Jubiläumsvortrag 25 Jahre Neue Wege Gewalt gegen Kinder allgegenwa rtig?! Was brauchen wir, um sie zu sehen, ernst zu nehmen und zu handeln?
Gewalt erkennen Schutzmaßnahmen für ein Kind müssen bei Kindeswohlgefährdung bereits dann einsetzen, wenn der begründete Verdacht nicht ausgeräumt werden kann Aus: Gisela Zenz, Kindesmisshandlung und Kindesrechte, Suhrkamp 1979
Gewalt gegen Kinder - 1982 Elisabeth Trube-Becker (1919 2012) war die erste weibliche Inhaberin einer Professur für Rechtsmedizin in Deutschland. Zeitlebens engagierte sich für die Menschenrechte der Kinder und gegen Kindesmisshandlung. Es ist ein großer Blödsinn, zu glauben, Misshandlungen gebe es nur in der Unterschicht. Diese Eltern aus den Villenvierteln treten weniger in Erscheinung, weil sie nicht so stark im Fokus der Jugendämter stehen und sich besser zu wehren wissen. Heute gibt es vermeintlich mehr Fälle weil glücklicherweise mehr erkannt wird. Aus: Gewalt gegen das Kind. Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch und Tötung von Kindern Suhrkamp 1982
Kindeswohlgefährdung Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn das körperliche, geistige und seelische Wohl eines Kindes durch das Tun oder Unterlassen der Eltern oder Dritter gravierende Beeinträchtigungen erleidet, die dauerhafte oder zeitweilige Schädigungen in der Entwicklung des Kindes zur Folge haben bzw. haben können. Bei einer Gefährdung muss die Beeinträchtigung, die das Kind erleidet, gravierend sein und es muss die biographisch zeitliche Dimension beachtet werden. Kindeswohl bezieht sich auf gegenwärtige, vergangene und auf zukünftige Lebenserfahrung und Lebensgestaltung eines Kindes. aus: Deutsches Jugendinstitut. Heinz Kindler, Susanna Lillig, Herbert Blüml, Annegret Werner, Carsten Rummel (Hg.): Handbuch Kindeswohlgefährdung nach 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst. September 2004
Formen der Kindeswohlgefährdung Vernachlässigung Körperliche Misshandlung Häusliche Gewalt Sexuelle Gewalt Emotionale/Psychische Gewalt (Handbuch Kindeswohlgefährdung; Kreis Storman; 2010) Überlagerung der verschiedenen Misshandlungsformen Das Erleiden verschiedener Misshandlungsformen gleichzeitig ist häufiger als das Erleiden einer einzigen Misshandlungsform.
Kindeswohlgefährdung einige Zahlen In Deutschland gab es 2014 insgesamt 124.213 Verfahren zur Gefährdungseinschätzung bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung 1% der unter 18 Jährigen sind in Deutschland von Kindeswohlgefährdung betroffen (vgl. StaBu 2015, Berechnung der AKJStat) Quelle: Nationales Zentrum für Frühe Hilfen 2016
Kindeswohlgefährdung einige Zahlen 2014 erfolgte jede fünfte Gefährdungseinschätzung eines unter 1jährigen Kindes durch Akteure des Gesundheitswesen. In 42 % der Fälle in dieser Altersgruppe werden akute oder latente Kindeswohlgefährdung bestätigt. Quelle: Nationales Zentrum für Frühe Hilfen 2016
2014: Kindeswohlgefährdung einige Zahlen in einem Drittel der Fälle wurde eine akute oder latente Kindeswohlgefährdung durch das Jugendamt bestätigt bei einem weiteren Drittel wurde erzieherischer Hilfebedarf betätigt Bei ca. 33% endete das Verfahren ohne Feststellung eines Hilfebedarfs (vgl.kaufhold/pothmann 2014)
Gewalt gegen Kinder einige Zahlen Polizeiliche Kriminalstatistik 2015: 130 Kindstötungen, d.h. fast 3 in der Woche 4 von 5 Opfern (81%) sind unter 6 Jahren, die meisten unter 2 Jahren 52 Tötungsversuche Täter_innen: nahestehende Personen 3900 Kinder waren von körperlicher Gewalt betroffen Am Tag werden 38 Kinder sexuell missbraucht
Körperliche Gewalt Die Mehrheit der Eltern wendet zumindest minderschwere Formen physischer Erziehungsgewalt an, etwa leichte Ohrfeigen oder einen Klaps. (Bussmann 2002, 2003, 2005, Pfeiffer et al. 1997, 1999, Baier et al. 2009). ca. 10% bis 15% der Eltern wenden schwerwiegendere und häufigere körperliche Bestrafungen anwenden. (Engfer 2005) 12% der Befragten berichteten von körperlicher und 2,8% von schwerer körperlicher Gewalt in Kindheit und Jugend. (Häuser et al. 2011)
Vernachlässigung In einer retrospektiven Studie (Häuser u.a. 2011) wurden Jugendliche und Erwachsene zu ihren Vernachlässigungs- und Misshandlungserfahrungen in Kindheit und Jugend befragt: 50 % der Befragten berichteten von körperlicher und/oder emotionaler Vernachlässigung. 10,8 % von schwerer körperlicher Vernachlässigung 6,6, % von schwerer emotionaler Vernachlässigung
Vernachlässigung Nicht-repräsentative Daten legen die Vermutung nahe, dass Kindesvernachlässigung, die mit Abstand am häufigsten Gefährdungsform der im Bereich der Kinder und Jugendhilfe bekannt werdenden Fälle ist. Aktuelle Daten der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik sagen, dass es in 63% der akuten sowie in 64% der latenten Kindeswohlgefährdungen, die 2014 in Jugendämtern erfasst wurden, um Vernachlässigungen ging (vgl. StaBu 2015a).
Seelische/emotionale Gewalt Die amtliche Kinder- und Jugendstatistik dokumentiert 2014, dass in mehr als jedem vierten Fall einer (akuten oder latenten) Kindeswohlgefährdung eine psychische Misshandlung der betroffenen Kinder vom Jugendamt gesehen wurden (27%) Emotionale Gewalt ist nach Vernachlässigung die zweithäufigste Misshandlungsform (StaBU 2015a)
Komplexe Gefährdungslagen benötigen komplexe Hilfesysteme. Arbeit im Kontext von Kindeswohlgefährdung ist Arbeit im Spannungsfeld Kinderschutz und Elternrecht Zwischen Hilfsangeboten und Schutzauftrag Zwischen Autonomie und Zwang Zwischen Prävention und Intervention...
Was fordert der gesetzliche Kinderschutzauftrag? AUFMERKSAMKEIT Gewichtige Anhaltspunkte für Kindeswohlgefährdung erkennen und bewerten REFLEXION Mit anderen Fachkräften eine gemeinsame Bewertung vornehmen BETEILIGUNG Personensorgeberechtigte, Kinder und Jugendliche in die Einschätzung des Risikos einbeziehen, so lange dadurch der wirksame Schutz nicht verhindert wird HILFE Kindern, Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten zur Abwendung der Gefahr Hilfe anbieten SCHUTZ Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen ergreifen bzw. die Stellen informieren, die Schutzmaßnahmen einleiten können
Stolpersteine im Kinderschutz
Die besondere Herausforderung In Fällen mit Gewaltproblematik haben wir es immer zu tun mit: heftigen Emotionen (Empörung, Wut, Ärger, Angst...) Scham und Schuld (Leugnung, Vorwurfshaltung...) Macht und Ohnmacht (Hilfestellung oder Kontrolle?) Gefühlen von Unsicherheit und Isolation Schwierigkeit, eine Sprache zu finden Ambivalenzen (Vertrauen und Misstrauen,...)
Die besondere Herausforderung In Fällen mit Gewaltproblematik darf nicht die eigene Betroffenheit das Handeln bestimmen. Die Würdigung und Lösung von Verstrickungen begünstigt ein besonnenes und nachhaltiges Handeln.
Dynamik im Kinderschutz - welche Kräfte wirken? Übertragung und Gegenübertragung Abwehr und Widerstand Manipulationen Konkurrenz statt Kooperation Schuldzuweisung statt Klärung Spaltung statt Kinderschutz
Dynamiken im Kinderschutz die Folgen? Das Helfer_innen-System ist mit sich beschäftigt und nicht mit dem Kind/Jugendlichen und seiner Familie Rettungsfantasien werden in Gang gesetzt Helfer_innen geraten unter Handlungs-, Zeit- und Verantwortungsdruck
Was wünschen sich Kinder und Jugendliche? Glaub mir! Sprich mit mir! Nimm mich ernst! Erkläre mir, was du tust! Erzähl mir, was meine Eltern gut können! Sag mir, dass ich keine Schuld habe! Kümmere dich um meine Geschwister! Hilf mir, damit es besser wird! Lüg mich nicht an! Bedroh mich nicht! Entlaste mich!
Das Kind im Blick Kinder und Jugendliche mit ihren Bedürfnissen und ihren Tempo bestimmen den Hilfeprozesses Mädchen und Jungen sind Expert_innen ihres Lebens und wollen als solche ernst genommen werden
Das Kind gerät aus dem Blick: Wem dient das? Ausschließlich den gefährdenden Elternteilen/Bezugspersonen!
Was brauchen wir, um sie zu sehen, ernst zu nehmen und zu handeln? Quelle: Kerger-Ladleif, Kinder beschützen! mebes&noack, S.125
Hinsehen Handeln Schützen Wissen Wahrnehmen Hinschauen Schützen Handeln Was ist es? Wie kann ich es erkennen? Was kann ich tun? Wie kann ich schützen? Wo finde ich Hilfe?
Effektiver Kinderschutz kann ohne die Erfahrungen aus der Arbeit mit Täter/innen nicht geleistet werden, da Opfer zwar wissen, was ihnen widerfahren ist (Inhaltswissen), Täter/-in aber das Wissen über den Beginn, die Planung, die Verführung und Durchführung des Missbrauchs haben (Prozesswissen).
Wie informieren Sie Kinder und Jugendliche über ihre Rechte? Wie informieren Sie Kinder und Jugendliche u ber Ihre Haltung sowie Ihre Maßnahmen und Verfahren zum Kinderschutz?
Rahmenordnung der deutschen Bischofskonferenz vom 23.09.2010 Die Prävention von sexuellem Missbrauch ist integraler Bestandteil der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Als Grundprinzip pädagogischen Handelns trägt Prävention dazu bei, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen, glaubens- und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten gestärkt werden.
Intervention Handeln in Fällen von Kindeswohlgefährdung bedarf einer persönlichen und fachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Die Konfrontation mit Gewalt kann ein Krise der Helfenden auslösen
Achtsamkeit für andere, braucht einen achtsamen Umgang mit sich selbst.
Achtsames Handeln mit emotional Frage: Ist unsere Aktivität der Situation angemessen oder lenken wir dadurch selber von negativen Gefühlen ab und wollen uns innerlich beruhigen? Hilfe: schwierigen Situationen Freundliches Beobachten der inneren Impulse und respekt und verantwortungsvolles Handeln. Die Achtsamkeit für mich öffnet den Blick für mein Gegenüber.
Achtsames Handeln mit emotional schwierigen Situationen Es geht um Folgendes: Innehalten Wahrnehmen und Veränderungen beobachten. Selbstreflexion Sobald wir beginnen uns mit Gefühlen und Gedanken zu identifizieren, verlieren wir unsere professionelle Distanz.
Schutz bedeutet Worte haben Haltung zeigen Transparenz schaffen Handlungssicherheit finden
Ich habe da so ein komisches Gefühl. - deshalb schaue ich hin und rede darüber Ich sage JA zu einer Kultur des Hinschauens und der Grenzachtung.
Damit kein Mädchen und kein Junge glaubt, dass ein Täter mit dieser Aussage recht hat! Foto: www.project-unbreakable.org
Kontakt: info@kerger-ladleif.de www.kerger-ladleif.de