Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich alternative Finanzierungsmöglichkeiten der GKV Dr. jur. Maximilian Gaßner WBU - Ausschuss Sozial- und Arbeitsmarktpolitik München - 23. Februar 2015 Bundesversicherungsamt Friedrich-Ebert-Allee 38 53113 Bonn
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 2
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 3
Gesundheitsfonds und Morbi-RSA (2013) Direktzahler (Renten, ALG, KSK, ) 41,3 Mrd. Beitragseinzug durch Krankenkassen 139,8 Mrd. Bundeszuschuss 11,4 Mrd. Sozialausgleich 0 Bundeshaushalt Risikostrukturausgleich Liquiditätsreserve 13,6 Mrd. Prämienzahlungen 0,6 Mrd. 0,5 Mrd. 192,0 Mrd. Krankenkassen Gesundheitsfonds Zusatzbeiträge 0,01 Mrd. Ärzte 32,6 Mrd. Krankenhaus 63,5 Mrd. Arzneimittel 29,8 Mrd. Verwaltung 9,9 Mrd. Gesamtausgaben: 189,5 Mrd. Grundlage: Rechnungsergebnisse Gesundheitsfonds KJ1 2013 * Schätzerkreis, Herbstschätzung 2014 4
Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds Grundlage: Jahresausgleich 2013 5
Warum Morbi-RSA und Gesundheitsfonds? Freier Wettbewerb würde risikoäquivalente Prämien bedeuten Aber: Kontrahierungszwang und Verbot risikoäquivalenter Prämien Einnahmen der Krankenkassen entsprechen nicht dem versicherten Risiko Anreize zur Risikoselektion RSA simuliert risikoäquivalente Prämien für die GKV 6 6
Warum Morbi-RSA und Gesundheitsfonds? BVerfGE 113, 167 (217 f., 232) zum RSA: Der RSA ist das organisatorische Pendent des interpersonalen Sozialausgleichs zwischen den Versicherten. Das Konzept wird nicht dadurch illegitim, dass der Gesetzgeber als Bezugsrahmen für den sozialen Ausgleich nicht die einzelne Kasse, sondern die gesamte gesetzliche Krankenversicherung gewählt hat. Der Kassengrenze kommt keine verfassungsrechtliche Bedeutung zu. 7
Warum Morbi-RSA und Gesundheitsfonds? 18. Hauptgutachten der Monopolkommission vom 30. Juni 2010 zum RSA: Der Risikostrukturausgleich ist somit kein Umverteilungsmechanismus, der selbst soziale Aufgaben erfüllt. Er ist vielmehr notwendiges Instrument, um Fehlwirkungen zu korrigieren, die sich aus den sozial motivierten Eingriffen in die Beitragsgestaltung von im Wettbewerb stehenden Krankenversicherungen ergeben. Der Risikostrukturausgleich ermöglicht es deshalb - vollständiges Funktionieren vorausgesetzt -, die Einnahmenseite der Krankenkasse einer Marktsituation gleichzustellen. 8
Warum Morbi-RSA und Gesundheitsfonds? Fondsmodell: Transparenz der Mittelflüsse Einführung des Gesundheitsfonds bedeutet grundlegende Neuordnung der Finanzströme Vor Einführung des Gesundheitsfonds Abwicklung von Forderungen und Verpflichtungen im RSA durch mehrschichtiges Verrechnungsgeflecht Abhängigkeit der Einnahmenentwicklung einer Krankenkasse von saisonalen und konjunkturellen Schwankungen Fehleinschätzung der Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen hatte direkte Folgen für die Liquiditätslage der Krankenkasse 9
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 10
Finanzierung vor 2009 Verrechnungsgeflecht im monatlichen RSA vor 2009 Abwicklung der Ausgleichsansprüche bzw. verpflichtungen durch Verrechnung des von den KKen an die DRV Bund weiterzuleitenden RV-Anteil an den GSV-Beiträgen und den von der DRV-Bund an die KKen weiterzuleitenden KVdR-Beiträgen KKen, bei denen nach der Verrechnung eine Verpflichtung verblieb, leisteten diese Zahlung am 15. eines Monats an die DRV Bund. Verblieb eine Forderung und überstieg diese Forderung auch die an die DRV Bund weiterzuleitenden GSV-Beiträge, leistete die DRV Bund in Höhe des übersteigenden Betrages eine Zahlung bis zum 5. Arbeitstag nach Zugang der Anforderung. In den Fällen, in denen die Forderung gegenüber der DRV Bund geringer ausfiel, erfolgt die Verrechnung im Laufe des Monats mit den GSV-Beiträgen. 11
Finanzierung vor 2009 Verrechnungsgeflecht im monatlichen RSA vor 2009 (2) KVdR-Beiträge DRV Bund RSA-Anspruch RSA-Verpflichtung Krankenkassen GSV-Beiträge (RV-Anteil) Je nach Konstellation: Zahlung der DRV-Bund an KK am 5. Arbeitstag des Monats Laufende Verrechnung mit GSV-Beiträgen Zahlung der KK an DRV Bund am 15. des Monats 12
Finanzierung vor 2009 Planungsrisiken auf der Einnahmenseite Ausgleichsbedarfssatz zur Berechnung der Finanzkraft wurde laufend angepasst und erst im Jahresausgleich abschließend und damit rückwirkend festgelegt Beitragssatzkalkulation erfolgt in vorausschauender Betrachtung - entsprechende laufende Anpassung der Beiträge war nicht möglich Saisonale Schwankungen (Weihnachts- und Urlaubsgeld) mussten eingeplant werden Risiko konjunktureller Schwankungen lag bei den Krankenkassen 13
Mrd. Finanzierung vor 2009 Finanzierungs- und Planungssicherheit auf der Einnahmenseite: Gesundheitsfonds weist garantierte Beträge zu und trägt konjunkturelle Einnahmerisiken Glättung saisonaler Einnahmenschwankung Zuweisungen aus dem Fonds Theoretische GKV-Einnahmen ohne Fonds 17,0 16,0 Weihnachtsgeld / 13. Gehalt 15,0 Urlaubsgeld 14,0 13,0 12,0 11,0 Jan 09 Feb 09 Mrz 09 Apr 09 Mai 09 Jun 09 Jul 09 Aug 09 Sep 09 Okt 09 Nov 09 Dez 09 Auszahlungsmonat 14
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 15
Einnahmen der GKV: Entwicklung des Bundeszuschusses Quelle: vdek (Basisdaten des Gesundheitswesens 2014/2015) 16
Index (2015 = 100) Entwicklung der Einnahmenbasis und der Ausgaben 130 120 Grundlohn- und Rentensumme GKV-Ausgaben (Pflichtleistungen) 110 100 Defizit 2015: 11 Mrd. 90 80 70 60 50 Beitragsentlastungsgesetz 1. & 2. NOG GKV-Reform 2000 GMG GKV-WSG GKV-FinG AMNOG GKV-FQWG 17
Annahmen zur weiteren Entwicklung Ausgaben wachsen voraussichtlich schneller als Einnahmenbasis (beitragspflichtige Einnahmen, bpe) Einnahmen- und Ausgabeneffekte des demografischen Wandels Ausgabendynamik durch med. technischen Fortschritt Exemplarisch auf den folgenden Folien: Projektion von beitragspflichtigen Einnahmen und GKV- Ausgaben bis 2020 Prognoseergebnisse immer stark abhängig von getroffenen Annahmen (= mit Vorsicht zu genießen!) Beispiele: lineare Fortschreibung der Entwicklung seit 1996 / 2005 / 2010 18
Annahmen zur Abschätzung des Defizits: * Bundeszuschuss 2016: 14,0 Mrd. * Bundeszuschuss ab 2016: 14,5 Mrd. * konstanter Beitragssatz i.h.v. 14,6 % Index (2015 = 100) Szenario 1: Fortschreibung der Entwicklung seit 1996 130 120 110 Grundlohn- und Rentensumme GKV-Ausgaben (Pflichtleistungen) Defizit 2020: 26 Mrd. 100 90 80 70 60 Defizit 2015: 11 Mrd. Fortschreibung ab 2015: Anstieg bpe: + 1,8 % p.a. Ausgabenwachstum: + 2,9 % p.a. 50 19
Index (2015 = 100) Szenario 2: Fortschreibung der Entwicklung seit 2005 130 120 110 Grundlohn- und Rentensumme GKV-Ausgaben (Pflichtleistungen) Defizit 2020: 37 Mrd. 100 90 80 70 60 Fortschreibung ab 2015: Anstieg bpe: + 2,5 % p.a. Ausgabenwachstum: + 4,4 % p.a. 50 20
Index (2015 = 100) Szenario 3: Fortschreibung der Entwicklung seit 2010 130 120 110 Grundlohn- und Rentensumme GKV-Ausgaben (Pflichtleistungen) Defizit 2020: 25 Mrd. 100 90 80 70 60 Fortschreibung ab 2015: Anstieg bpe: + 3,4 % p.a. Ausgabenwachstum: + 4,2 % p.a. 50 21
Ausblick Entwicklung der Einnahmenbasis und der Ausgaben Gedämpfte Erwartungen an Konjunktur erwartete/realisierte Kostensteigerungen für medizinisch-pharmazeutische Produkte GKV-FQWG: Verstärkter Kassenwettbewerb verzehrt Rücklagen Risiko von Schließungen/Insolvenzen steigt 22
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 23
Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System Argumente: Unabhängigkeit von der demographischen Entwicklung Generationengerechtigkeit Umfang: Notwendigkeit einer Kapitalfundierung in der GKV lediglich mit Blick auf Ausgabenentwicklung im Alter 24
Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System Praktische Probleme: Ermittlung des Anlagevolumens Wo anlegen? Zinsentwicklung! Aktienmarkt / Pensionsfonds? Wertverluste in zurückliegender Krise! Ggf. Notwendigkeit zur kurzfristigen Auflösung hoher Anlagevolumina (Baby-Boomer-Effekt) Auswirkungen auf die Finanzmärkte? 25
Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System Zinssatz der EZB für Hauptrefinanzierungsgeschäfte 26
Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System Ist der Schutz des Anlagevermögens vor politischem Zugriff überhaupt möglich? DodosD, Lizenz: CC BY-SA 3.0 Takeaway, Lizenz: CC BY-SA 3.0 27
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 28
Finanzierungsmöglichkeiten Steuerfinanzierung: 3 Abs. 1 AO: Steuern sind einmalige oder laufende Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an denen das Gesetz die Leistungspflicht knüpft Zu unterscheiden von Gebühren / Beiträgen (Gegenleistung)! 29
Finanzierungsmöglichkeiten Beispiele für steuerfinanzierte Systeme: Beveridge-Modelle in Skandinavien und Großbritannien Charakteristika: nationale Gesundheitsdienste Grundsicherungssysteme Tendenz zur Therapieeinschränkung Beispiel Dänemark: hoher Mehrwertsteuerbedarf Ausweichreaktionen durch hohe Steuerlast! 30
Finanzierungsmöglichkeiten Beitragsfinanzierung: Aus den Beiträgen erwächst Anspruch auf Gegenleistung: Absicherung des Krankheitsrisikos Übermaßverbot durch Beitragsbemessungsgrenze ( 223 SGB V) Beitragsfinanzierte Sozialversicherungssysteme außer in Deutschland bspw. auch in Frankreich und den Benelux-Staaten 31
Finanzierungsmöglichkeiten Private Systeme: Typisches Beispiel: USA Staat gibt lediglich ordnungspolitischen Rahmen vor Privatrechtliche Regelung der Gesundheitsversorgung, ggf. mit finanzieller Beteiligung des Arbeitgebers 32
Finanzierungsmöglichkeiten Private Systeme Häufig keine grundsätzliche Versicherungspflicht / Probleme bei Vorerkrankungen: Hohe Anzahl an Nichtversicherten bzw. Personen in staatlich finanzierter Grundsicherung USA: Obamacare (Patient Protection and Affordable Care Act) Mögliche Ausgestaltung privater Systeme: Pay-as-you-go (Umlagefinanzierung) Systeme mit begrenzter Kapitalfundierung wie in der deutschen PKV (Ausnahme) 33
Übersicht 1. Gesundheitsfonds und Risikostrukturausgleich 2. Finanzarchitektur vor 2009 3. Entwicklung von Einnahmen und Ausgaben 4. Kapitalfundierung im öffentlich-rechtlichen System 5. Übersicht der Finanzierungsmöglichkeiten 6. PKV und GKV 34
GKV und PKV in Deutschland Sondersituation in Deutschland: Grundsätzlich beitragsfinanziertes Sozialversicherungssystem Staatliche Beteiligung in Form des steuerfinanzierten Bundeszuschusses zur (partiellen) Deckung versicherungsfremder Leistungen Möglichkeit zur privaten Absicherung des Krankheitsrisikos für bestimmte Personengruppen (Angestellte mit EK über Versicherungspflichtgrenze, Beamte, Selbständige) Nebeneinander der Systeme historisch zu erklären 35
GKV und PKV in Deutschland Quo vadis? Tendenzen zur Konvergenz der Systeme Basistarif PKV Wahltarife GKV Übertragung rechtlicher Vorgaben von GKV auf PKV (Nutzenbewertung / Arzneimittelrabatte) Einheitssystem durch Abschaffung der PKV und der Beihilfe? 36
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bundesversicherungsamt Friedrich-Ebert-Allee 38 53113 Bonn