SSPH 15. Nov 2016 Bern Infektionen und Impfungen bei asylsuchenden Kindern und Jugendlichen in der Schweiz PD Dr. med. Nicole Ritz Leiterin Sprechstunde Migrationsmedizin Oberärztin Pädiatrie, Infektiologie und Pharmakologie nicole.ritz@unibas.ch
Übersicht Aktuelle Flüchtlingssituation der Kinder (Weltweit / Europa / Schweiz) Medizinische Versorgung am UKBB: Zahlen und Herausforderungen Daten zu medizinischen Problemen und Empfehlungen zur Betreuung UKBB, Datum, Vorname Name Seite 2
Definitionen Migrant: jemand, der freiwillig von einem Land in ein anderes ausgewandert ist. Flüchtling: jemand, der nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann, weil er/sie eine begründete Angst hat, dort verfolgt zu werden. Asylsuchender: jemand, der um den gesetzlichen Flüchtlingsstatus ersucht hat um in einem bestimmten Land zu bleiben. Unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender (UMA): ein Asylsuchender der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, von beiden Elternteilen getrennt ist und nicht von einem Erwachsenen betreut wird, dem die Betreuung des Kindes durch Gesetz oder Gewohnheit obliegt.
Kinder in der globalen Migration 1 von 200 Kindern weltweit ist auf der Flucht 1 von 8 Migranten ist ein Kind 28 Mio. Kinder weltweit auf der Flucht UNICEF report, Sep 2016
Herkunft der Flüchtlinge 2015 UNICEF report, Sep 2016
Herkunft und Aufenthalt von Flüchtlingen UNICEF report, Sep 2016
Aufnahme von Flüchtlingen proportional zu Einwohnern UNICEF report, Sep 2016
Asylsuchende Kinder in Europa 2015 UNICEF Child Relocation and Asylum, Nov 2016
Asylsuchende Kinder in Europa 2015 UNICEF Child Relocation and Asylum, Nov 2016
Aktuelle Flüchtlingssituation der Kinder (Weltweit / Europa / Schweiz) Medizinische Versorgung am UKBB: Zahlen und Herausforderungen Daten zu medizinischen Problemen und Empfehlungen zur Betreuung UKBB, Datum, Vorname Name Seite 10
Wie viele Flüchtlinge und Asylsuchende wurden am UKBB betreut? Asylstatus wurde in den Patientenakten bisher nicht dokumentiert Ursprungsland und Sprache wird nicht immer korrekt aufgenommen Wohnadresse (also z.b. EVZ, Asylheim) wechseln und dazu führen dass Patient retrospektiv nicht mehr als Flüchtling erkannt werden kann Garant (SEM, Krankenkasse) wechselt auch retrospektiv
Wichtigste medizinische Probleme Impfschutz fehlend und/oder undokumentiert Fehlende Vorsorgeuntersuchungen und Prävention: Nicht-diagnostizierte Visus/Hörstörungen und Entwicklungsretardierung Hautkrankheiten: Hautpilze, infizierte Narben, Skabies, kutane Diphterie Mangelerscheinungen/Unterernährung: Vitamin D/ Calciummangel Rachitis Schlechte Versorgung von chronischen Krankheiten: Nicht-operierte/partiell-operierte Herzfehler, mangelnde Behandlung von Diabetes, Stoffwechselerkrankungen Spezifische Erkrankungen der Herkunftsländer: Infektionen (Helminten, Schistosomiasis, Tuberkulose, Meningitis) Hämatologisch (Sichelzellanämie und Thalassämie) Physische und psychische Folgen von Trauma und Missbrauch 12
Zusätzliche Herausforderungen Erstkontakt: Sprache, wie und mit wem kommunizieren Vorgeschichte und aktuelle Anamnese nur lückenhaft möglich Vorliegen von seltenen oder unerkannten medizinischen Problemen Unbegleitete minderjährige Jugendliche Weitere Versorgung/Nachkontrollen Kommunikation mit EVZ/Asylheimen nötig Mobilität der Asylsuchenden (werden in andere Zentren verschoben, tauchen unter)
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Ebenen der medizinischen Versorgung Kritisch krank Krank aber keine notfallmässige Betreuung nötig Gesund wirkend
UN Kinderrechtskonvention Die Schweiz ratifizierte Anfang 1997 das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Es hebt die Verantwortung der Staaten für den Schutz und das Wohl Minderjähriger (bis 18 Jahre) hervor. Artikel 22 (1) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um sicherzustellen, daß ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings begehrt oder nach Maßgabe der anzuwendenden Regeln und Verfahren des Völkerrechts oder des innerstaatlichen Rechts als Flüchtling angesehen wird, angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Übereinkommen oder in anderen internationalen Übereinkünften über Menschenrechte oder über humanitäre Fragen, denen die genannten Staaten als Vertragsparteien angehören, festgelegt sind, und zwar unabhängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder einer anderen Person befindet oder nicht Artikel 24 (1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit. Die Vertragsstaaten bemühen sich sicherzustellen, daß keinem Kind das Recht auf Zugang zu derartigen Gesundheitsdiensten vorenthalten wird. 16
Woran erkranken Asylsuchende in Deutschland? RKI, Oktober 2016
Woran erkranken Asylsuchende in Deutschland? RKI, Oktober 2016
Screening für Infektionen bei UMAs Berlin, n = 1248, 40% aus Syria Jan 2014 Dez 2015 - klinische Evaluation - Blutbild, Leber- und Nierenwerte - Serologie für HBV und Schistosomiasis - Malaria Mikroskopie und Antigen (Südost-Asien) - 3 Stuhlproben - kein TB Screening Theuring S, Eur J Epidemiol 2016
Resultate UMA screening Berlin Theuring S, Eur J Epidemiol 2016
Tuberkulose Screening? 0.5-5% active (offene) TB 5-24% latent TB Kinder haben höheres Risiko rasch von Infektion in Erkrankung überzugehen Screening für aktive und latent TB in vielen Europäischen Ländern empfohlen Nejat S et al, Acta Paediatrica 2016 Pottie K et al, CMAJ 2011 Rungan PIDJ 2013 Sheikh M et al, J Ped Child Health 2009 Ritz N et al, Lancet 2015
Schweizer Empfehlungen Berhard S, Paediatrica 2016; www.pigs.ch, www.swiss-paediatrics.org
Impfungen zwei empfohlene Varianten 1) Nur dokumentieret Impfungen zählen - Standardisierte Nachimpfung nach BAG/EKIF Empfehlungen - ev. Ueberimpfung 2) Eine Booster-Dosis und 1 Monat später TT-antikörper messen - Blutentnahme nötig - Spart ev. weitere Impfdosen Berhard S, Paediatrica 2016; www.pigs.ch, www.swiss-paediatrics.org
Empfohlene Untersuchungen Berhard S, Paediatrica 2016; www.pigs.ch, www.swiss-paediatrics.org
Zusammenfassung Kinder und Jugendliche machen eine hohen Anteil der Asylsuchenden und Flüchtlingen aus Wir sind verpflichtet diesen Kindern und Jugendlichen eine optimale medizinische Versorgung zukommen zu lassen Die medizinische Betreuung von Flüchtlingen ist anspruchsvoll mit deutlich grösserem organisatorischen und kommunikativem Aufwand Daten zu Erkrankungen sind wenige Vorhanden und aktuelle Empfehlungen zum Screening basieren auf Expertenmeinung UKBB, Datum, Vorname Name Seite 25