Gemeinsame elterliche Sorge bei familiärer Gewalt

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Transkript:

Gemeinsame elterliche Sorge bei familiärer Gewalt W. FELDER Inhalt Einleitung Elternpersönlichkeiten Interaktion der Eltern Persönlichkeit des Kindes Therapeutische Möglichkeiten 1

Fragestellung aus juristischer Sicht Zwei mögliche Sichtweisen: Es gelten die Kriterien, die bei Art. 311 ZGB zur Anwendung kommen Büchler, Maranta 2014 (Jusletter 11, August 2014) Fragestellung aus juristischer Sicht Gesamte Schweiz (2012): 54 Fälle von Entzug der elterlichen Sorge nach Art. 311 und Art. 312 Büchler, Maranta 2014 (Jusletter 11, August 2014) 2

Fragestellung aus juristischer Sicht Es gelten indes nicht so strenge Voraussetzungen wie beim Entzug der elterlichen Sorge. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass die wesentlichen Grundlagen für eine gemeinsame Elternverantwortung nicht mehr vorhanden sind, sodass das Kindeswohl die Übertragung der elterlichen Sorge an einen Elternteil gebietet. Bundesgerichtsurteil vom 10.11.2010 (5A_638/2010) Fragestellung aus juristischer Sicht Zwei mögliche Sichtweisen: Die Schwelle für den Entzug der gemeinsamen elterlichen Sorge ist niedriger als beiart. 311 ZGB Felder, Hausheer, Aebi-Müller, Desch (ZBJV, 11/2014, 892-916) 3

Fragestellung aus juristischer Sicht Ca. 20-25 % Alleinsorge Staub, Hausheer, Felder (ZBJV 6/ 2006, 537-552) Fragestellung aus psychologisch/psychiatrischer Sicht Allgemein Spezifisch bezogen auf Gewaltproblematik 4

Fragestellung aus psychologisch/psychiatrischer Sicht Sind beide Eltern am Erziehungsprozess beteiligt oder nicht? Fragestellung aus psychologisch/psychiatrischer Sicht Eltern resp. Elternteile, die mit ihren Kindern in einem Erziehungsprozess sind, sollen mitentscheiden können Wer mit seinen Kindern lediglich in einer Beziehung, aber nicht in einem erzieherischen Prozess ist, soll nicht entscheiden dürfen weil er es nicht kann weil der, der die Verantwortung trägt, auch alleine die Entscheidungskompetenz haben soll 5

Fragestellung aus psychologisch/psychiatrischer Sicht Wie ist Erziehung und Beziehung zu trennen? Fragestellung aus psychologisch/psychiatrischer Sicht Wannist die negative Auswirkungeines Elternteils, der Gewalt in irgend einer Form anwendet, auf den anderen Elternteil so gross, dass dieser seine elterliche Verantwortung dem Kind gegenüber nur noch mangelhaft wahrnehmen kann? 6

Fragestellung aus psychologisch/psychiatrischer Sicht Wannführt die Gewaltausübung des Täters dazu, dass das Opfer nicht mehr hinreichend erziehungsfähig ist? Annahme 1 Wird ein Elternteil vom anderen Elternteil und/oder vom Gericht für fähig erachtet, einen Drittel oder mehr der Zeit die Kinder zu betreuen, dürfte die gemeinsame elterliche Sorge nicht ernsthaft zur Debatte stehen, da dann Erziehung gefordert werden muss. 7

Annahme 2 Wenn die gesamte gemeinsame elterliche Sorge umstritten ist, dürfte ein Elternteil die überwiegende Obhut ausfüllen oder anstreben, der andere Kontakte im bisher üblichen Umfang eines Besuchsrechtes wahrnehmen. Obhutsberechtigter Elternteil Besuchsberechtigter Elternteil Besuchsberechtigter Elternteil Mögliche Gründe für das Absprechen einer gemeinsamen elterlichen Sorge: Fehlwahrnehmung des Kindes Überwiegend verantwortlich für den Konflikt der Eltern 8

Fehlwahrnehmung des Kindes OLG Nürnberg 30.01.2014: Mutter, KiTa Mitarbeiter, Psychologin, Heilpädagogin sehen Notwendigkeit einer heilpädagogischen Förderung und kinderpsychiatrischen Behandlungder Tochter Vater verbietet jedwede Massnahme Fehlwahrnehmung des Kindes NurEinschränkung der Sorge bezüglich Therapie/Schule, oder Entzug der gesamten elterlichen Sorge? 9

Überwiegender Anteil am Elternkonflikt Elternkonflikte können asymmetrisch sein. M. Friedmann 2004: The So-Called High Conflict Couple: Amer J Family Therapy, 32, 101-117 Obhutsberechtigter Elternteil Psychische Stabilität gegenüber dysfunktionalem Partner Leiden an früherer Gewalt durch besuchsberechtigten Elternteil Überwiegend für Konflikt verantwortlich 10

Obhutsberechtigter Elternteil Psychische Stabilität gegenüber dysfunktionalem Partner: Kann der obhutsberechtige Elternteil dem Druck des besuchsberechtigten Elternteils standhalten? Muss der obhutsberechtigte Elternteil geschützt werden? Leiden an früherer Gewalt durch besuchsberechtigten Elternteil Angst vor Aggression in der Gegenwart Angst, den eigenen Standpunkt nicht vertreten zu können. Posttraumatische Störung 11

Überwiegende Verantwortung für den Konflikt der Eltern Isolierte Einschränkung der Erziehungsfähigkeit? Spitze des Eisberges Interaktion der Eltern Interaktionsstörungen der Eltern zu Lasten des Kindes: Entscheide werden in der Regel verschleppt Entscheide gehen in der Regel zu Lasten des Kindes Das Kind muss häufig entscheiden, weil es die Eltern nicht können/wollen Mangelhafte gegenseitige Information 12

Interaktion der Eltern Die alleinige Sorge eines Elternteils würdeden Konflikt der Eltern nicht reduzieren, aberdie Bedingungen für kindgerechte Entscheidungen würden wesentlich verbessert. Persönlichkeit des Kindes Belastetes Kind - Pflegeleichtes Kind Gerechtigkeitsempfinden des Kindes Urteilsfähigkeit 13

Urteilsfähigkeit des Kindes Kognitive Komponente Emotionale Komponente Möglichkeiten und Grenzen der Therapie/Mediation Rumo-Jungo (Jusletter, 15.02.2010): Möglichkeit der angeordneten Mediation nach Art. 297 Abs. 2 ZPO 14

Verhaltensänderungen können erzielt werden (z.b. weniger Streit vor Kindern) Konfliktreduktion nur gering J. Owen und G.K. Rhoades, 2012 (Journal of Marital and Family Therapy, July 2012, Vol 38, N 3, S.542-555) Angeordnete Beratung bei Hochkonfliktfamilien Beratung eines Elternteils möglich Keine Wirkung auf Konflikt Gabaglio, Rösli, Loretan, Blaser, Schaffner, Felder ZBJV 147,2011, S.923-932 15

Beschreibung von Hochkonfliktfamilien Alberstötter 2004/2006: Stufe 1 : Zeitweilige Verhärtung Schuldzuweisung Polarisiertes Denken Beschreibung von Hochkonfliktfamilien Alberstötter 2006: Stufe 2 : Verletzendes Agieren Pathologisierung des je anderen Einbezug von Dritten, auch Kindern 16

Beschreibung von Hochkonfliktfamilien Alberstötter 2006: Stufe 3 : Kampf um jeden Preis Verzweiflung, Hass und Ekel Zuschreibung unmenschlicher Züge an den anderen Wann darf das Recht eines Elternteils beschnitten werden? Wann muss der hauptverantwortliche Elternteil geschützt werden? Wann braucht es nur noch Schadensbegrenzung? 17