Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit geistiger Behinderung / Menschen mit psychischer Erkrankung
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- Christa Renate Schwarz
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1 Durch Aktion Mensch geförderte Projekte des AWO-Bundesverbandes ( ): Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit geistiger Behinderung / Menschen mit psychischer Erkrankung Schwerpunkte der beiden Projekte zum Bereich Selbstbestimmung und Teilhabe für Menschen mit geistiger Behinderung bzw. Menschen mit psychischer Erkrankung an jeweils 2 AWO-Standorten waren die Erhebung struktureller und inhaltlicher Rahmenbedingungen zum Thema Partizipation, die Befragung aller Klienten anhand eines eigens dafür entwickelten Frageinstrumentes, die Erstellung einer Sozialraumanalyse für die Einrichtungen als Grundlage für die individuelle Sozialraumerweiterung und Netzwerkarbeit sowie die Umsetzung einrichtungsbezogener Maßnahmen zur Förderung der Partizipation. Auf Basis der gewonnenen Daten und Erkenntnisse wurden Massnahmepläne der Einrichtungen und Dienste erstellt, die durch konkretes Handeln, Beratungs- und Fortbildungsangebote für Klienten und Mitarbeiter/innen die Teilhabechancen erweitern sollten. Die Implementierung neuer konzeptioneller Ansätze zur Teilhabe wurde durch eine externe Beratung begleitet; am Ende des Projektes stand die gemeinsame Bewertung des Erreichten zusammen mit allen Beteiligten sowie die Festlegung neuer fachlicher Standards für die Einrichtungen und Dienste. Zum Abschluss des Projektes wurde eine Fachtagung zum Thema Zukunft Teilhabe durchgeführt; 80% der Teilnehmer/innen waren Betroffene. Projektträger war der AWO-Bundesverband; die gos wurde mit der Durchführung der beiden Projekte beauftragt. Die Projekte wurden von folgenden Expert/innen begleitet und beraten: Prof. Dr. Iris Beck (Universität Hamburg) Prof. Dr. Petra Gromann (Universität Fulda) Jörg Holke ( Aktion Psychisch Kranke; Bonn) Karl Stengler (BHH Sozialkontor; Hamburg). Im Bereich Menschen mit geistiger Behinderung haben an 2 Standorten (3 Wohneinrichtungen, 1 Aussenwohngruppe und 2 Dienste Ambulant Betreutes Wohnen) insgesamt 140 Klienten am Projekt teilgenommen, davon leben 85 Klienten in stationären Wohnformen und 55 werden ambulant betreut. 40 % der Klienten sind weiblich. Fast 60% der Menschen mit geistigen Behinderungen sind jünger als 40 Jahre; der Anteil derjenigen, die 57 Jahre und älter sind, beträgt lediglich 12 %. Nur 2,1% der Klienten sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt; knapp 89% besuchen eine WfbM. Betrachtet man die Größe der Wohngruppen, so ist festzustellen, dass die unter den gegebenen Bedingungen optimale Gruppengröße von max. 6 Personen im ambulanten Bereich (Wohngemeinschaft) und bei der einzigen Aussenwohngruppe realisiert wurde. Im stationären Bereich sind lediglich 1/3 der Wohngruppen in dieser Größenordnung vorzufinden. Der Rest umfasst teilweise Gruppengrößen von über 12 Personen. Im Bereich Menschen mit psychischer Erkrankung haben an 2 Standorten (2 Wohneinrichtungen, 1 Aussenwohngruppe, 2 Dienste Ambulant Betreutes Wohnen und 1 Tagesstätte) insgesamt 241 Klienten mit psychischen Erkrankungen am Pro- 1
2 jekt teilgenommen, davon leben 177 Klienten in stationären Wohnformen und 64 werden ambulant betreut. Mit über 73% (zu 61% bei den Menschen mit geistigen Behinderungen) ist der Anteil der Klienten mit psychischen Erkrankungen und seelischen Behinderungen, die in Wohnstätten leben, im Projekt standortbedingt besonders hoch. 67 % der Klienten sind männlich. Die Altersverteilung bei den Menschen mit psychischen Erkrankungen zeigt mit ca. 66% einen deutlichen Überhang von älteren Klienten; der Anteil der über 65jährigen beträgt bereits 9%. Nur 2,5% der Klienten sind auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt; lediglich 15% der Menschen besuchen eine WfbM, während es bei den Menschen mit geistigen Behinderungen über 88% sind. Auch der Anteil der Klienten ohne jede Beschäftigung ist mit über 18% signifikant höher. Der Einzelzimmeranteil im stationären Wohnen ist mit ca. 41% sehr gering, wodurch die Akzeptanz der Wohnform erheblich beeinträchtigt wird. Gleiches gilt für das Verhältnis von Klienten zu der Anzahl von Badezimmern (+Toiletten); so teilen sich statistisch gesehen 3 Klienten ein Bad. Bei der strukturellen Betrachtung der in diesen Einrichtungen und Diensten beschäftigten Mitarbeiter/innen in beiden Projekten fällt der hohe Anteil von Pflegefachkräften auf (insbesondere im stationären Wohnen). Dieser steht nach den bisherigen Erkenntnissen nicht in einer angemessenen Relation zu der geleisteten Pflege; es müssen also andere Gründe bei der Mitarbeiterzusammensetzung eine Rolle gespielt haben. Im stationären Bereich beträgt der Anteil der pädagogischen Fachkräfte lediglich ein gutes Drittel der Beschäftigten; im ambulant betreuten Wohnen sind es 85%. Zieht man ein vorläufiges Fazit aus der Erhebung struktureller Daten, so ist festzustellen, dass eine ganze Reihe von Strukturmerkmalen identifiziert werden konnten, die eher als hinderliche Faktoren zu bewerten sind. Dazu zählen z.b. eine ungünstige Geschlechter- und Altersverteilung, teilweise schwierige bauliche Bedingungen (hoher Doppelzimmeranteil; kein eigenes Bad oder eigene Toilette), zu wenig Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem 1. Arbeitsmarkt oder gar keine Beschäftigung und eine Mitarbeiterstruktur, die im Hinblick auf die Aufgabenstellung in der Eingliederungshilfe zu hinterfragen ist. Auch wenn diese zusammenfassende Bewertung natürlich weder der einzelnen Einrichtung gerecht werden kann noch Rückschlüsse auf die Einrichtungen und Dienste der AWO insgesamt zulässt, so ergeben sich doch Hinweise auf strukturelle Probleme, die auch an anderer Stelle ein Mehr an Selbstbestimmung und Teilhabe verhindern könnten. Bei der Bestandserhebung in den teilnehmenden Einrichtungen und Diensten ging es neben der Erfassung relevanter Strukturdaten auch um eine inhaltliche Bewertung des Sachstandes zum Thema Partizipation. Dabei wurden insgesamt 90 (stationäres Wohnen) bzw. 78 Items (ambulant betreutes Wohnen) in 7 Themenbereichen überprüft: Wohnen Zielvereinbarungen und Förderplanung Interessenvertretung 2
3 Sozialraumorientierung Arbeit und Beschäftigung Tagesstruktur in beschäftigungsfreien Zeiten Mitarbeiter/innen Anhand der Einzelauswertungen konnten die Stärken und Schwächen der teilnehmenden Einrichtungen und Dienste analysiert werden; mit Hilfe zusammenfassender Bewertungen wurden Ansatzpunkte für die künftige konzeptionelle Arbeit insgesamt deutlich: Im stationären Wohnen bestand offensichtlich erheblicher Nachholbedarf in den Themenfeldern Zielvereinbarungen und Förderplanung sowie Mitarbeiter/innen. Das Thema Interessenvertretung war in der Umsetzung eher schwach ausgeprägt; in ähnlicher Weise galt dies auch für die Bereiche Sozialraumorientierung und Tagesstruktur in beschäftigungsfreien Zeiten. Schwerpunkte lagen in der Verbesserung der Hilfeplanung, der Einführung der individuellen Sozialraumorientierung, der Stärkung der Wahrnehmung von Mitspracherechten und der besseren Einbeziehung der Mitarbeiter/innen in Partizipationsprozesse. Im Bereich der ambulanten Betreuung von Menschen mit Behinderungen waren die Themenfelder Interessenvertretung, Tagesstruktur in beschäftigungsfreien Zeiten und Mitarbeiter/innen besonders problematisch in der Umsetzung. Auch die beiden Bereiche Sozialraumorientierung und Arbeit und Beschäftigung wurden ähnlich bewertet. Positiver im Vergleich zum stationären Wohnen wurden die Themenkomplexe Wohnen und Zielvereinbarungen und Förderplanung beurteilt. Bei der ursprünglichen Erstellung der Konzeption des Projektes war nicht vorhersehbar, dass die Grundannahme, wesentliche Aspekte der Partizipation seien an den teilnehmenden Standorten bereits umgesetzt, mit der Realität in den Einrichtungen und Diensten nicht übereinstimmte. Die Ansicht, man würde bereits überall eine gute Praxis vorfinden und könnte diese durch die Projekte einfach optimieren, war aufgrund der Erkenntnisse aus den Bestandserhebungen und der Ergebnisse der in Interviewform durchgeführten intensiven Klientenbefragung nicht haltbar (320 Interviews). Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die beiden Projekte umzusteuern und eine ganze Reihe zusätzlicher Interventionen zu initieren. Einige Beispiele seien hier stellvertretend benannt: 1. Bereich Menschen mit geistiger Behinderung Jeweils 3 Tage Beratung/Schulung: Orientierungshilfen zur Förderung der Alltagskompetenz Die Bestandserhebung und Begehung der Einrichtungen haben ergeben, dass eine systematische Förderung der Alltagskompetenzen in verschiedenen Lebensbereichen nicht erfolgt und dass keine Hilfsmittel zum Einsatz kommen, die ohnehin in den Einrichtungen auch nicht vorhanden sind. Die befragten Mitarbeiter/innen hatten zu diesem Thema keine verwertbaren Kenntnisse. Das Ziel, die Menschen in den Wohnstätten auf ein selbstbestimmtes Leben mit ggf. ambulanter Unterstützung vorzubereiten, kann somit insbesondere bei den etwas schwerer beeinträchtigten Menschen nicht erreicht werden. Durch den Einsatz einer Spezialistin sollten Fachkenntnisse vermittelt, praktische Hinweise gegeben und die Sensibilisierung und Kreativität der zuständigen 3
4 Mitarbeiter/innen angeregt werden, sich zusammen mit den Klienten dieser Aufgabe zu stellen. 3-tägige zentrale Schulung von Klienten aus verschiedenen Standorten: Aufgaben des Heimbeirats / Präsentation der Beiratsarbeit - Möglichkeiten der Teilhabe durch selbstorganisierte Interessenvertretung Die Bestandserhebungen und Nutzerbefragungen in den Einrichtungen haben ergeben, dass es mehr Anregungen und Unterstützungsleistungen bedarf, um eine effektivere Arbeit der Bewohnerbeiräte und somit der Beteiligung der Klienten zu gewährleisten. Zusätzlich wurde festgestellt, dass bislang keine Interessenvertretungen für die Menschen bestehen, die ambulant unterstützt werden; die Ergebnisse der Nutzerbefragung im ambulanten Bereich machen jedoch deutlich, dass ein großes Interesse an dieser Vertretung besteht. Eine gemeinsame Schulung und Begegnung von Klienten aus verschiedenen Standorten soll hierfür Impulse liefern, die konkrete Präsentation der Beiratsarbeit verbessern helfen und mit den Klienten einen Klärungsprozess initiieren, an dessen Ende auch eine Interessenvertretung im ambulant betreuten Wohnen stehen könnte.) 2. Bereich Menschen mit psychischer Erkrankung Jeweils 9 Tage Coaching Hilfeplanung zu den Schwerpunkten Zukunft - Sozialraumorientierung-Teilhabe (Die Bestandserhebung in den Einrichtungen hat ergeben, dass es noch erheblicher Anstrengungen bedarf, um eine qualitativ angemessene Förderplanung sicherzustellen. Insbesondere die Aspekte Zukunft, Sozialraumorientierung und konkrete Teilhabe müssten Berücksichtigung finden. Die Nutzerbefragungen in den Einrichtungen haben ergeben, dass viele der Klienten mit dem Begriff persönliche Zukunft nichts Reales verbinden konnten; dies gilt insbesondere für den stationären Bereich, in dem ca. 42% der Befragten angaben, dass mit ihnen nicht über ihre persönliche Zukunft gesprochen werde. Es war bei den Erhebungen auffällig, dass die Qualität der Förderplanung im ambulant betreuten Wohnen erheblich besser war als im stationären Bereich. Neben handwerklichen Mängeln - Ziele und Maßnahmen oft zu unspezifisch oder miteinander verwechselt, keine Messung der Zielerreichung - ist vor allem die mangelnde Sicht auf die Klientenperspektive, das einfache Fortschreiben der stationären Situation, ein Haupthindernis bei der Verwirklichung unserer Projektziele. Durch das intensive Coaching mit Hilfe von ausgewiesenen Expert/innen sollen in den Einrichtungen Multiplikatoren fortgebildet werden, die exemplarisch Förderplanungen zusammen mit Klienten erstellen und das dabei erworbene Wissen an die Kolleg/innen weitergeben sollen.) Weitere Themen der zentralen Beratungs- und Fortbildungsmaßnahmen waren Sexualität und Partnerschaft, Zukunftswerkstatt mit Klienten, Wertschätzung und Unternehmenskultur, Vorvertragliche Informationen und Vertragsgestaltung, Förderung von Aktivitäten im Sozialraum, Überblick zum Thema Partizipation, Unterstützte Kommunikation, Verbesserung der Lese- und Schreibfähigkeit von Klienten, Einbeziehung schwerstbehinderter Klienten, Computer- und Internetnutzung und Deeskalationstraining mit Klienten - Gewaltprävention im Sozialraum. 4
5 Eine ausführliche Dokumentation der beiden Projekte wird im Frühjahr 2011 den AWO-Gliederungen zur Verfügung gestellt; diese enthält auch die überarbeiteten Instrumente, die in den Projekten eingesetzt wurden: Bestandserhebung Partizipation, Maßnahmeplan, AWO-Fragebogen zur Partizipation (ambulant und stationär) und das Muster einer Sozialraumanalyse. Gerd Kähler 13. April
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