Drogen Schwangerschaft Kind aus Sicht der Sucht- und Drogenberatung. Experten/-innenanhörung FDR, am in Berlin
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- Martina Hertz
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1 Drogen Schwangerschaft Kind aus Sicht der Sucht- und Drogenberatung Experten/-innenanhörung FDR, am in Berlin Guten Tage, meine Damen und Herren, meine Aufgabe, die ich heute übernommen habe, ist, etwas zur Betreuung und Begleitung von drogenabhängigen Müttern während der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr des Kindes aus Sicht der Sucht- und Drogenberatung zu sagen. Zunächst möchte ich mich für die Einladung und Möglichkeit zur Darstellung der komplexen Thematik aus dem Blick der Sucht- und Drogenberatung bedanken und auch bedanken, dass sich der FDR dieser wichtigen und derzeit auch hoch aktuellen Thematik angenommen hat. Mein Name ist Stefan Bürkle. Ich bin Mitarbeiter der Zentrale des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg und übe hierbei die Funktion der Geschäftsführung für die Caritas Suchthilfe e.v. (CaSu) aus. Die CaSu ist der Bundesverband der Suchthilfeeinrichtungen im DCV und vertritt derzeit 94 Träger mit insgesamt 169 ambulanten und stationären Einrichtungen. Wenn ich im Hilfeprozess bei Drogen Schwangerschaft - Kind aus der Sicht der Sucht- und Drogenberatung spreche, ist mir bewusst, dass es gerade im Bereich der psychosozialen Betreuungsmaßnahmen große Überschneidungen in der Aufgabenwahrnehmung zwischen den Sucht- und Drogenberatungsstellen, der psychosozialen Betreuung in Substitutionsambulanzen oder in Schwerpunktpraxen zur Substitution sowie den Fachstellen für Familien und Kinder gibt. Die Unterschiedlichkeiten und Überschneidungen im Hilfeangebot hängen dabei sehr stark mit den jeweiligen regionalen Hilfestrukturen und den örtlich vorhanden Kooperationen zusammen. In meinem Statement werde ich insbesondere auf die Kooperation und Koordination in Netzwerken, die Rolle und Ziele der ambulanten Sucht- und Drogenhilfe sowie ethische und juristische Fragen eingehen.
2 Kooperation und Koordination im Netzwerk Schwangerschaft und Drogenabhängigkeit ist eine komplexe Thematik, das die verbindliche und kontinuierliche Zusammenarbeit unterschiedlichster Personen und Institutionen voraussetzt und das keine Profession für sich lösen kann. Hilfreich und ideal ist hierbei die Zusammenarbeit von Fachleuten, die mit dem Thema Suchtmittelkonsumierende Eltern befasst sind, innerhalb von entsprechenden Netzwerken. Dies gewährleistet die möglichst frühzeitige und interdisziplinäre Einbindung von Fachpersonen, um somit die Prognose zum Wohl der Mutter (des Vaters) und des Kindes entscheidend zu verbessern. Im Mittelpunkt eines solchen Netzwerkes, das medizinische, psychosoziale und materielle Hilfen umfasst, stehen die Eltern und ihre Kinder. Die Beteiligung der Institutionen und Fachpersonen ist vielfältig und orientiert sich an den jeweiligen regionalen Erfordernissen und Strukturen. Beteiligte eines solchen Netzwerkes sind im Wesentlichen: Medizinische Institutionen und Fachkräfte, Einrichtungen der Suchthilfe und Suchtselbsthilfe, Öffentliche und frei Träger der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Familienhilfe und deren Einrichtungen. Wesentlich für die gelungene Kooperation und Koordination, letztlich im Sinne der uns anvertrauen Klientel, ist deren Funktionsfähigkeit und Qualität. Das bedeutet, dass die Kooperation der Hilfen in Netzwerken nicht erst auf der Ebene der Maßnahmen einsetzt, sondern bereits im Stadium der Diagnostik und des Clearings beginnt. Denn bereits dort sollten die Vorteile der Unterschiedlichkeit der Professionen genutzt werden. Hierbei bietet sich insbesondere eine enge Kooperation zwischen der Suchthilfe und der Familienhilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe an. Ein weiteres Qualitätsmerkmal für ein funktionierendes Hilfenetzwerk liegt in der Erreichbarkeit der Hilfen. Werden die Hilfen angenommen? Sind die Hilfen, bei den Menschen, für die sie gedacht sind, bekannt? Ausgehend von der These, dass ein Großteil der betroffenen Menschen zu irgendeinem Teil des Hilfenetzes bereits Kontakt hat (zu Ärzten, Suchthilfe, Familienhilfe, Kinder- und Jugendhilfe), steht und fällt die Chance, die Erreichbarkeit zu erhöhen mit dem gegenseitigen Wissen über die jeweiligen Angebote. Caritas Suchthilfe e.v. (CaSu), Stefan Bürkle 2
3 Dies setzt konzeptionelle und verbindliche Absprachen unter den beteiligten Akteuren sowie den kontinuierlichen Austausch voraus. Dabei muss klar sein, wer an welcher Stelle und zu welchem Zeitpunkt mit wem kooperiert. Sinnvoll ist ein qualifiziertes Case Management, ausgehend von einer Institution oder Person, die im jeweiligen Fall die Brücken- oder Schnittstellenfunktion wahrnimmt. Das können entsprechend qualifizierte Berater/innen der Sucht- und Drogenhilfe sein. Auf der Basis eines solchen Case Managements kann gemeinsam mit der schwangeren Frau und ihrem Partner ein bedarfsgerechtes Unterstützungsnetz nach dem Prinzip so viel wie nötig, so wenig wie möglich organisiert werden. Voraussetzung ist, dass die Eltern damit einverstanden sind und eine Schweigepflichtentbindung erteilen. (Gerlach, 2006) Es versteht sich von selbst, dass, neben der professionellen Kooperation, auch das Netzwerk Familie, soweit vorhanden und in der Lage, in die Unterstützung mit einbezogen wird. Rolle und Ziele der Sucht- und Drogenberatung Unter Fachleuten gilt die Substitutionsbehandlung bei schwangeren opiatabhängigen Müttern als Mittel der Wahl. Eine qualifiziert durchgeführte Substitutionsbehandlung bietet die Struktur für eine sorgfältige Schwangerschaftsbegleitung im medizinischen wie auch psychosozialen Bereich (Gellert, 2002). Dabei dürfte es eigentlich keine substituierte schwangere Frau ohne psychosoziale Begleitung geben (außer: bereits Mutter und substituiert, beigebrauchsfrei und sozial eingebunden). Dies bringt schon die Vielschichtigkeit des Geschehens für die schwangere drogenabhängige Mutter sowie den Vater mit sich. Ein kurzer Problemaufriss: Schwangerschaft bedeutet immer auch Neuorientierung und Neudefinition des eigenen Lebens und des Selbstkonzeptes. Deshalb kann die Schwangerschaft von drogenabhängigen Frauen auch so etwas wie ein Motivationsfenster sein, das sich öffnet und das sich anbietet für grundsätzliche Weichenstellungen im Leben. Schwangerschaft und Drogenabhängigkeit bedeutet vielfach aber auch die Ambivalenz mit einer ungewollten Situation. Viele Frauen sind in ihrer Schwangerschaft neben der Drogenabhängigkeit auch HIV-positiv. Darüber hinaus löst eine Schwangerschaft, erschwert unter Bedingungen einer Drogenabhängigkeit und Substitution, besondere emotionale Situationen aus. (z.b. Caritas Suchthilfe e.v. (CaSu), Stefan Bürkle 3
4 Schuldgefühle und Ängste, wenn es der Frau nicht gelingt, drogenfrei zu sein oder zu bleiben; bei Substitution, Beziehungskonflikten und vieles mehr). Geburt und Elterndasein bedeuten neue und offene Erfahrungen. Nicht nur für drogenabhängige Mütter und Väter. Aber die Besonderheit ihrer Situation erhöht den Stress. Hierfür braucht es die Möglichkeiten der Unterstützung und der Begleitung. Grundsätzliches Ziel der Beratung und Begleitung schwangerer und drogenabhängiger Mütter ist das Wohl des Kindes und der Mutter sicher zu stellen. Dabei geht es darum die Schädigung des betroffenen Kindes zu verhindern, den Weg für eine gelingende Eltern-Kind-Beziehung zu ebnen und ein familien- und kinderfreundliches Umfeld einzurichten. Dies setzt eine offene und achtungsvolle Grundhaltung der werdenden Mutter, den Eltern gegenüber voraus. Hierbei ist die hohe Transparenz und Klarheit von enormer Bedeutung. Damit ist gemeint, dass Klarheit über den Umfang und die Grenzen der Hilfeleistung besteht, dass die Berater/innen ihre innere Haltung (gerade im Hinblick auf das Kindeswohl) deutlich machen und Transparenz über die Einbindung weiterer Fachpersonen/-stellen hergestellt ist. Generelles Ziel ist es, die Eltern bei der Entwicklung einer Perspektive für ein Zusammenleben mit ihren Kindern zu unterstützen. Das Wohl des Kindes steht hierbei immer an erster Stelle. Vor dem Hintergrund dieser Klarheit kann ein guter Grundstein für eine vertrauensvolle Beziehung gelegt werden (Helga Dilger, Maks Freiburg). Ethische und juristische Fragen Im Zusammenhang mit der Beratung und Betreuung von schwangeren drogenabhängigen Frauen können unterschiedliche ethische und rechtliche Situationen auftauchen (z.b. Schwangerschaftsabbruch, Beikonsum), die Erfahrung und Fingerspitzengefühl in der jeweiligen Entscheidung erfordern. Allen voran ist jedoch die Einschätzung des Risikos für das Kindeswohl und die damit verbundenen Konsequenzen zu nennen. Bedeutet Sucht immer gleichzeitig die Gefährdung des Kindeswohles? Eine Eindeutigkeit und wie die Erfahrung aus der Praxis zeigt, eine Einheitlichkeit bei der Beantwortung dieser Frage scheint nicht zwangsläufig gegeben. Berater und Beraterinnen unterliegen der Schweigepflicht ( 203 StGB). Es bestehen Ängste, die Vertrauensbasis zu verletzten und Vorbehalte, auch gegenüber den Jugendäm- Caritas Suchthilfe e.v. (CaSu), Stefan Bürkle 4
5 tern. Die Grenze zwischen Schweigepflicht und unterlassener Hilfeleistung ( 323c StGB) ist dabei fließend. Grundsätzlich ist davon auszugehen: Jede Schwangerschaft im Zusammenhang mit einer Drogenabhängigkeit ist eine Risikoschwangerschaft. Jede Form von regelmäßiger Einnahme von Substanzen während der Schwangerschaft kann das Kindeswohl gefährden (Beikonsum). Kindeswohlgefährdung entsteht insgesamt auch durch den negativen Einfluss suchtbelasteter Familie. Inwieweit hierbei automatisch ein Risiko im Sinne der Gefährdung des Kindeswohls nach 1666 BGB besteht, ist eine Frage der Abwägung. Dies erfordert die ganze Fachlichkeit, Empathie und den Mut der Berater/innen zu klaren Entscheidungen. Hilfreich ist es, entsprechende Weichen so früh wie möglich zu stellen und bereits im Vorfeld mit der drogenabhängigen Mutter über die erforderlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls zu sprechen. Das bedeutet auch, mit der drogenabhängigen Mutter nach Möglichkeit darauf hin zu wirken, bereits frühzeitig nach Bekannt werden der Schwangerschaft den Kontakt zum Jugendamt aufzunehmen. Vor dort können ihr weitere wichtige Hilfestellungen angeboten werden. Die Vorstufe zur Kindeswohlgefährdung ist die Gewährleistung des Kindeswohls. Wenn das Wohl eines Kindes nicht gewährleistet ist, besteht ein Anspruch auf die notwendigen Hilfen für seine Entwicklung (Meysen). Im Klartext: Kommen Berater/innen zum Schluss, dass die Bedingungen zur Gewährleistung des Kindeswohls nicht gegeben sind, muss mit den Betroffenen darauf hingewirkt werden, dass sie entsprechende Hilfen annehmen. Falls sie dies nicht tun und/oder die angenommen Hilfen nicht ausreichen, sind die Berater/innen verpflichtet, Schutzmaßnahmen, auch gegen den Willen der Mutter, der Eltern, einzuleiten. Das bedeutet, den sozialpädagogischen Dienst des Jugendamtes rechtzeitig zu informieren. Ein Gedanke zum Schluss: Viele Helfer machen das Helfen nicht unbedingt leichter! Gerade in Hilfenetzwerken besteht die Gefahr, dass sich einer auf den anderen verlässt. Ein qualifiziertes Case Management, Mut, der eigenen Einschätzung zu vertrauen und zu folgen und dabei immer das Wohl des Kindes im Blick zu haben, sind keine Allheilmittel. Sie können jedoch dazu beitragen, den Hilfeprozess positiver zu gestalten und den Weg zu einer gelingenden Eltern-Kind-Beziehung zu ebnen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Caritas Suchthilfe e.v. (CaSu), Stefan Bürkle 5
6 Literatur: Bätzing, Sabine: Statement im Rahmen des 5. Parlamentarischen Abends am in Berlin mit dem Thema: Substitutionstherapie heute: Gratwanderung zwischen medizinischen Erfordernissen, rechtlichen Rahmenbedingungen und wirtschaftlichem Zwang. Gellert, Rüdiger und Schneider, Gundel: Subsitution und Heroin. Ein Ratgeber für Betroffene, Angehörige und professionelle Helfer, Freiburg Lambertus, 2002 Gerlach, Ralf und Stöver, Heino: Vom Tabu zur Normalität. 20 Jahre Substitution in Deutschland. Zwischenbilanz und Aufgaben für die Zukunft, Freiburg Lambertus 2005 Meysen Dr., Thomas: Gefährdung und Gewährleistung des Kindeswohls ein juristischer Blick auf Schutz, Hilfe und Kooperation, in: Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe 49, Berlin 2005 Caritas Suchthilfe e.v. (CaSu), Stefan Bürkle 6
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