Arbeitsrechtliche Konsequenzen der Pflegereform

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Transkript:

Arbeitsrechtliche Konsequenzen der Pflegereform In seiner Sitzung vom 25. April 2008 hat der Bundesrat das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung gebilligt und damit der seit langem diskutierten Pflegereform zugestimmt. Zum 1. Juli 2008 ist das Gesetz in Kraft getreten. Nicht nur sozialrechtlich, sondern auch arbeitsrechtlich sind die Neuerungen von Interesse. Mit dem verabschiedeten Pflegezeitgesetz (PflegeZG) gehen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber erhebliche Veränderungen einher. I. Die Intention des PflegeZG Es ist der Wunsch vieler pflegebedürftiger Personen, in vertrauter Umgebung von Angehörigen gepflegt zu werden. Berufstätige Angehörige aber können (oder wollen) für die Pflege Angehöriger nicht vollständig auf ihre Berufstätigkeit verzichten. Oftmals tritt ein Pflegefall völlig unerwartet ein. Quasi über Nacht stehen Angehörige dann vor einer komplett veränderten familiären Situation: Sie müssen sich über Pflege- und Betreuungsangebote für ihre Angehörigen informieren und den dafür notwendigen organisatorischen Aufwand betreiben; möglicherweise wollen sie die Pflege auch selbst übernehmen. Die hierfür erforderliche Zeit aber ist neben einer Vollzeitbeschäftigung nur schwer zu erübrigen. Daher versucht das PflegeZG auch angesichts der demographischen Entwicklung und der wachsenden Bedeutung des Themas Pflege im Rahmen betrieblicher Personalpolitik bessere Ausgangsbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu schaffen und so die Möglichkeiten ambulanter Pflege zu stärken. II.

- 2 - Arbeitsrechtliche Auswirkungen des PflegeZG Die wichtigste Neuerung: Um den Eintritt eines Pflegefalls mit den Belastungen des Berufsalltags in Einklang bringen zu können, gibt das PflegeZG Beschäftigten sowohl einen Anspruch, im akuten Pflegefall kurzzeitig von der Pflicht zur Arbeitserbringung freigestellt zu werden wie auch die Möglichkeit, eine länger andauernde Pflegezeit von bis zu 6 Monaten in Anspruch zu nehmen. Hierdurch wird eine flexible Reaktion auf den von Fall zu Fall unterschiedlichen Pflegebedarf ermöglicht. Doch was sind die näheren Voraussetzungen? (Wie) werden Arbeitgeberinteressen berücksichtigt? Auf diese und andere Fragen will der folgende Beitrag näher eingehen. Der Praxisfall: Die Firma Profitmax hat 10 Vollzeit- und 5 Teilzeitbeschäftigte. Darüber hinaus beschäftigt das Unternehmen seit dem 01.07.2008 den Mitarbeiter Klaus Müller (K). K lebt bei seiner Mutter; der Vater ist vor einigen Jahren verstorben. Weitere Familienangehörige existieren nicht. Am 02.07.2008 erleidet die Mutter des K einen schweren Schlaganfall. Sie kann sich seitdem weder selbständig an- und auskleiden noch Badgänge alleine vornehmen. Des Weiteren benötigt sie umfassende Unterstützung bei der Einnahme der täglichen Mahlzeiten. Am Freitag, den 04.07.2008 wendet sich K an seinen Arbeitgeber und bittet darum, ab dem darauf folgenden Montag für 2 Wochen von der Arbeit freigestellt zu werden. Frage 1: U fragt sich, ob K die Freistellung verlangen kann. Fortsetzung: U hat den K wie von diesem gewünscht für die Dauer von 2 Wochen unbezahlt von der Arbeit freigestellt. K hat in dieser Zeit zunächst versucht, eine Betreuung für seine Mutter zu organisieren. Schließlich hat er sich aber dafür entschieden, dass er seine Mutter selbst pflegen möchte. Er bittet daher seinen Arbeitgeber am Freitag, den 18.07.2008, schriftlich, ihn ab dem 01.08.2009 bis Ende des Jahres unbezahlt vollständig von der Arbeit freizustellen. Frage 2: U möchte wissen, ob dem K ein entsprechender Anspruch zusteht. Frage 3: Kann K die Pflegezeit noch bis Ende Januar 2009 verlängern?

- 3-1. Kurzzeitige Freistellung bei akuter Pflegesituation Nach 2 können Beschäftigte bis zu 10 Tage der Arbeit fernbleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen. Eine Zustimmung des Arbeitgebers hierzu ist nicht erforderlich der Beschäftigte ist lediglich verpflichtet, dem Arbeitgeber die Verhinderung an der Arbeitsleistung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. a) Voraussetzungen des Anspruchs aus 2 PflegeZG Im Einzelnen hat der Freistellungsanspruch damit die folgenden Voraussetzungen: Es muss eine akute Pflegesituation vorliegen. Die Pflegebedürftigkeit muss also kurzfristig und überraschend eingetreten sein und darf nicht bereits seit längerem vorhersehbar gewesen sein. Eine Pflegebedürftigkeit im Sinne des 2 orientiert sich gemäß 7 Abs. 4 an den Einstufungen der 14, 15 SGB XI und erfordert mindestens die so genannte Pflegestufe 1. Anders als bei Inanspruchnahme der Pflegezeit nach 3 (dazu unten unter 2.) muss aber ausweislich der Gesetzesbegründung die Pflegebedürftigkeit des Angehörigen im Rahmen des 2 nur voraussichtlich bestehen, nicht jedoch schon abschließend festgestellt sein. Der freizustellende Mitarbeiter muss Beschäftigter im Sinne des PflegeZG sein. Dies sind nach 7 Abs. 1 nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Auszubildende und so genannte arbeitnehmerähnliche Personen, wozu auch die in Heimarbeit Beschäftigten zählen. Nicht unter die arbeitsrechtlichen Regelungen des PflegeZG fallen dagegen Beamte. Die Freistellung zur pflegerischen Versorgung muss erforderlich sein. Nach der Gesetzesbegründung wird davon ausgegangen, dass eine Notwendigkeit einer pflegerischen Versorgung im Akutfall regelmäßig nur einmal je pflegebedürftigem Angehörigen bestehen wird. Ein Anspruch aus 2 PflegeZG besteht also nicht, wenn die Pflege des Angehörigen durch andere Personen organisiert oder geleistet werden kann. Ebenso dürfte an der Erforderlichkeit zu zweifeln sein, wenn der pflegende Angehörige nur geringfügig beschäftigt oder dergestalt in Teilzeit beschäftigt ist, dass sich die Pflegetätigkeit mit der beruflichen Tätigkeit unproblematisch vereinbaren lässt.

- 4 - Der Arbeitgeber kann eine ärztliche Bescheinigung verlangen, die die voraussichtliche Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen sowie die Notwendigkeit bestätigt, eine angemessene Pflege zu organisieren oder die Pflege in dieser Zeit selbst sicherzustellen. Wer naher Angehöriger ist, regelt das Gesetz abschließend in 7 Abs. 3: Dies sind neben dem Ehegatten, Lebenspartner oder Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft die Geschwister, Eltern, Schwiegereltern und Großeltern, Kinder, Adoptiv- und Pflegekinder des Beschäftigten und seines Ehegatten oder Partners sowie Schwiegerkinder und Enkelkinder. Nicht zu den Angehörigen im Sinne des Gesetzes zählen daher insbesondere Onkel und Tanten des Beschäftigten. b) Geltung auch in Kleinbetrieben Der Anspruch aus 2 gilt auch für Beschäftigte in Kleinbetrieben. Auch ein Arbeitgeber, der nur einen einzigen Mitarbeiter beschäftigt, sieht sich daher unter Umständen einem solchen kurzfristigen Freistellungsverlangen seines Mitarbeiters ausgesetzt. c) Fortzahlung der Vergütung? Von großer Bedeutung, durch das Gesetz aber leider nicht eindeutig geklärt ist die Frage, ob der Arbeitgeber während der kurzen Arbeitsverhinderung des Beschäftigten diesem gegenüber zur Fortzahlung der Vergütung verpflichtet ist. Das PflegeZG enthält hierzu keine spezielle Regelung. Allerdings sieht 616 BGB eine Fortzahlung der Vergütung bei vorübergehender, vom Beschäftigten nicht zu vertretender Verhinderung vor. Die Norm des 616 BGB kann jedoch abbedungen werden. Es kann daher mit den Beschäftigten individualvertraglich vereinbart werden, dass im Fall einer kurzzeitigen Freistellung nach 2 PflegeZG eine Fortzahlung der Vergütung nicht erfolgt. Für Auszubildende regelt 19 Abs. 1 Nr. 2 b BBiG einen Anspruch auf Lohnfortzahlung für einen Zeitraum bis zu 6 Wochen, wenn der Auszubildende aus einem sonstigen, in seiner Person liegenden Grund unverschuldet verhindert ist, seine Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen. Im Übrigen können Regelungen zu dieser Frage in Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen getroffen werden.

- 5 - Praxistipp: Wenngleich 616 BGB aufgrund seiner Formulierung nur einen Zeitraum von wenigen Tagen abdecken dürfte, ist dem nicht durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag anderweitig verpflichteten Arbeitgeber, der für den Zeitraum der kurzzeitigen Freistellung nach 2 PflegeZG kein Entgelt fortzahlen will, zu raten, dies individualvertraglich mit dem Beschäftigten zu vereinbaren. 2. Anspruch auf Pflegezeit bis zu 6 Monaten 3 gibt den Beschäftigten einen Anspruch auf so genannte Pflegezeit über einen Zeitraum von bis zu 6 Monaten, um einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung zu pflegen. a) Anspruchsvoraussetzungen Anders als der Anspruch nach 2 besteht der Anspruch auf Inanspruchnahme einer Pflegezeit nur gegenüber Arbeitgebern mit mehr als 15 Beschäftigten. Hat ein Unternehmen mehrere Betriebe, ist daher die Gesamtzahl der Beschäftigten maßgeblich. Hierbei kommt es auf die sog. Kopfzahl an das bedeutet, dass auch Teilzeitangestellte voll gezählt werden. Auch Auszubildende sind mitzurechnen. Das Gesetz sieht keine Mindestdauer des Beschäftigungsverhältnisses vor, so dass Beschäftigte von Beginn des Beschäftigungsverhältnisses an die Pflegezeit beanspruchen können, sofern die näheren Voraussetzungen vorliegen. Die Pflegebedürftigkeit (Pflegestufe 1) des Angehörigen muss allerdings sicher feststehen und durch Bescheinigung nachgewiesen werden. Anders als die kurzzeitige Freistellung nach 2 muss die Inanspruchnahme der Pflegezeit mit einer Vorlaufzeit von mindestens 10 Tagen schriftlich angekündigt und dem Arbeitgeber mitgeteilt werden, über welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Pflegezeit in Anspruch genommen werden soll. Im Hinblick auf die Dauer der Pflegezeit von bis zu 6 Monaten und dem damit verbundenen Organisationsaufwand des Arbeitgebers, der sich ggf. um Ersatzkräfte bemühen muss, ist diese Frist viel zu kurz bemessen. In 10 Tagen kann auch für einfache Tätigkeiten keine Ersatzkraft gefunden und eingestellt werden. Entscheidet sich der Beschäftigte, die Pflegezeit in der vollen Höhe von 6 Monaten in Anspruch zu nehmen, so kann der Arbeitgeber dies nicht ablehnen. Dem Beschäftigten steht ein entsprechender Anspruch von Gesetzes wegen zu. Der Anspruch ist nicht von einer Zustimmung des Arbeitgebers abhängig; ihm können auch unternehmerische Interessen nicht entgegengehalten werden.

- 6 - Soll die Pflegezeit zunächst aber nur in geringerem Umfang in Anspruch genommen werden, so kann eine Verlängerung nur verlangt werden, wenn der Arbeitgeber dem zustimmt oder wenn ein vorgesehener Wechsel in der Person des Pflegenden aus einem wichtigen Grund nicht erfolgen kann. Die Pflegezeit kann auch dergestalt in Anspruch genommen werden, dass nur eine teilweise Freistellung von der Arbeitspflicht erfolgt. Hierüber hat sich der pflegende Angehörige mit dem Arbeitgeber schriftlich zu einigen und diesem die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit mitzuteilen. Anders als bei der völligen Freistellung kann der Arbeitgeber hier im Hinblick auf die vom Beschäftigten gewünschte Verringerung der Arbeitszeit und deren Verteilung dringende betriebliche Gründe entgegenhalten. b) Vorzeitiges Ende der Pflegezeit Verstirbt die gepflegte Person, wird sie in eine stationäre Einrichtung aufgenommen oder ihre Pflege und Betreuung aus anderen Gründen unzumutbar oder unmöglich, so endet die Pflegezeit 4 Wochen nach Eintritt der veränderten Umstände, 4 Abs. 2. Der pflegende Angehörige hat den Arbeitgeber über diese Veränderung umgehend zu unterrichten. Im Übrigen kann nur mit Zustimmung des Arbeitgebers die Pflegezeit vorzeitig beendet werden. Dies ist dem Planungsbedürfnis des Arbeitgebers geschuldet, der über einen verlässlichen Zeitraum neu disponieren und befristet für den Pflegezeitraum beispielsweise eine Ersatzkraft einstellen muss (vgl. hierzu unten unter 4.). c) Sozialversicherungsrechtliche Aspekte Während der Pflegezeit wird der Beschäftigte von seiner Pflicht zur Arbeitserbringung unbezahlt freigestellt. Er bleibt aber wie übrigens auch im Rahmen der kurzzeitigen Freistellung nach 2 weiterhin sozialversichert. Die Beiträge zur Rentenversicherung werden von der Pflegekasse übernommen, sofern der Angehörige mindestens 14 Stunden in der Woche gepflegt wird. Auch die notwendigen Beiträge zur Arbeitslosenversicherung werden von der Pflegekasse übernommen. Der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz bleibt oftmals durch eine bestehende Familienversicherung erhalten. Sofern eine Familienversicherung nicht existiert, muss sich der Beschäftigte, der eine Pflegezeit in Anspruch nehmen will, freiwillig weiterversichern. Den dafür zu entrichtenden Mindestbeitrag erhält er auf Antrag von der Pflegeversicherung erstattet.

- 7 - Hinsichtlich des insofern gebotenen Vorgehens dürfte sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers eine Pflicht zur Beratung und Aufklärung des Beschäftigten ergeben. 3. Besonderer Kündigungsschutz Wer Pflegezeit in Anspruch nimmt oder eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung nach 2 geltend macht, genießt für diesen Zeitraum besonderen Kündigungsschutz eine in dieser Zeit ausgesprochene Kündigung ist unwirksam. Nur ausnahmsweise und mit Zustimmung der obersten Landesbehörde darf eine Kündigung ausgesprochen werden, 5. Der Kündigungsschutz beginnt bereits mit dem Zeitpunkt der Ankündigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder der Inanspruchnahme der Pflegezeit und gilt sogar für solche Beschäftigten, die ansonsten keinen Kündigungsschutz hätten zum Beispiel bei in der Probezeit befindlichen Mitarbeitern oder bei arbeitnehmerähnlichen Personen, die sonst keinen allgemeinen Kündigungsschutz genießen würden. Für den Kündigungsschutz nach 5 ist es irrelevant, wie viele Beschäftigte im Unternehmen arbeiten nach dem Gesetzeswortlaut findet die Norm auch auf Kleinbetriebe Anwendung. Ferner ist es nicht von Bedeutung, wie lange die pflegende Person schon beschäftigt ist der Kündigungsschutz greift also ab dem ersten Tag des Beschäftigungsverhältnisses. Hier besteht in mehrfacher Hinsicht die Gefahr eines Rechtsmissbrauchs: Für den Anspruch auf kurzfristige Freistellung nach 2 PflegeZG soll bereits die voraussichtliche Pflegebedürftigkeit des Angehörigen ausreichen. Es besteht die Gefahr, dass ein von einer Kündigung bedrohter Mitarbeiter aus taktischen Gründen ankündigt, einen voraussichtlich pflegebedürftigen Angehörigen pflegen zu wollen, um so Kündigungsschutz zu erlangen. Da das Gesetz hinsichtlich des Zeitpunkts der Ankündigung der Inanspruchnahme einer Pflegezeit zwar eine Mindest-, aber keine Maximalfrist vorsieht, kann dieser Zeitpunkt bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs nach vorne verlagert werden, um so einen möglichst weitreichenden Kündigungsschutz zu erlangen. 4. Neuer Befristungstatbestand Nimmt ein Mitarbeiter Elternzeit in Anspruch, so kann gemäß 6 für diesen Zeitraum eine weitere Arbeitskraft befristet eingestellt werden die Vertretung während der Pflegezeit gilt als sachlicher Grund im Sinne des 14 TzBfG. Zwar nennt bereits 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG die Beschäftigung zur Vertretung eines anderen Mitarbeiters als sachlichen Grund.

- 8 - Allerdings beinhaltet das PflegeZG in 6 Abs. 3 insofern einen Sonderkündigungstatbestand: Sofern einzelvertraglich nichts anderes vereinbart ist, kann das befristete Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 2 Wochen gekündigt werden, wenn die Pflegezeit nach Maßgabe des 4 Abs. 2 S. 1 vorzeitig endet. Der gekündigte Mitarbeiter kann sich in diesem Fall nicht auf das Kündigungsschutzgesetz berufen. 5. Unabdingbarkeit 8 legt fest, dass von den Regelungen des PflegeZG nicht zu Ungunsten der Beschäftigten abgewichen werden kann. II. Verbleibende Rechtsunsicherheit Das PflegeZG lässt einige wichtige Fragen unbeantwortet. So ist etwa unklar, wie sich die Inanspruchnahme der Pflegezeit auf Urlaubsansprüche des Beschäftigten auswirkt. Hier stellt sich zum einen die Frage, ob eine anteilige Kürzung des Urlaubs für den Zeitraum der in Anspruch genommenen Pflegezeit vorgenommen werden kann. Ferner fragt sich, ob der Beschäftigte die Unterbrechung bereits gewährten Urlaubs verlangen kann, wenn während der Urlaubszeit ein familiärer Pflegefall eintritt und der Beschäftigte infolge dessen die Pflegezeit nach 3 in Anspruch nehmen will. Im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) sieht der Gesetzgeber vor, dass der Urlaubsanspruch für jeden vollen Monat der Elternzeit grundsätzlich um 1/12 gekürzt werden kann. Eine entsprechende Regelung fehlt im PflegeZG. Da in der Gesetzesbegründung zum PflegeZG mehrfach auf das BEEG Bezug genommen wurde, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber nur versehentlich eine entsprechende Regelung nicht getroffen hat. Deshalb ist davon auszugehen, dass eine Anrechnung der Pflegezeit auf den dem Beschäftigten zustehenden gesetzlichen Urlaubsanspruch nicht möglich ist. Eine Unterbrechung bereits gewährten Urlaubs wegen Eintritts eines Pflegefalls allerdings wird der Beschäftigte wohl nicht verlangen können. Ein einmal gewährter Urlaub steht grundsätzlich hinsichtlich Zeitpunkt und Umfang für beide Parteien bindend fest und kann nur ausnahmsweise nachträglich beeinflusst werden etwa durch die Spezialvorschrift des 9 BUrlG, wonach Krankheitstage auf den Urlaubsanspruch nicht angerechnet werden. Eine solche Regelung aber fehlt dem PflegeZG.

- 9 - Ferner kann dem Gesetz nicht entnommen werden, ob die Inanspruchnahme einer Pflegezeit Auswirkungen auf die Höhe vom Arbeitgeber geleisteter Sonderzahlungen hat. Hier dürfte es sich so verhalten, dass Sonderzahlungen, die allein die Betriebstreue des Mitarbeiters belohnen, in ihrer Höhe unverändert auszuzahlen sind. Bei leistungsbezogenen Zulagen dagegen wäre der Zeitraum der Pflegezeit, in der ja gerade keine Arbeitsleistung erbracht wird, anspruchsmindernd zu berücksichtigen. III. Praxisempfehlung In Anbetracht der verbleibenden Unsicherheiten bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach dem PflegeZG ist es nach der Auffassung des Autors empfehlenswert, durch geeignete betriebliche und personalpolitische Maßnahmen der Inanspruchnahme einer längerfristigen Pflegezeit vorzubeugen bzw. diese auf die wirklich notwendigen Fälle zu beschränken. Bietet der Arbeitgeber seinen Beschäftigten etwa durch Teilzeit-, Gleitzeit- und sonstige alternativen Arbeitszeitmodelle die Möglichkeit, Beruf und Pflege auch ohne die Inanspruchnahme einer Pflegezeit miteinander zu vereinbaren, so hat dies für beide Seiten Vorteile: Der Beschäftigte verbleibt auch während eines Pflegezeitraums im Unternehmen erhält so seine Qualifikation Die fortlaufende berufliche Tätigkeit kann von den Beschäftigten nicht nur als zusätzliche Belastung, sondern auch als Entlastung von der Pflegetätigkeit empfunden werden. Der Verbleib im Beruf bietet dem Beschäftigten soziale und finanzielle Vorteile. Lösung des Praxisfalls: Zu Frage 1: K kann wegen kurzzeitiger Arbeitsverhinderung eine Freistellung nach 2 für den begehrten Zeitraum verlangen, da dies zur Pflege seiner Mutter erforderlich ist. Da K die Freistellung für 2 Wochen begehrt, ist der maximal zulässige Zeitaum von 10 Arbeitstagen eingehalten. Der Arbeitgeber muss der Freistellung nicht zustimmen. Seiner Verpflichtung, die Verhinderung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen, ist K nachgekommen.

- 10 - Zu Frage 2: Auch dieser Anspruch des K besteht. Einer Zustimmung des Arbeitgebers bedarf es nicht. Die Ankündigungsfrist von 10 Arbeitstagen ist eingehalten. K hat auch erklärt, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung in Anspruch genommen werden soll. Dem Anspruch auf Inanspruchnahme einer Pflegezeit können betriebliche Belange grundsätzlich nicht entgegenstehen. Zu Frage 3: Eine Verlängerung der in Anspruch genommenen Pflegezeit bis zur Höchstdauer von 6 Monaten ist grundsätzlich nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich. K hat allerdings dann einen Anspruch auf Verlängerung, wenn ein vorgesehener Wechsel in der Person des Pflegenden aus einem wichtigen Grund nicht erfolgen kann. Ihr Rechtsanwalt Thomas Haas www.edk.de haas@edk.de Stand Mai 2008