UTB Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

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2 UTB 3039 Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage Böhlau Verlag Köln Weimar Wien Verlag Barbara Budrich Opladen Farmington Hills facultas.wuv Wien Wilhelm Fink München A. Francke Verlag Tübingen und Basel Haupt Verlag Bern Stuttgart Wien Julius Klinkhardt Verlagsbuchhandlung Bad Heilbrunn Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft Stuttgart Mohr Siebeck Tübingen Orell Füssli Verlag Zürich Ernst Reinhardt Verlag München Basel Ferdinand Schöningh Paderborn München Wien Zürich Eugen Ulmer Verlag Stuttgart UVK Verlagsgesellschaft Konstanz Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich

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4 Søren Kjørup Semiotik Aus dem Dänischen übersetzt von Elisabeth Bense Wilhelm Fink

5 Søren Kjørup (geb. 1943), Magister Artium der Philosophie mit Schwergewicht auf Ästhetik. Seit 1974 Professor für Wissenschaftstheorie der Geisteswissenschaften an der Universität Roskilde. Auf Deutsch ist u.a. erschienen: Humanities, Geisteswissenschaften, Sciences humaines (2001). Die dänische Originalausgabe erschien 2002 beim Roskilde Universitätsforlag unter dem Titel Semiotik. Aus dem Dänischen übersetzt von Elisabeth Bense. Die deutsche Ausgabe ist subventioniert durch Institut for kommunikation, virksomhed og informationteknologier, Roskilde Universitet, Dänemark. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliertere bibliografische Daten sind im Internet über http: //dnb.d-nb.de abrufbar Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1 3, Paderborn ISBN: (UTB) ISBN: (Fink) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Satz: Ruhrstadt Medien, Castrop-Rauxel Layout & Einbandgestaltung: Alexandra Brand auf Grundlage der UTB-Reihengestaltung von Atelier Reichert, Stuttgart Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH, Paderborn

6 Inhalt Warum Semiotik? Semiotik im Profil 1 Sprache Sprachliche Systeme Spuren und Dinge Bilder Anhang Glossar Literatur Anmerkungen Index

7 Warum Semiotik? Zeichenbegriffe und Erkenntnisinteressen Semeion ist griechisch und bedeutet Zeichen; Semiotik bedeutet also Zeichenlehre oder Zeichentheorie und diese Bezeichnung wurde von dem englischen Philosophen John Locke ( ) im Jahre 1690 eingeführt (Locke 1975:720, Clarke 1990:40). Aber Semiotik umfasst so mancherlei. Will man die Sache etwas besser in den Griff bekommen, kann man zwei Unterscheidungen treffen, nämlich erstens zwischen zwei Grundauffassungen darüber, was ein Zeichen ist und zweitens zwischen zwei unterschiedlichen Interessen, die zu einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit Zeichen führen können. Zwei Arten von Zeichen Die eine Auffassung des Zeichens können wir die indexikalische nennen. Danach ist ein Zeichen immer ein Zeichen von etwas so wie z.b. das Fieber als Symptom einer Infektion angesehen wird. Das Fieber zeigt sozusagen die Krankheit an, indiziert sie. Unter Berufung auf einen der Väter der modernen Semiotik, Charles Sanders Peirce ( ), nennen wir diese Art Zeichen Indexe. Die indexikalische Zeichenauffassung, die bis aufs Altertum zurückgeht, war lange Zeit auch die einzige. Von Kirchenvater Augustinus ( ; siehe Clarke 1990:23ff) wird sie jedoch durch eine weitere Auffassung ergänzt, die wir die kommunikative nennen können. Danach sind Zeichen in erster Linie Zeichen für etwas oder Mitteilungen über eine Sache; das Hauptbeispiel hierfür wären die Wörter der menschlichen Sprache. Diese Auffassung von Zeichen steht im Mittelpunkt des Interesses des anderen Begründers der modernen Semiotik, nämlich dem schweizerischen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure ( ). Als Träger für die Mitteilungen zwischen Menschen fungieren jedoch auch noch andere Typen von Zeichen als Worte; man denke an Diagramme und Landkarten, Gestik und Embleme, Bilder und Straßenkarten. Darüber hinaus gibt es auch eine Gruppe, die im Gegensatz zu den

8 8 Warum Semiotik? genannten Beispielen nicht von vornherein mit Bedeutungen ausgestattet sind, sondern stattdessen vom kommunizierenden Benutzer als Zeichen ausgewählt wurden so wie ein Schneider seine Stoffproben vorzeigt, oder ein Museum Werkzeug aus Feuerstein. Neben den indexikalischen Zeichen haben wir also zwei Arten von kommunikativen Zeichen: die gewöhnlichen und fast immer schon vorgefundenen, die wir benutzen, um einander etwas zu sagen, und dann die etwas spezielleren, die dadurch entstehen, dass wir selbst ein Zeichen schaffen, um dadurch etwas zu zeigen. Die erste Gruppe kommunikativer Zeichen können wir sprachliche Zeichen nennen, die andere Gruppe dagegen ostensive (nach lateinisch ostento,»ich zeige«; vgl. Jakobson 1974:168). Zwei Erkenntnisinteressen Derjenige, der sich wissenschaftlich mit Zeichen befassen will, kann dies auf der Grundlage zweier verschiedener Interessen tun. Eine Archäologin mag sich der Tatsache bewusst sein, dass sie die Asche oder das rostige Schwert als Zeichen»liest«, die ihr etwas über das Leben der Wikinger berichten sollen; die semiotische Deutung kann also darin bestehen, dass man einzelne Phänomene vor einem zeichentheoretischen Hintergrund interpretiert. Das Gleiche gilt natürlich auch für den Dialektforscher, der herauszufinden versucht, aus welchem Landesteil sein Gesprächspartner stammt, für den Meteorologen, der auf der Basis von Temperaturmessungen, Barometerstand, Wolkenformationen usw. das Wetter vom nächsten Tag voraussagen soll, oder für den Wirtschaftswissenschaftler, der die steigenden Ölpreise als Zeichen einer drohenden Rezession ansieht. Wir haben es in diesen Fällen mit einem Interesse zu tun, das einzelne, konkrete Phänomene als Zeichen interpretieren will, d.h. ein semiotisches Erkenntnisinteresse idiographischer Art. 1 Aber man kann sich mit Zeichen auch aus einem generelleren und übergeordneten Interesse heraus beschäftigen. Wie lassen sie sich kategorisieren? Um welche Art Zeichen handelt es sich bei Bildern? Viele Zeichen gehören bestimmten Zeichensystemen an wie sind diese Systeme aufgebaut? Die umfassendsten und flexibelsten Zeichensysteme, die wir kennen, sind unsere verschiedenen verbalen Sprachen. Die Linguistik ist also ein Hauptbeispiel für diese Art von Semiotik, der ein nomothetisches Erkenntnisinteresse zugrundeliegt, ein Interesse für das Allgemeine oder Gesetzmäßige in dem Bereich.

9 Warum Semiotik? 9 Die beiden Unterscheidungen also die zwischen zwei Auffassungen von Zeichen und die zwischen zwei Erkenntnisinteressen überkreuzen sich natürlich. Wie schon die Beispiele andeuten, ist die indexikalische Semiotik idiographisch, die kommunikative Semiotik dagegen nomothetisch. Indexe stellen sich uns als einzelne dar, die sprachlichen Zeichen gehören zu Systemen, die als Ganzes erforscht werden wollen. Aber es spricht nichts dagegen, z.b. einzelne medizinische Symptome zu kategorisieren oder allgemeine Richtlinien für die Deutung metereologischer Phänomene auszuarbeiten, im Gegenteil. Und in der Hermeneutik geht es ja immer um die Interpretation einzelner kommunikativer Zeichenkomplexe, wie etwa Gedichte, Gesetzestexte oder Spielfilme. Bei einem»semiotiker«handelt es sich also meistens um einen Wissenschaftler, der sich aus einem nomothetischen Erkenntnisinteresse heraus mit Zeichen beschäftigt und Zeichen und Zeichensysteme im Allgemeinen als Forschungsgebiet hat. Aber auch ein Physiker, Biologe, Literaturwissenschaftler, Theaterwissenschaftler, Kulturhistoriker, Anthropologe, Medienforscher oder jeder andere Fachwissenschaftler kann sich bei seiner Forschung durch die nomothetische Semiotik inspirieren lassen und er mag es vielleicht fruchtbar finden, Teile der Physik, Biologie usw. als Zeichen oder Zeichensystem zu betrachten. Da man das Fach»Semiotik«nur an wenigen Hochschulen als selbständige Fachrichtung studieren kann, haben die meisten Semiotiker auch einen anderen wissenschaftlichen Hintergrund. In einer Einführung wie der vorliegenden bildet die nomothetischen Semiotik natürlich den Schwerpunkt. Sicherlich ist es nicht unangemessen, von einer Einführung in die Zeichenlehre zu verlangen, dass man etwas darüber erfährt, wie man Zeichen deutet. Aber derartige praktische Anweisungen sind in diesem Buch selten und zwar nicht nur aus Mangel an Platz. Auch wegen der unbestreitbaren Tatsache, dass die Deutung von Zeichen keine tiefen Einsichten in den Begriff des Zeichens erfordert, sondern statt dessen Einsicht und Wissen über den Bereich der Wirklichkeit, zu dem das Zeichen gehört. Sprache, Spuren und Bilder Grundlegende Einführungen in die Semiotik sind oft als Einführungen in die Begriffe und Theorien herausragender Semiotiker konzipiert. Ich wähle jedoch einen anderen Weg, indem ich die Darstellung thematisch strukturiere, nach den unterschiedlichen Typen von Zeichen. Eigentlich

10 10 Warum Semiotik? entspricht dies Peirces wesentlichstem Beitrag zur Semiotik, nämlich seiner Einteilung der Zeichen nicht in zwei, sondern in drei Gruppen, wobei er Bilder als eine besondere Zeichengruppe auffasst, die er»ikone«nennt. Diese stehen den Indexen gegenüber und denen, die er»symbole«nennt, und die für ihn Zeichen mit ausschließlich konventioneller Bedeutung sind (so wie die Wörter der Sprache). Das lange Kapitel 1 stellt eine Einführung in die Hauptbegriffe der strukturalistischen Variante der Semiotik dar, wie sie von Saussure vor fast 100 Jahren begründet wurde, und die man oft als Semiologie bezeichnet. Es ist aber notwendig, dies durch einige Erkenntnisse der neueren Sprachphilosophie zu ergänzen, wie auch durch einen kurzen Blick auf den Zeichenbegriff von Peirce. In Kapitel 2 sollen auf kleinerem Raum einige der semiologischen Zeichenbegriffe und Denkweisen beispielhaft erläutert werden, indem wir uns einige unterschiedliche kommunikative Zeichensysteme mehr oder weniger sprachlichen Charakters etwas näher ansehen. Das ebenfalls kurze Kapitel 3 befasst sich dann mit Indexen und der Logik, derer wir uns bedienen, wenn wir sie entschlüsseln. In diesem Zusammenhang werde ich auch auf Dinge als kommunikative ostensive Zeichen eingehen. Das wieder etwas längere Kapitel 4 soll erörtern, warum Bilder etwas darstellen können das verdankt sich nämlich nicht der Ähnlichkeit! und in diesem Zusammenhang werden wir uns verschiedene Typen von Bildern oder bildartigen Zeichen etwas genauer ansehen. Der Vorteil einer solchen thematisch strukturierten Konzeption des Buches ist natürlich, dass die verschiedenen Hauptfragen der Semiotik zusammenhängend und so tiefgehend, wie es ein solches Büchlein zulässt, diskutiert werden können. Dabei liegt eine bestimmte theoretische Position zugrunde, nämlich die, die ich mir durch meine semiotischen und sprachphilosophischen Forschungen seit den sechziger Jahren erworben habe. Freilich kann die Darstellung einzelner Semiotiker und ihrer Theorien nicht ebenso zusammenhängend und tiefgehend sein. Kürzere Darstellungen einiger Semiotiker, wie auch Erklärungen einiger Begriffe der Semiotik finden sich aber im Glossar am Ende des Buches.

11 Semiotik im Profil 1 Sprache In einem semiotischen Zusammenhang sollte man unterscheiden zwischen einer engeren und einer weiteren Bedeutung des Wortes»Sprache«. Im weiteren Sinne deckt das Wort alle Formen von Ausdrucks- oder Kommunikationsmitteln. Wo es Zeichen gibt, gibt es auch Sprache, könnte man beinahe sagen aber das wäre dann auch ein sehr weiter Begriff des kommunikativen Zeichens. Im engeren Sinne deckt das Wort in erster Linie nur die verbalsprachlichen Kommunikationsmittel ab sowie solche, die wesentliche Charakteristika mit denen der Verbalsprachen gemeinsam haben. Und damit ist bereits eine wichtige Frage der Semiotik angedeutet, nämlich welche Sprachen in der weiteren Bedeutung des Wortes auch Sprache im engeren Sinne des Wortes genannt werden können. Die Semiologie Die Grundlage für das in der Semiotik vorherrschende Verständnis von Sprache findet sich wie schon in der Einleitung gesagt bei dem schweizerischen Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure. Er hielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Reihe von Vorlesungen, die in das einführten, was man seither den sprachwissenschaftlichen Strukturalismus nennt. Die Vorlesungen wurden 1915, einige Jahre nach Saussures Tod, als Buch veröffentlicht. Das berühmte und wirklich bahnbrechende Buch heißt Cours de linguistique générale (»Grundzüge der allgemeinen Sprachwissenschaft«), aber sein Text ist nicht der Originaltext von Saussures Vorlesungsmanuskripten, sondern basiert auf Mitschriften seiner Assistenten und Studenten.