Einleitung: Leistung und Erschöpfung... 7
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- Kasimir Baumhauer
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2 Inhalt SIGHARD NECKEL UND GRETA WAGNER Einleitung: Leistung und Erschöpfung I. Burnout als Pathologie G. GÜNTER VOSS UND CORNELIA WEISS Burnout und Depression Leiterkrankungen des subjektivierten Kapitalismus oder: Woran leidet der Arbeitskraftunternehmer? ELIN THUNMAN Burnout als sozialpathologisches Phänomen der Selbstverwirklichung MONICA TITTON ErschöpfteProminenz II. Burnout als Diagnose PATRICK KURY Von der Neurasthenie zum Burnout eine kurze Geschichte von Belastung und Anpassung LINDA V. HEINEMANN UND TORSTEN HEINEMANN Die Etablierung einer Krankheit? Wie Burnout in den modernen Lebenswissenschaften untersucht wird FRIEDER VOGELMANN Eine erfundene Krankheit? Zur Politik der Nichtexistenz
3 III. Burnout als Metapher ROLF HAUBL Burnout Diskurs und Metaphorik ULRICH BRÖCKLING Der Mensch als Akku, die Welt als Hamsterrad Konturen einer Zeitkrankheit IV. Burnout als Innovation SIGHARD NECKEL UND GRETA WAGNER Erschöpfung als»schöpferische Zerstörung«Burnout und gesellschaftlicher Wandel Über die Autorinnen und Autoren
4 G. GÜNTER VOSS UND CORNELIA WEISS1 Burnout und Depression Leiterkrankungen des subjektivierten Kapitalismus oder: Woran leidet der Arbeitskraftunternehmer?»Burnout«und»Depression«sind Themen, die gegenwärtig große Aufmerksamkeit finden. Grund dafür ist vor allem, dass die gesetzlichen Krankenkassen enorme Steigerungen bei psychischen Erkrankungen melden. Die Meinungen über die Ursachen für diese alarmierende Entwicklung gehen auseinander. Wie viel davon auf einen realen Anstieg von Erkrankungen zurückzuführen ist und wie viel Folge einer größeren Sensibilität von Ärzten und Patienten oder gar schon Effekt der breiten medialen Berichterstattung sein könnte, ist nicht klar auszumachen alle drei Einflussgrößen spielen vermutlich eine Rolle. Dass es eine deutliche Steigerung bei gemeldeten psychischen Erkrankungen mit einem Schwerpunkt auf depressiven Syndromen (zu denen die diffuse Diagnose»Burnout«zu rechnen ist) gibt, kann jedoch nicht bezweifelt werden. Hier sollen die vorliegenden Daten in Verbindung mit der großen öffentlichen Aufmerksamkeit als Indikator dafür gesehen werden, dass etwas zu beobachten ist, was nicht ohne Grund häufig als moderne»epidemie«bezeichnet wird. 2 Zugleich gibt es deutliche Hinweise darauf, dass neuartige Anforderungen in der Arbeitswelt die Zunahme psychischer Erkrankungen zumindest befördern. Im Folgenden sollen daher in einem ersten Schritt die Veränderungen in der erwerbsbezogenen Arbeitswelt mit einem besonderen Blick auf die zunehmende»entgrenzung«und»subjek- 29
5 tivierung«von Arbeit nachgezeichnet werden, die einen neuen Typus von Arbeitskraft, den»arbeitskraftunternehmer«, hervorbringen. In einer historischen Rückschau werden wir anschließend zeigen, dass in den verschiedenen Phasen des industriellen Kapitalismus jeweils unterschiedliche Formen von Erkrankungen gesellschaftlich charakteristisch waren und dass nun Burnout und Depression zu den typischen Erkrankungen der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts werden könnten. Dazu werden einige Fakten zum aktuellen Krankheitsgeschehen in diesem Bereich vorgestellt. Der Beitrag schließt mit dem Gedanken, dass die Subjektivität von Arbeitskräften im modernen»flexiblen Kapitalismus«(Richard Sennett) einem historischen Wandel unterliegt und neuen Gefährdungen ausgesetzt ist. Strukturwandel der Arbeit: Entgrenzung und Subjektivierung Seit den achtziger Jahren vollzieht sich in der Erwerbslandschaft ein umfassender Strukturwandel, als dessen zentrales Moment die sogenannte»entgrenzung von Arbeit«diskutiert wird (vgl. u. a. Gottschall/Voß 2003; Kratzer 2003; Voß 1998). Gemeint ist damit eine Fülle von Veränderungen in der Organisation erwerbsförmiger Arbeit beim Übergang zu einer»postfordistischen«periode des modernen Kapitalismus (vgl. u. a. Hirsch 1986): die Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Betriebsstrukturen, die Deregulierung der Beschäftigungsformen und ihrer Sicherung, die tendenzielle Rücknahme beruflicher Spezialisierungen, zunehmende Mobilitätsanforderungen und anderes mehr. Fast immer geht es dabei darum, dass bislang als verlässlich angesehene Strukturen und damit Regulierungen von Arbeit und Beschäftigung auf allen Ebenen 30
6 (gesamtgesellschaftlich, arbeitsmarktbezogen, betriebs- und arbeitsorganisatorisch) mehr oder weniger erodieren. Ein oft diskutiertes Beispiel ist die sich mit der Industrialisierung weithin durchsetzende Trennung von»arbeit«und»leben«. Dabei traten nicht nur die Orte von Erwerbsarbeit und privatem Leben auseinander, sondern auch Arbeitszeit und Freizeit sowie die sozialen Kreise von Kollegen und Freunden beziehungsweise Familie. Mit der Entgrenzung von Arbeit kehrt sich dieser Prozess nun (zumindest partiell) wieder um. Die Konsequenzen für die Betroffenen sind weitreichend und widersprüchlich. Für manche Gruppen ergeben sich größere Chancen zur selbstbestimmten Gestaltung von Tätigkeiten. Gleichzeitig bringt die Ausdünnung bislang handlungsleitender Strukturen für die Arbeitenden den Zwang mit sich, ihre Arbeit permanent selbst zu strukturieren und beispielsweise eigenverantwortlich eine Regulierung der Arbeitszeiten vorzunehmen: Wann ist»arbeit«, wann»pause«und wann ist überhaupt die Arbeit erledigt, so dass man gar ein»ende«der Arbeitszeit in Anspruch nehmen darf? Diese nun systematisch mehr als bisher erforderliche Selbststeuerung von Arbeit wird jedoch betrieblich selten als Leistung gewürdigt und erweitert meist nicht wirklich die persönliche Autonomie. Im Gegenteil: Tendenziell erhöht sich sogar der zeitliche, sachliche und soziale Druck auf die Beschäftigten. Die Veränderungen bringen statt der betrieblich vorgeblich intendierten (und von den Beschäftigten erhofften) Befreiung von fremdbestimmenden Zwängen paradoxe neue Zwänge und daraus resultierende Überlastungserscheinungen mit sich. Die zunehmende Selbstzuständigkeit wird von den Betroffenen entsprechend oft als hochgradig ambivalent erlebt. Die Arbeitssoziologie diskutiert diese Tendenz unter dem Begriff der»subjektivierung von Arbeit«(vgl. u. a. Moldaschl/Voß 2003; 31
7 Lohr/Nickel 2005; Voß/Weiß 2005). 3 Damit ist nicht nur angesprochen, dass die Beschäftigten nun als je individuelle»subjekte«verstärkt aktiv werden müssen. Der Fokus richtet sich auch darauf, dass es zu einer tiefer gehenden betrieblichen Nutzung der»subjektivität«der Arbeitenden kommt. Zum einen müssen nun umfassender»subjektive«potenziale eingesetzt werden, die weit über die zuvor beruflich erforderlichen Fähigkeiten hinausgehen: Kreativität, Kommunikativität, Sozialkompetenzen und vieles andere mehr. Zum anderen (und vor allem) geht es darum, dass Beschäftigte ihr»subjektsein«, das heißt ihre Fähigkeit, ihr Handeln selbstbestimmt steuern zu können und zu wollen, im Rahmen der Arbeit wesentlich stärker einsetzen müssen allerdings nach wie vor für Ziele, die in der Regel durch die Produktions- und Profitinteressen der Unternehmen und nur selten (wenn überhaupt) durch ihre Interessen als Arbeitskraft oder als individuelle Person geprägt sind. Während die»subjektivität«von Arbeitskräften in früheren Zeiten eher als betrieblicher»störfaktor«galt, der (etwa durch eine rigide tayloristische Arbeitsorganisation) nach Möglichkeit ausgeschaltet werden sollte,wird sie mit dieser neuen(»posttayloristischen«) Logik zu einer begehrten, oft explizit geforderten und systematisch genutzten Ressource für die Betriebe. Statt wie bisher (wenn überhaupt) nur in engen Spielräumen selbstständig zu handeln, sollen die Beschäftigten nun genau dies leisten, nicht selten auch noch»unternehmerisch«denken und sich maximal intrinsisch mit den Betriebszielen identifizieren. Die betriebliche Steuerung von Arbeit verschwindet dabei keineswegs. Zwar wird die direkte Detailsteuerung an vielen Stellen zurückgenommen, um die gewünschte»selbstorganisation«und»selbstverantwortung«der Arbeitenden zu ermöglichen, 32
8 dafür nehmen jedoch sogenannte»indirekte«steuerungen zu: Zielvereinbarungen, strikte Ergebnis- und Qualitätskontrollen, harter Termindruck, Ressourcenbegrenzung, sozialer Druck, betriebskulturelle Indoktrination. Es findet also auf einer (systemisch gesehen) höheren Ebene erneut eine betriebliche Steuerung der Arbeitenden statt die nun oft wesentlich perfider und unausweichlicher wirkt. Derartige Strukturveränderungen von Arbeit erfordern eine neuartige Qualität der allgemeinen gesellschaftlichen Verfassung von Arbeitskraft, deren Eigenschaften mit dem Konzept des»arbeitskraftunternehmers«genauer bestimmt werden können. Der Arbeitskraftunternehmer: Eine neue gesellschaftliche Grundform von Arbeitskraft und ihre gesundheitlichen Risiken Beim Konzept des Arbeitskraftunternehmers handelt es sich um eine arbeitssoziologische Zeitdiagnose über eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verfassung der»ware Arbeitskraft«(Marx) am Übergang zum flexiblen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts (zuerst Voß/Pongratz 1998; vgl. auch Pongratz/Voß 2003). Der als»arbeitskraftunternehmer«bezeichnete Typus löst, so die Annahme, den auf den frühindustriellen»proletarischen Lohnarbeiter«folgenden»verberuflichten Arbeitnehmer«des letzten Jahrhunderts nach und nach als Leitfigur ab. Hintergrund ist der beschriebene Strukturwandel, bei dem eine rigide direkte Steuerung von Arbeit in den Hintergrund tritt und durch vielfältige indirekte Formen überlagert wird, die den Zugriff auf die Arbeitskraft nicht verringern, sondern verändern und sogar ausweiten. Die Beschäftigten übernehmen jetzt wichtige Anteile der zentralen Ma- 33
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