Hajo Zeeb Leibniz Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie BIPS, Bremen Münster, Oktober 2016
Themen 2 Thesen und Vorbemerkungen Zusammenhänge Migration und Gesundheit Wichtige Risiken, wichtige Erkrankungen, Sterblichkeit Ausgewählte neuere Studien Diskussion Versorgung von Flüchtlingen
Thesen 3 Die gesundheitliche Lage von Migrantinnen und Migranten in Deutschland ist z.t. schlechter, z.t. aber gleich oder besser als die der deutschen Mehrheitsbevölkerung Es verlaufen vielfach (aber nicht überall) Angleichungsprozesse: Unterschiede werden über die Zeit geringer
International seit Jahren unter den Top 3 der Länder mit der höchsten Zahl internationaler Migrantinnen und Migranten (Nr. 1: USA)
5 Alterungsprozesse in der Migrationsbevölkerung - abweichend, aber nicht grundsätzlich anders Aus: Kohls 2011 FB 9, BAMF
Migration und Epidemiologie 6 Kernfrage: gesundheitliche Lage, Risiken/Ressourcen bei Migranten/innen A) Ursachenforschung B) Versorgung Herausforderung: wie wird Migrationshintergrund in Erhebungen definiert? >> Arbeiten mit Standarddefinition früher: Staatsangehörigkeit Jetzt: + Geburtsort, Geburtsort der Eltern, ggf. weitere Mikrozensus: Zuwanderung, Einbürgerung, Zeitangaben >> Im Krankenhaus Vermutung: pragmatische Definition über Sprache, Äußeres, kulturellen Eindruck
Mindestindikatorensatz (Schenk et al 2006) 7
8 Zusammenhänge Migration und Gesundheit/Krankheit
Rahmenkonzept ein Lebenslaufmodell von Migration und Gesundheit 9 Spallek, Zeeb, Razum 2011
Risikofaktoren 10 Reiss Rommel et al, et al, 2010 2015
Erkrankungen (Surveyergebnisse DEGS) 11 Rommel et al, 2015
Herzinfarkt Inzidenz (Aussiedlerkohorte Augsburg) 12 Bei Todesfällen wegen ischämischer Herzerkrankung keine Unterschiede zwischen Aussiedler- und deutscher Vergleichsbevölkerung Bei neu auftretenden Herzinfarkten mittlerweile höhere Raten bei männlichen Aussiedlern als bei Männern der Vergleichsbevölkerung! (Frauen kein Unterschied, deutlich geringere Häufigkeit) Deckert et al 2013
Krebsinzidenz 13 Aussiedler (Winkler et al 2013) Männer: erhöhte Raten für Magen-Ca, Lungen-Ca Frauen: erhöhte Raten für Magen-Ca, (Larynx-Ca) erniedrigt für Lungen-Ca (Brust-Ca) Kein Angleichen über die Zeit beobachtet Türkische Migranten Hamburg (Spallek et al 2009) Männer: Lungen Ca niedriger in älteren Kohorten, erhöht in jüngeren Kohorten; Lymphome erhöht Frauen: einige Krebsarten niedriger, auch Brust-Ca in älteren Kohorten, ansteigend in jüngeren Kohorten
Sterblichkeit bei ca. 35.000 Aussiedlern, NRW Ronellenfitsch et al, 2006 14 SMR (Vergleich D) = 0,81 (0,75-0,86) Frauen 0,89 (0,83-0,95) Männer Bild für Gesamtmortalität ähnlich Herz-Kreislaufsterblichkeit männlicher Aussiedler ( ) Vergleich Männer der deutschen Gesamtbevölkerung ( ). Raten pro 100.000 Personenjahre. 95% KI
Daten des BAMF (Kohls 2011) 16 Altersstandardisierte Sterberate niedrig: Ausländische Männer 4,1 pro 1000 7,1 deutsche Männer Ausländische Frauen 2,7 pro 1000 4,6 deutsche Frauen Altersspezifisch: Sterblichkeit niedrig für jüngere Migranten/innen (20-60 J.) Nicht durchgängig für Herkunftsländer Türkei, Südeuropa Erhöhte Sterblichkeit bei Migranten ab Rentenalter Besonders viele angeworbene Arbeiter mit schwerer Arbeit Auffällig: erhöhte Sterblichkeit v. Frauen aus Subsahara-Afrika ggü. deutschen Frauen (ca. 90%) Auch ggü. anderen Nicht-Deutschen
Gesundheitswissen und - handeln 17 Beispiel Krebsfrüherkennung Em Unterschiede im Wissen, wenig im Handeln Rommel et al, 2015
Ein Blick in neuere Studien 18
4B Studie Besser behandeln bei Brustkrebs 19 Krankheitsvorstellungen und Behandlungserwartungen nach der Diagnose Brustkrebs: die besondere Situation türkischer Frauen Vorgehensweise: qualitative Interviews mit türkischen und deutschen Brustkrebspatientinnen in Bielefeld und Bremen Bei Antragstellung keine Forschungsergebnisse zu psychoonkologischen Bedarfen, - Versorgung bei türkischen Frauen Förderung: Deutsche Krebshilfe
Ziele / Fragestellungen 20 Welche Krankheitsvorstellungen haben türkische und deutsche Frauen in Bezug auf Brustkrebs? Welche Behandlungserwartungen und -wünsche haben türkische und deutsche Brustkrebspatientinnen (z.b. Information, Aufklärung, Kommunikation, Behandlungsroutinen, Angebote)? Wie werden psychoonkologische Versorgungs - angebote von deutschen und türkischen Frauen wahrgenommen?
Studienverlauf und Ergebnisse 21 18 türkische Patientinnen interviewt (11 mit geringer Schulbildung) Großer Informationsbedarf Ängste und Befürchtungen in Bezug auf die Erkrankung Familienunterstützung wichtig, aber einiges wird ausgeblendet Bisherige Funktionen nicht mehr erfüllbar Psychoonkologische Unterstützung zwar bekannt, aber wird z.t. als Behandlung für psychiatrische Fälle misinterpretiert Ratschläge von dt. Psychoonkologen/innen nicht hilfreich Tendenziell eher ablehnende Haltung
Hinweis BaBi 22 - Sozialepidemiologische Geburtskohortenstudie - Fokus auf der Rekrutierung von Müttern mit Migrationshintergrund - Rekrutierung läuft
Gesundheitsziele.de 23 Auswahlprozess für ein neues Gesundheitsziel für Deutschland Migration und Gesundheit ein Kandidat Leitmotiv Bessere Gesundheit und gesundheitliche Versorgung für Menschen mit Migrationshintergrund Kriterienanalyse durch eine Expertengruppe 13 vorgegebene Kriterien als Basis der Auswahl Z.B. Mortalität, Krankheitslast/Morbidität, Verbesserungspotenzial, volkswirtschaftliche Relevanz, ethische Aspekte Ergebnis: kein eigenes Gesundheitsziel, sondern Teil der Querschnittsanforderung an ALLE Gesundheitsziele
Aktuell Versorgung und Gesundheit von Flüchtlingen 24 Befragung bei den Akteuren in der Versorgung von Flüchtlingen Bei vielen Aufgaben (z.b. Gesundheitsversorgung von Schwangeren) wird das Ausmaß der Bedarfsdeckung als hoch eingeschätzt Ausnahme: Asylsuchende mit psychischen Erkrankungen Borzorgmehr et al 2016
Diskussion 25 Datenlage zu Migration und Gesundheit verbessert sich allmählich Epidemiologische Studien BAMF Berichte RKI - Fokus Gesundheit von Migrantinnen und Migranten: nötig ist eine differenzierende Betrachtungsweise Weiterhin viele Herausforderungen Alternde Migrantinnen und Migranten Enge Verknüpfung von Sozialstatus und Migration Versorgung migrantensensibel gestalten*
Vielen Dank www.bips.uni-bremen.de