INSURANCE TV: Was ist denn das besondere Problem der Lebensversicherer?
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- Manfred Egger
- vor 8 Jahren
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1 Mai 2015 Dr. Carsten Zielke im Gespräch mit Insurance TV über das aktuelle Niedrigzinsszenario, die Einführung von Solvency II und die Herausforderungen der Digitalisierung. INSURANCE TV: Wir sind zu Gast bei Dr. Carsten Zielke von der Zielke Research Consult GmbH hier im schönen Kornelimünster. Wir sprechen heute mit Ihnen über drei Schwerpunktthemen, die die Assekuranz bereits seit einer Weile beschäftigt. Diese Themen können den Markt durchaus signifikant verändern. Starten wir mit dem wohl wichtigsten Thema zurzeit: die derzeitige Situation am Zinsmarkt ist dauerhaft so gestaltet, dass wir von einem Niedrigzinsszenario sprechen. Ein echtes Problem für die Branche, oder? DR. CARSTEN ZIELKE: Die Zinsen stellen die Hauptertragsquelle bei den Kapitalanlagen von Versicherern dar, unabhängig von der Sparte: Kranken-, Leben- oder Sach. Mit dem Maße wie die Zinsen sinken, fällt diese Ergebnisquelle weg. Aus diesem Grund ist das Geschäft momentan sehr, sehr schwierig. INSURANCE TV: Was ist denn das besondere Problem der Lebensversicherer? DR. CARSTEN ZIELKE: Bei den Lebensversicherern kommt hinzu, dass sie die meisten Kapitalanlagen von allen Sparten haben und damit auch das größte Exposure gegenüber dem festverzinslichen Markt. Sie sind genötigt, nur in sichere Anlagen zu investieren und müssen daher diesen Zinsabschwung in der Neuanlage voll mitnehmen. Dazu kommt, dass sie sehr lange Garantien haben, die sie zu erfüllen haben und diese Garantien liegen jetzt leider über dem, was sie am Markt erwirtschaften können. INSURANCE TV: Wieso ist dieses Problem in Deutschland gravierender als in den anderen EU- Ländern? DR. CARSTEN ZIELKE: Der deutsche Gesetzgeber wollte es bei der Rentenreform im Jahr 2000 ganz genau machen und dem Kunden eine Garantie bis zu seinem Ableben geben. Das ist in anderen Ländern nicht passiert. Daher ist die Vertragslaufzeit von deutschen Verträgen weitaus länger als die von ausländischen Verträgen - außerdem auch noch gespickt mit Garantien, die sie in den Nachbarländern nicht finden.
2 2 INSURANCE TV: Herr Dr. Zielke, Sie haben in unserem letzten Interview eine Schwächung der privaten Altersvorsorge durch das Lebensversicherungsreformgesetz prognostiziert. Ist diese Prognose eingetreten? DR. CARSTEN ZIELKE: Leider ist das Lebensversicherungsreformgesetz so verabschiedet worden, wie wir es nicht haben wollten. Die Folgen sind, dass die größte Gewinnquelle, derzeit die Risikogewinne, um die Hälfte geschmälert wird. Dem Versicherungskunden werden nun 90% der Risikogewinne statt der vorherigen 75% zugeschrieben. Damit leiden vor allem die nicht börsennotierten Gesellschaften, da sie keine bzw. deutlich weniger Gewinne thesaurieren können. In der Folge bedeutet das, dass sie auch weniger risikoarm investieren können. Das hat zur Folge, dass der Kunde am Ende doch weniger Rendite bekommt. Meine Aussage bleibt bestehen, dass durch dieses Gesetz die Altersvorsorge geschmälert wird. Hinzu kommt, dass das größte Problemthema derzeit, die Berechnung der Zinszusatzreserve, nicht angegangen wurde. Die Zinszusatzreserve ist eine Rückstellung innerhalb der Deckungsrückstellung, die als Vorsichtsmaßnahme gebildet werden soll, um lange Niedrigzinsphasen zu überbrücken. Genau diese haben wir ja momentan, doch die Formel ist leider so formuliert, dass ich vorzeitig viele Gewinne realisieren muss und damit die nachhaltige Ertragskraft der Versicherer weiter geschmälert wird. Im Grunde bedroht diese Zinszusatzreserve das Geschäftsmodell der Lebensversicherungsbranche. INSURANCE TV: Was können denn die Lebensversicherer momentan tun? DR. CARSTEN ZIELKE: Zum einen können sie Lobbyarbeit betreiben, damit die Berechnungsformel der Zinszusatzreserve geändert wird. Das ist auch schon teilweise passiert. Man hat versucht, die Formel so umzustellen, dass als Referenzzins nicht mehr die Bundesanleihe gilt, die ja zeitweilig bei 0 Prozent rentierte. Aber ob das in Berlin fruchtet, ist unklar, da die Politiker wenig Interesse haben, sich jedes Jahr mit der Lebensversicherungsbranche zu beschäftigen; sie dachten eigentlich, sie hätten alles Nötige getan. Was die Versicherungsindustrie möchte, ist eine Annäherung an Solvency II, d. h. hier künstliche Zinssätze zu verwenden. Davon halte ich weniger. Ich plädiere für eine Annäherung an die neue Rechnungslegung IFRS 4. Hier ist angedacht, einen Diskontsatz zu ermitteln, der das tatsächliche Anlageportefeuille widerspiegelt. Außerdem ist es möglich, strukturierte Produkte bei Investmentbanken zu kaufen, um die Zinsstruktur etwas anders darzustellen. Dies ist aber nicht gefahrlos, denn sollte aus politischen Gründen die Zinsformel zur Berechnung der Zinszusatzreserve doch geändert werden, dann stehen sie mit ihren Strukturen da und haben im Zweifel hohe Verluste zu
3 3 tragen. Oder sie transferieren das tatsächliche ökonomische Risiko an Drittparteien, um das Niedrigzinsrisiko generell herauszuhedgen. Davon halte ich generell mehr. INSURANCE TV: Wie kann die Zielke Research Consult GmbH hier helfen? DR. CARSTEN ZIELKE: Ich arbeite mit einem Partner zusammen, mit dem sich das Konzept von Risikotransfers auf ökonomischer Basis realisieren lässt. Hier können wir den Versicherern Modelle zeigen, wie sie langfristig dieses Risiko heraushedgen können, ohne die Finanzmärkte damit zu beeinflussen. Desweiteren biete ich Alternativkonzepte zur Altersvorsorge, die solvenzschonend wirken und für den Kunden sehr flexibel sind. Darüber hinaus stehe ich natürlich gerne zur Verfügung, mithilfe konstruktiver Beiträge, mögliche Lösungen zu finden, um die Formel der Zinszusatzreserve intelligent abzuändern. INSURANCE TV: Wir haben nun das Problem aus Sicht der Lebensversicherungsindustrie betrachtet. Was raten Sie denn dem Lebensversicherungskunden? DR. CARSTEN ZIELKE: Der Lebensversicherungskunde muss erst mal verstehen, dass er in diesem Umfeld keinen Produktgeber finden wird, der ihm alle Risiken abnimmt. Er muss bereit sein, selbst Risiken auf sich zu nehmen. Die alte Welt, in der jährlich 3,5-4% garantiert wurden und ggf. ein zusätzlicher Bonus, wird sich so nicht mehr darstellen lassen. Daher muss man dieser Realität offen gegenüberstehen und bereit sein, auch direkt in Fonds zu investieren bzw. Lösungen anzustreben, die Versicherungen und Fonds miteinander verbinden. Dies ist auch etwas, was ich derzeit bei einigen Versicherern anrege und umsetze. So gelingt aus meiner Sicht der Weg vorwärts. Man braucht zwar einen Grundsockelbetrag als Garantie, aber das sog. alpha, die Mehrrendite, die am Ende den Lebensstandard erhält, die muss man selbst generieren, indem man risikoreicher anlegt. INSURANCE TV: Herr Dr. Zielke, ein weiteres wichtiges Thema ist Solvency II. Wie ist ihre Einschätzung, wenn nächstes Jahr Solvency II Wirklichkeit wird? DR. CARSTEN ZIELKE: Solvency II führt erst einmal scheinbar zu höherer Transparenz. Es muss eine Vielzahl von Zahlen veröffentlicht werden. Daran sind die Akteure am Markt nicht gewöhnt, weder die Versicherungsunternehmen noch die Bilanzleser oder der Kunde. Es besteht die Gefahr, dass sich die Bewertung auf die Solvenzquote verdichtet und sagt, wer eine höhere Solvenzquote hat, steht besser da. Dabei entspricht es nicht der Wahrheit, denn wenn ich riskantere Investments eingehe, erhalte ich eine höhere Rendite und zum Schluss gewinnt dabei der Kunde. Von daher wäre es sehr wichtig, es differenzierter zu betrachten. Ich schätze allerdings, dass wir das am Anfang eher nicht erleben werden.
4 4 INSURANCE TV: Wie kann der Verbraucher den Überblick behalten? DR. CARSTEN ZIELKE: Ich würde ihm raten, sich erst einmal auf Ratings zu verlassen, allerdings nicht auf Ratings, die die Vergangenheit abbilden, wie das die meisten im Markt tun, sondern auf Ratings, die prospektiv agieren. Das liegt daran, dass wir momentan eine Niedrigzinsphase haben und ich begutachten muss, wie diversifiziert der Versicherer in der Kapitalanlage aufgestellt ist, sodass er langfristig meine Ansprüche, die ich gegen ihn habe, erfüllen kann. INSURANCE TV: Und was können die Unternehmen tun, um die nötige Transparenz auch für sich selbst zu gewinnen? DR. CARSTEN ZIELKE: Ich halte es für sehr wichtig, dass sie selbst einen prospektiven Ansatz fahren. Es reicht nicht aus, sich mit den Formeln des Standardmodells Quoten auszurechnen, die eigentlich gar nicht die wirtschaftliche Realität widerspiegeln. Sie müssen sich verschiedene Szenarien vorstellen und daran ihre Entscheidungen ausrichten. Ein guter Punkt wäre es, eine Anlehnung an den neuen Versicherungsrechnungslegungsstandard IFRS 4 Phase II zu nehmen, in dem ein solcher prospektiver Ansatz für die Kapitalanlage vorgesehen ist. INSURANCE TV: Wie kann die Zielke Research Consult GmbH hier helfen? DR. CARSTEN ZIELKE: Wir können helfen, indem wir bei den Versicherungsunternehmen einen solchen Ansatz schon umsetzen, damit sie eine gezielte wertorientierte Steuerung vornehmen können. Es geht nicht darum, einen kompletten IFRS 4- Report umzusetzen. Nur der Bereich Kapitalanlage sollte genauer betrachtet werden in Abstimmung mit den Verpflichtungen, um hier ein holistisches Bild generieren zu können. INSURANCE TV: Der dritte Bereich ist die Digitalisierung. Problem oder Chance? Wie ist ihre Einschätzung? DR. CARSTEN ZIELKE: Ich glaube schon, dass die Versicherer sich derzeit damit beschäftigen. Allerdings beschäftigen sie sich vor allem mit internen Prozessen, im Sinne von Rationalisierungsmaßnahmen, um die Kostenquoten zu senken. Die Digitalisierung im Rahmen des Kundenmarketings spielt dabei weniger eine Rolle. Hier ist ein erheblicher Verbesserungsbedarf gegeben, da der Kunde von heute zeitnähere Informationen wünscht, auch auf modernen Medien, wie z. B. dem Smartphone. Die Versicherer, gerade die Lebensversicherer, verschicken stattdessen immer noch einmal im Jahr die Aufstellung mit
5 5 der Angabe der Höhe des jetzigen Versicherungsguthabens. Das entspricht nicht mehr dem Anspruch der heutigen Kundschaft, vor allem der jüngeren nicht. INSURANCE TV: Wenn die Versicherer das nicht selbst machen, gibt es ja schon die ersten jungen Gründer, die die Digitalisierung nutzen und neue Geschäftsmodelle aufbauen. Sehen Sie eine Gefahr, dass aufgrund der Digitalisierung mit neuen Anbietern zu rechnen ist? DR. CARSTEN ZIELKE: Ja, die sehe ich auf alle Fälle. Denn wenn sie es schaffen, Daten in einer Menge zu erhalten, in der sie aussagekräftig sind, versetzen sie sich in die Lage, Kundenverhalten vorherzusagen. Das befähigt sie dazu, genaue Prämien zu berechnen, womit sie eindeutig in Konkurrenz zu den Aktuaren treten. Damit treten wir in eine ganz neue Welt ein. Wenn man dann noch die Möglichkeit hinzunimmt, sich Kapital zu beschaffen, ohne auf den Prämienteil zurückzugreifen, dann sehen wir hier Gefahren, die aus meiner Sicht, heute noch unterschätzt werden. Einen ähnlichen Effekt haben wir auf kleinerer Basis bei den Rückversicherungsmärkten erlebt - Stichwort Crowd- Financing. INSURANCE TV: Wie können sich die Unternehmen auf diese Situation vorbereiten? DR. CARSTEN ZIELKE: Ich glaube, dass die großen Unternehmen mit Sicherheit noch eine größere Erfahrung haben als die jungen Start- Ups. Aber sie müssen sich auf alle Fälle mit diesen Gefahren auseinandersetzen, um ihr Geschäftsmodell zu schützen. Das ist nur möglich, indem man entsprechende disruptive Ansätze auslotet. Wir würden konkret darüber nachdenken, ein Start- Up zu gründen, das sich mit den aktuellen Gefahren auseinandersetzt, das Lösungen dazu findet, wie man sich schützen kann und wie man selbst in diesen Markt eintreten kann. Die Zielke Research Consult würde als Project- Supervisor, als begleitender Aufseher, einen solchen Projektprozess begleiten, um zu sehen, welche Strategien wirklich die größten Chancen haben. Das ist ein normaler Prozess bei solchen disruptiven Ansätzen. Man testet etwas, begutachtet es und legt es wieder ad acta und fängt etwas Neues an oder man findet den Königsweg und dann ist das Projekt abgeschlossen.
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