6. Teil: Rechtsschutzversicherung
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- Markus Baum
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1 Teil: Rechtsschutzversicherung 1. Abschnitt: Definition 2. Abschnitt: Abgrenzung zum Abwehranspruch in der Haftpflichtversicherung 3. Abschnitt: Aufsichtsrecht 4. Abschnitt: Vertragsrecht 5. Abschnitt: Arten von Rechtsschutzversicherungen
2 101 Übersicht Versicherungsfall Versichertes Bedroht Versicherte Eintritt Vten Scha- Löst Versicherte Interesse durch Gefahr bewirkt den aus Leistung (Gegenstand) Gefährdetes Gefährdendes Leistungsbegründende Element Element Tatsache Kapital- und Rechtsstreit Kosten: Beratung Beratungsbedarf bei Rechtsproblemen Anwaltskosten Gerichtskosten Expertisekosten Kostenübernahme Prozessentschädigung an Gegenpartei
3 Abschnitt: Definition Die Rechtsschutzversicherung deckt die durch rechtliche Angelegenheiten verursachten Kosten oder erbringt in rechtlichen Angelegenheiten Beratungsdienstleistungen. Art. 161 ff. AVO. 2. Abschnitt: Abgrenzung zum Abwehranspruch in der Haftpflichtversicherung Art. 162 lit. a AVO schliesst Handlungen eines Versicherers zur Verteidigung oder Vertretung der bei ihm gegen Haftpflichtansprüche versicherten Personen vom Anwendungsbereich der Rechtsschutzversicherung aus. Grund: Tendenziell Übereinstimmung der Interessen von Versichertem und Versicherer bei der Haftpflichtversicherung. 3. Abschnitt: Aufsichtsrecht I. Im Allgemeinen Art. 32 VAG: Organisatorische Grundprinzipien. Art. 161 ff. AVO. Überwiegend autonomer Nachvollzug der Richtlinie 87/344/EWG vom 22. Juni 1987 (formell neue RL-AufsichtsR) zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Rechtsschutzversicherung. Zweck: Vermeidung oder Beseitigung von Interessenkollisionen: Versicherter: Ausgang des Rechtsstreites; Versicherer: günstige Abwicklung des Versicherungsfalls. Zahlreiche Vorschriften der AVO haben materiell vertragsrechtlichen Charakter (Art. 162, 163, 166, 167, 168, 169 und 170 AVO) Platzierung in der Aufsichtsverordnung ist daher nicht sachgerecht.
4 103 II. Organisation A. Im Allgemeinen Reiner Rechtsschutzversicherer (Einspartenversicherer) oder Kompositversicherer (Versicherungsunternehmen, das unterschiedliche Zweige der Schadenversicherung anbietet). Art. 32 Abs. 1 VAG: Kompositversicherer muss entweder die Schadenbehandlung an ein rechtlich und personell selbständiges Schadenregulierungsunternehmen übertragen oder den Versicherten das Recht einräumen, einen Anwalt eigener Wahl zu benennen, sobald Versicherungsleistungen zu erbringen sind. B. Schadenregulierungsunternehmen 1. Organisatorische Unabhängigkeit 1.1 Juristische Person Art. 164 AVO: Versicherungsunternehmen, die ausschliesslich die Rechtsschutzversicherung betreiben; Aktiengesellschaften oder Genossenschaften, die ausschliesslich Dienste im Zusammenhang mit der Schadenerledigung in der Rechtsschutzversicherung leisten. 1.2 Unabhängigkeit Art. 164 Abs. 3 AVO: Personen, die mit der Oberleitung, Aufsicht und Kontrolle sowie mit der Geschäftsführung und der Vertretung des Schadenregelungsunternehmens betraut sind, dürfen keine Tätigkeit für einen Kompositversicherer ausüben. Art. 163 Abs. 4 AVO: Mit der Schadenbehandlung betraute Beschäftigte dürfen keine vergleichbare Tätigkeit für ein Kompositversicherungsunternehmen ausüben.
5 Unzulässigkeit von Weisungen Art. 165 Abs. 2 AVO. Kompositversicherer darf dem Schadenregelungsunternehmen (im Fall von Interessenkonflikten) keine Weisungen für die Behandlung der Versicherungsfälle erteilen, (die zu Nachteilen für die versicherte Person führen können). 3. Unzulässigkeit der Datenweitergabe Art. 165 Abs. 3 AVO: Schadenregelungsunternehmen darf dem Versicherer im Fall von Interessenkonflikten keine Angaben über die behandelten Versicherungsfälle machen, wenn diese zu Nachteilen für die versicherte Person führen können (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016). Datenschutzrecht: untersagt Weitergabe persönlichkeitsrelevanter Daten (was bei Rechtsschutzfällen zumindest teilweise zutrifft) Rechtfertigungsgrund i.s.d. Datenschutzgesetzes nicht begründbar. C. Praxis Die meisten Versicherungsgruppen verfügen über eigene Rechtsschutzversicherungsunternehmen. In Konzern integriert. 4. Abschnitt: Vertragsrecht I. Verfahrenshoheit Verfahrenshoheit gemäss AVB bei Versicherer. Zustimmungsbedürftigkeit von Grundsatzentscheiden wie Prozesseinleitung, Rechtsmittel oder Vergleich. Ausdruck der Schadenminderungsobliegenheit.
6 105 II. Anwaltsbeizug Versicherer hat das Recht, eigene Rechtsdienstleistungen zu erbringen (Art. 161 AVO). Fälle der notwendigen Vertretung und der Interessenkollision. A. Notwendige Vertretung und Interessenkollision 1. Notwendige Vertretung Art. 167 Abs. 1 lit. a AVO: Recht zum Beizug eines Anwaltes, falls mit Blick auf ein Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ein Rechtsvertreter eingesetzt werden muss. Art. 69 ZPO. 2. Interessenkollision Art. 167 Abs. 1 lit. b AVO: Recht zum Beizug eines Rechtsanwaltes bei Interessenkollisionen. Beispiel Rechtsschutzversicherungsunternehmen gehört demselben Konzern an, wie ein Versicherungsunternehmen, gegenüber welchem eine Forderung geltend gemacht wird. 3. Auswahlkompetenz Art. 167 Abs. 2 AVO: Versicherer kann sich das Recht vorbehalten, die vom Versicherten gewählte Vertretung abzulehnen (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016). Nach erfolgter Ablehnung muss einer von drei vorgeschlagenen Vertretern akzeptiert werden. B. Weitere Fälle Fälle, die weder von Art. 32 Abs. 1 lit. b VAG noch von Art. 167 AVO erfasst werden Auswahlbefugnis steht in maiore minus dem bereits über den Beizug als solchen entscheidenden Versicherer zu. Enthält der Versicherungsvertrag bezüglich der Auswahlkompetenz keine besondere Regelung, sollte Art. 167 Abs. 2 AVO analog Anwendung finden.
7 106 C. Vertragsparteien Versicherungsbedingungen behalten teilweise die Mandatierung durch den Versicherer vor. Unklar ist häufig, wer Vertragspartner des Anwalts wird. Direkte Stellvertretung; (echter) Vertrag zu Gunsten des Versicherten. Hat durch den Versicherten zu erfolgen. D. Bevollmächtigung E. Kostenübernahme 1. Im Allgemeinen Art. 161 AVO: Versicherer ist verpflichtet, die Anwaltskosten zu übernehmen. Die Kostengutsprache kann inhaltlich beschränkt werden, sofern dies im Versicherungsvertrag vorgesehen ist. Versicherer darf die Erteilung der Kostengutsprache nicht von der Zustimmung des Anwaltes zur Honorarvereinbarung abhängig machen. 2. Rechtsnatur Praxis: Versicherer richten Kostengutsprachen direkt an die Anwälte. Antrag auf privative Schuldübernahme i.s.v. Art. 176 Abs. 2 OR; kann gemäss Art. 176 Abs. 3 OR auch konkludent angenommen werden, beispielsweise durch Tätigwerden des Anwaltes im Interesse des Versicherten. Begründung eines selbständigen Rechtsverhältnisses zwischen Versicherer und Anwalt. Versicherer wird zum alleinigen Schuldner des Anwalts. Verjährung der Forderung des Anwaltes: OR.
8 Höhe Beschränkung der versicherten Honorare in den AVB (BGE 119 II 468, 70 f. = Pra 1994 Nr. 228). Ansonsten unter Vorbehalt der Moderation keine Möglichkeit, Einwendungen zur Höhe des Honorars erheben. F. Anwaltsgeheimnis 1. Umfang Versicherungsunternehmen hat i.d.r. keinen direkten Zugang zu den für die Vertragsabwicklung erforderlichen Informationen. Frage, in welchem Umfang und von wem die entsprechenden Auskünfte zu erteilen sind (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016). Art. 39 VVG. Beispiel Nicht zu den Auskünften gemäss Art. 39 VVG zählen Informationen bezüglich Straf- oder Familienrechtsverfahren, die mit dem konkreten Fall in keinem Zusammenhang stehen. 2. Entbindung Die meisten AVB sehen eine Pflicht des Versicherungsnehmers vor, den Anwalt gegenüber dem Versicherer vom Berufsgeheimnis zu entbinden. Art. 4 Abs. 1 DSG: Daten dürfen nur rechtmässig bearbeitet werden. Versicherer darf vom Anwalt nur Auskunft verlangen, wenn dieser vom Berufsgeheimnis entbunden ist (Art. 321 StGB). Art. 168 AVO: Versicherter kann vertraglich verpflichtet werden, den Anwalt vom Berufsgeheimnis zu entbinden (BGer 8C_27/2016 vom 5. April 2016). Nicht möglich: Entbindung zulasten dritter Versicherter Versicherter muss den Anwalt gegenüber dem Versicherer direkt entbinden.
9 Art. 168 AVO Entbindungspflicht gemäss Art. 168 AVO wird eingeschränkt für den Fall, dass ein Interessenkonflikt besteht und die Weitergabe der Informationen vom Anwalt an den Versicherer für den Versicherten mit Nachteilen verbunden sein kann. Beispiel Gegenpartei ist beim gleichen Rechtsschutzversicherer versichert. III. Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten Art. 169 AVO Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten 1 Für den Entscheid von Meinungsverschiedenheiten zwischen der versicherten Person und dem Versicherungsunternehmen oder dem Schadenregelungs- unternehmen hinsichtlich der Massnahmen zur Schadenerledigung sieht der Versicherungsvertrag ein Verfahren vor, das vergleichbare Garantien für die Objektivität wie ein Schiedsgerichtsverfahren bietet. 2 Lehnt das Versicherungsunternehmen oder das Schadenregelungsunternehmen eine Leistung für eine Massnahme wegen Aussichtslosigkeit ab, so sind die vorgeschlagene Lösung unverzüglich schriftlich zu begründen und die versicherte Person auf die Möglichkeit des Verfahrens nach Absatz 1 hinzuweisen. 3 Sieht der Versicherungsvertrag kein Verfahren nach Absatz 1 vor oder unterlässt es das Versicherungsunternehmen oder das Schadenregelungsunternehmen, die versicherte Person im Zeitpunkt der Ablehnung der Leistungspflicht darüber zu informieren, so gilt das Rechtsschutzbedürfnis der versicherten Person im entsprechenden Fall als anerkannt. 4 Leitet die versicherte Person bei Ablehnung der Leistungspflicht auf eigene Kosten einen Prozess ein und erlangt sie ein Urteil, das für sie günstiger ausfällt als die ihr vom Versicherungsunternehmen oder dem Schadenregelungsunternehmen schriftlich begründete Lösung oder als das Ergebnis des Verfahrens nach Absatz 1, so übernimmt das Versicherungsunternehmen die dadurch entstandenen Kosten bis zum Höchstbetrag der Versicherungssumme.
10 109 IV. Wartefrist Wartefrist: i.d.r. 3 Monate. "Puffer", damit die Rechtsschutzversicherung nicht für einen bestimmten Fall abgeschlossen und danach sofort wieder gekündigt wird. 5. Abschnitt: Arten von Rechtsschutzversicherungen I. Überblick Privatrechtsschutzversicherung (z.t. getrennte Produkte für Mieter und Eigentümer; Patientenrechsschutz). Verkehrsrechtsschutzversicherung. Betriebsrechtsschutzversicherung (Sonderprodukte für einzelne Berufe wie Gastgewerbe, Medizinalpersonen, Lehrer, Landwirte etc.). II. Versicherte Leistungen (AVB) Rechtsberatung (auch telefonisch). Beratungsabonnement (für Unternehmen) günstige Tarife. Prozesschancenbeurteilung. Bearbeitung von Rechtsfällen und Vertretung des Versicherungsnehmers. Beizug eines freien Anwalts. Kostenübernahme: Gutachten und Expertisen; Gerichtsgebühren und Verfahrenskosten; Anwaltskosten; Mediation; Prozessentschädigung an Gegenpartei; vorschussweise: Kaution in Straffällen zur Vermeidung von Untersuchungshaft. Inkasso zugesprochener Entschädigungen. Versicherungssumme i.d.r. zwischen CHF (Ausland Sublimite).
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