Ingeborg Eugenia Doetsch

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1 Ingeborg Eugenia Doetsch ZUR FRAGE DER HERKUNFT DES TONDOS 1 AUS RHEINISCHEM PRIVATBESITZ VON SANDRO BOTTICELLI UND SEINER WERKSTATT IN ENTWURF UND AUSFÜHRUNG Abb. 1 G. Freuler, Auktionshaus VAN HAM, Gesamtansicht des Tondos aus Rheinischem Privatbesitz 2 Nach grundlegenden Untersuchungen geht G. Freuler in seinem vorliegenden Gutachten über den Tondo aus Rheinischem Privatbesitz von der These aus, dass wir in diesem Tondo ein Gemälde aus der Werkstatt des Florentiner Malers Sandro Botticelli vor uns haben mit möglicher Mitarbeit Botticellis. Im Vergleich mit Gemälden Botticellis in der Galleria degli Uffizi in Florenz, die wir zuletzt im Juli 2014 sehen konnten, könnte u. E. der Engel und ebenso die Gottesmutter mit ihrem Kind im Tondo aus Rheinischem Privatbesitz unter Anleitung und möglicher Mitwirkung Sandro Botticellis ausgeführt worden sein. Der teilweise subtile botticellianische Pinselduktus, die Pigmente in ihrer Auswahl, Strahlkraft, Dichte, Anordnung und Lasuren zueinander und miteinander wie auch der Schmelz dieses Gemäldes haben, trotz mancher Verputzungen so, wie es die Detailaufnahmen zeigen, große Affinität zu manchen botticellianisch-malerischen Ausführungen seiner Werke. 1 Tondo, plr. Tondi, ital.: Rundbild. 2 Dossier des Auktionshauses VAN HAM, Köln

2 Abb. 2a Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Detail, Engelkopf 3 Abb.2b Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Detail des Engels Abb.2c Detail des Engelkopfes Abb. 2d Detail des Obergewandes des Engels und des Folianten. Abb. 2e Detail des Obergewandes eines Engels aus dem Tondo Muttergottes mit dem Granatapfel von Sandro Botticelli. 4 3 Wo kein weiterer Vermerk angegeben ist, handelt es sich um Aufnahmen des Autors 4 Uffizien, Florenz. 2

3 Abb.2f Detail des rechten Armes des Engels aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Abb. 2g Detail des rechten Armes des Engels aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Abb. 2h Detail des rechten Armes eines Engels aus dem Tondo Madonna del Magnificat von Sandro Botticelli. 5 # Abb. 2i Detail des Gewandes des Engels aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Abb. 2j Detail des Gewandes des Engels aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz 5 Uffizien, Florenz. 3

4 Abb. 2 k Detail des Obergewandes eines Engels aus dem Tondo Muttergottes mit dem Granatapfel von Sandro Botticelli 6 Abb. 2 l Der Engel aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Abb. 2 m Die Brüstung aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Abb. 2n Detail, Gewand der Gottesmutter aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz Die Geschichte dieses Tondos müsste noch weiter erforscht werden um einer gerechten Beurteilung dieses Gemäldes entsprechen zu können. Das ist in diesem Rahmen nicht möglich, weshalb hier nur eine unbefriedigende und vorläufige Vermutung vorgestellt werden kann. Tondi galten als etwas Besonderes innerhalb der Gemäldedarstellungen und die geistige Komposition eines Gemäldes wurde mit Auftraggebern und Ausführenden bis ins kleinste Detail besprochen, ausgearbeitet und ausgeführt, sodass es verwundert, dass dieser Tondo 6 Uffizien, Florenz. 4

5 nicht mehr in seinem ursprünglichen Zustand auf uns gekommen ist. Abb. 3a G. Freuler, R. Beck, Dossier VAN HAM, Röntgenaufnahme des Tondos aus Rheinischem Privatbesitz Das kann verschiedene Ursachen haben. G. Freuler teilt mit, dass die Johannesfigur, wie die Röntgenaufnahmen (14 und 24) [hier 3a und 3c ] zeigen, [ ] eine spätere, jedoch noch während der Produktion der Tafel erfolgte Zutat darstellt, denn unter der heutigen Figur sieht man eine dunkle Fläche, die einst eine Aussparung für eine weitere Figur darstellt, an die, wie die technische Untersuchung offenbart, ein Blau, dem Anschein nach das Blau eines Himmels, herangezogen wurde. 7 [ ]. Angesichts der Tatsache, dass Botticellis Werkstatt Madonnenbilder in Serie schuf, wäre es nicht undenkbar, dass Botticelli das beinahe vollendete Rundbild noch in unfertigem Zustand einem ihm nahe stehenden Malerkollegen weiter verkaufte, der dafür dringend Bedarf hatte und es anschließend in eigener Regie fertig stellte. Solche kommerziellen Vorgänge waren in der florentinischen Kunstproduktion seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert nachzuweisen und üblich. 8 Eine weitere Ursache könnte sein, dass die rechte Seite des Tondos einem Unglück zum Opfer gefallen sein könnte oder eine bewusste Wegnahme bzw. mutwillige Zerstörung der rechten Figur eine mögliche Folge war. Eine dritte und u.e. einleuchtendste Erklärung könnte gegeben sein, wenn der Tondo nach dem Tod Botticellis bzw. noch weiter, nach der Auflösung der Werkstatt Botticellis in 7 G. Freuler, Dossier über den Tondo aus Rheinischem Privatbesitz, VAN HAM, G. Freuler, Dossier, 26. 5

6 fremde und unkundige Hände gelangte, die auch nicht annähernd um botticellianische Gesetzmäßigkeiten seitens der Proportion, Harmonie, Symbolik und Maltechnik in seinen Werken gewusst haben, denn gerade diese Kriterien machten u. a. den hohen Grad seiner Werke aus wie sie sich auch bedingt in diesem Tondo der Werkstatt Botticellis finden lassen. Versuch einer Umsetzung durch Verdopplung des Engels 9 Die Figur des Engels ist nach G. Freuler nicht wie die weiteren Personen im Tondo gepaust worden, denn verschiedene Pentimenti, wie sie die IR Aufn. (13) [hier: Abb. 3b] Abb. 3b G. Freuler, R. Beck, Dossier VAN HAM, Abb. 3c G. Freuler, R. Beck, Dossier Infrarotaufnahme (13) aus dem Tondo aus Rheinischem VAN HAM, Röntgenaufnahme des Privatbesitz Johannesknaben aus dem Tondo aus Rheinischem Privatbesitz 9 In dieser Darstellung würde dann auch der Perlenstrang die Gloriole der rechten Figur berühren und die Symbolik könnte in diesem Bereich ihre logische Ergänzung und Abschluss finden. 6

7 zutage gefördert hat, ist ein klares Indiz, dass hier ein suchender und zugleich schöpfender Künstler am Werk war. 10 Wenn für das hier vorgestellte Gemälde auf einen Karton 11 aus der Werkstatt Sandro Botticellis zurückgegriffen worden ist, 12 könnten wir von einer Symbolik im Tondo ausgehen, die auf Botticelli selbst zurückzuführen sein dürfte. GRUNDSÄTZLICHES ZUM MALER SANDRO BOTTICELLI 13 Bevor wir auf die eingebrachte Symbolik im Tondo aus Rheinischem Privatbesitz eingehen, soll vorab ein kurzer Einblick in das Leben, Wirken und das soziokulturelle Umfeld Sandro Botticellis gegeben werden, damit die im hiesigen Tondo zu entdeckenden Symbole leichter auf einen möglichen Einfluss Sandro Botticellis zurückgeführt werden könnten: Botticellis Gemälde sind im Wesentlichen durch die Theorien, die poetischen Programme und die politischen Ambitionen bestimmter Intellektueller geprägt, deren Symbolik sich schon deshalb als besonders kompliziert und hintergründig erweisen muss. Diese Bemerkung U. Rehms 14 trifft von den Renaissance-Künstlern nicht nur auf Botticelli zu. Wie andere Künstler seiner Zeit hat auch dieser Maler theologische, philosophische und humanistische Gedanken seines soziokulturellen Umfeldes in seine Werke mit einbezogen. Besonders jene des Medicikreises um den Mediziner, Theologen und Philosophen Marsilio Ficino 15, den Literaten und Humanisten Cristoforo Landino 16 und den Dichter Agnolo 10 G. Freuler, Universität Zürich, Wissenschaftliches Gutachten eines Tondos aus Rheinischem Privatbesitz. In: Dossier des Auktionshauses VAN HAM, Köln 2014, 11ff. 11 Das beträfe nach G. Freuler und R. Beck die Figuren von Maria und Kind. 12 davon gehen G. Freuler wie auch R. Beck aus und das würde die Übertragung der Gottesmutter mit ihrem Kind und den Engel betreffen. 13 Geboren [vielfach wird neuerdings laut italienischen Quellen der 1. März 1445 angegeben] in Florenz, beerdigt am 17. Mai 1510 in Florenz. Ob das Beerdigungsdatum Botticellis gleichzeitig sein Todesdatum ist, ist nicht bekannt. Sein Geburtsname war Alessandro di Mariano di Vanni Filipepi. Italienischer Maler und Zeichner der Renaissance. Siehe dazu u.a.: J. Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Darmstadt 1962; A. Chastel, Arte e umanesimo a Firenze nel tempo di Lorenzo il Magnifico. Torino 1964; L. Landucci. Ein Florentinisches Tagebuch Nebst einer anonymen Fortsetzung Übersetzt, eingeleitet und erklärt von M. Herzfeld. Neuauflage. Düsseldorf 1978; P. Burke, Die Renaissance in Italien. Sozialgeschichte einer Kultur zwischen Tradition und Erfindung. Berlin 1984; A. Grazzini, Feuer auf dem Arno. Novellen aus Florenz. Neuausgabe. Berlin 1999; Der Mensch der Renaissance, hrsg. von E. Garin. Essen U. Rehm, Rufmord mit Folgen. In: Botticelli. Bild, Mythos, Andacht. Ausstellungskatalog, hrsg. von Andreas Schumacher. Städel, Frankfurt am Main 2009/10, Marsilio Ficino, *Figline Valdarno (Toskana) 19. Okt. 1433; Careggi (Fiesole-Careggi) 1. Okt. 1499, Italien. Arzt und Philosoph. 16 Cristoforo di Bartolomeo Landino, lat. Christophorus Landinus, * 1424 in Pratovecchio; 24. September 1498 (?) in Borgo alla Collina. Italienischer Dichter und Humanist, Lehrer der Poetik und Rhetorik und Staatskanzler der Republik Florenz unter Lorenzo de' Medici. Er wurde gefördert von Piero de Medici, der Landino die Erziehung seiner 1449 und 1453 geborenen Söhne Lorenzo de Medici und Giuliano I. de Medici anvertraute. Er erhielt später die Sekretärstelle der Florentiner Signorie. Seit 1497 vom öffentlichen Leben 7

8 Poliziano 17, sowie jene des jungen Philosophen Giovanni Pico della Mirandola 18, um einige herausragende Männer dieses Kreises zu nennen. 19 Botticelli war Gelehrter mit ausführlichen Studien der Geometrie, Optik, Physik und Botanik, wobei seine Geometrie den ganzen Kosmos erfasste, die Optik, die Wahrnehmung objektiver wie subjektiver Wahrheiten revolutionierten, indem Wahrheit und Illusion, Traum und Realität miteinander verwoben wurden. [ ]. Der Mensch ist Zentrum der Welt, ihr treibender Grund, ihre Substanz, ihr endliches Herz gegenüber der Unendlichkeit. [Botticelli] war Intellektueller, der im Ruf eines Sonderlings stand, schon weil er Mitglied des illustren Kreises Aus Macht und Geist am Medici-Hof war und als Protegé der Medici galt. Besonders zu Beginn seines Schaffens schien er von den anderen Künstlern isoliert zu sein; er hatte wenig Anhänger, besaß kaum Schüler und sein einziger bedeutender, Filippino Lippi, entwickelte einen eigenen Stil. [ ]. Die Wertschätzung Lorenzos des Prächtigen, Il Magnifico de Medici, galt nicht nur dem Künstler, sie galt ebenso dem Denker Botticelli, der sich unter Philosophen und Historikern als 'Gleicher unter Gleichen' bewegte. 20 L. Venturi vermerkt: Botticellis geschichtliche Stellung, also seine Art, das menschliche Leben aufzunehmen, lassen ihn eine sittliche Reform der Kirche erstreben. 21 Und an anderer Stelle schreibt er: Botticelli kehrt zum religiösen Motiv mit einem seelischen Ernst zurück, den sein Lehrer Fra Filippo Lippi nicht gekannt hatte. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht das Symbol, und das geistliche Leben der Gruppe liegt in der Betrachtung des Symbols. 22 Botticellis Symbolik ist sehr komplex und nicht nur offen sichtbar, sondern so tief verborgen, dass sie seinen Gemälden nach ihrer Aufdeckung oftmals neue Bildaussagen geben können. In dieser, wie U. Rehm sie Botticelli zumisst, hintergründigen Symbolik möchten wir einen Maler erkennen, der dem Geheimen-Offenbaren zurückgezogen, starb er 1504 in Prato Vecchio. Er war Lehrer bekannter Persönlichkeiten wie Agnolo Poliziano ( ) und Marsilio Ficino ( ). Die Hauptwerke Landinos sind seine Disputationes Camaldulenses (Florenz 1475, Straßburg 1508) und sein Comento sopra la Comedia (Florenz 1481). 17 Agnolo Poliziano, eigentlich Angiolo Ambrogini, *14. Juli 1454 in Montepulciano; 29. September 1494 in Florenz. Dichter und Humanist der Renaissance. 18 Giovanni Pico Conte della Mirandola, * Mirandola; Florenz. Humanist und Philosoph. 19 I. E. Doetsch, Die Madonna mit dem Granatapfel von Sandro Botticelli (1487). Der Einfluss des Dante Alighieri und Nikolaus von Kues auf die Florentiner und die Rezeption bei Sandro Botticelli. Köln 2012, 24f. 20 U. Baldini, Der Frühling von Botticelli. Geschichte, Wiedergeburt und Deutung eines berühmten Gemäldes. Bergisch Gladbach 1986, 12; 31. In: I. E. Doetsch, ebd., Köln 2012, 45. Siehe auch M. Baxandall, Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts. Frankfurt 1984, 112 ff. 21 L. Venturi, Botticelli. Gemälde. Phaidon-Ausgabe. London 1938, 13. Weiter geht er aber darauf nicht ein. 22 Ebd., 16. L. Venturi bezieht sich hier auf das Gemälde der Eucharistie von Botticelli, (1471/72), aus dem Palazzo Chigi in Rom, heute in Boston. 8

9 im Bild möglicherweise größeres Gewicht beimisst als dem offen sichtbaren Symbol. Entscheidend dabei ist, dass sie nur intensiv miteinander verbunden gelesen werden können. Seit der Antike wird das Symbol als das Geheime-Offenbare verstanden und eingesetzt. Es soll das in Schrift oder Bild dargestellte Heilige vor der Profanierung schützen und bewahren. Der zur gleichen Zeit mit Botticelli im Kreise der de' Medici mitwirkende Giovanni Pico della Mirandola findet darüber deutliche Worte in einem in Florenz geschriebenen Brief an Hermolao Barbaro vom 3. Juni 1485, der den Zeitgeist genau wiedergibt: Den Beifall der Menge erstreben wir nicht, das Ohr der Hörer wollen wir nicht kitzeln durch liebliche Weisen. Uns liegt viel mehr an der schweigenden Bewunderung jener wenigen, deren Blicke bis in den Kern der Sache vordringen, welche die Innenseite der Dinge gewahren, seien dieses nun Dinge aus den Grüften der Natur oder Offenbarungen aus den erhabenen Tempeln Gottes. [ ]. Wie die Alten die Masse des Volkes durch dunkle Rätsel, durch Fabeln und undeutbare Mythen von dem Einblick in den Sinn der Mysterien zurückhielten, so taten auch wir. Die bittere Rinde unserer Worte wehrte dem Plebs die Besudelung unserer Gedanken. [ ]. So legen auch die Philosophen um ihre Forschungen und Gedanken einen Schleier, denn sie wollen weder die Anerkennung des Volkes noch dessen Teilnahme an ihren Erkenntnissen. [ ]. Sagte ich dir doch schon vorhin, dass wir uns gar nicht bemühen, die Menge zu gewinnen; im Gegenteil: sie fernzuhalten, ist unser Bestreben. Und dabei ist der Trank, den wir verschenken, nicht widerwärtiger Wermut, sondern himmlischer Nektar. 23 Auch Botticelli legt viele Schleier um seine Gedanken in all seinen auf uns gekommenen Werken. 24 Diesen Zeitgeist haben wir in alle Gemälde Botticellis mit einzubeziehen um die Intention der jeweils einzelnen Werke erfassen zu können. Das gilt ebenso für die Werkstattbilder. Die wenigen Werke, die wir nur ansatzweise entschlüsseln konnten, zeigten in ihrer Symbolik eine komplexe Vielfalt und Verflochtenheit philosophisch-theologischer Denkansprüche Botticellis, die uns eine ernsthafte Künstlerpersönlichkeit vor Augen führten, die in ihren Werken einen missionarischen Auftrag zu erfüllen suchte, der ganz dem religiösen Wesen und Leben Botticellis entsprach. U. Baldini schildert Botticelli als eine unabhängige, eigenständige Persönlichkeit, einen revolutionären Künstler, nicht zuletzt wegen der Art, wie er seine überschwängliche Religiosität in seine Malerei einbrachte. 25 Das sind Gegebenheiten die zu berücksichtigen sind, wenn wir nun an die Auffindung eingebrachter Symbolik im Tondo aus Rheinischem Privatbesitz heranzugehen versuchen. 23 G. Pico della Mirandola, Ausgewählte Schriften. Übersetzt und eingeleitet von A. Liebert. Jena und Leipzig 1905, 101ff. 24 Vgl. I. E. Doetsch, a.o., Köln 2012, 33ff. 25 U. Baldini, a.o., 12. 9

10 DIE SYMBOLIK IM TONDO AUS RHEINISCHEM PRIVATBESITZ Ein perlengeschmückter, aus grünem Tuch gestalteter Baldachin, von dem nur ein mit Goldfäden zehngeteilter Volant sichtbar ist, der sich nach weiter hinten verliert, ist über der Gottesmutter und ihrem Kind ausgespannt. Von ihm aus hängt ein feurig-roter Thronvorhang hinter der Gottesmutter mit ihrem Kind herunter, der sie dadurch hervorhebt. Baldachine überspannten Throne und Altäre und architektonisch wurden sie auch innerhalb von Kirchenräumen über Altartisch und Tabernakel in Stein umgesetzt. [ ]. Bilder von Szenen aus den Evangelien zeichnen besonders wichtige Personen, etwa die hl. Maria, oft durch die Darstellung von Baldachinbauten aus. 26 Baldachine galten als Schutz und Ehrung des/der unter ihm sich Befindenden. Mit diesem Baldachin im Gemälde als Symbolcharakter sollte Mutter und Kind Schutz und Ehre erfahren und ihre Gottheit vorgestellt werden. Die Perle, die, zur Girlande geknüpft, vielfältig aufgereiht den Baldachin verziert und, über Mutter und Kind angebracht, gleichzeitig Mutter und Kind schmückt, wurde wegen ihrer Schönheit und Kostbarkeit zum Symbol Christi erhoben. Als solche wird sie zuerst in der Lehre der Gnostiker, dann auch in Predigten der Kirchenväter (vor allem des Syrers Ephräm) erwähnt. Weiterhin ist sie das Symbol der Erleuchtung und der geistigen Wiedergeburt sowie Sinnbild der unbefleckten Empfängnis Marias, da man annahm, die Muschel, obwohl im Wasser lebend, empfange doch unberührt vom Wasser die Perle durch himmlischen Einfluss bzw., aus dem Meer emporsteigend, durch den Tau vom Himmel. 27 Diese Bedeutungscharaktere vor Augen, fallen bei der Perlengirlande die Gleichmäßigkeit und Schönheit der einzelnen Perlen, die exakten Bogenlinien und die geraden Stränge der aufgefädelten Perlen auf. Der Maler muss um die symbolische Bedeutung der Perle, u.a. als Symbol Christi wie ebenso als Symbol der unbefleckten Empfängnis Marias gewusst haben, es sind ja die Personen, die sich unmittelbar unter dieser Perlengirlande aufhalten. Deshalb erstaunt es in Folge nicht, wenn beim genauen Nachzählen der einzelnen Girlandenabschnitte vor grauem und rotem Hintergrund ein unauffälliger Zahlenrhythmus zu erkennen ist. Die Zahlensymbolik ist seit der Antike ein gern eingesetztes Gedankenspiel in 26 Knaurs Lexikon der Symbole, Augsburg 2002, 49f. 27 Ebd.,

11 Wort und Bild und wurde besonders von Dante 28 in seine Schriften eingebracht wie auch geradezu in der Zeit Botticellis in Florenz und Italien in Kunst- und Schriftwerken. 29 Der Zahlenrhythmus im Tondo aus Rheinischem Privatbesitz zeichnet sich wie folgt ab: die jeweils rechts und links herunterhängenden Perlenstränge tragen je 21 Perlen. Vor dem grauen Hintergrund sind beidseitig je 9 Perlen zu erkennen. 30 Vor dem roten Thronvorhang können je 28 Perlen gezählt werden, die durch ein viereckiges, vergoldetes Schmuckstück getrennt sind, also: zu Die Zahl 21 gilt in der Zahlensymbolik als die Zahl der Perfektion, da sie das Produkt der heiligen Zahlen Sieben und Drei ist. 31 Diese Perfektion könnte in den sehr schön gemalten- und sehr gerade und streng ausgerichteten 21 Perlen der beiden Girlandenstränge förmlich abzulesen sein. Die Zahl 7 ist u.a. die Zahl des Heiligen Geistes, die Zahl 3 wird u.a. der Dreifaltigkeit Gottes zugerechnet. Die Bibel spricht darüber hinaus von den 21 Vollkommenheiten der Weisheit (Weish 7, 22-23). 32 Hier im Tondo könnte somit nach dieser Aufdeckung der Symbolzahl 21 der Geist Gottes als Vollkommenheit der Weisheit im Trinitarischen Gott gemeint sein, der als menschgewordener Sohn Gottes von den Armen der Theotokos 33 gehalten wird. 34 Da die Perle u.a. als Symbol Christi gedeutet wird, könnte dieser Bezug greifen. Wenn man die Quersumme von 21 errechnet, erhält man erneut in diesem Zusammenhang die Zahl 3 mit dem Bedeutungscharakter, der Dreifaltigkeit zugerechnet zu sein. So könnte verstärkend erneut Bezug darauf genommen werden und ausgedrückt sein, dass das Kind Jesus im Tondo in diesem symbolischen Bedeutungscharakter als der Dreifaltige Gott, der der EINE ist, dargestellt sein könnte. 35 Die Zahl 9 gilt als die potenzierte heilige 3. Für diejenigen, die in der 10 die höchste Vollkommenheit sehen, ist die 9 < Nähe zur Vollkommenheit >, also noch nicht die 28 Dessen Göttliche Komödie gänzlich aus Zahlsymbolen, einem sogenannten kryptographischen Verfahren, zusammenkomponiert ist. 29 M. Hardt, Nachwort zur Göttlichen Komödie Dantes. In: Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Stuttgart 2009, 555: Die Dinge haben eine Gestalt, weil sie zahlenhaft sind; nimm ihnen die Zahlen, und sie zerfallen in nichts.' (Augustinus De libero arbitrio 2,42). Dinge haben also nur insoweit Sein, als sie zahlenhaft sind. [ ].,Nichts ist zahlenmäßig geordnet, was nicht auch schön wäre.' (De vera religione 41,77). Im Zusammenhang mit diesem ästhetischen Aspekt der Zahl spricht Augustinus auch des öfteren von Gott als dem 'höchsten Künstler', dem summus artifex, der alle seine Werke mit dem Ziel der Schönheit angeordnet und zusammengefügt hat.' (ebd. 39,72). Der Menschenkünstler aber ist für Augustinus auch in dieser Hinsicht ein Ebenbild Gottes: Auch der Menschenkünstler richtet sich nach dem ihm eingegebenen,licht der Zahlen' und rührt Hände und Werkzeug so lange, bis die Übereinstimmung zwischen der Form des Kunstwerks und dem ihm eingegebenen Licht der Zahlen hergestellt ist (De libero arbitrio 2,42). 30 Auch wenn auf der rechten Seite die 9er-Perlenreihe beschädigt und verputzt ist, konnte die Anzahl der Perlen nachgewiesen werden. 31 Vgl. F. C. Endres, / A. Schimmel, Das Mysterium der Zahl. Zahlensymbolik im Kulturvergleich. München 1990, Ebd., Der Gottesmutter. 34 Dass es sich hier im Sohn Gottes um den Trinitarischen Gott handelt, wird weiter unten offengelegt. 35 Siehe weiter unten. 11

12 Vollkommenheit selbst, sagt Endres. 36 Betrachten wir die Nähe der 9 im Tondo zur direkt folgenden Zahl 28, die in ihrer Quersumme die 10 ist (2+8=10), so könnte die Zahlenfolge der Perlengirlande möglicherweise nicht unbeabsichtigt eingebracht sein, was ihren Symbolgehalt betrifft, denn solche Interpretation findet sich besonders in den mittelalterlichen christlichen Traditionen, [die geradezu in der Zeit Botticellis am Hof der de Medici in Florenz fortgesetzt wurde und Botticelli regen Gebrauch davon machte.].[ ]. Auch die Tatsache, dass der Tod Christi zur neunten Stunde eintrat, deutet auf Leiden und Passion hin., [wie das auch hier im Tondo in den Perlen als Symbol Christi darin zum Tragen kommen könnte].[ ]. Die 9 wird oft zu einer Vollendungszahl, eine Bedeutung, die auch aus ihrer Stellung als potenzierte heilige 3 abgeleitet werden kann. 37 Die Vollendung könnte hier in der Anwesenheit des Gottessohnes zum Tragen kommen, der auf die Erde gekommen ist um das Werk seines Vaters zu vollenden, das in der Erlösung der Menschheit gründet. Die endgültige Quersummer der Zahl 28 ist nach der 10 die 1, die beide mystisch das gleiche sind und die als die Zahl Gottes gilt, der der EINE ist, der hier dargestellt ist und diesbezüglich Symbolgehalt für diesen Tondo haben dürfte. Zusammen gesehen mit der Zahl 9 (als Zahl der Vollendung) könnte hier im Tondo ebenso die Vollendung des Willens Gottes (1) in der Jungfräulichen Geburt seines Sohnes zur Erde durch die Jungfrau Maria aufgezeigt sein, deren Glorienschein darüber hinaus direkt die Perlenkette berührt und darin einen möglicherweise unmissverständlichen und vertiefenden weiteren geheim-offenbaren Verweis auf die Symbolik der Perle -nun in Bezug auf Maria- aufzeigen dürfte: Abb. 4 Detailaufnahme der Gloriole Mariens in Berührung mit der Perlengirlande denn die Perle symbolisiert ebenso die Erleuchtung und weiter die unbefleckte Empfängnis Mariens. Diese im Tondo stattfindende Berührung oder das Ineinandergreifen von Glorienschein und Perle könnte u.a. eines des verborgensten sichtbaren Miteinanders und Verquickens von Symbolen im Tondo aufzeigen, das ein mögliches Mitwirken oder 36 F. C. Endres/ A. Schimmel, a.o., 180f. 37 Ebd., 180f. 12

13 Mitdenken Sandro Botticellis als sein Geheim-Offenbares andenken lassen könnte. 38 Ebenso findet sich dieses Ineinandergreifen von Glorienschein und Perlenkette in der Darstellung des Engels, der darin diese selbe Symbolik unterstützen könnte wie er das ja bereits im offen gezeigten Gesang der Jungfrau bekundet, indem er darin den Betrachter zu diesem Lobpreis auffordert. 39 Hingehen findet sich diese Berührung von der Perle mit dem Johannesknaben hier nicht, der ja, nach G. Freuler, nicht aus der Werkstatt Botticellis stammt. Das könnte aufmerken lassen. Abb. 5a und 5b Detailaufnahme der Gloriole des Engels in Berührung mit dem Perlengirlandenstrang wie der Perlenkettenstrang über dem Johannesknaben, der nicht mit ihm in Berührung kommt. Häufig wird die Zahl 28 verwendet, in der die vier Phasen des Mondes vollkommen sind, der dann durch 28 Sterngruppen gewandert war. Außerdem ist die 28, arithmetisch gesehen, eine Vollkommene Zahl, die sich in ihre Divisoren aufteilen lässt. Diese doppelte Rolle der 28 ist in den späteren Traditionen übernommen, bis hin zu den Gedanken des Albertus Magnus, dass der mystische Leib Christi im eucharistischen Symbol 28 Phasen habe. 40 Nehmen wir nun die Vollendungszahl 9 und die Vollkommene Zahl 28, dann könnten wir einen gemeinsamen finalen Gedanken erkennen, dass hier im Tondo in der Perle als Symbol Christi auch der mystische Leib Christi nach Albertus Magnus zur Aussage gekommen sein könnte, der der EINE (1), Gott, ist. Ein noch einmal vertiefenderer Bezug zu Christus, dem Messias, im Tondo wird deutlicher, wenn die Quersumme aus errechnet wird: es ist die Zahl 13. Die Kabbala hält die Dreizehn für günstig, denn im Hebräischen (wie im Arabischen) ist Dreizehn der Zahlenwert des Wortes Ahad, 'Einer'. Aus 2. Moses 34,6 las man 13 Eigenschaften Gottes heraus, wie aus dem letzten Glied der Passah-Haggada zu erkennen ist.,einst wird das Land Israel in 13 Teile geteilt werden; der 13. wird dem König Messias 38 Interessant wäre diesbezüglich, den originalen Karton zu diesem Tondo mit der endgültigen Ausführung des Gemäldes vergleichen zu können um mögliche Freiheiten bzw. Veränderungen in der Durchführung von Details während des Malprozesses ausfindig machen zu können, die sich geradezu in solchen sichtbar belanglosen Details symbolisch zu Wort gemeldet haben könnten und darin das geistige Eingreifen eines Werkstattmeisters in den Malprozess als Autorschaft andenken lassen könnte. Erarbeitung nicht möglich, diesen wichtigen Bezug zum Symbol weiter auszuführen. 39 Hier könnte erneut der missionarische Auftrag der Werkstatt Botticellis erwogen werden. 40 F. C. Endres/ A. Schimmel, a.o., Es ist im Rahmen dieser Tondo-

14 zufallen', heißt es in einer talmudischen Weissagung, und die Kabbala weiß von den 13 himmlischen Quellen, den 13 Toren der Gnade und den 13 Strömen von Balsam, die nach talmudischer Lehre den Frommen im Paradiese erwarten, zu berichten. 41 Hier sind viele Hinweise auf Christus, den Messias, auf die Gnade, auf himmlische Quellen und das Paradies gegeben, die alle vom Maler dieses Tondos mit eingebracht worden sein könnten. Nun haben wir hier in der Perlengirlande diese u.a so symbolträchtig auf den Messias ausgewiesene Zahl 13 zweimal vor uns: zu = zu = 13 zu 13 Jesus ist innerhalb der Gruppe der Zwölf Jünger der Dreizehnte. Diese Eigenschaften könnten ebenso in dieser Zahl als Symbol im Tondo angezeigt sein. Darüber hinaus findet sich ja geradezu in der Zahl 13 der symbolische Hinweis auf den König Messias, 43 der der Eine Gott im Vater und im Geist ist und hier im Tondo als menschgewordener Gott von seiner Mutter in ihren Armen gehalten wird, womit wir dreimal die 13 im Tondo symbolisch manifestiert fänden. Wenn wir nun symbolisch 3-Mal die 13 im Tondo finden, lässt das an den Gott in drei Personen im Kind Jesus Christus denken, der hier als der Dreifaltige Gott vorgestellt sein könnte. Dass er der Dreifaltige Gott im Tondo sein könnte, könnte aus seiner Körperbewegung hervorgehen, die etwas Tanzendes, Springendes an sich hat, das ein tragendes Symbol für den Trinitarischen Gott ist. 41 F.C. Endres/ A. Schimmel, a.o., 222ff. 42 Siehe oben. 43 Siehe oben. 14

15 Abb. 6 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Gottesmutter mit Kind In der Tat entdeckt man, dass in den Beinbewegungen des Kindes möglicherweise etwas Springendes, Tanzendes zu erkennen ist. Der rechte Fuß des Kindes scheint sich fast zum Sprung oder Tanz vom Arm der Mutter abzustoßen, das, nach L. Venturi, gleichfalls seelisches Leben ausdrücken kann. Daraus dürfte eine verborgene theologische Aussage im Tondo herauszulesen sein, die in dieser Weise formuliert worden sein könnte, um nur mittelbar erkannt zu werden, damit sie nicht profaniert werde. G. Greshake schreibt, dass das Leben des trinitarischen Gottes gewissermaßen ein Pulsieren ist, gemäß dem aus Einheit Dreiheit und aus Dreiheit wieder Einheit ist und der Begriff ursprünglich die Bezeichnung für das Tanzen ist: Einer umtanzt den anderen, der andere umtanzt den einen. 44 Seelisches Leben, Tanzen und Pulsieren entsprechen einander. 44 G. Greshake, Der Dreieine Gott. Eine trinitarische Theologie. Freiburg-Basel-Wien 2008, 93: Das eine göttliche Wesen, das im Vater ursprünglich verwirklicht ist und von ihm an Sohn und Geist weitergegeben wird, wird von jeder einzelnen Hypostase vollkommen und in gleicher Weise in Besitz gehalten, so aber, dass das Leben des trinitarischen Gottes gewissermaßen ein Pulsieren ist. (Gregor von Nazianz, Carmina Theol. I, 1,3 (PG 37, 413). Dieses relational-communiale (!) Verständnis der göttlichen Personen ist eng verbunden mit dem Begriff der perichoresis ( lat. circumincessio [bewegt] und circuminsessio [statisch], dabei hebt der Begriff der circumincessio die gegenseitige dynamische Durchdringung hervor). Dazu schreibt G. Greshake (Ebd.) in der Anmerkung 155 zu diesem Text: Bemerkenswert ist, dass schon Anaxagoras diesen Begriff ontologisch verwendet:,und wenn die Anteile des Großen und des Kleinen (im seinskonstituierenden Mischvorgang der Elemente) zahlenmäßig gleich sind, muss auch deshalb alles in jedem sein. So ist es ausgeschlossen, dass irgend etwas isoliert wäre; nein, es hat alles Anteil an jedem.' In: J. Mansfeld (Hrg.), Die Vorsokratiker, Stuttgart 1987, 515; 517. In: I. E. Doetsch, a.o

16 hinweisen. Auf diesen Dreifaltigen Gott im Kind könnten auch die Hände der Gottesmutter Abb. 7 Die rechte Hand der Gottesmutter. Detail Abb. 8 Die linke Hand der Gottesmutter. Detail Wir finden in beiden Händen Marias eine Fingerhaltung 2:3 vor. In Marias rechter Hand erkennt man zwei ausgestreckte und eng zusammengelegte Finger (Mittel- und Ringfinger). Sie dürften auf die Gottheit und Menschheit Christi (2) hinweisen. In den gekrümmten beiden Fingern, Zeigefinger und kleiner Finger, wozu der nicht sichtbare Daumen dazuzuzählen wäre (3), wird gleichzeitig auf den Dreifaltigen Gott verwiesen. Ihre linke Hand zeigt drei Finger, Daumen, Mittel- und Ringfinger, die auf der Goldborte liegen (3), wohingegen sich die beiden weiteren Finger (2), Zeigefinger und kleiner Finger, unterhalb dieser drei Finger befinden. Diese Symbolik könnte Maria hier als die Erleuchtete 45 ausweisen wie besonders auch als die Sedes Sapientiae deuten, als der Thron der Weisheit, die hier Christus Thron ist, wie zu sehen ist, und die durch ihre Fingerhaltung anzeigt, dass sie um die Gottheit und Menschheit (2) wie um die Dreifaltigkeit (3) ihres Kindes weiß 46 und in der aufgedeckten Symbolik den Betrachter auffordern könnte, wie sie, an dieses Kind als den auf die Erde gekommenen Messias (13), Gottessohn und Dreifaltigen Gott zu glauben. Hier könnte der missionarische Auftrag des Malerhauses Sandro Botticelli im Tondo zur Geltung kommen Siehe: Symbol der Perle. 46 Erleuchtung. 47 Da es sich um einen Tondo aus der Werkstatt Botticellis handelt, die die Übertragung des Bildgeschehens mittels eines Kartons aus dieser Werkstatt vorgenommen hat, kann es sich um einen Karton handeln, in welchen Botticelli seine symbolischen Bedeutungscharaktere eingesetzt hatte. Siehe auch die Verwendung desselben Themas bei G. Freulers vergleichenden Tondi in Indianapolis und Sao Paolo mit allerdings nur teilweise nämlichen Symbolen. 16

17 Maria sitzt als irdische Mutter mit dem Menschensohn Christus auf einer steinernen Brüstung, hinter der der Engel und der Johannesknabe stehen. Dieses bewusste Dahinterstehen wird im Gemälde selbst nun dadurch betont und bestätigt, als in den Vorzeichnungen 48 Gewandteile des Engels und des Johannesknaben noch bis auf die Brüstung hinein gezeichnet zu liegen kamen. Abb. 9a und 9b Infrarotaufnahmen von R. Beck In die Malerei wurden diese Gewandteile aber nicht als auf der Brüstung liegend aufgenommen und ausgeführt, so dass die Brüstung eine scharfe Trennung zwischen Mutter mit Kind und Engel und Johannesknaben herbeiführt und somit beide Gestalten absolut hinter der trennenden Brüstung zu stehen kommen. Diese Komplexität der eingebrachten Symbolik kann, so wichtig sie ist, hier nicht weiter erörtert werden, da sie den Rahmen der Arbeit sprengen würde. 49 Es sollte möglicherweise bewusst ein vor der Brüstung und ein hinter der Brüstung Stattfindendes zur Darstellung kommen, das in der Summe der Deutung die Überwindung der Gegensätze zum Ziel gehabt haben dürfte, die in der unitas absoluta im Dreifaltigen Gott, der der Eine ist, gründet. 48 Siehe Infrarotaufnahmen von R. Beck. 49 Die Komplexität der Brüstung als Trennung, die u.a. ein Vorne und Hinten bewirkt und auch hier in der weiteren Deutung einen Zusammenfall der Gegensätze mit sich bringt, findet eine Erklärung in der Deutung als murus paradisi innerhalb der Lehre des Nicolaus Cusanus, die ebenso in Botticellis Tondo der Muttergottes mit dem Granatapfel, zu finden ist, auf den Bezug genommen werden könnte. Siehe dazu I. E. Doetsch a.o., Köln 2012, 98ff. 17

18 Der Engel hält mit beiden Händen einen Folianten vor seiner Brust aufgeschlagen, auf dessen beiden Seiten das Magnificat, der Lobgesang Mariens in deutlichen Lettern Abb. 10 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Foliant mit dem Magnificat aufgeschrieben zu erkennen ist. Das, was auffällt, ist wiederum die Fingerhaltung der Hände des Engels, die u.e. mit ihren Fingerspitzen gezielt auf Textstellen des Magnificats hinweisen könnten. In den Vergleichsabbildungen, die G. Freuler vorstellt, 50 Abb. 11 G. Freuler G. Freuler, Dossier VAN HAM, a.o., 20, Abbildungen 10 11, A.O.,

19 ist diese aussagekräftige linke Hand des Engels in der Abbildung 10 ganz anders ausgeführt worden, d.h.: absichtslos und ungezwungen. Die Finger liegen natürlich auf dieser Foliantenseite und lassen keinen Bezug zu Textstellen erkennen. In der Abbildung 12 sind die linke Hand und die Finger dieses Engels erst gar nicht mehr sichtbar, stattdessen sind Buchschliessen zu erkennen. Im Tondo aus Rheinischen Privatbesitz wirken von den vier Fingern der linken Hand des Engels besonders die beiden letzten unnatürlich gebogen und artifiziell aufgelegt. Deshalb könnte angenommen werden, dass sie mit den Textstellen in Beziehung gebracht werden sollten. Gehen wir davon aus, ergeben sich folgende Text- zu Fingerzusammenhängen der linken Hand des Engels: Abb. 12 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Die linke Hand des Engels der Zeigefinger liegt vor dem Wort dimisit und auf dem Wort inanes im Satzzusammenhang: Esurientes implevit bonis: et divites dimisit inanes. Hungrige überhäuft er mit Gütern, und Reiche lässt er leer ausgehen. Der Mittelfinger liegt vor dem Wort Israel und auf dem Wort puerum im Satzzusammenhang: Suscepit Israel, puerum suum. Um Israel, Seinen Knecht, nahm Er Sich an. Der Ringfinger liegt vor dem Wort recordatus und auf dem Wort misericordiae im Satzzusammenhang: recordatus misericordiae suae. eingedenk Seiner Barmherzigkeit. Der kleine Finger liegt unterhalb des Wortes Sicut und zwischen der folgenden Zeile im Satzzusammenhang: Sicut locutus est ad patres nostros. So wie Er es unseren Vätern verheißen. Der Daumen der rechten Hand des Engels Abb. 13 Schriftzüge des Magnificats. Detail 19

20 liegt unter dem Wort nostros und vor dem Wort semini im Satzzusammenhang: nostros abraham et semini ejus in saecula. So wie Er es unseren Vätern verheißen, dem Abraham und seinen Kindern/Nachkommen auf ewig. Hungrige überhäuft er mit Gütern, und Reiche lässt er leer ausgehen. Um Israel, Seinen Knecht, nahm Er Sich an, eingedenk Seiner Barmherzigkeit. So wie Er es unseren Vätern verheißen, dem Abraham und seinen Kindern auf ewig. Daumen und Zeigefinger umfangen zudem den in Rot geschriebenen Satz: Canticu beate vir. Gesang der seligen Jungfrau. Gerade dadurch, dass wir die Pentimenti in der Figur des Engels finden und G. Freuler dazu vermerkt: Wenn hier ein suchender Künstler am Werk war, dann dürfen wir davon ausgehen, dass unser Engel am Anfang der drei hier verglichenen, nach gleichem Modell gemalten Engel steht 52, könnte aufgezeigt sein, dass der Maler geradezu eine bestimmte symbolische Aussage im Engel zum Ausdruck bringen wollte. Auf den Text bezogen dürfte u.a. der Bedeutungscharakter auf den barmherzigen Gott im Tondo verweisen, wie er es ja bereits Abraham und all seinen Nachkommen 53 auf ewig vorausgesagt hat. Dass ein Bezug von Fingerhaltung zum Text im Tondo aus Rheinischem Privatbesitz gegeben sein könnte, dürfte einen gültigen Beleg im Tondo Madonna del Magnificat 54 von Sandro Botticelli finden, in welchem hier das Kind Jesu mit seinen Fingern ebenfalls direkt auf Textstellen im Magnificat hinweist. Besonders weist sein Mittelfinger auf das Wort humilitatem. Abb. 14 Sandro Botticelli, Madonna del Magnificat. Detail. Abb. 15 Tondo Rheinischer Privatbesitz. Detail. 52 G. Freuler, Dossier VAN HAM, a.o., 20. Das würden wir ebenfalls bestätigen. 53 Siehe dazu den Text des Magnifikats. In diese Nachkommenschaft wäre dann auch der Betrachter mit eingeschlossen. 54 Heute in der Galleria degli Uffizi, Florenz.. 20

21 Die Finger des Kindes liegen auf den Textstellen: exsultavit spiritus meus in Deo, salutari meo. Quia respexit humilitatem ancillae suae, ecce enim ex hoc beatam me dicent omnes generationes. Mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland. Denn Er hat herabgeschaut auf die Niedrigkeit 55 Seiner Magd, siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. 56 Im Weiteren finden sich in diesem Tondo Ähnlichkeiten einiger Buchstaben mit Buchstaben im Augustinus-Fresko von Sandro Botticelli in der Kirche Ognissanti in Florenz wieder, wie in den Buchstaben d, s und t. Während die Schrift im Fresko handschriftlich gehandhabt wird, wirkt sie im Tondo gestochen scharf geschrieben. Ebenso können Ähnlichkeiten einiger Buchstaben in den geschriebenen Lettern im gemalten Folianten des Botticelli-Tondos Madonna del Magnificat festgestellt werden. Auch lassen die aufgeworfenen oberen Seitenecken der jeweiligen Folianten aufmerken. Abb. 16 Fresko des Hl. Augustinus von Sandro Botticelli in der Kirche Ognissanti in Florenz. Schrift in aufgeschlagenem Folianten. Detail Abb. 17 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail Abb. 18 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Abb. 19 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Schrift in aufgeschlagenem Folianten. Detail 55 Auf dieses Wort humilitatem zeigt besonders der Mittelfinger des Kindes. 56 Auf die Deutung kann hier nicht weiter eingegangen werden. 21

22 Abb. 20 Sandro Botticelli, Madonna del Magnificat. Detail. Die Gottesmutter trägt -anders wie in den Vergleichsbildern, die G. Freuler anführt-, einen weiteren weißen und durchsichtigen Schleier, der über ihren blauen Schleier gelegt ist, obwohl unmittelbar über ihrer Stirn und Haar bereits ein ebenso fein und durchsichtig weißer Schleier zu erkennen ist. Somit trägt die Theotokos drei Schleier. 57 Der Schleier ist Symbol der Verhüllung, des Geheimnisses. 58 Der Schleier gilt als Attribut und Symbol vorpatriarchaler weiblicher Gottheiten. Kopf oder Gesicht wurden verschleiert als Zeichen der Ehrfurcht vor Heiligem. Als unverletzbare, keusche Bräute der Gottheit trugen die Vestalinnen weiße, purpurverbrämte Schleier. Das wurde im Christentum für gottgeweihte Jungfrauen übernommen. Der Schleier hat rituelle Bedeutung in der Begegnung Mensch- Gottheit bzw. im Raum transzendenter Erfahrung und Erkenntnis. 59 Diese Bedeutungscharaktere könnten hier u.a. greifen, doch der weiße, durchscheinend lichte Schleier -über dem ersten durchsichtigen- und dem zweiten, dichter und dunkler gewebten blauen Tuchschleier-, in den das Kind mit seiner rechten Hand hineingreift, sodass das Hineingreifen mit den Fingern in diesen zarten weißen Schleier einen Buchstaben ähnlich dem M im Magnificat formt indes das Kind mit der Mutter spricht, lässt eine tiefere symbolische Dimension vermuten als es oberflächlich zu sehen gegeben ist. All diese symbolischen Merkmale sind in den Vergleichsbildern, die G. Freuler vorstellt, nicht zu finden, sodass hier ein möglich noch einmal intensiveres Nachdenken über das Geheime- Offenbare in diesem Tondo stattgefunden haben könnte, das in Bezug zu Sandro Botticelli 57 Diesen weißen, durchsichtigen Schleie, der über den dickeren Tuchschleier gelegt ist, finden wir u.a. ebenfalls im Tondo der Madonna del Magnificat wie auch im Tondo Muttergottes mit dem Granatapfel. Das könnte ein unmittelbares Mitwirken Botticellis beinhalten, da beide Vergleichsbilder, die G. Freuler vorstellt, diesen weißen Schleier nicht ausgeführt haben. 58 Lexikon der Symbole. Erftstadt 2007, Vgl. M. Rafalski, A. Schimmel

23 selbst gesetzt werden dürfte, dass er malerisch in die Einbringung dieser tieferen Symbolik eingegriffen haben könnte, auf das im Rahmen dieser Erarbeitung nicht näher eingegangen werden-, nur vorgestellt werden kann. Darüber hinaus könnte geradezu das Sprechen des Kindes mit seiner Mutter in das zuvor vorgestellte Geheime-Offenbare im Buchstaben M mit einzubeziehen unabdingbar nötig sein, bzw. es steht möglicherweise unbedingt im Zusammenhang mit dem Gesprochenen des Kindes. Denn der geöffnete Mund des Kindes 60 zeigt keine Zähne, sondern eine nach oben gebogene Zunge, die sich während des möglichen Sprechens des Wortes Magnificat beim Buchstaben N dahingehend verformt. Der Buchstabe N aber hat im kryptographischen Verfahren, das Sandro Botticelli bereits im Tondo der Madonna mit dem Granatapfel eingesetzt hat, den Zahlenwert 13! So könnte der Tondo aus Rheinischem Privatbesitz in aller bisher aufgedeckten, jedoch nicht abgeschlossenen Symbolik (die 3 Schleier zusammen mit der 13/(N) mit eingeschlossen) im Unterschied zu den von G. Freuler vorgestellten Parallelgemälden einen möglicherweise gewichtigeren Grund aufzeigen, in die unmittelbarste Nähe auch des Werkstattmeisters, Sandro Botticelli, gestellt zu werden. Abb. 21 Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Die drei Schleier der Gottesmutter. 60 Den wir so, auf den Jesusknaben bezogen, noch nicht in weiteren Gemälden Botticellis gefunden haben. 23

24 Abb. 22a und 22b Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Das Sprechen des Kindes mit seiner Mutter. Abb. 23a und 23b Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Detail. Die Hand des Kindes im weißen Schleier der Mutter. LITERATUR Baldini, Umberto, Der Frühling von Botticelli. Geschichte, Wiedergeburt und Deutung eines berühmten Gemäldes. Bergisch Gladbach Doetsch, Ingeborg Eugenia, Die Madonna mit dem Granatapfel von Sandro Botticelli (1487). Der Einfluss des Dante Alighieri und Nikolaus von Kues auf die Florentiner und die Rezeption bei Sandro Botticelli. Köln Dossier zum Tondo aus Rheinischem Privatbesitz. Auktionshaus VAN HAM, Köln Dress, Walter. Die Mystik des Marsilio Ficino. Berlin-Leipzig Endres, Franz Carl, / Schimmel, Annemarie, Das Mysterium der Zahl. Zahlensymbolik im Kulturvergleich. München Hardt, Manfred, Nachwort zur Göttlichen Komödie Dantes. In: Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie. Stuttgart Jaspers, Karl, Nicolaus Cusanus. München Knaurs Lexikon der Symbole. Augsburg

25 Lieberknecht, Otfried, Allegorese und Philologie. Überlegungen zum Problem des mehrfachen Schriftsinns in Dantes <Commedia>. Stuttgart Rehm, Ulrich, Botticelli. Der Maler und die Medici. Eine Biographie. Stuttgart Ders., Rufmord mit Folgen. In: Botticelli. Bild, Mythos, Andacht. Ausstellungskatalog, hrsg. von Andreas Schumacher. Städel, Frankfurt am Main Venturi, Lionello, Botticelli. Gemälde. Phaidon-Ausgabe. London Zintzen, Clemens, Vom Menschenbild der Renaissance. Florentiner Kultur im Quattrocento. Hildesheim-Zürich-New York