Predigt zum Reformationstag 2014 Ordinationspredigt von Matthias Ratz. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. 1Kor 15, 10a
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- Melanie Engel
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1 Predigt zum Reformationstag 2014 Ordinationspredigt von Matthias Ratz Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. 1Kor 15, 10a Friede sei mit euch von Gott unserm Vater und von Jesus Christus, unserm Bruder und Herrn. Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Dieser Satz steht als Motto über meiner Ordination am heutigen Tage. 1) Ephesus, 55 nach Christus: der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth jenen Brief, der uns als erster Korintherbrief erhalten ist. Die Gemeinde ist unsicher geworden im Glauben, hat teils ganz konkrete Fragen. Ich mag den Korintherbrief. Nicht alle, aber viele der Fragen, die die Gemeinde damals hatte, stellen wir uns bis heute. Der Apostel Paulus bemüht sich redlich um Antworten für die Gemeinde, die er schließlich selbst gegründet hatte. Dabei habe ich den Eindruck, dass sich Paulus durchaus bewusst ist, dass er mit seinen Antworten selbst noch auf der Suche ist. Er weiß, dass sein ganzes Arbeiten, sein Predigen, seine Mission und seine theologische Lehre nicht aus ihm selbst her kommen. So ist es gut, dass wir als heutige Theologinnen und Theologen weiterarbeiten an den Fragen der Gemeinde, weil mit Paulus oder dem Ende der biblischen Überlieferung noch nicht Schluss ist. Gott spricht immer noch. Paulus erkennt in seinem Ringen um die rechte Theologie demütig an: Ich bin er geringste unter den Aposteln. [ ] Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als die anderen; nicht aber ich selbst war es, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. 1
2 2) Wittenberg, um 1517: Der Augustinermönch Martin Luther quält sich mit der Frage: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? So wie der Apostel Paulus, dessen Briefe Luther besonders intensiv studierte, war sich der große Reformator bewusst: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Es hatte seine Zeit gedauert, bis er dahin gekommen war. As Mönch hatte er mit dem Begriff Gnade wenig anfangen können. Ja, er machte ihm schreckliche Angst, weil er sich fürchtete, nicht gut genug zu sein für Gottes Gnade. Er fürchtete sich, weil er dachte, die Gnade Gotte sei etwas, dass er sich selbst verdienen müsste. Die Kirche seiner Zeit hatte es ihn so gelehrt. Es brauchte für Martin Luther ein langes Bibelstudium und viele Seelenqualen, um diesem Irrtum zu entkommen. Doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und wie ein Stein vom Herzen: Gnade ist nichts, was ich mir verdienen könnte. Gnade geschieht mir. Gott schenkt mir Gnade. Mehr muss ich nicht tun. Gottes Gnade allein genügt. Sola gratia, wie er es auf Latein schrieb. Allein aus Gottes geschenkter Gnade werde ich vor Gott gerecht und heilig und zum ewigen Leben bereit. Mir ist nicht bekannt, ob Luther einen besonderes Verhältnis zu 1 Kor 15,10 hatte, aber obwohl der Satz sich zunächst auf Pauli Apostolat bezieht, enthält er doch ein gutes Stück reformatorischer Rechtfertigungstehologie. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Martin Luther ist zum Reformator der Kirche geworden. Am heutigen Reformationstag feiern wir das Gedenken dieser Reformation und damit indirekt den Geburtstag der evangelischen Kirche. Wir tun als evangelische Kirche heute gut daran, das Wort von der Gnade Gottes hochzuhalten inmitten einer leistungsgelenkten und individualisierten Gesellschaft. 3) Langenfeld, 2014: Matthias Ratz versucht am Reformationstag, am letzten Tag seines Vikariats händeringend Gedanken zu 1. Korinther 15, 10a zu formulieren und zu erzählen. 2
3 Bitte denken Sie nicht, ich wollte mich hier in eine Reihe mit Paulus und Luther setzen. Um den ersten in der Übersetzung des zweiten zu zitieren: Das sei ferne! Jetzt stehe ich hier nach 10 Jahren Studium, Sondervikariat, Vikariat; zwei theologische Examina und die Berufungsurkunde in der Tasche, erste Erfahrungen im Pfarrberuf und weitgehend positive Rückmeldungen von Gemeindegliedern im Hinterkopf und denke: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Wer mich kennt, weiß, dass es mir im Normalfall an Selbstbewusstsein nicht mangelt, mir das Auftreten mit breiter Brust zumindest in einigen Kontexten nicht schwerfällt. Trotzdem oder grade deswegen ist es mir wichtig zu denken und auch zu sagen: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Es ist nicht allein mein Verdienst, dass ich das bin, was ich bin. Es sind die Menschen und Institutionen, die mich in meinem Leben mitgeprägt haben; meine Familie und Freunde, die Heimatkirche, die theologischen Fakultäten, das Predigerseminar, Kolleginnen und Kollegen nicht zuletzt auch diese Gemeinde hier in Langenfeld. Daneben und noch davor aber ist es Gott selbst, der mich zu dem macht, der ich bin. Und nicht nur mich, sondern euch alle je mit eurer eigenen Biographie. Ein Leben lang, immer wieder neu, immer weiter. Es gibt sie, diese Momente, wenn ich denke: Boah, bin ich ein geiler Typ! Wenn nach dem Hochzeitsgottesdienst ungefähr 100 Leute sagen: Oh, das war so schön und so persönlich. Dann geht mir das runter wie Öl. Wenn im Gottesdienst sogar die Konfis zuhören, denke ich: Irgendwas hast du heute richtig gemacht. Wenn Menschen explizit nach mir fragen, damit ich die Beerdigung ihrer Angehörigen gestalte, dann fühlt sich das einfach gut an trotz der Tatsache, dass es eigentlich grade um Tod und Trauer geht. Jedes Lob, jedes ehrliche Kompliment, jede gelungene Aktion führt dazu: Ich fühle mich gut, ich fühle mich sicher. Ich weiß, was ich kann. Ich hoffe, jede und jeder hier kennt diese schöne Erfahrung. Dennoch: Jedenfalls bei mir führt positive Rückmeldung relativ leicht zu Selbstüberschätzung, zu stolzer Eitelkeit, zum Gefühl. Och, das klappt beim nächsten Mal auch mit weniger Vorbereitung. Und damit wird s gefährlich. 3
4 Daher hilft es mir noch bevor ich damit auf die Nase fliege mir bewusst zu machen: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Das heißt nicht, dass ich nicht auch gerne das Lob höre und das heißt auch nicht, dass ich mir nicht meinen eigenen Erfolg auch selbst zuschreiben darf. Ein bisschen Stolz darf ja durchaus sein. Aber es heißt, demütig anzuerkennen: Mein Erfolg, das, was mich auszeichnet, ist mehr als die Summe meiner guten Eigenschaften und meiner eigenen Arbeit. Es ist ein Geschenk Gottes, das ich ganz einfach so unverdient bekomme. Dann gibt es die Kehrseite: Diese anderen Momente kenne ich wie ihr vermutlich auch. Nämlich die, wo ich denke: Das kann ich nicht. Das schaffe ich nicht. Oder auch: Die Sache ist ja mal völlig in die Hose gegangen! Sowas fühlt sich richtig blöd an. Wenn man es selbst so empfindet, ist es ja schon schlimm genug, aber wenn dann noch jemand genau den wunden Punkt mit seiner Kritik trifft dann wird es richtig unangenehm. Kritik fühlt ja immer dann besonders schlimm an, wenn der andere auch noch Recht hat! Auf einmal bin ich also so klein mit Hut. Auch dann darf ich denken: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Ich bin, was ich bin wer ich bin mit allem, was dazu gehört. Dazu gehört leider auch meine eigene Unvollkommenheit, meine Schwächen. Ich bin halt faul, ich bin oft unkonzentriert, ich bin selten gut organisiert, ich bin manchmal gleichgültig, meine Zielstrebigkeit dürfte größer sein. Das alles gehört zu mir. An manchen dieser Schwächen arbeite ich, an andere traue ich mich nicht heran. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Um die Werbung einer Produktserie kalorienreduzierter Nahrungsmittel zu zitieren: Du darfst! Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Ich darf so sein wie ich bin. Das soll nicht zum frommen Schlendrian führen. Nicht: Was ich nicht kann, brauche ich auch nicht lernen. Sondern Gottes Gnade führt zu gelassener Souveränität. Es ist die Ahnung, dass ich als Mensch in meiner Freiheit, meiner Selbstverwirklichung und dem Bemühen um das Gemeinwohl nicht die ultimative Instanz bin. Wir müssen nicht die letztlich unerträgliche und untragbare Last einer allumfassenden Verantwortung tragen. Weder für uns 4
5 selbst, noch für das große Ganze. Gnade gilt uns grade in der Unvollkommenheit. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Das ist ein demütiger und ein aufbauender Satz zugleich. Demütig heißt nicht, dass ich alles ertragen müsste oder mich klein machen müsste. Als Demütiger erkenne und akzeptiere ich aus freien Stücken, dass es etwas für mich Unerreichbares, Höheres gibt. Ich selbst bin nicht das Höchste. Ich erkenne aus freien Stücken, weil es mir ganz unmittelbar einleuchtet, dass es etwas Unerreichbares, Höheres gibt. Das führt zu einem Glauben an Gott. Aber es führt auch dazu, sich nicht selbst zu überschätzen oder zu viel von sich oder von anderen zu erwarten. Demut rechnet damit, dass es immer noch etwas Höheres, Besseres gibt. Ich finde, das entlastet, macht gelassen. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Der Begriff Gnade hat heute keine Konjunktur. Es klingt irgendwie schwächlich. Ein Leben aus Gnade, das passt für viele Menschen nicht zusammen mit dem Konzept Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung. Das Wort Gnade steht für eine Grunderfahrung menschlichen Lebens: Das, wovon wir eigentlich leben, können wir weder kaufen, herstellen noch verdienen; nicht die Liebe, noch die Freundschaft, nicht die Anerkennung, noch die Vergebung anderer Menschen. Die elementare Erfahrung, dass uns das Wesentliche im Leben geschenkt wird, ist das, was die christliche Tradition mit Gnade umschreibt. Erfahrungen der Abhängigkeit oder Fremdbestimmung macht jeder Mensch, egal aus welcher Tradition er komm. Natürlich könnte man das als reinen Zufall oder Schicksal beschreiben. Ich glaube, dass ich, dass wir, aus Gottes Gnade leben. Mögen da Berge weichen oder Hügel fallen. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Durch Gottes Gnade bist du, was du bist! Amen Und der Friede Gottes, welcher höher ist, als alle menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen 5
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