Angst lass nach. 4. Interprofessioneller Basislehrgang Palliativ Care 2011/2012. DGKS Irmgard Kothgasser. Dr.med.univ.
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1 Angst lass nach Möglichkeiten der Angsterkennung in der Palliativbetreuung 4. Interprofessioneller Basislehrgang Palliativ Care 2011/2012 DGKS Irmgard Kothgasser Dr.med.univ. Thomas Lausch DGKS Anna-Maria Palko DGKP Gernot Plank Dr. in med.univ. Stefanie Schatz-Krienzer Projektbetreuung: OA Dr.in Julijana Verebes
2 I INHALTSVERZEICHNIS Einleitung 1 1. Angst Definition der Angst in der Psychologie: Stufen der Angst Sorge, Vorsorge, Unsicherheit: Angst als Zustand (state anxiety): Angst als Eigenschaft (trait anxiety): Reale Angst: Unreale Angst: Panik: Symptome der Angst Psychophysiologie der Angst Die Angststörungen: Die Panikstörung Die generalisierte Angststörung: Die Phobien: Ängste in der Palliativ Care Angst vor Tod und Sterben: Verletzungsangst Spirale der Angst (Angst/Schmerzen) Angst vor dem Verlust der Selbständigkeit und der Selbstbestimmungsfähigkeit Angst vor dem Verlust sozialer Beziehungen Angst um die wirtschaftliche Existenz Häufigkeit der Angst Abwehrmechanismen gegen Ängste Verdrängung Verleugnung Vermeidung Verschiebung Projektion 22
3 II 4.6 Rationalisierung Regression Das Eisbergmodell Instrumente zur Erfassung der Angst Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) Beck Angst Inventar (BAI) Generalized Anxiety Disorder 7 (GAD 7) Diagnostisches Interview: Das standardisierte, strukturierte Interview Das halb standardisierte oder semistrukturierte Interview Ein offenes, unstrukturiertes/nicht standardisiertes Interview Das qualitative Interview Arbeitsprozess/ Methodik/Fallpräsentationen Arbeitsprozess Methodik: Fall 1 vom : Fall 2 vom : Fallberichte (Anna Maria Palko) Fall 3 vom : Fall 4 vom : Fallberichte (Thomas Lausch) Fall 5 vom : Fall 6 vom : Fallberichte (Irmgard Kothgasser) Fall 7 vom / : Fall 8 vom : Fallberichte (Gernot Plank) Fall 9 vom : Fall 10 vom : Angst darf nicht bagatellisiert oder ausgeredet werden Angst muss angenommen werden 56
4 III 7.3 Über Angst kann (muss) gesprochen werden Diffuse Angst soll so konkret wie möglich werden Körperliche Begleiterscheinungen der Angst sollten ausagiert werden Für unvermeidbar ängstigende Situationen sollte ein entspannendes Gleichgewicht geschaffen werden Therapie der Angststörungen Nicht-pharmakologische Therapien: Pädagogische Aufklärung Verhaltenstherapie Kognitive Therapie Tiefenpsychologisch (analytisch) orientierte Psychotherapie Entspannungstherapie Pharmakologische Therapie: Benzodiazepine Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): Serotonin-(5-HT2)-Antagonist und Wiederaufnahmehemmer (SARI) Noradrenerg, spezifisch serotonerges Antidepressivum (NaSSA) Partieller 5-HT1A-Agonist Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (NARI) Glutamat-Modulator (GM) Trizyklische Antidepressiva (TZA) Antipsychotika Antikonvulsiva Anthistaminika Opipramol Phytopharmaka Beta-Blocker Agomelatin Therapieresistenz Pflegerische Maßnahmen zur Angstlinderung 72
5 IV 9.1 Aromapflege: Beruhigende Öle Anregende Öle Anwendung: Kontraindikationen: Basale Stimulation und Ganzheitlichkeit Berührung und Berührungsqualitäten Ziel der Berührungen: ASE -Atemstimulierende Einreibung Ziel der ASE: Beruhigende Ganzkörperwaschung(GKW) Beruhigende Teilwäsche der Füße und der Beine: Schlusswort 79 Anhang 81 Interviewprotokolle (Stefanie Schatz Krienzer): 81 Interview 1 vom : 81 Interview 2 vom Interviewprotokolle (Anna Maria Palko): 84 Interview 3 vom : 84 Interview 4 vom : 85 Interviewprotokolle (Thomas Lausch): 88 Interview 5 vom : 88 Interview 6 vom : 89 Interviewprotokolle (Irmgard Kothgasser): 92 Interview 7 vom Gespräch vom Interview 9 vom : 96 Interview 10 vom : 98 HADS-D-Fragebogen: 100 HADS-D Auswertungshilfe: 101 HADS-D Auswertung/Interpretation: 102
6 V SKID Strukturiertes klinisches Interview für DSM IV 102 DIPS Diagnostisches Interview bei psychischen Störungen 102 Durchführung der Atemstimulierenden Einreibung (ASE): 103 Durchführung der Beruhigenden Ganzkörperwaschung (GKW): 104 Literaturverzeichnis 105 Bilderverzeichnis 108
7 1 Es gibt kein Leben ohne Angst vor dem anderen, schon weil es ohne diese Angst, die unsere Tiefe ist, kein Leben gibt. Erst aus dem Nicht Sein, das wir ahnen, begreifen wir für Augenblicke, dass wir leben. Man freut sich seiner Muskeln, man freut sich, dass man gehen kann, man freut sich des Lichtes, das sich unserem dunklen Auge spiegelt, man freut sich seiner Haut und seiner Nerven, die uns so vieles spüren lassen, man freut sich und weiß mit jedem Atemzug, dass alles, was ist, eine Gnade ist. Ohne dieses spielende Wachsein, das nur aus der Angst möglich ist, wären wir verloren. Wir wären nie gewesen. (Max Frisch) 1 EINLEITUNG (Dr.med.univ.Thomas Lausch) Patienten mit schweren bzw. chronischen Krankheiten werden häufig von Ängsten geplagt. Zum Beispiel Angst vor einem Fortschreiten der Erkrankung, vor Kontrollverlust, vor quälenden Symptomen, vor dem Verlust sozialer Beziehungen, Angst sterben zu müssen sowie Existenzängste stellen Patienten vor unlösbare Probleme. Nimmt die Angst derart überhand, dass sie längere Zeit anhält, ein unangemessenes Ausmaß annimmt und Patienten sich in ihr gefangen oder von ihr überflutet fühlen, so bekommt das Symptom Angst einen Krankheitswert und wird behandlungsbedürftig. 2 Patienten entwickeln Abwehrmechanismen und bauen Barrieren auf, sodass die Verbalisierung dieser Ängste durch Betreuende und Pflegende eine schwierige Gradwanderung darstellt und sich somit oft einer symptomatischen Behandlung entzieht. Sämtliche Professionen im Palliativ Care Bereich wissen, dass ihre Klienten bzw. ihre Patienten von vielen Ängsten geplagt werden, trotzdem werden im täglichen Umgang mit ihnen Ängste zu selten thematisiert und verbalisiert. Ein Grund hierfür könnte ein zu geringes Symptomverständnis sein. Vegetative Begleiterscheinungen wie Schlafstörungen, Herzrasen, Beklemmungsgefühle werden falsch interpretiert oder sogar übersehen. Psychische Problemsituationen werden bei einer auf den Körper fokussierten Medizin nicht beachtet und nicht behandelt. Es fällt uns nicht schwer, 1 Specht-Tomann, Monika: Zeit des Abschieds. Sterbe- und Trauerbegleitung, Ostfildern 2010, S Vgl. Ratsak, Gerda: Angst und Angstbewältigung, in Eberhard Aulbert, u.a: Lehrbuch der Palliativmedizin, Stuttgart 2011, S
8 2 ihnen die beste ärztliche Pflege und Betreuung zu verschaffen, aber nur zu oft vernachlässigen wir ihre viel schmerzhafteren emotionalen und seelischen Beschwerden. 3 Die Angst des Behandelnden vor den Ängsten der Patienten und die dadurch entstehende Hilflosigkeit sowie die Ohnmacht, gewisse Situationen nicht beherrschen zu können, führt dazu, dass sie bewusst nicht angesprochen werden. Der Umgang mit der Angst erfordert eine hohe kommunikative, allgemein gesprochen, menschliche Kompetenz der Betreuer. 4 Behandelnde müssen sich vorerst ihren eigenen Ängsten stellen und diese verarbeiten können, um Patienten mit Ängsten helfen zu können. Ziel unserer Arbeit sollte es sein, das Symptom Angst in unserem Arbeitsumfeld zu thematisieren und mit Hilfe von Kurzinterviews zu versuchen, Ängste zu erkennen bzw. zu verbalisieren, ohne die Integrität des Patienten zu verletzten. Kommunikationsbarrieren sowie eigene Hemmungen bzw. Defizite gilt es vorab aufzuarbeiten, um professionell arbeiten zu können. Mit unserer Arbeit wollen wir Kollegen im Bereich der Palliativ Care eine Hilfestellung im Umgang mit dem Symptom Angst geben. 3 Kübler-Ross, Elisabeth: Verstehen was Sterbende sagen wollen, Einführung in ihre symbolische Sprache, München 1981, S Speidel, Hubert: Angst in der Palliativmedizin, in Georg Thieme: Zeitschrift für Palliativmedizin, Jahrgang 2007, Heft 8, S. 33.
9 3 1. ANGST (DGKP Gernot Plank) Angst ist ein vitales Grundgefühl des Menschen. Sie gehört zur menschlichen Existenz und wird als physikalische Grundfunktion bezeichnet. Gefühle der Angst treten in Situationen auf, in welchen die Sicherheit und Integrität einer Person bedroht sind, in welchen ihr eine adäquate Reaktion nicht möglich scheint, in denen sie sich hilflos und orientierungslos fühlt und in denen sie die Kontrolle und Steuerung des eigenen Ichs zu verlieren droht. Angst beengt den Menschen, erregt und lähmt seinen Willen und ist mit körperlichen Begleiterscheinungen verbunden. Sie tritt dort auf, wo der Mensch im Verlauf seiner Entwicklung einer Situation nicht oder noch nicht gewachsen ist. Angst zeigt physisch Gefahren und psychisch Bedrohungen auf und ist somit ein sinnvolles Warnsignal für das Individuum. 5 Das Wort Angst kommt von der indogermanischen Wurzel angh welches Enge bedeutet, im Lateinischen verwandt mit dem Wort angustus (Enge, Beengen) sowie mit dem Wort angor. Dies ist ebenfalls eine Bezeichnung für Angst und wird auch als Verb für würgen verwendet. Angst schnürt uns die Kehle zu, Angst beengt unseren Brustkorb, Angst wird somit mit Atemnot in Verbindung gebracht. Wir spüren, dass, wenn eine Angstsituation vorbei ist, wir wieder aufatmen und durchatmen können Definition der Angst in der Psychologie: Angst wird bezeichnet als ein mit Beengung, Erregung und Verzweiflung verknüpftes Lebensgefühl, dessen besonderes Kennzeichen die Aushebung der willensmäßigen und verstandesmäßigen Steuerung der Persönlichkeit ist. 7 Webster (1976) bezeichnet Angst als qualvolle innere Unruhe aufgrund eines drohenden oder 5 Bühlmann, Josi: Angst, in Käppelli Silvia: Pflegekonzepte. Phänomene im Erleben von Krankheit und Umfeld, Bern 2004, S Vgl. Kast, Verena: Vom Sinn der Angst, Wie Ängste sich festsetzen und wie sie sich verwandeln lassen, Freiburg 2001, S Vgl. Häcker, Hartmut; Stapf, Karl Heinz: Dorsch Psychologisches Wörterbuch, Bern 1994, S. 34.
10 4 befürchteten Unheils. Für Eidelsberg ist sie ein Unbehagen, das man empfindet, wenn der betreffende Gegenstand unbekannt ist, sowie die Vorahnung, dass man von einer inneren oder äußeren Macht überwältigt werden wird Stufen der Angst In der psychologischen Literatur werden folgende Stufen der Angst unterschieden: Sorge, Vorsorge, Unsicherheit: Hier ist der Mensch besorgt, macht sich Sorgen, was oft zu einem Aufgeregtsein und einer übertriebenen Wahrnehmung der eigenen Körperempfindungen führt Angst als Zustand (state anxiety): Nach Spielberger stellt diese Art der Angst einen emotionalen Zustand dar, welcher durch Anspannung, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen gekennzeichnet ist. Dieser Zustand wird bewusst erlebt, das Individuum kann daher seine Erfahrungen mitteilen. Die Zustandsangst ist eine vorübergehende Emotion auf eine reale Bedrohung Angst als Eigenschaft (trait anxiety): Dies ist nach Spielberger das erworbene Verhaltensmuster, objektiv ungefährliche Situationen als Bedrohung wahrzunehmen und mit einer überschießenden Angstreaktion zu begegnen. 11 Es ist somit eine Angstreaktion auf eine unreale Bedrohung. 8 Vgl. Levitt, Eugene: Die Psychologie der Angst, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1987, S Vgl. Schwarzer, Ralf: Stress, Angst und Hilflosigkeit. Stuttgart/Berlin/Köln 1981, S Vgl. Schwarzer, Ralf: Stress, Angst und Hilflosigkeit. Stuttgart/Berlin/Köln 1981, S Vgl. Häcker, Hartmut; Stapf, Karl Heinz: Dorsch Psychologisches Wörterbuch, Bern 1994, S. 15.
11 Reale Angst: Diese Angst wird durch eine greifbare, äußere Bedrohung hervorgerufen und wird auch als rationale Angst bezeichnet. Diese Angst signalisiert Gefahren und stellt die notwendige Energie für eine Abwehr- / Fluchtreaktion zur Verfügung Unreale Angst: Die unreale oder irrationale Angst ist eine pathologische Angstform. Ängste entstehen in unserer Vorstellung ohne greifbare äußere Bedrohung. Die unreale Angst manifestiert sich in Form von Angststörungen wie der generalisierten Angststörung oder auf bestimmte Auslöser in Form von Phobien, z.b. Platzangst, oder Agoraphobie Panik: Panik wird durch ein Übermaß an Angst ausgelöst und als destruktives Erlebnis bezeichnet, welches extrem zerstörerische Reaktionen hervorruft und kein gezieltes Handeln mehr zulässt. 14 Panikattacken äußern sich in erster Linie durch ein psychosomatisches Erleben mit Schweißausbrüchen, Zittern, Herzschmerzen und Schwindel. Angst als Ursache dieser Situation wird häufig nicht zugegeben. 15 Man kann wie bereits erwähnt zwischen einer physiologischen Angst, welche als natürliches und festgelegtes Gefühl bei Mensch und Tier vorhanden ist, und einer krankhaften Angst, welche auch in Verbindung mit anderen psychiatrischen Erkrankungen stehen kann, unterscheiden. Die krankhafte Angst kann sich im Rahmen einer Angststörung, einer Psychose oder Depressionen sowie bei verschiedenen medizinischen Krankheiten, z.b. Hyperthyreose, manifestieren Vgl. Flöttmann, Holger Bertrand: Angst/Ursprung und Überwindung, Stuttgart, 1993, S Vgl. Häcker, Hartmut; Stapf, Karl Heinz: Dorsch Psychologisches Wörterbuch, Bern 1994, S Vgl. Erni, Margrit: Zwischen Angst und Sicherheit, Düsseldorf 1989, S Vgl. Kast, Verena: Vom Sinn der Angst, Wie Ängste sich festsetzen und wie sie sich verwandeln lassen, Freiburg 2001, S Vgl. Gastpar, Markus; Kasper, Siegfried; Linden, Michael: Psychiatrie und Psychotherapie. 2., vollständig überarbeitete Aufl., Wien 2002, S. 151.
12 6 1.3 Symptome der Angst Die körperlichen Symptome der Angst sind normale physiologische Reaktionen, die bei (einer realen oder phantasierten) Gefahr die körperliche oder seelische Unversehrtheit, im Extremfall also das Überleben, sichern sollen. Sie sollen ein Lebewesen auf eine Kampf- oder Fluchtsituation (fight or flight) vorbereiten: - Durch Ausschüttung von Stresshormonen, wie Adrenalin und Cortisol, und Aktivierung des Sympathikus kommt es zu einer erhöhten Aufmerksamkeit. - Pupillen weiten sich; Seh- und Hörnerven werden empfindlicher. - Erhöhte Muskelanspannung, erhöhte Reaktionsgeschwindigkeit. - Erhöhte Herzfrequenz, erhöhter Blutdruck. - Flachere und schnellere Atmung. - Energiebereitstellung in Muskeln. - Körperliche Reaktionen wie zum Beispiel Schwitzen, Zittern und Schwindelgefühl. - Blasen-, Darm- und Magentätigkeit werden während des Zustands der Angst gehemmt. - Übelkeit und Atemnot treten in manchen Fällen ebenfalls auf. - Absonderung von Molekülen im Schweiß, die andere Menschen Angst riechen lassen und bei diesen unterbewusst Alarmbereitschaft auslösen. Die körperlichen Ausdrucksformen der Angst sind die gleichen, unabhängig davon, ob es sich um eine reale Bedrohung oder um eine Panikattacke handelt. Patienten mit einer Angststörung zeigen gleiche körperliche Reaktionen auf irrationale Ängste Psychophysiologie der Angst Die Psychophysiologie befasst sich mit den Beziehungen zwischen psychischen Vorgängen und den zugrundeliegenden körperlichen Funktionen. Sie beschreibt, wie 17 Vgl. ( )
13 7 Emotionen, Bewusstseinsänderungen und Verhaltensweisen mit Hirntätigkeit, Kreislauf, Atmung, Motorik und Hormonausschüttung zusammenhängen. Für die Entstehung und Weiterverarbeitung von Ängsten werden im Gehirn verschiedene Regionen beansprucht. Dem Corpus amygdaloidem (Amygdala), oder Mandelkern, wird die Hauptrolle in der Angstentstehung zugeschrieben. Der Mandelkern ist ein Komplex im Bereich des Schläfenlappens, ein evolutionsgeschichtlich alter Teil des Großhirns, der dem limbischen System zugeordnet wird. Das Limbische System ist eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und Entstehung von Triebverhalten dient. Die Amygdala gleicht jede Situation, in der wir uns befinden mit vorgespeicherten, alten Informationen ab. So werden traumatische Erlebnisse im Mandelkern gespeichert, eine Angstkonditionierung findet statt. Tritt eine ähnliche Situation auf, schlägt die Amygdala Alarm und das vegetative Nervensystem wird erregt, so wird der Körper auf Kampf bzw. Flucht vorbereitet. Diese im Unterbewusstsein verlaufende Reaktion verläuft um vieles schneller als die vom Großhirn bewusst gesteuerte Reaktion, erst im Nachhinein kann durch rationelles Denken oft eine Entschärfung der Situation mit Abnahme der Hormonausschüttung und somit Abnahme der körperlichen Reaktion erzielt werden. 18 Abb. 1: Amygdala im Saggitalschnitt 19 Abb.2: Amygdala im MR Bild Vgl. ( ) 19 Abb. 1 aus ( ) 20 Abb. 2 aus ( )
14 8 Nach bisherigem Wissensstand spielen bei Ängsten vor allem drei Neurotransmittersysteme eine wichtige Rolle: Das GABA-erge System Das Noradrenerge System Das Serotonerge System Die medikamentöse Therapie der Angststörungen greift in diese Neurotransmittersysteme ein. 1.5 Die Angststörungen: Von einer Angststörung spricht man, wenn häufige, langandauernde und unrealistische Angst zu deutlichem Leiden bzw. zu deutlicher Beeinträchtigung in der normalen Lebensführung einer Person führt. 21 Hauptmerkmal ist eine psychische als auch eine körperliche Manifestation von Angstsymptomen sowie einem Vermeidungsverhalten. Angststörungen zählen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Folgende Hauptkategorien können unterschieden werden: Panikstörung, Generalisierte Angststörung, Soziale Phobie sowie spezifische Phobien. Bei der Panikstörung und Generalisierten Angststörung ist meist die Angst dominierend- bei den Phobien ist meist das Vermeidungsverhalten vorrangig Die Panikstörung Synonyme sind episodisch paroxysmale Angst oder Herzphobie: Leitmerkmale sind Panikattacken mit intensiver Angst und Unbehagen, welche rasch und unerwartet auftreten und meist eine Dauer zwischen 1 und 60 Minuten haben. Die Symptome sind von psychischer und körperlicher Natur. 21 Vgl. ( ) 22 Vgl. Gastpar, Markus; Kasper, Siegfried; Linden, Michael: Psychiatrie und Psychotherapie. 2., vollständig überarbeitete Aufl., Wien 2002, S. 151.
15 9 Psychische Symptome wie Angst zu sterben, Angst die Kontrolle zu verlieren, Ohnmachtsgefühle, Angst verrückt zu werden sowie das Gefühl, sich in einem Albtraum zu befinden, zeichnen eine Panikattacke aus. Zu den körperlichen Symptomen zählen Schwindel, Erstickungsgefühle, Atemnot, Brustschmerzen, Durchfall, Harndrang, Parästhesien ( Kribbeln ), weiche Knie, Tachykardie, abdominelle Beschwerden, Zittern, starker Schweiß, Hitzewallungen oder Kälteschauer. Panikattacken werden nicht durch Situationen realer Bedrohung ausgelöst. Patienten mit einer Panikstörung neigen zu Alkohol- und Medikamentenabusus, die im Sinne einer Selbstmedikation zur Behandlung der Panikstörung eingesetzt werden. Zur Diagnose einer Panikstörung müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: Mehrere schwere Panikattacken innerhalb eines Monats. Die Attacke ist nicht auf bekannte oder vorhersehbare Situationen begrenzt. Es müssen weitgehend angstfreie Zeiträume bestehen. Im Zusammenhang mit einer Depression sollte die Panikstörung nicht als Hauptdiagnose stehen. Panikstörungen treten meist im Alter zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr auf. Sie zeigen einen chronischen, jahrzehntelangen Verlauf mit häufiger Entwicklung von depressiven Episoden bzw. Auftreten einer Missbrauchssymptomatik. Eine soziale Isolation sowie Minderung der Arbeitsfähigkeit findet sich jedoch nur in 10% aller Fälle Die generalisierte Angststörung: Synonym Angstneurose: Bei der generalisierten Angststörung verselbständigt sich die Angst und verliert ihre Relation. Sie zeichnet sich durch ausgeprägte Angstzustände aus, die mehrere Wochen andauern und an den meisten Tagen bestehen. Der Patient erlebt eine generalisierte und anhaltende Angst, die nicht (wie bei den phobischen Störungen) auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt ist, sondern vielmehr frei flottiert. 23 Vgl. Gastpar, Markus; Kasper, Siegfried; Linden, Michael: Psychiatrie und Psychotherapie. 2., vollständig überarbeitete Aufl., Wien 2002, S
16 10 Inhalt der Angst ist in den meisten Fällen eine unbegründete Sorge und Befürchtungen vor zukünftigen Unglücken oder Erkrankungen. Der Betroffene ist kaum oder nicht in der Lage die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen. Er hat Angstzustände, die kaum Kraft für einen normalen Lebenswandel lassen. Die Krankheit beginnt meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, Frauen sind häufiger betroffen als Männer, oft im Zusammenhang mit belastenden Lebensumständen. Der Verlauf ist unterschiedlich, neigt aber zu Schwankungen und Chronifizierung. Neben den psychischen Symptomen mit Nervosität und Schlafstörungen werden vegetative Übererregbarkeit, Schwindel, Zittern und Herzrasen beobachtet. Zu den Diagnosekriterien einer generalisierten Angststörung gehören: monatelange Befürchtungen, Ängste und Sorgen; Schlafstörungen, körperliche Unruhe, die Unfähigkeit sich zu entspannen sowie vielfältige körperliche Symptome wie Herzrasen, Schwitzen, Magenbeschwerden, Übelkeit, Schwindel und Erstickungsgefühl. Eine Depression sowie eine organische Ursache der Symptome muss ausgeschlossen werden. Die generalisierte Angststörung ist neben den spezifischen Phobien eine der häufigsten Angststörungen Die Phobien: Eine weitere Art der Angststörung sind die Phobien. Diese spielen im Bereich der Palliativ Care kaum eine Rolle und werden somit hier nicht behandelt. 24 Vgl. Gastpar, Markus; Kasper, Siegfried;Linden, Michael: Psychiatrie und Psychotherapie. 2., vollständig überarbeitete Aufl., Wien 2002, S
17 11 2. ÄNGSTE IN DER PALLIATIV CARE (DGKS Anna-Maria Palko) Angst gilt ganz allgemein als die emotionale Reaktion auf die Vorwegnahme persönlich bedeutsamer Verluste. Die Angst setzt also dann ein, wenn etwas, was uns persönlich als sehr wertvoll erscheint, was für uns einen großen Wert darstellt, in Gefahr ist. 25 Im Falle einer tödlichen Erkrankung ist unser Leben in Gefahr sowie der Verlust von sämtlichen Beziehungen denkbar. Angst ist somit eine natürliche, verständliche Reaktion. Das Spektrum der Angstauslöser im palliativen Setting ist vielfältig, aber auch sehr differenziert und individuell. Die Ängste bei Tumorkranken sind oft unabhängig vom Ausmaß der Krankheit und der Behandlung, tendenziell nehmen sie aber im Verlauf der Krankheit in Abhängigkeit der Symptomausprägung zu. Es sind vor allem Verlustängste, die aus dem Kranksein selbst resultieren, die Angst vor dem Verlust körperlicher Integrität, Verlust der wirtschaftlichen Existenz, der sozialen Geborgenheit, schließlich die Angst vor dem Verlust des Daseins selbst. Die Ängste der Patienten können in uns als Therapeuten und Pflegepersonen ebenfalls Ängste und Hilflosigkeit auslösen, da wir unsere eigene Zerbrechlichkeit erkennen können.. Es ist dringend erforderlich, dass jeder, der Sterbende und ihre Familien betreut, jederzeit seine eigenen Sorgen und Ängste begreift, um die Projektion seiner eigenen Ängste zu vermeiden Vgl.: Kast, Verena: Vom Sinn der Angst, Wie Ängste sich festsetzen und wie sie sich verwandeln lassen, Freiburg 2011, S Kübler-Ross, Elisabeth: Verstehen was Sterbende sagen wollen, Einführung in ihre symbolische Sprache, München 1981, S. 26.
18 12 Die Menschen fürchten den Tod so, wie Kinder das Dunkel fürchten (Francis Bacon) Angst vor Tod und Sterben: Laut Elisabeth Kübler Ross hat der Mensch schon seit jeher Angst vor dem Tod. Sie erklärt dies damit, dass wir im Unterbewusstsein davon überzeugt sind, dass wir selbst unmöglich vom Tode betroffen sein können. Die Vorstellung eines natürlichen Todes ist für uns unbegreiflich. Wir schieben den Tod immer irgendeiner bösen Einwirkung von außen, einer furchtbaren Untat zu, die nach Vergeltung und Strafe schreit. 28 Die Auseinandersetzung mit Tod und Sterben beginnt bei vielen Kranken bereits mit der Diagnosestellung. Die Krankheit bedroht das Leben, das Bewusstsein verändert sich, Lebenspläne geraten ins Wanken, es kommt zu Einbrüchen der Identität und sozialen Beziehungen. Die Angst steigt mit der Krankheitsdauer, besonders wenn Rezidive oder Metastasen auftreten, Therapiekonzepte nicht greifen und die Krankheit absehbar zum Tod führen wird. Sterbenskranke erleben sich schwach und hinfällig. Der Bewegungs- und Gestaltungsrahmen wird enger. Die Angst vor dem Verlust von Kontrolle und Autonomie, verbunden mit den körperlichen Veränderungen durch Krankheit und Behandlung, stellt eine enorme psychische Belastung dar. Die Auseinandersetzung mit dem Sterben ist schmerzhaft. Ohnmacht, Zorn, Verzweiflung, Wut und Trauer wechseln sich mit Resignation, Verleugnung und manchmal Annahme der Situation ab. Die Hoffnung, das Lebensende doch noch hinauszuschieben, verändert sich und baut sich immer wieder neu auf. Wie werde ich sterben? Werde ich große Schmerzen erleiden? Muss ich ersticken? Werde ich alles bewusst erleben? Wie viel Zeit bleibt mir noch? Diese verzweifelten und quälenden Fragen stehen oft im Mittelpunkt nicht enden wollender Gedankenkreisläufe Gesine Baur, Eva; Schmid-Bode, Wilhelm: Wie der Tod keine Angst macht, Hamburg 2005, S Kübler-Ross, Elisabeth: Interviews mit Sterbenden, München 2001, S. 12f. 29 Vgl. Ratsak, Gerda: Angst und Angstbewältigung, in Eberhard Aulbert, u.a: Lehrbuch der Palliativmedizin, Stuttgart 2011, S. 1063f.
19 Verletzungsangst Mit der Krankheitsdauer steigt auch die Empfindlichkeit gegenüber Eingriffen, die mit Schmerz assoziiert werden. Dies bezieht sich auf eingreifende Operationen die das Körperbild verändern, Entstellungen oder Funktionsverluste zur Folge haben, aber auch therapie- und krankheitsbedingte Veränderungen wie Haarausfall, Fisteln und Narben. Auch Zeichnung durch die Krankheit wie Aszites oder Kachexie zählen zur Verletzungsangst des Patienten sowie Einbrüche und Verletzungen der Intimsphäre und Integrität. Durch häufige, medizinische Interventionen entwickeln sich manchmal so starke Aversionen gegen Spritzen oder Infusionen, dass bereits das Legen eines Venenzuganges zur großen psychischen Belastung werden kann. Sehr konkrete Verletzungsangst zeigt sich z.b. bei Patienten mit Knochenmetastasen: Bei jeder Lagerung kann es zu einer Spontanfraktur kommen, jeder versehentliche Stoß gegen die Bettkante kann Schmerzen verursachen. 2.3 Spirale der Angst (Angst/Schmerzen) Ängste und körperliche Symptome wie Schmerzen sind häufig vergesellschaftet, und oft bedingen sich die Beschwerden gegenseitig oder können sich wechselseitig verstärken. Eine Spirale der Angst entsteht häufig durch chronische oder instabile Schmerzsyndrome, Übelkeit und Erbrechen, Atemnot sowie zunehmende körperliche Schwäche oder Schlafstörungen. In schlaflosen Nächten werden Schmerzen durch Angst und Hilflosigkeit stärker wahrgenommen. Schmerz, und vor allem chronischer Schmerz ist bei einer onkologischen Grunderkrankung ein unbarmherziger Mahner, dass die Erkrankung fortschreitet und macht den Menschen auf Dauer hilflos. Umgekehrt können ständige Ängste und Sorgen der Schwerkranken über eine ungewisse Zukunft, Angst vor dem Tod, Sorge um die Familie, Verlust der Familienrolle, finanzielle Verluste, Verlust der sozialen Stellung, Einschränkung der Autonomie und das Gefühl der Hilflosigkeit, sich durch körperliche Beschwerden wie Schmerzen bemerkbar machen. Aus dieser Perspektive verbinden sich Schmerz und Angst zu einem psychophysiologischen Stressor.
20 14 Abb. 3: Psychische und psychosoziale Auswirkung des Schmerzerlebens (Hoffmann und Marqulies 1994) 30 Aber auch die Institution Krankenhaus kann durch die Starrheit der Regeln und durch Undurchschaubarkeit der Organisation Ängste verstärken. Der Patient braucht wahrheitsgetreue, ausgewogene Informationen (soweit der Patient dies nicht selbst ablehnt) über Erkrankung und Behandlungssituation unter angemessenen zeitlichen und örtlichen Rahmenbedingungen, damit Angst- und Panikattacken vermieden werden. Schmerzen sind jene Symptome, die Patienten am meisten fürchten. Deshalb ist es wichtig, dass Informationen über die Unheilbarkeit der Erkrankung mit der Information verknüpft werden, dass es auf dem Gebiet der Symptombehandlung vor allem auch der Schmerztherapie sehr gute Möglichkeiten gibt, das Leid der Patienten zu lindern und man alles tun wird, um dem Patienten eine gute Lebensqualität zu ermöglichen Abb. 3 aus Bernatzky, Günther; Likar, Rudolf: Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin, 2., Aufl., Wien 2006, S Vgl. Bernatzky, Günther; Likar, Rudolf: Schmerzbehandlung in der Palliativmedizin, 2. Aufl., Wien 2006, S. 204.
21 Angst vor dem Verlust der Selbständigkeit und der Selbstbestimmungsfähigkeit Besonders Schwerkranke sehen ihre Lebensgestaltung und Planung bedroht, Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten sind eingeschränkt, gesteckte Ziele werden unerreichbar. Der Verlust der Autonomie kann aber bereits durch längere Bettlägerigkeit oder körperliche Schwäche erlebt werden. Der Patient braucht selbst für kleine Handgriffe Hilfe. Das Gefühl, ausgeliefert und abhängig von anderen und auf Pflege angewiesen zu sein, lässt Patienten mitunter ungeduldig und zornig werden. Die Selbstachtung leidet, wenn körperliche Funktionen nicht mehr kontrolliert werden können. Ist die Krankheit mit kognitiven Einschränkungen verbunden, ist die Angst vor dem Kontrollverlust besonders groß. 32 Die tiefste Angst ist im Kern die Angst vor dem endgültigen Beziehungsverlust in einer Welt, die sich am Ende nicht mehr als jene Behausung erweist, als die wir sie ein Leben lang wahrgenommen haben. Der Tod erscheint dann als der radikalste und unwiderrufbarste Beziehungsverlust. (M Volkenandt) Angst vor dem Verlust sozialer Beziehungen Bei lang andauender Krankheit können soziale Beziehungen unberechenbar werden. Freunde und manchmal auch Angehörige beginnen, sich zu distanzieren, andere, mit denen kein regelmäßiger Kontakt bestand, tauchen plötzlich wieder auf. Der Rückzug von Besuchern hat mit ihren eigenen Ängsten und ihrer Hilfslosigkeit im Umgang mit Schwerkranken zu tun. Patienten wiederum haben häufig Angst, für andere eine Belastung zu sein. Für beide Seiten ist es schwer, diese belastende Situation zu ertragen. Durch körperliche Schwäche und andere belastende Symptome, wie Schmerzen oder Atemnot, ist der Patient in seinem Handlungs- und Bewegungsradius stark eingeschränkt. Die Teilnahme an lokalen Veranstaltungen oder Familienfeiern ist manchmal nicht möglich, manchmal auch aus Angst, man 32 Vgl. Ratsak, Gerda: Angst und Angstbewältigung, in Eberhard Aulbert, u.a: Lehrbuch der Palliativmedizin, Stuttgart 2011, S. 1063f. 33 Geisler, Linus: Kommunikation in der Palliativmedizin, in H. Hoefert: Kommunikation als Erfolgsfaktor im Krankenhaus, Heidelberg 2008, S. 131.
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