ProcessLab-Framework Rahmenkonzept für das prozessorientierte Management von Banken und Versicherungsunternehmen
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- Benedikt Abel
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1 ProcessLab-Framework Rahmenkonzept für das prozessorientierte Management von Banken und Versicherungsunternehmen White Paper, Version 3.0 Prof. Dr. Jürgen Moormann, Dr. Michael Leyer
2 1. Hintergrund Ausgangspunkt für das im Folgenden dargestellte Framework ist die Notwendigkeit zur permanenten Steigerung von Effektivität und Effizienz in der Finanzbranche. Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Banken, Versicherungsunternehmen und anderen Finanzdienstleistern gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Diese unterscheiden sich jedoch in Abhängigkeit von der jeweiligen Sichtweise etwa der des Vertriebs, des Personalmanagements, des IT-Bereichs oder des Prozessmanagements. Insbesondere die prozessorientierte Sichtweise, bei der die funktionsübergreifende Betrachtung im Vordergrund steht, gewinnt immer mehr an Bedeutung. Der Stellenwert von Prozessen mag aus einer Analogie mit der Biologie deutlich werden. Danach können Prozesse als die DNA der Unternehmen verstanden werden. Bestimmte Abschnitte der biologischen DNA, die Gene, enthalten Erbinformationen. In Unternehmen sind diese Informationen in den Geschäftsprozessen enthalten. Sie bilden die Grundlage, damit das gesamte Unternehmen der Organismus funktionieren kann und ermöglichen damit die Umsetzung des jeweiligen Geschäftsmodells. In Geschäftsprozessen findet also nicht nur die Leistungserstellung des Unternehmens statt (Zairi 1997), sondern sie enthalten auch das Wissen darüber, wie diese Leistungen im Unternehmen erbracht werden. Ein Geschäftsprozess (im weiteren auch als Prozess bezeichnet) besteht aus mehreren, miteinander verbundenen Aktivitäten, die für die Erfüllung eines Geschäftsziels, z.b. die Erbringung von Finanzdienstleistungen, notwendig sind (Davenport/Short 1990). Die Aktivitäten werden von den Ressourcen des Unternehmens, d.h. den Mitarbeitern und Informationssystemen, durchgeführt. In einem Geschäftsprozess wird somit festgelegt, wie die einzelnen Ressourcen in den erforderlichen Aktivitäten eine Leistung erbringen (Vergidis et al. 2008). Wie gut die Ressourcen für das Ziel einer Leistungserstellung miteinander kombiniert sind, kann anhand der Produktivität gemessen werden (Bain 1982). Produktivität wird allgemein als das Verhältnis von Output zu Input definiert (Burgess 1990). Zur Definition von Inputs und Outputs gibt es eine Reihe von Möglichkeiten wie z.b. Kundenzahl, Gewinn oder Kosten pro Mitarbeiter (Johnston/Jones 2004). Jedoch sind Inputs und Outputs in der Finanzbranche schwer zu bestimmen (Sahay 2005). Bei Banken und Versicherern betrachten wir die Produktivität aus Sicht der Leistungserstellung, d.h. des Geschäftsprozessmanagements. Produktivität wird dort als das Verhältnis von direkt der Prozessdurchführung zurechenbaren In- und Outputfaktoren (z.b. aufgewendete Bearbeitungszeit und Anzahl bearbeiteter Kundenaufträge) verstanden (Johnston/Jones 2004). 2
3 Damit Unternehmen die Produktivität ihrer Prozesse steigern können, bedarf es eines Handlungsrahmens, der die grundlegenden Schritte beschreibt. Dafür eignet sich ein Framework, da es Rahmenbedingungen vorgibt, mit denen komplexe Problemstellungen strukturiert werden können (Osterloh/Grand 1995). Ein solches Framework ist die Grundlage für einen abgestimmten Aktionsplan, der definiert, was eine Organisation hinsichtlich einer bestimmten Fragestellung erreichen möchte und wie sie die dafür notwendigen Aktionen durchführen möchte. Die Nutzung eines Frameworks stellt sicher, dass jeder Schritt mit den vorherigen bzw. nachgelagerten Schritten abgestimmt ist (Struebing/Klaus 1997). Darüber hinaus liefert es allen Beteiligten eine Diskussionsgrundlage, so dass ein gemeinsames Verständnis hergestellt und die Kommunikation der Beteiligten untereinander verbessert wird (Fleury/Fleury 2007). Doch wie sieht ein Framework für Unternehmen der Finanzbranche aus Sicht des Prozessmanagements aus? Im Folgenden schlagen wir ein Rahmenkonzept vor, das beschreibt, welche Komponenten für ein prozessorientiertes Management von Banken und Versicherungsunternehmen notwendig sind und wie diese Komponenten miteinander zusammenhängen. Kern des Frameworks ist die Entwicklung von Prozessen, die Messung und Analyse der Prozessergebnisse sowie die Weiterentwicklung der Prozesse. 2. Grundstruktur des Frameworks Das hier vorgestellte Framework basiert auf der Methode MOTION (Schuh 2006) und wurde am ProcessLab der Frankfurt School of Finance & Management für Banken und Versicherer weiterentwickelt. Das Framework beschreibt, wie diese Unternehmen systematisch gestaltet, laufend verbessert und konsequent gesteuert werden können: Im ersten Schritt muss die strategische Ausrichtung festgelegt werden (Initiierung), die vorgibt, wie die DNA die Prozesse des Finanzdienstleisters ausgeprägt sein soll. Insbesondere muss das Geschäftsmodell des Unternehmens eindeutig definiert sein. Die Festlegung der DNA erfolgt durch die Unternehmensarchitektur. In einem Strategie-Audit werden die Auswirkungen der Unternehmensstrategie auf die Prozesse konkretisiert. Die Festlegung der Prozesse basiert immer auf den Kundenanforderungen und wird in Form von Kernprozessen in einer Prozesslandkarte festgelegt. Methodisch folgen wir hier der Vorgehensweise des Business Engineering (Österle/Winter 2003). Die Ausführung der Prozesse erfolgt innerhalb des Prozessmanagements. Dieses beinhaltet die Steuerung der Prozesse durch Implementierung, Analyse und Weiter- 3
4 entwicklung der Prozesse (Robson 2004). Im Rahmen des Prozessmanagements können auch innovative Veränderungen bestehender Prozesse vorgenommen werden. Die Entwicklung neuer Prozesse aufgrund disruptiver Entwicklungen im Unternehmensumfeld findet jedoch in der Komponente Unternehmensarchitektur statt. Schließlich muss der Wandel realisiert werden (Umsetzung). Dabei spielen die Menschen, die in den Prozessen arbeiten, die entscheidende Rolle. Wenn Mitarbeiter und Führungskräfte nicht mitgenommen und befähigt werden, kann der Wandel nicht gelingen. Darüber hinaus sind die Informationssysteme, die zur Durchführung der Prozesse erforderlich sind, entsprechend der Strategie und der Prozessanforderungen zu gestalten bzw. anzupassen. Erst dann ist der Wandel vollzogen und die Produktivität eines Finanzdienstleisters nachhaltig erhöht worden. Das Framework folgt damit in seiner Grundstruktur dem in der Literatur weit verbreiteten Ebenenmodell Strategie Prozesse Informationssysteme (siehe u.a. Österle/Winter 2003(siehe u.a. Österle/Winter 2003), wobei die dritte Ebene, Informationssysteme, durch die Berücksichtigung der Mitarbeiter und Führungskräfte zu ergänzen ist. Abbildung 1 zeigt die grundlegende Vorgehensweise zum prozessorientierten Management von Banken und Versicherern. Der Schwerpunkt des ProcessLab- Frameworks liegt auf der Gestaltung der Unternehmensarchitektur und dem Prozessmanagement. Strategisch ausrichten Initiierung Wandel vordenken Unternehmensarchitektur Strategie Audit DNA des Unternehmens an Strategie anpassen Prozessmanagement Prozessarchitektur Mitarbeiter begeistern, Potenzial der IT nutzen Umsetzung Wandel vollziehen Analyse Messung des Unternehmenserfolgs Abbildung 1: ProcessLab-Framework zum prozessorientierten Management von Finanzdienstleistern 4
5 3. Komponenten des Frameworks Das ProcessLab-Framework besteht aus sieben Komponenten, die im Folgenden skizziert werden. Wandel vordenken: Die erste Komponente des Frameworks ist die strategische Ausrichtung der Bank oder des Versicherers. Hier muss der Wandel des Unternehmens antizipiert werden und das Unternehmen auf die zukünftigen Kundenbedürfnisse ausgerichtet werden. Damit werden in dieser Komponente auch die Grundlagen hinsichtlich der permanenten Erhöhung der Produktivität gelegt. Ausgangspunkt der Überlegungen sollten die konkreten Bedürfnisse der Kunden sein, d.h. deren originäre (eigene) Prozesse. Ein Kundenprozess umfasst alle Schritte, die ein Kunde durchläuft, um ein Bedürfnis zu befriedigen oder ein Problem zu lösen (Behara et al. 2002). Finanzdienstleister sollten ihr Geschäftsmodell darauf ausrichten, welche Kundenprozesse sie konkret unterstützen wollen. Dies beinhaltet die Positionierung des Unternehmens in einem Wertschöpfungsnetzwerk, die Festlegung strategischer Ziele (Markt-, Ertrags- und Leistungsziele) und der Strategie des Unternehmens einschließlich der Ausrichtung von strategischen Geschäftsfeldern (SGFs). Strategie-Audit: Die Geschäftsprozesse müssen auf Basis der gewählten Unternehmensstrategie gestaltet werden. Zunächst ist in dem Audit zu untersuchen, welche Auswirkungen die strategischen Ziele auf die Prozessgestaltung haben. Des Weiteren ist zu prüfen, ob alle erforderlichen strategischen Dimensionen wie das Dienstleistungsangebot, die Kundengruppen, die Regionen und die Vertriebswege festgelegt worden sind. Anhand dieser Dimensionen werden die strategischen Geschäftsfelder definiert bzw. auf Vollständigkeit überprüft. Die SGFs bilden den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Prozesslandkarte. Prozessarchitektur: Das Kernstück der Prozessarchitektur ist die Prozesslandkarte. Diese beschreibt, mit welchen (üblicherweise 10 bis 15) Kernprozessen das Unternehmen sein Geschäft betreiben möchte. Die Kernprozesse sind entscheidend für den Wettbewerbsvorteil eines Unternehmens (Moormann et al. 2012). Außerdem werden in die Prozesslandkarte die erforderlichen Unterstützungs- und Managementprozesse aufgenommen. Kern-, Unterstützungs- und Managementprozesse werden zusammenfassend als Makroprozesse bezeichnet. Zweck der Prozessarchitektur ist die Beschreibung der Grundstruktur des Unternehmens und der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Makroprozessen. Die in den Makroprozessen enthaltenen Aktivitäten sollten möglichst homogen bezüglich generischer Dienstleistungsprozesstypen sein. Dies ist nötig, da bei Finanzdienstleistungsprozessen die 5
6 Kunden in den Prozess der Leistungserstellung integriert sind, was sich erheblich auf die Prozessausführung bzw. -performance auswirkt (Leyer/Moormann 2010). Aus Prozesssicht sollte daher in informationszentrierte, personenzentrierte und sachgutzentrierte Prozesse unterschieden werden. Die Art der Differenzierung hängt davon ab, für welches Objekt oder Subjekt die Dienstleistung erbracht wird, d.h. welches Objekt oder Subjekt im Mittelpunkt der Leistungserstellung steht. Je nach Typ des Objekts oder Subjekts bestehen unterschiedliche Restriktionen bei der Leistungserstellung, wie beispielsweise ein unterschiedlicher Grad der Kundenintegration. So können Informationen z.b. unkompliziert vervielfältigt und parallel an verschiedenen Standorten bearbeitet werden, ohne dass der Kunde während dieser Bearbeitungszeit durchgehend zur Verfügung stehen muss. In der Folge können die einzelnen Makroprozesse besser im Hinblick auf Produktivitätssteigerungen gesteuert werden. Jeder Makroprozess sollte durch eine Prozessvision und die enthaltenen Teilprozesse (auch als Mikroprozesse bezeichnet) spezifiziert werden. Mit der Festlegung der Prozesse auf diesen Ebenen steht das Prozessmodell des Unternehmens fest, d.h. es ist definiert, welche Aktivitäten für welche Dienstleistungen mit welchen Ressourcen verknüpft werden, um die gewünschten Dienstleistungen für Kunden anbieten zu können (Winter 2003). In dieser Komponente sehen wir auch die Prozessinnovation. Dabei geht es um völlig neue Prozesse, die z.b. aufgrund der Digitalisierung vieler Lebensbereiche überhaupt erst möglich werden (z.b. neue Prozesse auf Basis von sozialen Medien und Smartphone-Nutzung). Implementierung von Prozessen: Diese Komponente besteht aus der detaillierten Modellierung, der Umsetzung in Informationssysteme und der Ausführung der Prozesse. Ausgehend von der Prozesslandkarte mit Makro- und Mikroprozessen, bedarf es einer Konkretisierung, die dem jeweiligen Mitarbeiter exakt vermittelt, was in einem bestimmten Prozessabschnitt zu tun ist. Darüber hinaus ist eine genaue Modellierung erforderlich, um den Prozessabschnitt in technische Systeme umsetzen zu können, z.b. in Workflowmanagementsysteme. Die detaillierte Modellierung sowie die Umsetzung in Informationssysteme sind daher Bestandteile der Implementierung. Daran schließt sich die Ausführung des Prozesses an, bei der es sich um die operative Arbeit des Prozessmanagers handelt. In diesem Kontext kommen Konzepte der Kapazitäts- und Auftragssteuerung zum Einsatz, die es ermöglichen, die verwendeten Ressourcen im Sinne größter Effizienz einzusetzen (Leyer/Moormann 2015). 6
7 Analyse von Prozessen: Zu dieser Komponente zählen Messung, Untersuchung anhand der Messdaten und die Bewertung dieser Daten. Ziel der Messung ist es, die Produktivität der definierten Prozesse messbar zu machen, d.h. die Voraussetzungen für eine Bewertung herzustellen. Dazu bieten sich z.b. von Workflowmanagementsystemen automatisch aufgezeichnete Zeitstempel der Prozessausführung, so genannte Event Logs, an (van der Aalst 2011). Für jeden Prozess muss ein Messsystem aufgestellt werden, das die Prozessziele sowie die zur Messung notwendigen Prozessindikatoren, Prozessmessgrößen und Prozesskennzahlen enthält (Neely et al. 2005). Für die Festlegung der Prozessziele muss unabhängig vom fachlichen Kontext vorab das verwendete Konzept zur Bewertung der Produktivität definiert werden (Heckl/Moormann 2010). Typische Indikatoren zur Messung der Produktivität von Finanzdienstleistungsprozessen sind Zeit, Kosten, Qualität und Kundenzufriedenheit (Neely et al. 2005). Insbesondere für Banken und Versicherungsunternehmen ist darüber hinaus die Berücksichtigung des operationellen Risikos in Prozessen von Bedeutung. Messgrößen auf Prozessebene sind z.b. die Durchlaufzeit von Kundenaufträgen und die Anzahl von Kundenbeschwerden. Prozesskennzahlen werden für einzelne Messgrößen festgelegt (Soll/Ist) bzw. aus einzelnen Größen aggregiert, wie z.b. die Gesamtproduktivität eines Prozesses (McLaughlin/Coffey 1990). Die Untersuchung und Bewertung eines Prozesses erfolgt auf Basis der gemessenen Werte (Ist) und den maximal möglichen bzw. angestrebten Werten (Soll). Ist die Effizienz nicht zufriedenstellend, müssen die Ursachen dafür ermittelt werden. Zu diesem Zweck sind Schwachpunkte zu identifizieren, Kennzahlen zu vergleichen und verschiedene Szenarien zu berücksichtigen. Für diese Analysen eignen sich z.b. Instrumente des Process Mining, mit deren Hilfe historische Event Logs ausgewertet werden können (Weijters/van der Aalst 2002). Auf diese Weise können beispielsweise Durchlaufzeiten, Auslastungsgrade von Mitarbeitern und Rückschleifen in Prozessen ermittelt werden. Die Effizienz eines Prozesses kann dann durch das Verhältnis der gemessenen Werte zu den Benchmark-Werten festgestellt werden, z.b. mithilfe der Data Envelopment Analysis (Burger 2009). Dazu werden z.b. diejenigen Kundenaufträge als Benchmark verwendet, die mit einem minimalen Input an Ressourcen einen definierten Output erreicht haben (Cantner et al. 2007). Für eine weitere Analyse der Daten bietet sich die Simulation verschiedener Varianten zur Prozessdurchführung an. Ein weitergehender Ansatz ist der Aufbau eines Prozesslabors, um die Auswirkungen operativer Handlungen des Prozessmanagers (z.b. am Morgen des Arbeitstages) ermitteln und die beste der zur Verfügung stehenden Varianten auswählen zu können (Leyer/Moormann 2014). 7
8 Weiterentwickung von Prozessen: Sind die Ursachen für eine unzureichende Produktivität erkannt, müssen Maßnahmen zur Verbesserung des jeweiligen Prozesses ergriffen werden. Dies geschieht im Rahmen einer evolutionären Weiterentwicklung im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP). Zu den evolutionäre Methodiken zählen z.b. Kaizen, Lean Management und Six Sigma (Dahlgaard/Dahlgaard-Park 2006) bzw. Kombinationen wie Six Sigma + Lean. Auf jeden Fall sollte die Weiterentwicklung fortlaufend erfolgen, da sich die Rahmenbedingungen für Banken und Versicherer fortwährend ändern und dadurch auch die Produktivität beeinflusst wird. Allerdings ist die kontinuierliche Verbesserung eines Prozesses unter Umständen nicht ausreichend. In dem Fall ist der Prozess vollständig neu zu entwickeln (z.b. Prozess der Kontoeröffnung unter Nutzung neuer Technologien oder aufgrund neuer gesetzlicher Identifikationsmöglichkeiten mit drastisch verkürzten Durchlaufzeiten). In diesem Fall geht es um eine Neuentwicklung des Prozessablaufs bzw. der Prozessorganisation, die dann in der Komponente Prozessarchitektur angesiedelt sind. Revolutionäre Methodiken für einzelne Prozesse ist beispielweise Design for Six Sigma (Mollenhauer et al. 2007) bzw. Business Reengineering (Hammer/Champy 1993) und Business Engineering (Österle/Winter 2003) für die gesamte Prozessorganisation. Um die Effekte von geplanten Prozessveränderungen feststellen zu können, ist es sinnvoll, Simulationen durchzuführen (Aguilar et al. 1999; Rozinat et al. 2009). Auch hierfür bietet sich der Aufbau eines Prozesslabors an. Wandel vollziehen: Damit der Wandel vollzogen werden kann, müssen sowohl die beteiligten Mitarbeiter (einschließlich Geschäftsleitung und Führungskräfte) überzeugt als auch die technologischen Möglichkeiten genutzt werden. Veränderungen müssen den Mitarbeitern kommuniziert und diese trainiert werden. Trainierte Mitarbeiter werden so zu internen Change Agents, die die Transformation über die Organisation verbreiten (Proctor/Doukakis 2003). Nur so werden Veränderungen der Prozesse auch in die Unternehmenswirklichkeit umgesetzt und die Produktivität bei der Dienstleistungserbringung tatsächlich gesteigert. Diese Dimension wird auch als Politisch-kulturelle Ebene bezeichnet (Winter 2011, S. 23). Zudem müssen die Veränderungen in den Informationssystemen implementiert werden, die in der Finanzbranche essentiell für die Durchführung von Geschäftsprozessen sind. Hier bietet sich das Konzept der Service-orientierten Architektur (SOA) an, die eine flexiblere Anpassung der Informationssysteme an Veränderungen von Prozessen erlaubt (Josuttis 2008). 8
9 Um bei allen prozessorientierten Veränderungen die Produktivität des gesamten Unternehmens zu sichern, sollte eine ständige Messung der Unternehmensperformance erfolgen. Diese sollte umfassend, d.h. von der Initiierung bis zur Umsetzung, erfolgen. Entscheidend ist, dass die Messung auf der Ebene von Prozessen erfolgt. Nur so können die Ursachen für Performance-Verluste nachvollzogen und gezielt korrigiert werden (Leyer et al. 2015). 4. Fazit und weitere Schritte Anhand des vorgestellten Frameworks können Banken und Versicherer ihre Aktivitäten im Sinne eines prozessorientierten Managements strukturieren und gezielt Methoden, Verfahren und Techniken zur Steigerung der Produktivität einsetzen. Der Kern des Frameworks liegt auf der prozessualen Unternehmensgestaltung sowie der kontinuierlichen Analyse und Weiterentwicklung der Prozesse. Allerdings kann der Einsatz des Frameworks nicht einfach verordnet werden. Im Sinne der Analogie zur biologischen DNA sind folgende Aspekte zu beachten: Erstens müssen die Verantwortlichen erkennen, dass das Wissen jedes Unternehmens in seinen Prozessen steckt. Dieses Wissen reflektiert die genetischen Instruktionen, die die Verhaltensweise der Mitarbeiter, deren Fähigkeiten, die IT-Systeme, die Aufbauorganisation und die Kultur in dem Unternehmen beeinflussen. Dies gilt für die Finanzbranche in besonderem Maße, da sich Know-how hier nur schwer patentieren lässt und dementsprechend flüchtig ist. Zweitens ist zu akzeptieren, dass sich ein professionelles Prozessmanagement nur über mehrere Jahre entwickeln kann; es muss gelernt werden. Banken und Versicherer, die sich bereits seit Jahren aktiv mit dem Prozessmanagement beschäftigen, haben daher gegenüber Mitbewerbern einen klaren Wettbewerbsvorteil. Drittens ist zu beachten, dass Prozesse analog zur DNA unternehmensspezifisch sind; sie können trotz Erstellung gleicher oder ähnlicher Produkte nicht einfach geklont werden. Die Leistungsfähigkeit von Prozessen kann von der jeweiligen Unternehmenskultur und sogar von den Subkulturen innerhalb des Unternehmens abhängen (Grau 2014). Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass der zukünftige Erfolg, letztlich sogar das Überleben eines Unternehmens, ganz wesentlich von seinen Prozessen (Produktentwicklung, Vertriebsprozess, Schadenbearbeitung usw.) abhängt. 9
10 Allerdings besteht hinsichtlich des Prozessmanagements noch erheblicher Forschungsbedarf. Ein Beispiel ist die Verknüpfung von Prozessen unterschiedlicher Partner (dazu zählen auch IT-Dienstleister, Datenlieferanten, Beratungshäuser, Marktforschungsinstitute, Transaktionsinstitute usw.). Die Erstellung von Finanzdienstleistungen in Wertschöpfungsnetzwerken nimmt national und international stark zu. Damit geht eine verringerte Transparenz der Leistungserstellung einher. Auch das Verhältnis zwischen Dienstleistungsanbietern und -nachfragern ändert sich und reicht von dauerhaften Allianzen bis zu Ad-hoc-Beziehungen für die einmalige Bereitstellung einer Dienstleistung. Dies führt zu einer unterschiedlichen Ausgestaltung unternehmensübergreifender Geschäftsprozesse. Besonders bei kurzfristigen Beziehungen ist beispielsweise unklar, welche Anreize für einen Austausch der für Produktivitätsverbesserungen nötigen Prozessdaten bestehen. Literatur: Aguilar, M./Rautert, T./Pater, A.J.G. (1999): Business process simulation. A fundamental step supporting process centered management, in: Farrington, P.A./Nembhard, H.B./Sturrock, D.T./Evans, G.W. (Hrsg.): Proceedings of the 1999 Winter Simulation Conference, Phoenix/AZ, ACM Press, S Bain, D. (1982): The Productivity Prescription. The Manager s Guide to Improving Productivity, New York, McGraw-Hill. Behara, R.S./Fontenot, G.F./Gresham, A.B. (2002): Customer Process Approach to Building Loyalty, in: Total Quality Management, 13. Jg., Nr. 5, S Burger, A. (2009): Analyse der intrinsischen Effizienz auf Prozessebene. Benchmarking von Transaktionen am Beispiel eines bankbetrieblichen Prozesses, Diss., Berlin, Logos. Burgess, T.F. (1990): A review of productivity, in: Work Study, 39. Jg., Nr. 1, S Cantner, U./Krüger, J./Hanusch, H. (2007): Produktivitäts- und Effizienzanalyse. Der nichtparametrische Ansatz, Berlin Heidelberg, Springer. Dahlgaard, J.J./Dahlgaard-Park, S.-M. (2006): Lean production, Six Sigma quality, TQM and company culture, in: The TQM Magazine, 18. Jg., Nr. 3, S Davenport, T.H./Short, J.E. (1990): The New Industrial Engineering. Information Technology and Business Process Redesign, in: Sloan Management Review, 31. Jg., Nr. 4, S Fleury, A./Fleury, M.T. (2007): The evolution of production systems and conceptual frameworks, in: Journal of Manufacturing Technology Management, 18. Jg., Nr. 8, S
11 Grau, C. (2014): Prozessperformance und Organisationskultur. Eine empirische Untersuchung des Zusammenhangs auf Basis der Strukturgleichungsanalyse, Diss., Berlin, Logos. Hammer, M./Champy, J. (1993): Reengineering the Corporation. A Manifesto for Business Revolution, New York, HarperCollins. Heckl, D./Moormann, J. (2010): Process Performance Management, in: Rosemann, M./vom Brocke, J. (Hrsg.), Handbook on Business Process Management, Bd. 2, Berlin Heidelberg, Springer, S Johnston, R./Jones, P. (2004): Service productivity. Towards understanding the relationship between operational and customer productivity, in: International Journal of Productivity and Performance Management, 53. Jg., Nr. 3, S Josuttis, N. (2008): SOA in der Praxis. System-Design für verteilte Geschäftsprozesse, Heidelberg, dpunkt Verlag. Leyer, M./Heckl, D./Moormann, J. (2015): Process Performance Measurement, in: vom Brocke, J./Rosemann, M. (Hrsg.), Handbook on Business Process Management, Bd. 2, 2. Aufl., Berlin, Springer, S Leyer, M./Moormann, J. (2010). Facilitating operational control of business services. A method for analysing and structuring customer integration, Proceedings of the 2010 Australasian Conference on Information Systems, Brisbane, Paper 42. Leyer, M./Moormann, J. (2014): Konstruktion eines Prozesslabors. Vom Process Mining zur Prozesssimulation, in: Banking and Information Technology (BIT), 15. Jg., Nr. 1, S Leyer, M./Moormann, J. (2015): Comparing concepts for shop floor control of information-processing services in a job shop setting. A case from the financial services sector, in: International Journal of Production Research, 53. Jg., Nr. 4, S McLaughlin, C.P./Coffey, S. (1990): Measuring Productivity in Services, in: International Journal of Service Industry Management, 1. Jg., Nr. 1, S Mollenhauer, J.-P./Staudter, C./Meran, R./Hamalides, A./Roenpage, O./von Hugo, C. (2007): Design for Six Sigma+Lean Toolset, Berlin, Heidelberg, Springer. Moormann, J./Leyer, M./Hilgert, M. (2012): Prozessmanagement, in: Steffens, U./Gerhard, M. (Hrsg.), Kompendium Management in Banking & Finance, Bd. 2, 8. Aufl., Frankfurt/M., Frankfurt School Verlag, S Neely, A./Gregory, M./Platts, K. (2005): Performance Measurement System Design. A Literature review and research agenda, in: International Journal of Operations & Production Management, 25. Jg., Nr. 12, S Österle, H./Winter, R.H. (2003): Business Engineering. Auf dem Weg zum Unternehmen des Informationszeitalters, 2. Aufl., Berlin, Springer. 11
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