Musikverein Regensburg e. V.

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1 Musikverein Regensburg e. V. Donnerstag, 19. November 2015, 19:30 Uhr, Vielberth-Gebäude der Universität (H 24) BELCEA QUARTET Corina Belcea und Axel Schacher, Violine, Krzystof Chorzelski, Viola, Antoine Lederlin, Violoncello Was der vorherrschende Impuls zu sein scheint und was diese Musik antreibt, ist die Sehnsucht des Menschen nach Freiheit sowie das unstillbare Verlangen, seine eigenen Grenzen zu erweitern und dabei die Wahrheit über sich selbst zu erfahren. Was das Belcea Quartet im Vorwort zu seiner Gesamtaufnahme der Beethoven- Streichquartette schreibt, gilt auch für sein gesamtes künstlerisches Wirken. Die Musiker lassen sich nicht von tradierten Grenzen einengen am Londoner Royal College of Music gegründet, ist das Quartet zwar in Großbritannien beheimatet. Mit der rumänischen Violinistin Corina Belcea und dem polnischen Bratschisten Krzysztof Chorzelski bringen jedoch gleich zwei Gründungsmitglieder eine andere künstlerische Herkunft in das Ensemble ein. Wichtige Impulse bekamen sie zudem von ihren Mentoren, Mitgliedern des Alban-Berg- und des Amadeus Quartetts. Dieses Spektrum wird durch die französischen Musiker Axel Schacher (Violine) und Antoine Lederlin (Violoncello) erweitert. Das Belcea Quartet vereinigt diese unterschiedlichen Einflüsse zu einer gemeinsamen musikalischen Sprache. Diese Mannigfaltigkeit spiegelt sich im Repertoire des Belcea Quartets wider. Regelmäßige Uraufführungen gehen mit einer tiefen Verwurzelung in den Werken der späten Klassik und der Romantik einher. Das Quartett findet stets seine ganz eigene, elegante und feine Interpretation der Werke, die in Konzerthäusern weltweit zu umjubelten Auftritten führt, so u. a. im Concertgebouw Amsterdam, dem Palais des Beaux-Arts Brüssel und der New Yorker Carnegie Hall. Das Belcea Quartet ist seit 2010 Quartet in Residence am Konzerthaus Wien (zusammen mit dem Artemis-Quartett) und an der Guildhall School of Music and Drama in London. Die Musiker gründeten kürzlich eine eigene Stiftung, deren Ziel die Anregung und Förderung junger Streichquartette durch intensive gemeinsame Probenarbeit ist. Außerdem will sie führende zeitgenössische Komponisten durch die Erteilung von Kompositionsaufträgen unterstützen. Das Belcea Quartet kann auf eine beeindruckende Diskographie verweisen, z.b. sämtliche Streichquartette von Britten und Bartók sowie Werke von u. a. Schubert, Mozart und Dutilleux und 2013 haben die Musiker Beethovens sämtliche Streichquartette für ZigZag Territoires, das neue Exklusiv-Label des Ensembles, aufgenommen. In der Spielzeit 2014/2015 war das Ensemble in herausragenden Konzerten zu erleben, unter anderem in der Wigmore Hall London, dem Konzerthaus Wien, der Carnegie Hall New York sowie mit einem Brahms-Zyklus im Stockholms Konserthus.

2 - 2 - Programm Joseph Haydn Streichquartett Hob. III:81 op. 77/ G-Dur Komplimentierquartett Allegro moderato Adagio Menuett. Presto Presto Benjamin Britten Streichquartett Nr. 3 op Duets: With moderate movement Ostinato: Very fast Solo: Very calm Burlesque: Fast con fuoco Recitative and Passacaglia (La Serenissima) - Pause - Ludwig van Beethoven Streichquartett Nr. 14 op. 131 cis-moll Adagio ma non troppo e molto espressivo Allegro molto vivace Allegro moderato / Adagio / Più vivace Andante ma non troppo e molto cantabile Presto Adagio quasi un poco andante Allegro Mit Förderung durch die Sparkasse Regensburg

3 - 3 - Joseph Haydn: Streichquartett Hob. III:81 op. 77/1 G-Dur Der Tradition, Streichquartette in Gruppen von sechs Werken zu komponieren und zu veröffentlichen, wollte Joseph Haydn ursprünglich auch mit seinem Opus 77 folgen, wie der Haydn-Biograph Georg August Griesinger mitteilt. Abgeschlossen wurden jedoch im Jahre 1799 nur zwei Quartette, die im Jahre 1802 publiziert wurden. Ein damals von Haydn begonnenes Nachzüglerwerk blieb unvollendet; der Komponist ließ die beiden abgeschlossenen Mittelsätze nach einiger Zeit als Paar im Druck erscheinen und setzte ein melancholisches Motto hinzu: Hin ist alle meine Kraft, alt und schwach bin ich! Die beiden Werke op. 77 bilden also den eigentlichen Schlussstein in Haydns Streichquartettschaffen. Gegenüber den vorausgegangenen experimentellen Quartetten des op. 76 zeigt op. 77 eine deutliche Beruhigung und Normalisierung des Tonfalls wie des Formverlaufs. Das einzig auffällige neue Merkmal ist die Umbildung der Menuett-Sätze (die allerdings noch diesen Namen tragen) zu Scherzi, wie sie zeitgleich bei Beethoven stattfindet. Dass Haydn sich hierbei durch die Scherzosätze in Beethovens ersten damals veröffentlichten Kammermusikwerken inspirieren ließ, ist nicht ganz auszuschließen. Op. 77/1 beginnt mit einem breit angelegten Sonatensatz, dessen Hauptthema im Tonfall eines Marsches einsetzt. Der Seitensatz, eine kurze lyrische Melodie, taucht erst gegen Ende der Exposition auf, nachdem bereits eine Variante des Hauptthemas in der Dominante erschienen war, so als wolle dieses Allegro moderato monothematisch verlaufen. Die Durchführung bietet weniger motivische Arbeit als harmonische Neubeleuchtung durch gezielte Dur/Moll-Kontraste. In der Reprise fehlt der lyrische Seitensatz, so dass der marschartige Charakter des Hauptthemas vollends dominiert. Für Haydn untypisch ebenfalls in Sonatenform gehalten ist das feierlich-meditative Adagio, welches ins terzverwandte Es-Dur ausweicht. Im Hauptthema verbinden sich auf eigenwillige Weise Pathos und zarte Lyrismen, kraftvoller Forte-Beginn und sanfte Fortsetzung im Piano. Auch satztechnisch greift Haydn zu sonst bei ihm eher seltenen Mitteln: Über weite Strecken führen erste Violine und Cello ein Zwiegespräch, während die Mittelstimmen akkordisch begleiten. Das Menuett, im Tempo zum Presto gesteigert, steht, wie schon beschrieben, dem Beethovenschen Scherzo-Typus nahe. Der Hauptteil ist von heftigen rhythmischen Akzenten geprägt, und diese Dynamik setzt sich in den Mittelteil hinein fort, in dem je vier Takte durch Tempo und Motivik zur kleinsten metrischen Einheit zusammengefasst erscheinen. Im Finale, einem monothematischen Sonatensatz, spielen die ersten drei Töne des Hauptthemas bei der folgenden Verarbeitung die ausschlaggebende Rolle. Es ist erstaunlich, was Haydn aus diesem bescheidenen Material in der Durchführung macht, wobei er sich für die Reprise noch ein paar überraschende weitere Varianten aufspart. Benjamin Britten: Streichquartett Nr. 3 op. 94 Benjamin Brittens Reputation als Komponist beruht in erster Linie auf seinen Opern und Vokalwerken. Jedoch spielte auch die Kammermusik in Brittens Schaffen eine nicht zu unterschätzende Rolle, und in diesem Bereich liegen die Wurzeln seines Oeuvres. Britten, der selbst im Klavier- und Bratschenspiel unterrichtet wurde, begann bereits im Alter von fünf

4 - 4 - Jahren kleine Stücke zu komponieren, die im Familienkreis aufgeführt werden konnten, darunter eine Violinsonate für seinen Bruder Robert und eine Viola-Sonate für sich selbst. Schon mit neun Jahren wagte Britten sich dann an die Gattung des Streichquartetts und ließ diesem jugendlichen Versuch im Jahre 1930 ein Quartettino folgen, in dem er sich mit den progressiven Stiltendenzen der Schönberg-Schule auseinandersetzte. Publiziert wurden diese und weitere Versuche vorläufig ebenso wenig wie ein 1931 komponiertes Quartett in D, das Britten erst in seinen letzten Schaffenstagen revidierte und im Jahr 1975 im Rahmen des von ihm mitbegründeten Aldeburgh Festivals uraufführen ließ. In zeitlicher Nähe hierzu und in weitem Abstand von den offiziell gezählten Streichquartetten Nr. 1 und 2 aus den Jahren 1941 bzw entstand auch Brittens mit der Nummer 3 versehenes Streichquartett, das seine letzte umfangreiche Instrumentalkomposition werden sollte. Im Mai 1973 hatte sich der Komponist einer Herzoperation unterziehen müssen und fühlte sich danach körperlich sehr schwach. In dieser Phase entstand das dritte Streichquartett als bewusster Abschied vom Konzertpodium, ganz ähnlich wie Britten mit seinem 1973 in Aldeburgh erstmals auf die Bühne gelangten Death in Venice nach der Novelle von Thomas Mann seinen Schwanengesang im Bereich des Musiktheaters angestimmt hatte. Auch inhaltlich bestehen zwischen dieser Oper und Brittens op. 94 enge Beziehungen, was in der gesamten Streichquartettliteratur einen ziemlich einmaligen Fall darstellen dürfte. In der Einleitung zur abschließenden Passacaglia, die Britten während seines letzten venezianischen Aufenthalts im November 1975 schrieb, werden die wichtigsten Themen der Oper zitiert. Darüber hinaus kreist das Finale um die Tonart E-Dur, die im Verlauf des Bühnenwerks eng mit der Hauptfigur Aschenbach verbunden ist. Angelegt ist Brittens drittes Streichquartett in einer fünfteiligen Bogenform mit Korrespondenzen zwischen zweitem und viertem sowie zwischen Eröffnungs- und Finalsatz. Der erste, mit Duets überschriebene Satz in frei gehandhabter Sonatenform spielt seinem Titel gemäß mit den verschiedenen Möglichkeiten, die vier Streichinstrumente in Duo-Kombinationen gegenüberzustellen. Der britische Musikwissenschaftler und Britten-Kenner Peter Evans entdeckte in der motivischen Struktur dieser Duets Parallelen zur Musik der ersten Szene des Death in Venice, die Aschenbachs rastloses Umherstreifen in Venedig darstellt. Zudem erklingt zu Beginn des Streichquartett-Kopfsatzes bereits jenes Motiv, das später Grundlage der Final- Passacaglia wird. Im schnelleren, scherzohaften zweiten Satz ertönt über dem titelgebenden Ostinato eine viertönige motivische Figur aus Septimschritten, die fast drei Oktaven umspannt. Das Zentrum der fünfsätzigen Bogenform bildet dann der mit Solo betitelte, very calm zu interpretierende langsame Satz. Dessen rhapsodische Kantilene im Part der ersten Violine ist eine Hommage an Norbert Brainin, den Primarius des Amadeus-Quartetts, das das Werk am 19. Dezember 1976, kurz nach Brittens Tod, uraufführte. Die schrille Burlesque, die an vierter Stelle steht, weist deutliche Parallelen zur sarkastischen Musiksprache Dmitri Schostakowitschs auf, mit dem Britten eine enge Freundschaft verband. Andere Kommentatoren haben hingegen stilistische Ähnlichkeiten mit der Rondo-Burleske aus Mahlers neunter Sinfonie hervorgehoben. Mit La Serenissima ist der Finalsatz überschrieben, der mit seinen gut zehn Minuten Dauer den Schwerpunkt der Komposition bildet. Hier verwendet Britten eine seiner bevorzugten Formen, die Passacaglia. Das einleitende Rezitativ zitiert mehrfach Themen aus Death in

5 - 5 - Venice und kulminiert in einem Unisono aller vier Instrumente, die ganz offen jene Passage am Ende des ersten Akts der Oper zitieren, in der Aschenbach seine homoerotische Liebe zum Knaben Tadzio ausspricht. Wurden in den ersten Sätzen des Quartetts die Tonarten oft verschleiert, so steht die nun beginnende Passacaglia eindeutig in E-Dur. Doch das Ende des vom Tod des Komponisten überschatteten Quartetts zeigt sich erneut tonal mehrdeutig und endet, wie Britten es ausdrücklich beabsichtigte, als offene Frage. Ludwig van Beethoven: Streichquartett op. 131 cis-moll Anfang November 1822 fragte der musikliebende russische Fürst Nikolai Galitzin aus St. Petersburg als ebenso passionierter Amateur der Musik wie großer Bewunderer von Ihrem Kompositionstalent bei Beethoven an, ob er ihm nicht ein, zwei oder drei neue Streichquartette schreiben und zugleich widmen könne. Galitzin, der ein guter Cellist war, bekam seinen Wunsch erfüllt, denn Beethoven hatte ohnehin bereits aus eigenem Antrieb mit der Komposition seines Es-Dur-Quartetts begonnen, das später unter der Opuszahl 127 veröffentlicht werden sollte. Bei diesem einen Gattungsbeitrag sollte es jedoch nicht bleiben. Beethoven geriet beim Komponieren derart in Begeisterung, und die Ideen strömten ihm nur so zu, dass umgehend Pläne zu weiteren Quartetten entstanden. Bester, mir ist schon wieder was eingefallen, pflegte er scherzend und mit glänzenden Augen zu sagen, wenn wir spazieren gingen: dabei schrieb er einige Noten in sein Skizzenbüchlein. Das gehört aber für das zweitnächste Quartett (cis Moll), das nächste (hiermit ist das B-Dur-Quartett mit 6 Sätzen gemeint) hat schon zu viele Sätze. So erinnerte sich Karl Holz, der zweite Geiger des Schuppanzigh-Quartetts und Beethovens Vertrauter in dieser Zeit, an die ungeheure Produktivität, mit der dieser sich in seinen letzten Lebensjahren fast ausschließlich dem Streichquartett widmete. Beethovens Zeitgenossen waren beim Anhören jener oft komplexen späten Werke manchmal überfordert - von der Freiheit des formalen Aufbaus und der Plötzlichkeit der Ausdruckswechsel gleichermaßen irritiert wie durch freie Stimmführungen und ungewohnte Zusammenklänge. Nicht weniger anspruchsvoll erweisen sie sich für die Spieler: Mit Beethovens letzten fünf Quartetten wird die endgültige Trennung von Hausmusik und professioneller Kammermusik vollzogen, die sich seit der Werkgruppe op. 59 schon angekündigt hatte. Musikhistorisch erscheinen diese letzten Streichquartette durchaus janusköpfig. Ihre Konzeption weist zum einen weit ins späte 19. und beginnende 20. Jahrhundert voraus und fand eigentlich erst bei Arnold Schönberg und Bela Bartók eine adäquate Fortsetzung. Zum anderen bezieht Beethoven ganz bewusst die Alte Musik in seine Kompositionen ein: mehrfach schreibt er Sätze in Form einer Fuge oder verwendet, im langsamen Satz von op. 132, als archaisierendes Stilmittel die lydische Kirchentonart. Faszinierend ist es, wie diese so unterschiedlichen Tendenzen sich trotzdem zu einem Werkganzen verdichten. Das kann man etwa im formal besonders experimentell wirkenden cis-moll-quartett op. 131 nachvollziehen, das aus sieben Sätzen von extrem unterschiedlicher Länge besteht. Beethoven selbst verwendete in seinen letzten Quartetten allerdings lieber den Begriff Stücke und verstand darunter Abschnitte, die zwar eine gewisse Selbstständigkeit der motivischen Substanz, aber nicht notwendig eine formale Abrundung aufweisen. Damit kommt den einzelnen Sätzen eine viel geringere Eigenständigkeit zu als in einem klassischen viersätzigen Werk.

6 - 6 - Unterstützt wird dies in op. 131 noch dadurch, dass alle Stücke attacca aufeinander folgen sollen. Aus Beethovens Konversationsheften wissen wir, dass das Schuppanzigh-Quartett durchaus befremdet von dieser Anweisung war. Wann sollen wir stimmen?, fragte Holz den Komponisten, und gab außerdem zu bedenken, dass eine Wiederholung einzelner Sätze auf Wunsch des Publikums eine damals gängige Praxis dadurch unmöglich gemacht werde. Die sieben Stücke des op. 131 lassen sich mit viel gutem Willen auch in das althergebrachte Schema der Viersätzigkeit zwängen, stellen aber dennoch ein ganz neues Mittel der Formgebung dar. Ebenso neu ist Beethovens Idee, die drei Quartette op. 130, 131 und 132 durch ein keimzellenartiges Urmotiv zu zyklischer Einheit zu verbinden. Dieses Motiv, bestehend aus zwei gegeneinander gerichteten Halbtonschritten, taucht in jedem der drei Quartette in leicht abgewandelter Form auf. In op. 131 bildet es den Kopf des schmerzlichgetragenen Fugenthemas ebenso wie das Hauptthema des stürmischen Finales. Bezeichnend für Beethovens Spätstil ist es, dass die eröffnende Fuge keine bloße barocke Stilkopie ist. Der Satz ruht nicht statisch in sich, sondern weist dynamische Entwicklungen auf. Dies wird gleich anfangs deutlich, wenn bereits der vierte Ton des Fugen-Themas mit einem emphatischen Sforzato-Akzent versehen wird. Eine öffentliche Aufführung des cis-moll-quartetts noch zu Beethovens Lebzeiten ist nicht belegt, privat wurde es allerdings sicher gespielt. Karl Holz berichtete später, man habe Schubert das Werk nur wenige Tage vor seinem Tod im November 1828 vorgeführt und dieser sei so begeistert gewesen, dass man um ihn habe fürchten müssen. Und auch der Komponist selbst schätzte, laut Holz, sein op. 131 ganz besonders. Später erklärte er doch für sein grösstes, das Cis-Moll-Quartett, erzählt Holz und zitiert Beethoven mit den Worten: an Fantasie fehlt s, Gottlob, weniger als je zuvor!