Übungen im Erbrecht Frühjahrssemester 2018
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- Wolfgang Winkler
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1 Übungen im Erbrecht Frühjahrssemester 2018 Isabels Erbe RA Dr. iur. Eva Maissen
2 Übersicht Fall chronologische Ereignisse:! Herbst 2008: Heirat I und B I B?! Frühling 2011: Geburt L! 2015: Adoption C im Alter von 16 Jahren durch I (Zustimmung von C) L C C! : handgeschriebenes Testament I! 2017 Spende an Stiftung für Tiere in Not CHF ! 2018 C beendet Lehre! März 2018: Tod der I Seite 2
3 Testament der I Rechtswissenschaftliches Institut «Mein letzter Wille: Ich, Isabel, vermache meinem leiblichen Sohn Leonardo und meinem Mann Bernhard je die Hälfte meines Vermögens. Meine Adoptivtochter Cindy soll nichts erhalten, weil ich sie nie adoptieren wollte und sie sich sowohl mir als auch meinem Sohn gegenüber schlecht verhalten hat. Zürich, den , Unterschrift» Handlungsmöglichkeiten: - A. Ungültigkeitsklage " geht auf den vollen gesetzlichen Erbanteil - fehlende Verfügungsfähigkeit der I - Willensmangel der I - rechtswidriger/unsittlicher Inhalt des Testaments - Formunwirksamkeit - B. Herabsetzungsklage " geht bloss auf den Pflichtteil " bei Verletzung Pflichtteil der C Seite 3
4 A. Erfolgsaussichten Ungültigkeitsklage Rechtswissenschaftliches Institut 1. Allgemeine Voraussetzungen: a. Aktivlegitimation: ZGB 519 II (+), da! C s Adoption wirksam: ZGB 264, 264a III, 265 II! Wirkung: Rechtsstellung der leiblichen Kinder, ZGB 267 I b. Passivlegitimation c. Gerichtsstand (ZPO 28), Frist (ZGB 521) 2. Verfügungsfähigkeit von Isabel (ZGB 519 I Ziff. 1)? " ZGB 467 (+) 3. Willensmangel (ZGB 519 I Ziff. 2)? " ZGB 479 III (-) 4. rechtswidriger oder unsittlicher Inhalt (ZGB 519 I Ziff. 3? (-) 5. Formwirksamkeit (ZGB 520)? (+), da eigenhändiges Testament nach ZGB 505 I: Eigenhändigkeit (+), Datum (+), Unterschrift (+) " Ergebnis Ungültigkeitsklage: Die Ungültigkeitsklage hat keine Aussicht auf Erfolg Seite 4
5 B. Erfolgsaussichten Herabsetzungsklage ZGB 522 Rechtswissenschaftliches Institut Vorgehen I. Frage: Geltendmachung der fehlgeschlagenen Enterbung? Sonst kein Pflichtteilsschutz!! Anfechtung zielt auf Verschaffung des Pflichtteils, vgl. ZGB 479 III! besondere Art der allg. Herabsetzungsklage, wenn Erfordernisse von ZGB 477 bis 480 nicht erfüllt sind! gesetzliche Vermutung, Erblasser habe Noterben zumindest auf Pflichtteil setzen wollen " zur Beweislast vgl. ZGB 479 II! ZGB 522 also nicht direkt, sondern bloss analog! Seite 5
6 Vss Enterbung ZGB 477 Rechtswissenschaftliches Institut II. Gültigkeit der Enterbung?! Enterbungsgrund nach ZGB 477 Ziff. 1? (-)! Enterbungsgrund nach ZGB 477 Ziff. 2?! liegt eine familienrechtliche Pflicht vor?! allgemeine Beistandspflicht i.s.d. ZGB 272! Gehorsamspflicht i.s.d. ZGB 301 II S. 1! wurde diese verletzt? " gefordert ist umfassende familiäre Loyalität. Dazu gehört auch Beistand in Form von Dienstleistungen, Babysitten grds. erfasst. Sie weigert sich zudem konsequent.! reicht die Schwere der Verletzung? Hier wohl eher (-)! Enterbungsgrund ausreichend konkret angegeben im Testament (ZGB 479 I und III)? (-) " Zwischenergebnis: kein gültiger Enterbungsgrund vorhanden Seite 6
7 II. Allgemeine Voraussetzungen Herabsetzungsklage nach ZGB 522 ff. analog! Aktivlegitimation: C, deren Pflichtteil verletzt ist (+)! Passivlegitimation: Begünstigte gesetzliche oder eingesetzte Erben, Empfänger einer lebzeitigen Zuwendung. I.c. also:! L, B: gesetzliche/eingesetzte Erben (+)! Stiftung: Empfänger lebzeitige Zuwendung (+)! Gerichtsstand (ZPO 28), Frist (ZGB 533) Seite 7
8 Berechnung des Pflichtteils I Rechtswissenschaftliches Institut IV. Berechnung des Pflichtteils! Nachlass: ZGB 474 I i.v.m. 475 i.v.m. 527 Ziff. 3! Zuwendung an Stiftung = Schenkung i.s.v. ZGB 527 Ziff. 3? i.c. (+) " gem. OR 239 III wird Erfüllung einer sittlichen Pflicht nicht als Schenkung behandelt! hier aber keine sittliche Pflicht! " ausserdem BGE 116 II 243 E. 4.b.: auch Erfüllung sittlicher Pflicht wird wie Schenkung behandelt und fällt unter ZGB 527 Ziff. 3! 5 Jahre vor Versterben " i.c. (+) " erhöhte Bemessungsgrundlage = CHF 1.6 Mio (CHF )! gesetzlicher Erbanteil von C = ¼ (ZGB 457 I, II i.v.m. 462 Ziff. 1)! Pflichtteil von C: 3/16 (¼ * ¾) (ZGB 471 Ziff. 1) " also 3/16 von CHF 1.6 Mio. = CHF 300'000.- Seite 8
9 Berechnung des Pflichtteils II Rechtswissenschaftliches Institut! Reihenfolge der Herabsetzung nach ZGB 532 " zunächst Verfügung v.t.w. (B u. L) herabsetzen, dann Zuwendung unter Lebenden! L bekommt (vor Herabsetzung): 750'000.-: Verfügung v. T. w.! B bekommt (vor Herabsetzung): 750'000.-: Verfügung v. T. w.! Stiftung bekommt (vor Herabsetzung): 100'000.-: Zuwendung u. Lebenden! Verhältnis Herabsetzungsbeiträge nach ZGB 523 " Herabsetzung im Verhältnis der Beiträge, die über den Pflichtteil hinaus zugewendet wurden wenn mehrere Pflichtteilsberechtigte begünstigt wurden, also Seite 9
10 Berechnung des Pflichtteils III Rechtswissenschaftliches Institut! Pflichtteil von B: ZGB 462 Ziff. 1 i.v.m. 471 Ziff. 3 also ½ * ½ = ¼ also ¼ von 1.6 Mio. = CHF 400'000.- " über PT CHF 350'000.- zugewendet! Pflichtteil von L: ZGB 457 I und II i.v.m. 471 Ziff. 1 also ¼ * ¾ = 3/16 also 3/16 von 1.6 Mio = CHF 300' Über PT CHF 450'000.- zugewendet! Verhältnis 350'000 zu 450'000: - B muss 35/80 zu den CHF beisteuern, also CHF 131' L muss 45/80 zu den CHF beisteuern, also CHF 168' Pflichtteil von C kann wiederhergestellt werden, ohne dass die Verfügung unter Lebenden herabgesetzt werden muss V. Ergebnis: Die Herabsetzungsklage hat Aussicht auf Erfolg; C kann CHF 131'250.- von B und CHF 168'750.- von L verlangen Seite 10
11 Variante 1! keine Verfügung von Todes wegen, d.h. gesetzliche Erbfolge! 2016 Kontoeröffnung im Namen des L mit Einzahlungen für diesen! März 2018: Tod I, Nachlass CHF 1.5 Mio, CHF auf Konto für Zusatzstudium USA Ausgleichung vs. Herabsetzung Geltendmachung Ausgleichung:! Ausgleichung = Teil des Erbteilungsverfahrens! Ausgleichungsanspruch ist wie Teilungsanspruch unverjährbar Seite 11
12 ZGB 626 Ausgleichungspflicht der Erben Absatz 1: Die gesetzlichen Erben sind gegenseitig verpflichtet, alles zur Ausgleichung zu bringen, was ihnen der Erblasser bei Lebzeiten auf Anrechnung an ihren Erbanteil zugewendet hat. Absatz 2: Was der Erblasser seinen Nachkommen als Heiratsgut, Ausstattung oder durch Vermögensabtretung, Schulderlass u. dgl. zugewendet hat, steht, sofern der Erblasser nicht ausdrücklich das Gegenteil verfügt, unter der Ausgleichungspflicht. Seite 12
13 Ausgleichungspflicht nach ZGB 626 II I. Charakter des Kontos? " Ausstattungscharakter: nach dem BGer sämtliche Zuwendungen, die aus elterlicher Verantwortung der Existenzbegründung, -sicherung oder -verbesserung gegenüber den Kindern dienen. " i.c. (+) II. Korrektur durch Sondervorschrift des ZGB 631 I?! im üblichen Mass: Vermutung keine Ausgleichung; Ausgleichung nur bei nachweisbarer Anordnung! Grenze zum üblichen Mass: bestimmt sich nach den Umständen, der finanziellen Lage der Betroffenen, deren Umfeld und sozialen Schicht im Zeitpunkt der Ausrichtung der Leistung. Kinder können Ausbildungen in unterschiedlichem Mass erhalten. " Zusatzstudium in den USA übersteigt übliches Mass Seite 13
14 Ausgleichungspflicht nach ZGB 631 I Rechtswissenschaftliches Institut III. Aktivlegitimation: Ausgleichungsberechtigte Erben! Ausgleichungsberechtigung von C (+)! umstritten ist, ob auch der Ehemann B in den Genuss einer Ausgleichung kommt.! dagegen spricht, dass er zur Ausgleichung nicht (bzw. nur sofern der Erblasser nachweisbar bezüglich an ihn erfolgter Zuwendungen eine Ausgleichungspflicht vorgesehen hat) verpflichtet und deshalb auch nicht berechtigt sei (teleologische Auslegung)! dafür spricht dass nicht einzusehen ist, warum Erziehungskosten, die übliches Mass übersteigen, zu Lasten des Ehegatten gehen sollen IV. Arten der Ausgleichung ZGB 628! Idealausgleichung: «dem Werte nach» (Anrechnung) oder! Realausgleichung: «Einwerfung in Natur» Seite 14
15 Ausgleichungspflicht von L nach ZGB 631 I Rechtswissenschaftliches Institut V. Berechnung Variante 1 (Ehegatte ebenfalls ausgleichungsberechtigt)! ausgleichungspflichtig = CHF 150'000.- " Nachlass nach Hinzurechnung hypothetisch CHF 1.65 Mio.! L behält CHF 150'000.- (Idealausgleichung)! ausgleichungsberechtigt sind B und C! B erhält gemäss ZGB 462 Ziff. 1: ½ von CHF 1.65 Mio. = CHF 825'000.-! C und L erhalten als Nachkommen je ¼ (vgl. ZGB 457 II): also ¼ von 1.65 Mio. = CHF 412'500.-! L hat bereits CHF 150'000.- erhalten, bekommt also nur noch: 412' '000.- = 262'500.- VI. Ergebnis! B und C können Ausgleichungsberechtigung im Erbteilungsverfahren gegenüber L geltend machen! CHF 825'000.- (B), CHF 412'500.- (C). L erhält CHF 262'500.- Seite 15
16 Ausgleichungspflicht von L nach ZGB 631 I Rechtswissenschaftliches Institut V. Berechnung Variante 2 (Ehegatte nicht ausgleichungsberechtigt)! ausgleichungspflichtig = CHF 150'000.-, Nachlass nach Hinzurechnung hypothetisch CHF 1.65 Mio.! L behält CHF 150'000.- (Idealausgleichung)! ausgleichungsberechtigt ist nur C! B erhält gemäss ZGB 462 Ziff. 1: ½ von CHF 1.5 Mio. = CHF 750'000.-! bleibt für C und L aufzuteilen CHF (CHF 1.65 Mio )! C und L erhalten als Nachkommen je ½ der (vgl. ZGB 457 II), also = CHF ! L hat bereits CHF 150'000.- erhalten, bekommt also nur noch: '000.- = VI. Ergebnis! C kann Ausgleichungsberechtigung im Erbteilungsverfahren gegenüber L geltend machen! CHF 750'000.- (B), CHF (C). L erhält CHF Seite 16
17 Variante 2 3. Parentel C 2. Parentel B Seite 17
18 Möglichkeiten für B! Erbschaftsklage aus dem Erbrecht oder rei vindicatio aus dem Sachenrecht! schliesst Erbschaftsklage als lex specialis rei vindicatio aus? " h.m. Wahlrecht des Klägers, ob er mittels Erbschaftsklage oder rei vindicatio vorgehen will! Unterschiede: Erbschaftsklage ZGB 598 ff. Gesamtklage (plus Surrogation) besseres Recht verjährbar einheitlicher Gerichtsstand (ZPO 28) Ersitzung ausgeschlossen (ZGB 599 II) rei vindicatio ZGB 641 II Singularklage Eigentum unverjährbar kein einheitlicher Gerichtsstand Ersitzung möglich Seite 18
19 A. Erfolgsaussichten einer Erbschaftsklage nach ZGB 598! Aktivlegitimation: nichtbesitzender Erbe " Erbenstellung von B (+), da (überlebender) nächster Verwandter! Passivlegitimation: Besitzer der Erbsachen " Tafelsilber bei C (+)! Geltendmachung eines «besseren Erbrechts» (+) " ZGB 458 III: B ist Erbe der 2. Parentel! ZGB 459 III: C ist lediglich Erbe der 3. Parentel und wäre nur erbberechtigt, soweit keine Erben des elterlichen Stammes vorhanden sind! B hat somit das bessere Erbrecht Seite 19
20 A. Erfolgsaussichten einer Erbschaftsklage nach ZGB 598! Erbschaftsklage = Gesamtklage, d.h. geht auf Herausgabe der gesamten Erbschaft! Verjährung/Verwirkung, ZGB 600:! relative Verjährungsfrist: 1 Jahr ab Kenntnis vom Besitz des Beklagten an der Erbsache oder vom eigenen besseren Erbrecht, i.c. noch nicht abgelaufen UND! absolute Verjährungsfrist: 10 Jahre nach Tod des Erblassers, i.c. abgelaufen! C ist gutgläubig (Art. 3 ZGB); keine Fristverlängerung i.s.d. ZGB 600 II " Zwischenergebnis: Erbschaftsklage ist verjährt Seite 20
21 Erfolgsaussichten der rei vindicatio nach ZGB 641 II Aktivlegitimation: nichtbesitzender Eigentümer! B hat Eigentum am Tafelsilber durch Universalsukzession nach ZGB 560 erworben! fraglich, ob Eigentum wieder verloren, wegen Ersitzung durch C nach ZGB 728! unangefochtener und gutgläubiger Besitz während 5 Jahren (+)! insbesondere Gutgläubigkeit von C: er dachte es gebe keine anderen lebenden Verwandten; Gutgläubigkeit zudem vermutet (ZGB 3 I) " Zwischenergebnis: rei vindicatio (-), da B Eigentum am Tafelsilber verloren hat und damit Aktivlegitimation nicht gegeben ist " Ergebnis Variante 2: B hat keine Möglichkeit, das Tafelsilber von C herauszufordern. Seite 21
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