Zum Situationsargument des Modifiers von Verb-Nomen-Komposita
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- Günther Schwarz
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1 Zum Situationsargument des Modifiers von Verb-Nomen-Komposita Holden Härtl Universität Kassel
2 Fragestellung Auf den ersten Blick scheint das Situationsargument des verbalen Modifiers von Verb-Nomen-Komposita schwer zugänglich: (1) Sitzmöbel, Sägewerk, Kochtopf, Schreibschrift, Tanzbär, Liegestuhl Intuitiv betrachtet sind die hier involvierten Ereignisse keine raum-zeitlich wahrnehmbaren Enititäten im klassischen Sinne. Können wir hier überhaupt eine eigene Variable annehmen? Wenn ja, welcher Art ist sie? 2
3 Inhalt Ich versuche, das ambivalente Verhalten des verbalen Modifiers zu erklären. Schlussfolgernd wird spekuliert, dass eine Ereignisvariable tatsächlich präsent ist. Sie ist eventuell mit einer VP-Projektion gelinkt und generisch gebunden. Auf diese Weise erklären sich die partielle Zugänglichkeit des Ereignisarguments und verschiedene semantisch-pragmatische Befunde. 1. Beobachtungen und Befunde 2. Erklärungsansätze Lexikalische Integrität Semantik / Pragmatik VP-Projektion Referenz und Generizität Phrasale Komposita 3. Schlussfolgerung und Zusammenfassung 3
4 Ausgangspunkt Die semantische Beziehungen zwischen Kopf und Modifier sind vielerlei Gestalt, vgl. Donalies (2005): Nomen agentis: Tanzbär Nomen patientis: Tanzstück Nomen loci: Tanzsaal Der verbale Modifier weist dem Kopf-Nomen eine Eigenschaft zu, s. Bücking (2009: 11): Man beachte, dass v (= e) sich hier als gebundene Variable darstellt. 4
5 Beobachtungen Bei VNK kann das V adverbial modifiziert werden: Manner- und Phasenmodifikation (1) Schnellkochtopf, Kurzfahrticket, Tieftauchrekord, Schönschreibschrift Lokale Modifikation (2) Hallenreittag, Flussschwimmkurs Temporale Modifikation (3) Nachtfahrphobie, Sonntagsfahrverbot Erste Schlussfolgerung: Die Ereignisvariable des Verbs ist präsent und andockbar. 5
6 Beobachtungen Oberhalb des N-Kopfes ist eine adverbiale Modifikation aber ausgeschlossen: (1) a. Ludger Beerbaum reitet lieber in der Halle. b. #Reitturnier in der Halle (2) a. Die Grünen haben das Verbot am Sonntag Auto zu fahren verabschiedet. b. #Fahrverbot am Sonntag (3) a. Max schreibt heute in besonders schöner Weise. b. #Schreibschrift in besonders schöner Weise Fußnote: Bei obligatorischen Argumenten wird N-externe Modifikation manchmal besser, z.b.? Fahrgemeinschaft nach Italien. Konstruktion? Schluss: Die Ereignisvariable ist lexikalisch präsent, aber nicht phrasal / kompositional zugänglich. 6
7 Beobachtungen Wesentlich ist, dass e bei VNK pragmatisch durchaus zugänglich ist. Erschlossen wird e dabei allerdings stets als eine Eigenschaft, niemals raum-zeitlich spezifisch: (1) Karl hat ein paar Strickmuster ausgeschnitten. Das wollte er schon immer einmal lernen. (2) Karl hat ein paar Strickmuster ausgeschnitten. #Das findet nun nächste Woche statt. (3) Karl und Jenny planen schon seit Langem einmal gemeinsam zu stricken. Das findet nun nächste Woche statt. Dies ist ein erster Hinweis darauf, dass das V-Prädikat generisch referiert. 7
8 Erklärungsansatz: Lexikalische Integrität Zunächst einmal greift bei Komposita das Prinzip der lexikalischen Integrität, s. Anderson (1992); Boiij (2009); Den Dikken (2002): Wir wissen aber, dass das Prinzip durchlässig ist: (1) Lexikalischer Semantiker a hard worker nuclear physisist Semantisch: [Lexikalischer Semantik]er]] a [[hard work]er] [[nuclear physis]ist] Morphologisch: [Lexikalischer [Semantiker]] a [hard [worker]] [nuclear [physisist]] 8
9 Lexikalische Integrität und Pragmatik Durchlässig ist das Prinzip insbesondere auch bei pragmatisch erzwungenen Rekonstruktionen: (1) Am Montag stellte die Lehrerin die Arbeit eines Lastkraftwagenfahrers vor. Peter freute sich darüber sehr, denn er will selbst einmal einen fahren. Dabei gilt es, eine gewisse generische Harmonie zu wahren: (2) Am Montag stellte die Lehrerin den Schülern einen Lastkraftwagenfahrer vor.?? Peter freute sich darüber sehr, denn er will selbst einmal einen fahren. (3) Am Montag stellte die Lehrerin den Schülern einen Lastkraftwagenfahrer vor. #Peter hat auch gleich einen mitgebracht. Es zeigt sich, dass trotz lexikalischer Integrität e rekonstruiert werden kann. 9
10 VP-Projektion in VNKs Eventuell kann man dabei sogar von einer VP-Projektion ausgehen. Zum Beispiel beherbergt der Modifier bei VNK auch Argumente des Verbs: (1) Gemüsekochtopf, Schuhputzzeug, Schneekehrmaschine Ferner scheint die V-Projektion durchaus zu Kontrolle fähig: (2) Der Bote überbrachte den Bittbrief Geld zu spenden. Objektkontrolle: [[x bitt- y i ] brief] PRO i geld spenden (3) Der Bote überbrachte den Versprechbrief Geld zu spenden. Subjektkontrolle: [[x i versprech- y] brief] PRO i geld spenden 10
11 Keine spezifische Referenz Spezifische Ereignisreferenz via TP/AgrP wird allerdings blockiert. Dies kann damit begründet werden, dass der Modifier eines Kompositums generell nicht-referentiell ist, s. Lawrenz (2006); Maibauer (2007); Olsen (2003). No-DP!-Constraint bei phrasalen Komposita: (1) a. *der Die-Grauen-Schläfen-Effekt. b. der Graue-Schläfen-Effekt. (2) a. *der Vor-Dem-Ort-Tarif. b. der Vor-Ort-Tarif (3) a. *die Die-Roten-Socken-Kampagne b. die Rote-Socken-Kampange 11
12 Phrasale Komposita Man beachte, dass funktionale Kategorien im Modifier durchaus möglich sind. Dies sind dann aber gewöhnlich Zitate, s. Maibauer (2007); Olsen (2003); Wiese (1996): (1) a. die Der Wal ist ein Säugetier -Aussage (= CP) b. seine Ein Kerl wie ich -Visage (= DP) c. die Wer will das wissen -Grimasse (= CP) Somit legen die Konstituenten ihren funktionalen Modus ab. Zum Beispiel ist bei wh-modifiern eine Bezugnahme auf Interrogativität ausgeschlossen: (2) A: Der Schüler zieht wieder mal seine Wer will das wissen -Grimasse. B: #Die Frau Lehrerin! Ein funktionaler Modus ist im Modifier entwertet, was sich bei Verben in mangelnder Referenzfähigkeit niederschlägt. 12
13 Phrasale Komposita Ähnliches passiert mit der Illokution perfomativer Sprechakte: (1) a. die Trimm-Dich-Bewegung b. diese Ich-Ernenne-Sie-Hiermit-Zum-Beamtem-Auf-Lebenszeit-Haltung c. die Ich-Taufe-Dich-Auf-den-Namen-Lumpi-Katastrophe Wiese (1996): 13
14 Schlussfolgerung Schnellkochtopf N PRO-Referenz DP Pronominale Bezugnahme N 0 Syntax Lexikalische Integrität Generische Referenz VP Av V N Morphologie / Lexikon SF [[koch-]]: GENe [KOCH(e) AGENT(e,x) PATIENT(e,y)] 14
15 Schlussfolgerung Die Ereignisvariable des V bei VNK ist präsent. Unterhalb des N-Kopfes sind adverbiale Modifikationen möglich. Oberhalb ist eine pragmatische Rekonstruktion und Bezugnahme auf e möglich, aber stets nur als generisches Ereignis / Eigenschaft, nie als Raum-Zeit-Entität. Es spricht einiges für die Annahme einer VP bei VKN, aber nichts für die entsprechenden funktionalen Projektionen. Die Generizität von e wird auch durch die Modusentleertheit phrasaler Komposita nahe gelegt. 15
16 . Vielen Dank. Ich danke Sven Kotowski, Andrew McIntyre und Ilse Zimmermann für wertvolle Hinweise und Diskussion. Neben der bereits genannten Literatur habe ich Davidson (1980); Maienborn (2001), (2010); Olsen (2000) und Witt (1998) verwendet. 16
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