Qualitätsentwicklung 79a SGB VIII: Chancen, Grenzen und Risiken der Neuregelung
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- Steffen Jürgen Maurer
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1 Präsentation im Rahmen der Fachveranstaltung Steuerung und Verantwortlichkeiten öffentlicher und freier Träger im Rahmen des Bundeskinderschutzgesetzes Frankfurt 2012 Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz (ism e.v.) Heinz Müller Flachsmarktstraße Mainz Tel.: 06131/ Heinz.mueller@ism-mainz.de
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3 Staatssekretärin Bredehorst: Fehler im Gesundheitswesen werden zu häufig ignoriert Medizinische Fachgesellschaften und das Institut für Patientensicherheit an der Universität Bonn gehen davon aus, dass 5 bis 10 Prozent (bis zu 1,75 Millionen) der Krankenhauspatienten in Deutschland pro Jahr sogenannte unerwünschte Ereignisse erfahren und 2 bis 4 Prozent (bis zu ) aller Patienten einen vermeidbaren Schaden erleiden sowie bis zu Todesfälle in Krankenhäusern pro Jahr aufgrund vermeidbarer Zwischenfälle eintreten. Auch Infektionen gehören zu den häufigsten unerwünschten Begleiterscheinungen medizinischer Behandlungen. Jährlich treten in Deutschland schätzungsweise Fälle auf, jeder dritte könnte nach Expertenansicht vermieden werden. Bei Nachfragen wenden Sie sich bitte an die Pressestelle des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, Telefon
4 1. Einleitung: Was wird in 79 a SGB VIII geregelt? Der Blick ins Gesetz 2. Exkurs: ein kurzer Rundumschlag zur Qualitätsdebatte in der Kinder- und Jugendhilfe 3. Der Blick auf das Gesetz: vier Zugänge 4. Schluss und Ausblick:
5 Vierter Abschnitt Gesamtverantwortung, Jugendhilfeplanung 79 Gesamtverantwortung, Grundausstattung (1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. (2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch 1. die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen; 2. eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von 79a erfolgt. Von den für die Jugendhilfe bereitgestellten Mitteln haben sie einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden. (3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. 79a Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe Um die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach 2 zu erfüllen, haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität sowie geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung für 1. die Gewährung und Erbringung von Leistungen, 2. die Erfüllung anderer Aufgaben, 3. den Prozess der Gefährdungseinschätzung nach 8a, 4. die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. Dazu zählen auch Qualitätsmerkmale für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und ihren Schutz vor Gewalt. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe orientieren sich dabei an den fachlichen Empfehlungen der nach 85 Absatz 2 zuständigen Behörden und an bereits angewandten Grundsätzen und Maßstäben für die Bewertung der Qualität sowie Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung. 80 Jugendhilfeplanung (1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung 1. den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen, 2. den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln und 3. die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen; dabei ist Vorsorge zu treffen, dass auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann.
6 79a Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe Um die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe nach 2 zu erfüllen, haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe Grundsätze und Maßstäbe für die Bewertung der Qualität sowie geeignete Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung für 1. die Gewährung und Erbringung von Leistungen, 2. die Erfüllung anderer Aufgaben, 3. den Prozess der Gefährdungseinschätzung nach 8a, 4. die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen weiterzuentwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. Dazu zählen auch Qualitätsmerkmale für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und ihren Schutz vor Gewalt. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe orientieren sich dabei an den fachlichen Empfehlungen der nach 85 Absatz 2 zuständigen Behörden und an bereits angewandten Grundsätzen und Maßstäben für die Bewertung der Qualität sowie Maßnahmen zu ihrer Gewährleistung.
7 Was wird hier geregelt und was ist neu? Über den 78a-g SGB VIII hinaus wird nun für alle Aufgaben und Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe ein kontinuierlicher Qualitätsentwicklungsprozess vorgesehen Die Formulierung des 79 a SGB VIII richtet sich zunächst an den öffentlichen Träger. Über 74 SGB VIII erhalten nur jene träger eine Förderung, die die Grundsätze und Maßstäbe nach 79 a SGB VIII gewährleisten. Besonders hervorgehoben werden die Gefährdungseinschätzung, die Kooperation und die Rechte von Kindern in Einrichtungen
8 2. Exkurs: ein kurzer Rundumschlag zur Qualitätsdebatte in der Kinder- und Jugendhilfe Qualität (lat.: qualitas = Beschaffenheit, Merkmal, Eigenschaft, Zustand) hat zwei Bedeutungen: (1) neutral: die Summe aller wahrnehmbaren Eigenschaften eines Objektes, Systems oder Prozesses (2) bewertet: die Güte aller wahrnehmbaren Eigenschaften eines Objektes, Systems oder Prozesses, festgestellt entlang transparenter Kriterien
9 Die Dimensionen von Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe Kommune Politik, Verwaltung Soziale BürgerInnenrechte AdressatInnen Kinder, Jugendliche, Eltern, Gemeinwesen soziale Dienstleistung Effizienz und Effektivität Qualität Kinder- u. Jugendhilfe Fachliche Standards Regeln der Kunst Bedürdnisorientierung Co-ProduzentInnen Professionelle Jugendamt Freie Träger 9
10 Bausteine von Qualitätsentwicklung Instrumente zur QE u. Evaluation Fachliche Leitziele als Rahmen Strukturqualität (Standards, Rahmenbedingungen bei öffentlichem u. freien Trägern) Prozessqualität (Eingangsqualität, Hilfeplanung, Sozialraumbezug etc.) Ergebnisqualität (Einhaltung fachlicher Standards, Veränderungen, Wirkungen Qualitäts- u. Wirkungsziele Orte und Verfahren (kooperativ, dialogorientiert) unterstützende Finanzierungsstrukturen
11 Qualität als dialogorientierter Praxisentwicklungsprozess öffentliche Träger Normative Normative Dimension Dimension Politik, Politik, Recht, Recht, gesellschaft gesellschaft Standardisierung Standardisierung Instrumente, Instrumente, Verfahren Verfahren freie Träger Qualifizierung Qualifizierung Fortbildung Fortbildung Prozess-Dimension Methodenpluralität Methodenpluralität u. u. Management Management (Weiter-)Entwicklung (Weiter-)Entwicklung Konzept/Organisation Konzept/Organisation Evaluation Evaluation Selbstevaluation, Selbstevaluation, Benchmarking Benchmarking AdressatInnen relative relative Dimension Dimension
12 Der Blick auf das Gesetz: Vier Zugänge 1. ein politisch-historisch (wie ein Schildbürgerstreich verhindert wurde) 2. ein fatalistischer (der 79a SGB VIII als Luftnummer ) 3. ein pragmatischer (der neue 79 a ist da, was fangen wir damit an) 4. ein hoffnungsvoller (die Kinderschutzwelle reiten und schauen was geht.)
13 1. ein politisch-historisch Zugang (wie ein Schildbürgerstreich verhindert wurde) Nach einer Reihe von tragischen Fällen von Kindestötungen gab es in der Politik und Öffentlichkeit ein großes Misstrauen gegenüber der Arbeit der Jugendämter, der Verfahrenswege/ Kooperationen und neuerdings auch gegenüber der Arbeit von freien Trägern (1) Die anfängliche Kinderschutzdebatte zielte auf eine starke Reglementierung und Standardisierung (Hausbesuche, Dokumentation, Standards) (2) einhergehend mit dem Wunsch nach mehr Handlungssicherheit und Transparenz in der Praxis
14 BMFSFJ/Abt. 5 Stand Referentenentwurf Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz BKiSchG) 20. Nach 79 wird folgender 79a eingefügt: 79a Fachliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe (1) Um die in 1 Absatz 3 genannten Ziele zu erreichen, haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe fachliche Handlungsleitlinien und Qualitätskriterien für 1. die Gewährung und Erbringung von Leistungen 2. die Erfüllung anderer Aufgaben 3. den Prozess der Gefährdungseinschätzung nach 8a 4. die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen zu entwickeln, anzuwenden und regelmäßig zu überprüfen. (2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben Verfahren zu entwickeln, anzuwenden und fortzuschreiben, mit deren Hilfe Prozesse der Hilfesteuerung und der Gefährdungseinschätzung evaluiert werden. (3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben mit den Trägern der freien Jugendhilfe Vereinbarungen über die fachlichen Standards zu treffen, die bei der Erbringung von Leistungen anzuwenden sind, soweit nicht Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung nach 78b abzuschließen sind. Dazu zählen auch Leitlinien für die Sicherung der Rechte von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen und ihren Schutz vor Gewalt. Die kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene sollen mit den Verbänden der freien Jugendhilfe und den Vereinigungen sonstiger Leistungserbringer auf Landesebene Rahmenverträge über die Gegenstände und Inhalte der Vereinbarungen nach Satz 1 abschließen. Die für die Wahrnehmung der Aufgaben nach 85 Absatz 2 zuständigen Behörden sind zu beteiligen.
15 Die Folge wäre gewesen: (1) Staatliche Vorgaben von klaren Qualitätskriterien (nicht im Dialog mit freien Trägern entwickelt) (2) Mehr Dokumentation, Kontrolle und eine Verbürokratisierung professionellen Handelns Gefehlt hat: (1) Der Blick auf die Rahmenbedingungen, die Finanzierung (2) Eine nüchterne Analyse der Fehler und deren Bewertung. Die politische Debatte wurde empiriefrei geführt
16 2. ein fatalistischer (der 79a SGB VIII als Luftnummer ) Die Gestaltung eines umfassenden Qualitätsentwicklungsprozesses für alle relevanten Felder der Kinder- und Jugendhilfe ist eher unwahrscheinlich (1) Die Erfahrungen mit der Umsetzung des 78 a-g SGB VIII zeigen, dass die Verknüpfung zwischen Leistung, Qualität und Geld nur selten systematisch hergestellt wird, (2) die Mehrzahl der Jugendämter in Deutschland nicht über ausreichend Fachpersonal im Bereich der Jugendhilfeplanung verfügt (3) die Personalausstattung der Sozialen Dienste dringend verbessert werden müsste (verbunden mit Profilschärfung und Fachstandards)
17 Personal Eckwert, Fallbelastungsindikator und Hilfen zur Erziehung pro junge Menschen unter 21 Jahren in Rheinland Pfalz in den Jahren 2002 bis 2010 (2002=100) Personal Hilfen zur Erziehung Fallbelastung im ASD
18 3. ein pragmatischer Blick (der 79a SGB VIII ist da, was tun?) Ein nüchterner Blick auf die Ausgangslage (1) Nach wie vor hat der Kinderschutz die Kinder- und Jugendhilfe fest im Griff: Der Blick auf die Meldung nach 8a SGB VIII (2) die Mehrzahl der Jugendämter in Deutschland nicht über ausreichend Fachpersonal im Bereich der Jugendhilfeplanung verfügt (3) die Personalausstattung der Sozialen Dienste dringend verbessert werden müsste (verbunden mit Profilschärfung und Fachstandards)
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20 Fachliche Schritte zur Ersteinschätzung der Situation (Angaben in Prozent; Mehrfachnennungen möglich; n=2.938) kollegiale Beratung zur Abschätzung des Gefährdungsrisikos 47,5 unangekündigter Hausbesuch 37,1 Kontaktaufnahme mit anderen Beteiligten Inaugenscheinnahme des Kindes/Jugendlichen 32,9 32,5 angekündigter Hausbesuch Einladung Familie zu Gespräch ins JA 24,3 23,3 unmittelbare Inobhutnahme des Kindes 8,8 Gespräch mit Kind/Familie außerhalb des Jugendamts (Schule, Vorstellung beim Arzt/Erstellung med. bzw. therapeutisches sofortige Einleitung von Beratung, Hilfsangeboten Anrufung des/mitteilung ans Familiengericht 2,2 1,3 0,6 5,7 Direkter Kontakt (Hausbesuche, Gespräch im JA oder außerhalb, Inaugenscheinnahme oder Vorstellung beim Arzt, Inobhutnahme) in 84,5% aller Fälle (2.526) Abgabe/Weiterleitung an zuständiges Jugendamt 0,6 keine weiteren Schritte erforderlich 5,1 sonstiges 3,
21 War infolge der Einschätzung der Situation des Kindes/ der Familie eine akute oder latente Kindeswohlgefährdung erkennbar? (Angaben in %; n=3.470) 37,7 nein 48,8 ja, akute Kindeswohlgefährdung ja, latente Kindeswohlgefährdung 13,
22 Wo nun ansetzen: (1) Fachliche Verfahrensstandards in der Gefährdungseinschätzung implementieren (in der Organisation, im Team, mit einer unterstützenden Dokumentatin, in Netzwerrkstrukturen mit anderen Kooperationspartnern, Durchführung von Fehleranalysen etc. (2) Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Sozialen Dienste, Aufbau und Weiterentwicklung von Planungsstrukturen und Qualitätszirkel (3) Aufbau und Weiterentwicklung eines fachlichen Evaluationssystems (4) Die kommunale Kinder- und Jugendhilfepolitik einbinden, stärken und gewinnen
23 4. ein optimistischer Blick (Die Kinderschutzwelle nutzen und schauen, was geht) Die Kinderschutzwelle bewegt die Kinder- und Jugendhilfe und ermöglicht, was sonst nie denkbar gewesen wäre: (1) Personalausbau in den Sozialen Diensten, Aufbau früher Hilfen, Stärkung präventiver Ansätze, Imageverbesserung der Kinder- und Jugendhilfe (2) Kooperationsstrukturen zu Freien Trägern im Kontext von Qualitätsdialogen stärken und fachliche Zusammenarbeit intensivieren
24 Die Kinder- und Jugendhilfe wirkt nur als Ganzes gut! (Schrapper) Krisenintervention u. Kinderschutz, Begleitung und Hilfe in Einzelfällen Hilfen zur Erziehung Beratung, Entlastung, Unterstützung Jugendschutz, Jugendsozialarbeit, Beratung Infrastruktur für Bildung und Erziehung Kindergarten, Jugendarbeit, Familienbildung
25 Durch das Jugendamt steuerbare und nicht steuerbare Einflussfaktoren Gesamtverantwortung sowie Planungsverantwortung des Jugendamts gem. 79 um positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien zu schaffen (vgl. 1 SGB VIII) 25
26 Die Qualität des Qualitätsentwicklung als Umgang mit ambivalenten Anforderungen Strukturierung/ Standardisierung professionelle Autonomie in sozialen Bezügen Machbarkeit von Qualität Komplexität sozialer Systeme Aufwand (Zeit, Geld, Ideen) top-down (Motor, Überprüfung) Innovation und Verbesserungen partnerschaftliche Kooperation Sinnhafte Erschließung prof. Handlungsvollzüge Selektivität und Schwerpunktlegung Ertrag, Wirksamkeit Nützlichkeit bottom-up (Anpassung, Veränderung) Routine und Fehlerfreundlichkeit Interessen, Macht, Konkurrenz
Münster, 20. Oktober 2014 Köln, 24. November 2014
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