Völkerrecht und Weltbürgerrecht
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- Ingeborg Hermann
- vor 6 Jahren
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1 Geisteswissenschaft Bernhard Koch Völkerrecht und Weltbürgerrecht Kant und Habermas Wissenschaftlicher Aufsatz
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3 Bernhard Koch Völkerrecht und Weltbürgerrecht Kant und Habermas 1 Jürgen Habermas sei, so schrieb Julian Nida Rümelin im Tagesspiegel, seit dem Tod von John Rawls der bedeutendste lebende politische Philosoph der Gegenwart. 2 Nun kann man über solche Urteile immer streiten in dem von Nida Rümelin getroffenen liegt ja auch eine Hierarchisierung erst Rawls, dann Habermas die selbst nicht unproblematisch ist. Aber wir alle wissen: Die Massenmedien lieben solche Hierarchisierungen; man muss nur an die Intellektuellen Rankings der Zeitschrift Cicero denken. Zweifellos aber erhält kein Philosoph in Deutschland so viel Aufmerksamkeit wie Jürgen Habermas, wenn er sich zu politischen Fragen äußert. 3 Das ist erfreulich, und zwar aus folgendem Grund: Habermas nimmt zwar zu drängenden Problemen der Gegenwart Stellung, aber sein Urteil ist nicht spontan oder intuitiv, sondern er schöpft aus seiner enormen Kenntnis der Geistesgeschichte und aus einem konzeptuellen Ansatz in der politischen Theorie. Dadurch können seine Stellungnahmen immer auch zu einer Vertiefung der Sachfragen Anlass geben ein angenehmer und wichtiger Gegenakzent zu den Verflachungen in den öffentlich vorgetragenen Debatten, vor allem in Rundfunk und Fernsehen. Aus der vielfältigen Weise, wie Habermas bei verschiedenen Fragen auf wichtige Denker zurückgreift und sie aufgreift und weiterentwickelt, nehme ich nur einen Fragenkomplex heraus, nämlich den der Völkerrechtsentwicklung, und dann nur den Bezug zu einem Denker, nämlich Immanuel Kant. Das heißt nicht, dass Habermas Position nicht auf viel breiterer Basis dargestellt werden müsste, ja ich denke sogar, dass dies der Fall ist. Aber es wird so eine anfängliche Begrenzung gesetzt. Ich gehe auch nicht besonders ausführlich auf die Proble 1 Das Manuskript geht auf einen Vortrag, der am 23. September 2009 an der Münchner Volkshochschule gehalten wurde, zurück. Insofern handelt es sich um eine Gelegenheitsarbeit. Meiner Frau Brigitte danke ich sehr für die Durchsicht des Texts. 2 Der Tagesspiegel, Jürgen Habermas ist auch im Bild der Kopf der Philosophie in Deutschland. Man vergleiche nur die Bebilderung des Philosophie Schwerpunkts in der Wochenzeitung Die Zeit vom
4 me der Entwicklung der Europäischen Union ein, weil das heute gar kein eigentlich völkerrechtliches Themengebiet mehr ist, sondern eines sui generis. Immanuel Kant: Ich möchte mit Immanuel Kant beginnen: Kants Denken zielt auf Universalität. Es gibt für ihn keine partikulare Vernunft, sondern Vernunfturteile sind allgemein und können im Prinzip von jedem vernünftigen Wesen nachvollzogen werden. Dieser Anspruch wird bereits in der Philosophie der alten Griechen herausgestellt, zunächst bei Sokrates und dann bei den Sokratikern wie Platon und vor allem den Stoikern. Vor allem über die Vermittlung des Römers Cicero schult sich Kant an den Stoikern. Die Stoiker fordern, dass das (partikulare) Bewusstsein, ein Athener, ein Spartaner, ein Korinther zu sein, aufgehoben wird in dem umfassenden Bewusstsein, zu den vernunftbegabten Wesen zu gehören. Aus dem polites, dem Bürger einer polis, eines Stadtstaats, soll ein kosmopolites, ein Bürger des Kosmos, der umfassenden Ordnung werden. So soll der Kyniker Diogenes aus Sinope, ein Vorläufer der Stoiker, der im Athen des dritten vorchristlichen Jahrhunderts angeblich in einem Fass gelebt haben soll, auf die Frage, woher er stamme, geantwortet haben: Ich bin ein Weltbürger, ein kosmopolites. 4 Der Anspruch des Kosmopolitismus wird bei Kant zum Anspruch, Philosophie in weltbürgerlicher Absicht zu betreiben. Kant, der sein ganzes Leben in Königsberg verbrachte, war, wozu natürlich der sinnliche Augenschein in seiner Heimatstadt, die eine wichtige Hafen und Handelsstadt war, beigetragen haben mag, sich bewusst, dass zutrifft, was er in der Friedensschrift so treffend formuliert: Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen Gemeinschaft so weit gekommen ist, dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstel 4 Diogenes Laertios VI 63. 2
5 lungsart des Rechts, sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staats als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf. 5 Immanuel Kant brauchte man vor über 200 Jahren die Globalisierung nicht zu erklären. Für ihn stand aber fest: Nur insoweit sich das Weltbürgerrecht entwickelt, kann sich die Weltgesellschaft auch dem Ziel des ewigen Friedens annähern. Das kurze Zitat bringt alle wesentlichen Begriffe, die auch heute noch die internationale Rechtsdebatte bestimmen: a) Staatsrecht, b) Völkerrecht, c) Weltbürgerrecht und sogar d) den Begriff des Menschenrechts. Dabei ist Zum ewigen Frieden keineswegs Kants einzige Auseinandersetzung mit diesem Thema. Er hat sich im Lauf seines intellektuellen Lebens immer wieder mit Fragen des Zusammenlebens der internationalen Gemeinschaft beschäftigt. Schon 1784 veröffentlicht er eine Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. Der dritte Teil seiner Schrift Über den Gemeinspruch von 1793 handelt Vom Verhältnis der Theorie zur Praxis im Völkerrecht. Und in der Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre von 1797 beschäftigen sich die Paragraphen mit dem Völkerrecht, der 62 ausdrücklich vom Weltbürgerrecht. Da hier nur begrenzter Raum ist, muss ich mich aber auf die vielleicht völkerrechtlich einflussreichste Schrift Immanuel Kants konzentrieren, und dies ist eben Zum ewigen Frieden von Es ist überhaupt erstaunlich, dass bei Kant der Frieden in eine so wichtige philosophische Rolle rückt. Frieden war ja im Gegensatz zum Beispiel zur Gerechtigkeit, keineswegs ein kardinales Thema bei den meisten politischen Philosophen vom Altertum angefangen. In der Theologie ist das anders: Durch die Friedensbotschaft Jesu angeregt, musste jeder christliche Theologe auch eine Friedensperspektive entwickeln. Manchmal ist ein theologisches Werk sogar gänzlich dem Frieden gewidmet, wie bei De bono pacis des Rufinus von Sorrent aus dem 12. Jahrhundert. 6 Freilich geht es den Theologen immer auch darum, den echten oder wahren Frieden von einem falschen zu unterscheiden. 5 ZeF, Akademie Ausgabe VIII, 360. Vgl. MdS, Akademie Ausgabe VI, Rufinus von Sorrent: De bono pacis, hrsg. u. übers. von Roman Deutinger, Hannover
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