Vertikalfälle Die aktuelle Praxis des Bundeskartellamts
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- Reinhold Schwarz
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1 Vertikalfälle Die aktuelle Praxis des Bundeskartellamts Kartellrecht Summit 2015 des BUJ 7. Oktober 2015 Dr. Silke Möller Dr. Markus Wirtz
2 Agenda I. Beschränkungen des Internetvertriebs (Dr. Silke Möller) II. Marktstufenübergreifende Preismoderation (Dr. Markus Wirtz) 2
3 I. Beschränkungen des Internetvertriebs 3
4 Internetvertrieb: Die Sicht der Verbraucher! Entwicklung der Verbrauchergewohnheiten Ständig wachsende Beliebtheit des E-Commerce (Online-Einzelhandelsumsatz für Deutschland in 2014: EUR 39,0 Mrd.; jeder Zweite in der EU hat Onlinekäufe getätigt)! Wachsende Erwartungen an Online-Shops, u.a. im Hinblick auf... Funktionalität! Verschmelzung des Online- und Offline-Geschäfts (Multi- und Cross-Channeling) Erreichbarkeit! Direktzugriff auf mehreren Endgeräten (Multi-Screening) Auffindbarkeit von Waren! Personalisierte Vorschläge aufgrund früherer Käufe Sortimentsbreite! "One-Stop-Shopping" 4
5 Internetvertrieb: Die Sicht der Markenhersteller! Interessenlage: Erhaltung eines stationären Händlernetzes Schutz des Markenimages und aufgebauter Reputation Angst vor Preisverfall im Teilnahme am Internetvertrieb aber aus wirtschaftlichen Gründen häufig unvermeidbar (Verbrauchererwartungen)! Bevorzugte Strategie: Regulierung des Internetvertriebs Direktvertrieb über herstellereigenen Online-Shop ebay" Externer Vertrieb über große Internethändler (z.b. Amazon, Otto, Zalando) Eigener Online-Shop der stationären Fachhändler Im Übrigen: Verbot oder weitgehende Beschränkungen des Internetvertriebs 5
6 Internetvertrieb: Die Sicht der stationären Fachhändler! Traditionelles Geschäftsmodell in Gefahr?!?" ebay" Amazon" Marketplace" Verlust von Nachfrage zugunsten populärer Online-Shops aufgrund inhärenter Wettbewerbsnachteile! Hohe Fixkosten des Ladengeschäfts! Risikoloses Einkaufen im Internet (Widerrufsrecht) Reichweite des Angebots im rein stationären Geschäftsbetrieb gerade in ländlichen Regionen oft nicht ausreichend Begrenzte Wahrnehmbarkeit eines eigenen Online-Shops in Suchmaschinen und auf Preisvergleichsseiten! Ambivalente Sichtweisen Einige Fachhändler möchten Internetvertrieb ausdehnen " Beschränkungen als Hindernis Andere sehen Internetvertrieb insgesamt kritisch " Beschränkungen als Schutzschirm 6
7 Internetvertrieb: Presseberichte Hornbach setzt auf Online-Handel! Mehr als 100 Millionen Euro Umsatz im Internet! Die Aufholjagd in den Sommermonaten begründete Albrecht Hornbach, der Vorstandsvorsitzende der Hornbach Holding AG [auch damit,] "dass wir unser Geschäftsmodell immer stärker digitalisieren und das klassische stationäre Geschäft mit dem Online-Handel kombinieren".! F.A.Z. vom Media-Markt jetzt noch stärker auf Ebay! Mit Ebay online in der Innenstadt einkaufen DER SPIEGEL 25/2014, S. 72 Metro-Elektronikableger will auf allen Verkaufskanälen präsent sein! Seit rund drei Jahren arbeiten die Saturn-Elektronikmärkte mit Ebay zusammen. Jetzt weitet die zum Handelskonzern Metro gehörende Media- Saturn-Holding ihre Kooperation mit dem Internet-Marktplatz aus. [...] [Sie] gilt als wichtiger Baustein in der Strategie des Elektronikhändlers, seine Produkte auf vielen Kanälen anzubieten und damit im Netz neue Kundengruppen erschließen zu wollen.! Unter bundesweitem Medieninteresse und im Beisein von Ebay- Deutschland-Chef Stephan Zoll ist am Freitag der Startschuss für das Pilotprojekt "Mönchengladbach bei Ebay" gefallen. Rund 50 Händler sind mit dabei, weitere werden folgen. Rheinische Post Online vom F.A.Z. vom Oktober 2015 Vertikalfälle die aktuelle Praxis des Bundeskartellamts
8 Internetvertrieb: Die Rolle des Bundeskartellamts! Zentraler Standpunkt: Anpassung an veränderte Verbraucherbedürfnisse Internet als zunehmend verbreitetes Einkaufsmedium Wunsch nach Koexistenz verschiedener Bezugswege (online/offline)! Konsequenzen für Wettbewerbspolitik Gewährleistung gleicher Attraktivität der Vertriebskanäle Hersteller soll nicht diskriminieren dürfen Verbesserung der geographischen Reichweite kleiner und mittlerer Händler durch Internetpräsenz Eindämmung von Möglichkeiten der vertikalen Preisbindung "durch die Hintertür" Erzielung von Vertragsgerechtigkeit in Vertriebsvereinbarungen! Beschränkungen nur in Form qualitativer Anforderungen! Beschränkungen nur im Rahmen des im Einzelfall Erforderlichen 8
9 Internetvertrieb: Abgrenzung zulässiger/unzulässiger Beschränkungen! Daher inzwischen Verlagerung der Aufmerksamkeit von Herstellern, Fachhändlern und insbesondere auch Intermediären (z.b. Plattformbetreibern) auf die zentrale Frage: "Wo verlaufen die Grenzen zulässiger Beschränkungen?" 9
10 Internetvertrieb: Unzulässigkeit von Totalverboten! Ausgangslage der aktuellen Diskussion Unzulässig: (Faktische) Totalverbote des Internetvertriebs! Nicht freistellungsfähige Kernbeschränkung i.s.v. Art. 4 lit. b bzw. c Vertikal-GVO! EuGH in "Pierre Fabre" (2011): Klarstellung der Unzulässigkeit des (faktischen) Totalverbots auch für selektive Vertriebssysteme "@" Zulässig: Anforderungen an Online-Händler in Bezug auf parallelen stationären Vertrieb! Existenz eines Ladengeschäfts! Vorgabe eines Mindestumfangs (absoluter Wert) für stationäre Verkäufe 10
11 Internetvertrieb: Plattformverbote und Logo-Klauseln! Worum geht es? Verbot des Warenabsatzes über "offene Verkaufsplattformen" im Internet (z.b. Ebay, Amazon Marketplace) Verbot, auf offener Verkaufsplattform einen Link zum eigenen Online-Shop des Händlers zu platzieren,!...wenn dabei das Logo des Plattformbetreibers sichtbar ist!...wenn der Link zu Werbezwecken das Markenlogo des Herstellers zeigt ebay" Amazon" MP" 11
12 Internetvertrieb: Plattformverbote und Logo-Klauseln! Entscheidungspraxis des BKartA ("Adidas", "Asics") Einordnung als Kernbeschränkung innerhalb und außerhalb selektiver Vertriebssysteme (Faktische) Vorenthaltung eigenständiger Vertriebskanäle ist keine qualitative Anforderung Einzelfreistellung zur Lösung von Trittbrettfahrerproblemen nicht erforderlich und geeignet 12
13 Internetvertrieb: Plattformverbote und Logo-Klauseln! Uneinheitliche Rechtsprechung der Instanz- und Obergerichte Beispiele: OLG München (2009) "Salomon"! Plattformverbot bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Vertikal-GVO freigestellt! Keine Kernbeschränkung i.s.e. Kundenkreisbeschränkung, da Kunden von Plattformen keine eigenständige Kundengruppe bilden KG (2009) "Scout"! Plattformverbot als qualitative Anforderung im selektiven Vertrieb zulässig (obiter) OLG Schleswig (2014) "Casio"; ebenso LG Frankfurt in zwei Fällen (2014) "Deuter", "Coty" (Luxusparfums)! Als Kernbeschränkungen keine Freistellung des Plattformverbots! Keine Anerkennung als zulässige qualitative Anforderung! Bislang keine höchstrichterliche Stellungnahme des BGH zu (faktischen) Plattformverboten 13
14 Internetvertrieb: Handlungsrahmen zu Plattformverboten und Logo-Klauseln! Grundsätzlich gilt: Plattformverbote, Logo-Klauseln etc. als "Vertriebskanalverbote" unzulässig (Beschränkungen des "Ob" des Internetvertriebs) Anders hingegen Rn. 54 der Vertikal-LL zu Logo-Klauseln! Anforderungen an das "Wie" des Internetvertriebs in Grenzen zulässig Insbesondere zu beachten: Gleichbehandlung der Vertriebswege ("Äquivalenzprinzip") Im selektiven Vertrieb: Qualitative Anforderungen ebenfalls nur unter Beachtung des Äquivalenzprinzips zulässig! Konkrete Beispiele potentiell zulässiger Qualitätsvorgaben: Art und Weise der Warenpräsentation Vorzuhaltende Sortimentsbreite Einhaltung bestimmter Beratungs- und Servicestandards (z.b. Telefon-Hotline) Eröffnung der Möglichkeit für Verbraucher zur individuellen Eingrenzung ihrer Produktsuche Anzeige der Suchergebnisse (z.b. nur Angebote autorisierter Händler bei Eingabe der Hersteller-Wortmarke) 14
15 Internetvertrieb: Doppelpreisstrategien! Worum geht es? Rabatt- und Zuschusssysteme eines Herstellers!...als Mittel zur Differenzierung des Einkaufspreises im Online-/Offlinevertrieb!...zur verkaufsmengen(un)abhängigen Kompensation besonderer Leistungen oder des Vertriebsaufwands (typischerweise: höhere Kosten des stationären Vertriebs) $$$ 15
16 Internetvertrieb: Doppelpreisstrategien! Entscheidungspraxis des BKartA ("BSH", "Gardena") Unzulässig: Rabattstaffeln, die an die Nutzung der Vertriebskanäle anknüpfen und dabei für den stationären Vertrieb höhere Rabatte gewähren als für den Onlinevertrieb! Faktische Beschränkung einzelner Vertriebswege über finanzielle Anreize Jeder gleichzeitig stationär und im Onlinevertrieb tätige Händler muss potentiell die gleiche Rabatthöhe erreichen können! OLG Düsseldorf (2013) "Dornbracht" Kartellrechtsverstoß durch Rabattvereinbarungen zwischen Hersteller von Badarmaturen und Großhändlern, die Weiterverkäufe an stationäre Fachhändler faktisch stärker begünstigten als Verkäufe an Internethändler! Anknüpfung der Rabatte u.a. an Existenz einer stationären Produktausstellung! Mittelbare Beschränkung des vertraglich erlaubten Internetvertriebs im nachgelagerten Endkundenmarkt 16
17 Internetvertrieb: Handlungsrahmen zu Doppelpreisstrategien! Anforderungen an zulässige Rabattsysteme: Einheitliche Vergütung von Aufwand, der im stationären und Internetvertrieb gleichermaßen anfallen kann! Qualität der Produktpräsentation im Geschäft/im Online-Shop! Qualifikation der Mitarbeiter Übernahme spezifischer Kosten des stationären Geschäftsbetriebs durch fixe und verkaufsmengenunabhängige Zuschüsse des Herstellers! Z.B. für weitergehende Beratungs- und Präsentationsleistungen im Ladengeschäft! Ungeklärt, ob Hersteller mit Rabattsystemen im Einzelfall auf erfahrungsgemäß höhere Kosten des Internetvertriebs reagieren darf (in diese Richtung Rn. 64 der Vertikal-LL) 17
18 Internetvertrieb: Ausblick Bundeskartellamt und Europäische Kommission! BKartA Positioniert sich europaweit als Vorreiter bei der Verfolgung von Kartellrechtsverstößen im Internetvertrieb Eigener Ausblick anlässlich der "Asics"-Entscheidung: "Weitere behördliche oder gerichtliche Verfahren [sind] zu erwarten."! Europäische Kommission Seit Mai 2015: E-Commerce-Sektoruntersuchung Wesentliche Themen des an über Handelsunternehmen versandten Fragebogens:! Existenz herstellerseitig auferlegter Beschränkungen in Bezug auf Online-Verkäufe, Online-Werbung, Nutzung von Preisvergleichsdiensten! Ungleichmäßigkeit der Preisgestaltung zwischen Vertriebskanälen! Kaufverhalten der Endkunden, insb. etwaige Wechselwirkungen zwischen Internet- und stationären Angeboten 18
19 Internetvertrieb: Internationaler Kontext! Dänemark April 2008 Kosmetik! Beanstandung eines vertraglichen Totalverbots des Internetvertriebs! Verfahrenseinstellung nach Ersetzung des Verbots durch im Einzelnen definierte Anforderungen des Herstellers, u.a. an die konkrete Gestaltung des Online-Shops! Frankreich Dezember 2012 und März 2014 HiFi-Geräte! Beanstandung faktischer Verbote von Internetverkäufen im selektiven Vertrieb durch mehrere Hersteller! Berufungsgericht deutet Spielräume für zulässige Beschränkungen des Internetvertriebs zumindest bei komplexen und beratungsintensiven Produkten an 2012 Sektoruntersuchung Internethandel! Untersuchte Warengruppen: Elektrische Haushaltsgeräte, Parapharmazeutika, Parfum 19
20 Internetvertrieb: Internationaler Kontext! Niederlande August 2007 Einbauküchen! Zivilrechtsstreit um ein Doppelpreissystem, durch das der Hersteller seinen stationären Händlern bessere Einkaufspreise gewährte als den Internethändlern! Nach Ansicht des Gerichts kein Kartellrechtsverstoß, da so höhere Kosten der stationären Vertriebstätigkeit ausgeglichen werden konnten! Vereinigtes Königreich August 2013 und März 2014 Elektromobile! Beanstandung verschiedener Klauseln als jeweils unzulässige Vertriebsbeschränkungen:! Totalverbot des Internetvertriebs! Verbot, das Internet als Werbemedium für stationäre Verkäufe zu nutzen! Verbot, mit Internetvertriebspreisen die Hersteller-UVP zu unterschreiten 20
21 II. Marktstufenübergreifende Preismoderation 21
22 Preismoderation: Gesetzliche Anknüpfung! Art. 101 Abs. 1 AEUV Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen [...].! 1 GWB mit identischer Auslegung für das deutsche Kartellrecht! Gemeinsame Kernaussage: Die Preissetzungshoheit muss auf jeder Marktstufe erhalten bleiben 22
23 Preismoderation: Grundkonstellation = $$$ Hersteller Händler Händler Händler 23
24 Preismoderation: Vertikale Preisbindung #" "Hub & Spoke"-Kartell! Grundform der rein vertikalen Preisabsprache ("Preisbindung") In der Praxis häufig als Bündel paralleler, aufeinander bezogener Preisbindungen eines Herstellers/Lieferanten mit seinen Abnehmern Initiative i.d.r. beim Hersteller/Lieferanten! Grundform der horizontalen Abstimmung "über Bande" mithilfe eines gemeinsamen Informationsmittlers ("Hub & Spoke"-Kartell) Gemeinsamer Hersteller/Lieferant häufig in der Rolle des Mittlers Initiative i.d.r. auf Ebene der Händler! In der Realität: Häufig Mischformen ohne eindeutige Zuordnung Beispiel: LEH-Verfahren des BKartA (dazu sogleich) Unser Verständnis: Preismoderation = Maßnahmen eines Herstellers oder Händlers, die marktstufenübergreifend das Preisniveau beeinflussen sollen 24
25 Preismoderation: Wirtschaftliche Interessen der Beteiligten Hersteller! Anhebung der Verkaufspreise im nachgelagerten Einzelhandel, z.b. um Einkaufspreiserhöhung durchzusetzen oder Margendruck/Ausgleichsforderungen vorzubeugen! Stabilisierung des Einzelhandelsverkaufspreises auf hohem Niveau zur Marken- und Imagepflege Abgrenzung der Markenware von Discounter- und Handelsmarken Händler! Stabilisierung der eigenen Gewinnmargen Zu niedrige Aktionspreise eines Händlers veranlassen weitere Aktionen anderer Händler 25
26 Preismoderation: Verfahren des BKartA zum LEH! Überblick: Verdacht vertikaler Preisabsprachen zwischen Konsumgüterherstellern und LEH in Bezug auf mehrere Warengruppen (ursprünglich: Süßwaren, Kaffee, Tiernahrung) Ausgangspunkt: Hinweise aus vorherigen horizontalen Kartellverfahren (daher Verdacht, dass horizontale Preisabsprachen über LEH an Verbraucher weitergegeben wurden) Januar 2010: Durchsuchungen an 15 Unternehmensstandorten (LEH und Hersteller) April 2010: "Handreichung" der 11. Beschlussabteilung 2011: Erweiterung der Ermittlungen auf Bier, Körperpflege, Babynahrung und -kosmetik Dezember 2014, Juni 2015: Erste Bußgeldbescheide über insgesamt EUR 151,6 Mio. im Settlement-Verfahren gegen namhafte LEH-Unternehmen und Hersteller! LEH: Aldi, Das Futterhaus, EDEKA, Fressnapf, Kaufland, Metro, REWE! Hersteller: Alfred Ritter ("Ritter Sport"), Dr. Kurt Wolff ("Alpecin"), Edmund Münster ("Haribo"), Johnson & Johnson (u.a. "bebe", "Penaten")! Wegen Aufklärungsbeiträgen nicht bebußt: Inbev (noch nicht), Melitta 2015/2016: Geplanter Abschluss der noch laufenden Verfahren 26
27 Preismoderation: Verfahren des BKartA zum LEH! Betroffene Warengruppen: Süßwaren, Kaffee, Bier! Gegenstand der Bußgeldbescheide/Ermittlungen: Süßwaren:! "Haribo": Flächendeckende Moderation gleichförmiger Erhöhungen der Verkaufspreise im LEH zwischen 2004 und 2009; Verhinderung von Aktionspreisen u.a. durch Androhung von Belieferungsstopps! "Ritter": Koordinierte Erhöhung von Verkaufspreisen im LEH mit zeitversetzt folgender Anhebung der LEH-Einkaufspreise in den Jahren 2005 und 2008 Kaffee ("Melitta"), Bier ("Inbev"): Wechselbezügliche Zusagen des LEH über Einhaltung von Mindestpreisniveau; Moderation durch Hersteller; Gewährung finanzieller Anreize (z.b. altpreisige Belieferung)! Höhe der Bußgelder, jeweils im Gesamtverfahren: "Haribo": EUR 48,5 Mio. "Ritter": EUR 34,3 Mio. Kaffee: EUR 44,7 Mio. Bier: noch offen 27
28 Preismoderation: Relevanz in anderen Bereichen des Handels! Im Hinblick auf bisherige Verfahrenspraxis: Ist die Thematik der marktstufenübergreifenden Preismoderation nur im Bereich des LEH kartellrechtlich relevant? Eindeutiger Befund: Nein andere Bereiche des Handels ebenfalls betroffen!! Beispiele: 2009 Kontaktlinsen ("CIBA Vision")! Bußgeld: EUR 11,5 Mio. wegen herstellerseitiger "Preispflege"! Systematische Überwachung der UVP-Umsetzung im Internetvertrieb und Intervention bei Abweichungen durch Druckausübung! Selektive Vermarktungsunterstützung für hochpreisige Händler 2012 Elektrowerkzeuge ("TTS Tooltechnic")! Bußgeld: EUR 8,2 Mio. ebenfalls wegen Preispflege! Einhaltung der UVP sichergestellt durch Androhung von Konditionenverschlechterung oder Kündigung des Bezugsvertrags (hier: selektives Vertriebssystem) 28
29 Preismoderation: Kritik an der Praxis des Bundeskartellamts! Standpunkt BKartA: Maßnahmen von Herstellern und Händlern zur Markenführung und Preispositionierung als Fälle kartellrechtlich unzulässiger Preisbindung Keine vertiefte Auseinandersetzung mit denkbaren Effizienzvorteilen in Entscheidungspraxis! Ökonomische Erkenntnisse legen differenzierte Analyse nahe Kompensation wegfallenden Preiswettbewerbs auf Handelsebene durch Intensivierung des Wettbewerbs an anderer Stelle! Effizienzgewinne durch Stimulierung eines ansonsten unzureichenden Servicewettbewerbs bei beratungsintensiven Produkten Legitimes Interesse des Herstellers an vertikaler Preisbindung im Umfeld von stark ausgeprägtem Inter-Brand-Wettbewerb auf Händlerebene (so z.b. LEH)! Allein mit wettbewerbswidrigen Marktmachtmotiven nicht plausibel zu erklären, da Substitutionsgüter vorhanden Preisniveau als Qualitätssignal ggü. Verbraucher 29
30 Preismoderation: Konkrete Verhaltensempfehlungen! Regelmäßig unzulässig und daher unbedingt zu vermeiden: Direkte Abstimmung fester oder mindestens einzuhaltender Verkaufspreise Indirekte Abstimmung von Mindestpreisen (z.b. durch Festlegung von Absatzspannen oder maximaler Preisnachlässe) Anreizsysteme mit dem Ziel der Einhaltung der Hersteller-UVP durch Händler:! Versprechen eines "Preispflege-/Markenpflegebonus"! Androhung finanzieller Nachteile/Lieferstopp Preismoderation und -überwachung durch Hersteller für von ihm belieferte Händler (z.b. "altpreisige Belieferung" bei Anhebung Verkaufspreis) Finanzielle Unterstützung von Werbemaßnahmen im Handel durch Vereinbarung fester Aktionspreise Aufforderung des Händlers ggü. seinem Lieferanten, die diesem bekannten künftigen Wettbewerberpreise zu übermitteln 30
31 Preismoderation: Konkrete Verhaltensempfehlungen! Regelmäßig unbedenklich: Marktbeobachtung auf Einzelhandelsebene durch eigene "Store Checks" oder mithilfe von Dienstleistern, solange kein Kontakt zu Wettbewerbern entsteht Anpassung von Verkaufspreisen infolge eigener Marktbeobachtung Mitteilung von UVP an Händler, solange Empfehlungscharakter klar hervortritt und kein weitergehender Einfluss auf Weiterverkaufspreise genommen wird Erörterung erzielbarer VK-Preise/UVP, sofern sachlich gerechtfertigt durch Einbindung in EKP-Verhandlung Fokus muss auf EKP liegen (kritisch bei Direktvertrieb des Herstellers) Anfrage von Händler an Hersteller zwecks Mitteilung von UVP Aktionspreisunterstützung durch Hersteller in Form der Zahlung eines pauschalen Betrags für Veranstaltung einer bestimmten Mindestanzahl an Verkaufsaktionen in einem Zeitraum! Achtung: Festlegung konkreter Aktionspreise oder Offenlegung der zu anderen Händlern bestehenden Aktionsvereinbarungen wären unzulässig Festlegung bloßer Höchstverkaufspreise 31
32 Preismoderation: Konkrete Verhaltensempfehlungen! Hinweise zur Vermeidung von Kartellrechtsverstößen: Bei (möglicherweise) unzulässigen Versuchen eines Herstellers zur Beeinflussung der Weiterverkaufspreise:! Unmissverständlich distanzieren und dies schriftlich festhalten! Auf eigene Preissetzungsautonomie verweisen Vermeidung von trilateraler Preismoderation mehrerer Händler mit dem gemeinsamen Lieferanten! Keine Thematisierung von Verkaufspreisen anderer Händler in Verhandlungen! Absehen von Meldepflichten für Fälle der Abweichung von UVP In Preisverhandlungen nur Einkaufspreise und Margenerwartungen thematisieren, nicht die daraus ggf. abzuleitenden Weiterverkaufspreise 32
33 Preismoderation: Internationaler Kontext! Österreich LEH-Verfahren! Bußgelder gegen verschiedene Einzelhändler (u.a. EUR 20,8 Mio. ggü. "REWE")! Noch laufendes Verfahren gegen Einzelhändler "SPAR"! Vorwurf: Gebündelte vertikale Preisbindung, abgestimmtes Preisverhalten des LEH bzgl. Molkereierzeugnisse, Bier, alkoholfreie Getränke und Mehl Standpunkt der BWB zu vertikalen Preisbindungen (2014)! Allgemein gehaltene, rechtlich unverbindliche Leitlinien! Erläuterung der Kartellrechtsrelevanz vertikaler Preisbindungen! Liste mit Beispielen regelmäßig zulässiger und unzulässiger Verhaltensweisen 33
34 Preismoderation: Internationaler Kontext! Vereinigtes Königreich August 2011: Milch! Bußgelder i.h.v. GBP 49,5 Mio. gegen vier Supermarktbetreiber und fünf Molkereien wegen trilateraler Koordination von Preiserhöhungen ("Hub & Spoke") April 2010: Tabak! Bußgelder i.h.v. GBP 225 Mio. (später teilweise aufgehoben) gegen zwei Hersteller und zehn LEH-Unternehmen wegen Absprachen zur Aufrechterhaltung der von den Herstellern gewünschten Preisrelationen verschiedener Marken im Einzelhandel Dezember 2003: Spielwaren! Bußgelder i.h.v. GBP 22,5 Mio. gegen zwei Vertriebshändler von Spielwaren wegen trilateraler Preisabsprachen mit einem gemeinsamen Lieferanten (Hersteller), dessen Bußgeld aufgrund eines Kronzeugenantrags erlassen wurde August 2003: Fußballtrikots! Bußgelder i.h.v. GBP 18,6 Mio. gegen insgesamt zehn Unternehmen wegen vertikaler Preisbindung auf mehreren Ebenen (Lizenzgeber, Hersteller, Händler) im Vertrieb von Fußballtrikots 34
35 Preismoderation: Aktivitäten der Kommission! E-Commerce-Sektoruntersuchung: Fragebogen auch mit spezifischem Bezug zu vertikaler Preispflege Existenz von Vorgaben seitens der Lieferanten ggü. Einzelhändler bzgl....! Mindestpreisen! Höchstpreisen! Preisankündigungen! Erlaubten Spannen für Preisermäßigungen! Garantierten Gewinnmargen Art und Weise der Überwachung solcher Vorgaben durch die Lieferantenseite? Werden solche Vorgaben vom Einzelhandel eingehalten? Verfolgt der Einzelhandel selbst die Preissetzung der Wettbewerber? Wenn ja, wie? 35
36 Dr. Silke Möller Dr. Markus Wirtz! Glade Michel Wirtz Kasernenstraße Düsseldorf T +49 (0) F +49 (0) s.moeller@glademichelwirtz.com m.wirtz@glademichelwirtz.com 36
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