Predigt im Pontifikalamt am Sonntag, 2. Oktober 2016, 9.30 Uhr, in St. Antonius Rüdigheim (Kirchweihfest)
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- Gotthilf Dittmar
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1 DER BISCHOF VON FULDA Predigt im Pontifikalamt am Sonntag, 2. Oktober 2016, 9.30 Uhr, in St. Antonius Rüdigheim (Kirchweihfest) Liebe Gemeinde in Rüdigheim! In Israel gibt es zwei große Seen: der eine im Norden, der See Genezareth, der andere im Süden, am Rand der Wüste, das Tote Meer. Beide Seen werden durch ein und denselben Fluss gebildet, durch den Jordan, der mit seinen Quellflüssen im Hermongebirge entsteht, durch den See Genezareth und die Jordansenke fließt und am Ende im Toten Meer verdunstet. Aber beide Seen sind grundverschieden. Der See Genezareth enthält frisches, klares Wasser. In ihm wimmelt es von Fischen und Wassertieren. In seiner Umgebung wächst, zumal im Frühjahr, eine üppige Vegetation wie ein Paradiesesgarten. Dies ist die eigentliche Heimat Jesu Christi. Ganz anders das Tote Meer. In ihm lebt kein einziger Fisch. Kaum eine Pflanze wächst an seinem Ufer. Er ist im wahrsten Sinn des Wortes ein totes Meer. Der Unterschied beider Seen rührt von zwei Gründen her. Der See Genezareth nimmt das Jordanwasser auf, lässt sich erfrischen und gibt es dann weiter. Er ist geöffnet zum Empfangen und zum Geben. Das Tote Seite 1 von 5
2 Meer dagegen nimmt das Jordanwasser nur auf, gibt es aber nicht mehr ab, sondern lässt es bei sich selbst verdunsten. Dazu kommt noch: Sein Untergrund besteht aus salzigem Gestein. Es ist so versalzen und verbittert, dass das Wasser selbst ganz stark versalzen ist und weder in ihm noch in seiner Nähe Leben gedeihen kann. Selbst tot und unfruchtbar tötet es sogar anderes Leben. In diesem Bild der beiden Seen Israels scheint mir unser persönliches Leben und das einer christlichen Gemeinde gut dargestellt zu sein: Leben kann nur sein, wenn es einerseits geöffnet, empfangsbereit ist. Und wenn es andererseits auch Empfangenes bereitwillig weiterschenkt, dem See Genezareth gleich. Wenn das nicht gelingt, muss Leben verkümmern. Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Jesus, unser Herr, konnte sich deswegen das Leben nennen, weil er beides wie kein anderer sonst realisierte: Er war ganz offen Gott gegenüber. Seine Speise war es, den Willen seines Vaters zu tun. Andererseits war er aber auch in unübertrefflicher Weise offen für seine Mitmenschen, schenkte die von Gott empfangene Liebe an andere weiter. ER verschenkte sich bis zur Todeshingabe am Kreuz. Es wird Ihnen, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, sicher auch schon einmal aufgefallen sein, dass das so genannte moderne Denken einen Begriff ausformuliert hat, der vor rund 50 Jahren in unserer Sprache noch gänzlich unbekannt war: Selbstverwirklichung. Das an sich richtige und notwendige Ziel der Selbstverwirklichung wird aber von vielen sowohl atheistisch als auch egozentrisch missverstanden. Autonom halten sie sich selbst für die erste und letzte Instanz ihrer Lebensentscheidung. Individualistisch dreht sich bei ihnen fast alles um das eigene Ich, egoistisch wollen sie alles durchsetzen, was sie sich vorgenommen haben und das nicht ohne Folgen: Seite 2 von 5
3 Es zerbrechen Ehen, weil jede und jeder nur die eigene Verwirklichung sucht, koste es, was es wolle. Die Zahl derer, die nicht mehr bereit sind, sich für andere in der Kirche ehrenamtlich zu engagieren, weil dadurch ihr Privatleben beeinträchtigt würde, wächst rapide. Ich-zentrierte Selbstverwirklichung aber gleicht dem Toten Meer, das in sich verschlossen und tot ist und in dessen Nähe deshalb auch kein Leben gedeihen kann. Genau das ist es, was der Apostel Paulus in seinen Briefen immer wieder mit den Worten Sünde und Tod bezeichnet. Wir dürfen nicht für uns selber leben, denn auch Christus hat nicht für sich selbst gelebt (Röm 15, 1). Was für uns als Einzelne gilt, hat auch und besonders für eine christliche Gemeinde Bedeutung. Ihr Kirchweihfest heute sollte wohl auch eine Gelegenheit sein, sich zu vergewissern, worin wahres Leben einer Gemeinde begründet, wo deren Quelle zu finden ist. Ich glaube fest, dass eine Kirchengemeinde mit all ihren Einrichtungen nur in dem Maße lebendig ist, als auch in ihr ein dauerndes Empfangen und Weitergeben gelebt wird. Empfangen allerdings nicht in dem gewöhnlichen Sinne, dass jede und jeder Einzelne nur für sich allein einen optimalen kirchlichen Service erwartet: also ansprechende Gottesdienste, sozial-caritative Hilfeleistung und die religiöse Überhöhung bestimmter zentraler Lebensereignisse wie Geburt, Eheschließung und Tod. Nein, solche passive Erwartungshaltung widerspricht dem Leben, das uns Jesus Christus geöffnet hat, ist wie ein totes Meer. Dagegen müssen wir in all unseren Gemeinden Formen finden, wie die Getauften und Gefirmten sich ihrer Würde und Kompetenz gemäß einbringen, wie sie mittragen können. Nur so wird die kleiner werdende Zahl bekennender katholischer Christen in einer Welt zum Sauerteig, die einen immer dichteren Vorhang vor den Himmel ziehen möchte. Seite 3 von 5
4 Dazu kommt noch: Der derzeitige Umbruch in allen deutschen Diözesen, auch im Bistum Fulda, muss gestaltet werden, auf dass er nicht zu einem Zusammenbruch wird. Der Aufbruch darf nicht von vorneherein mit einer Negativstimmung belastet werden. Wir können mit den Steinen, die uns in den Weg gelegt werden, verschieden umgehen: Wir können darüber klagen, uns vom Weg abbringen lassen und enttäuscht umkehren. Wir können resignieren und uns darauf setzen, uns sogar festsetzen. Wir können sie aber auch als Bausteine verwenden und Brücken bauen, damit Jesu Christi Verheißung Gestalt werden kann: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt (Mt 28, 20). Aus alledem ergibt sich auch, dass eine christliche Gemeinde gemeinsam und im Gebet danach fragen muss, was Gott von ihr konkret will, wohin er sie führen möchte; und dann das Erkannte auch in die Tat umzusetzen versucht. Das wird nur möglich sein im Vertrauen auf Gottes Beistand, den Hl. Geist. Lassen Sie sich anstecken von seiner Kraft, vertrauen Sie seiner Führung, dem Finger Gottes, der uns führt! Seit unserer Taufe und Firmung sind wir alle Geistbegabte, Geistliche, wenn wir es richtig verstehen und zulassen. Das ist der eigentliche Energievorrat unseres Lebens und unseres Wirkens als Christinnen und Christen. Gottes Geist möge Ihnen hier in Rüdigheim helfen, ein See Genezareth zu sein: eine Gemeinschaft, lebendig und geöffnet zum Empfangen und Geben, bloß kein Totes Meer, verbittert und versalzen. Das ist heute mein erster Wunsch an Sie. Ich habe noch einen zweiten: Sie feiern Ihr Kirchweihfest: Immer wieder haben sich Menschen in diesem Kirchenraum versammelt, bis zum heutigen Tag, um ihr Leben in den verschiedenen Grenzsituationen vom Glauben an Jesus Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, her zu deuten. Menschen zogen Seite 4 von 5
5 hier ein mit strahlenden Gesichtern beim Fest der Trauung, der Erstkommunion und der Firmung. Aber auch mit Tränen in den Augen, wenn es darum ging, von einem lieben Menschen auf dieser Erde Abschied zu nehmen. Sie, liebe Schwestern und Brüder in Rüdigheim, haben im Raum der Kirche Ihr Leben ausgedrückt, haben Gott in Angst und Leid bestürmt, Dank und Lob zur Sprache gebracht. Sie haben je neu Halt gefunden durch die Communio mit Christus im Brotbrechen. So bekamen Sie immer wieder Halt und Stütze besonders in Krisenzeiten. Es wurde Ihnen in diesem Raum je und je ein kurzer Blick in den Himmel geschenkt, in jenes Reich des Lichtes, das uns hilft, in einer Welt der Schatten und Zwielichtigkeiten nicht unterzugehen. Meine herzlichen Glück- und Segenswünsche für Sie alle möchte ich in diesem Zusammenhang verbinden mit dem zweiten Wunsch: dass Sie aus der Feier Ihres Kirchweihfestes die Kraft erhalten, Gottes Segen anzunehmen und die nächsten notwendigen Schritte in die Zukunft zu tun. Dazu segne Sie der gute Gott! Amen. Seite 5 von 5
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