-Beziehung u. ä.) Gruppengröße: bestimmte Prozesse innerhalb von Gruppen (Gruppendynamik) sind sich erst ab einer bestimmten Teilnehmerzahl (5 7 Patienten) möglich: aber: auch Therapie in einer kleinen Gruppe ermöglicht bedeutsame Lernerfahrungen 26
Verhaltenstherapie in der Gruppe - Abrechnung mit Gesetzl. Krankenkassen Kleine Gruppe: 2 4 TN, Ziffer 35222 je 50 Min., 870 Punkte Große Gruppe: 5 9 TN, Ziffer35224 je 50 Min., 440 Punkte jeweils möglich als Kurzzeittherapie (25 Sitzungen) oder Langzeittherapie (45 Sitzungen) Kombination mit Einzeltherapie möglich (nicht mehr zwingend vorgeschrieben, z. B. 1 5 Sitzungen Einzeltherapie, Ziffer 35220, 1755 Punkte 27
Arbeitsblatt: Ressourcenanalyse in Gruppen Welches Unterstützungshandeln gibt es? Emotionale Unterstützung: wie? Ressourcen einzelner für die Gruppe nutzbar? Konfliktlösungskompetenzen in der Gruppe? Organisatorische Kompetenzen? Problemlösungen entwickelt? Krisen bewältigt? Akzeptanz von Regeln? Kohäsion: wie stark, wann spürbar? Nähe Distanz Regulation: wie? Untergruppen / Koalitionen: wie entstanden? Variabel/fest? Veränderung über die Zeitdimension? Zukunftsprojektion? 28
Arbeitsblatt: Soziometrische Beziehungen in Gruppen Welche Verbindungen zwischen Patientinnen gibt es? Erfahrbarmachen durch gruppentherapeutische Techniken (Darstellung im Raum, Gruppenskulptur, Wollknäuel zuwerfen) Reflexion der wahrgenommen Beziehungen (z. B. Einzelne betrachten Gruppenskulptur von außen, Rückmeldung im Gruppengespräch) Veränderungswünsche einzelner oder Gruppenkonsens über Veränderungen? 29
Arbeitsblatt: Meine gruppentherapeutischen Kompetenzen Selbstreflexion: Wie sehe ich mich selbst in sozialen Beziehungen (zurückhaltend, ängstlich, forsch, gern Ton angebend, einfallsreich bei Suche nach Lösungen)? Gruppenarbeit: in Kleingruppe den anderen die eigenen Charakteristika und Kompetenzen möglichst präzise beschreiben (konkrete Situationen und Erfahrungen!) Rückmeldungen der anderen Teilnemer dazu Auswertung: welche Eigenarten sind hilfreich als Gruppenpsychotherapeutin? Welche Kompetenzen möchte ich stärker entwickeln? 30