Einleitung Physik entsteht im Diskurs Argumentieren als (natur-) wissenschaftliche Arbeits- weise
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- Stefan Kohl
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1 Physik entsteht im Diskurs dieses Diktum HEISENBERGS zeigt, welche Rolle der Physiker dem sprachlichen Geschehen beim Experimentieren zugeschrieben hat (LEISEN 1999). Beim Experimentieren Beobachtungen zu beschreiben, Regelmäßigkeiten und Abweichungen, Vermutungen zu Kausalitäten und Gesetzmäßigkeiten zu formulieren: All dies verknüpft die kognitive mit der sprachlichen Verarbeitung von Erlebtem. Zieht man die Perspektive des anderen hinzu, vor dem Gesagtes sich bewähren muss, so wird das Betreiben von Naturwissenschaften ein Prozess sprachlichen Aushandelns, der auf die Klärung der Bedeutung von Phänomenen zielt. In diesem Sinn kann Argumentieren als (natur-) wissenschaftliche Arbeitsweise per se gedeutet werden. GROMADECKI und MIKELKIS-SEIFERT fordern, Gesprächsabläufe im naturwissenschaftlichen Unterricht stärker zu untersuchen (GROMADECKI und MIKELKIS-SEIFERT 2006). Im angelsächsischen Raum hat dies Tradition (vgl. BURBULES und BRUCE 2001). So fragt ROTH in Talking to understand Science : Like all science teachers, I want to create talk in my classroom that helps my students understand science. But what does it mean to,understand science [ ]? (ROTH 2002, S. 200). Die deutsche Naturwissenschaftsdidaktik betrachtete das Phänomen Sprache lange unter der Perspektive der Differenz von Alltags- und Fachsprache und daraus entstehender Probleme (vgl. Kap. 1.4). So tituliert LEISEN 2005 einen Artikel zur Sprache im Physikunterricht Muss ich jetzt auch noch Sprache unterrichten? (LEISEN 2005). Nur wenige naturwissenschaftsdidaktische Arbeiten nehmen eine konstruktive Perspektive auf das Phänomen Sprache ein (LÜCK 2009c; SCHEUER, KLEFFKEN und AHLBORN-GOCKEL 2010). Eine frühe Auseinandersetzung mit der Entwicklung von Sprache durch Naturwissenschaften findet sich in der Staatsexamensarbeit von MARTIN WAGENSCHEIN. Er thematisiert die Auswirkungen des mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterrichts auf das sprachliche Ausdrucksvermögen (WAGENSCHEIN 1923). Sein Leitthema ist die Stilfrage, doch begründet er, wieso
2 20 gerade Naturwissenschaften hier förderlich sein können: 1 Eine solche Definition zu geben, setzt zweierlei voraus: Vertrautheit mit den alten Begriffen, d. h. Beherrschung der Terminologie, und Sehen-Können der Beziehungen zwischen den alten und den neuen Begriffen (ebd., S. 5). WAGENSCHEIN leitet von dem Bemühen um eine angemessene Formulierung positive Auswirkungen auf den Wortschatz sowie die Wahrnehmung und Fokussierung von Kindern ab. Die vorliegende Arbeit geht in Anknüpfung an diese wagenscheinschen Gedanken (vgl. LÜCK 2009c) der konstruktiven Verbindung zwischen dem naturwissenschaftlichen Experimentieren von Kindern ( doing science ), dem verbalen Geschehen ( talking to understand science, vgl. ROTH 2002) und dem Effekt auf die Sprachentwicklung der Kinder nach. Dass Grundschulkinder großes Interesse an naturwissenschaftlichen Experimenten zeigen, ist bestätigt (RISCH 2006a). Anknüpfend an Arbeiten von LÜCK, die erstmalig im deutschen Sprachraum das Interesse von Kindergartenkindern an Naturwissenschaften sowie ihr Erinnerungsvermögen an die Experimente belegte (LÜCK 2000), hat RISCH herausgearbeitet, dass die eigene experimentelle Arbeit für Grundschulkinder über die Freude beim Experimentieren entscheidet: Sie wollen handeln. Handlungsorientierung ist spätestens seit JOHN DEWEY keine didaktische Innovation mehr (vgl. DEWEY 1933), doch sind im Sachunterricht deutscher Grundschulen die Naturwissenschaften und das Experimentieren, gemessen an ihrer gesellschaftlichen Bedeutung und an ihrem Bildungswert, noch immer deutlich unterrepräsentiert. Während der Elementarbereich in Folge der Arbeit von LÜCK (2000) einen Experimentier- Boom erlebt hat, ist dies im Primarschulbereich deutlich schwächer ausgeprägt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und werden an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Kap ). Auch deshalb werden im qualitativ-empirischen Teil der Arbeit praxisrelevante Erkenntnisse zu Kernfragen der Gestaltung von Experimentiereinheiten im Unterricht formuliert. Die Stärkung der Naturwissenschaften im Sachunterricht und das eigene Experimentieren der Kinder ist also weiterhin als fachdidaktisches und bildungspolitisches Desiderat anzusehen. Deshalb ist es auch Ziel dieser Arbeit, aufzuzeigen, dass es große Synergieeffekte gibt zwischen zwei Themen, die in der deutschen bildungspolitischen Debatte hohen Stellenwert besitzen: dem Ex- 1 WAGENSCHEIN fordert Kriterien für guten Stil: 1. Er muß original, d. h. der Persönlichkeit des Urhebers gemäß sein. 2. Er muß dem Gegenstande dienen, d. h. sachlich sein (WAGENSCHEIN 1923, S. 3).
3 21 perimentieren als Mittel der Förderung des naturwissenschaftlichen Interesses und der naturwissenschaftlichen Bildung von Kindern sowie der Sprachförderung von Grundschulkindern. Erst seit Beginn der 2000er-Jahre ist in Deutschland die Bedeutung der Sprache für den Bildungserfolg von Kindern ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getreten; der Erstspracherwerb wurde jedoch der familiären Verantwortung zugeschrieben. So betitelt ANNETTE SCHAVAN, damals Ministerin für Kultus, Jugend und Sport in Baden-Württemberg, einen Artikel Sprache als Schlüssel zur Bildung (SCHAVAN 2004) und schreibt in ihm, der erste und wichtigste Ort für Worte ist die Familie (ebd., S. 692). Die Verständigung mithilfe von Sprache ist eine entscheidende Voraussetzung für die intellektuelle und soziale Entwicklung jedes Menschen. Sie ist Grundlage für die Gestaltungsmöglichkeit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen und kulturellen Leben sowie als Teil der Arbeitswelt. Sprachschwierigkeiten benachteiligen Kinder nicht nur sozial und emotional, sondern auch auf ihrem Bildungsund Lebensweg in unserer technisch orientierten Wissensgesellschaft, da sie eine Barriere zur Entfaltung ihres intellektuellen Potenzials darstellen. Aus diesem Grund ist Lesekompetenz einer der drei Erhebungsbereiche der PISA-Studien. Lesen wird als effektives Werkzeug für die Aneignung, Organisation und Anwendung von Wissen verstanden (BAUMERT ET AL. 2001, S. 70). Zwar hat sich in Deutschland der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die insgesamt als schwache Leserinnen und Leser gelten müssen, zwischen 2000 und 2009 von 22,6 % auf 18,5 % verringert (KLIEME et al. 2010, S. 61), trotzdem muss auf der Basis dessen, was diese Jugendlichen im Lesen bei PISA-Erhebungen (nicht) meistern, davon ausgegangen werden, dass sie nur unzureichend auf eine Ausbildungs- und Berufslaufbahn in der Wissensgesellschaft vorbereitet sind (ebd., S. 63). Die dargestellte Gruppe der schwachen Leserinnen und Leser überlagert sich mit den sechs Prozent Jugendlichen, die im Jahr 2010 ohne Schulabschluss blieben, und weiteren 20 %, die mit einem Hauptschulabschluss ebenfalls verminderte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Seit der ersten PISA-Studie werden als wichtigste Ursache für diese Probleme [ ] Defizite bei Erwerb und Gebrauch der deutschen Sprache ausgemacht (KIZIAK, KREUTER und KLINGHOLZ 2012, S. 2). Ab ca reifte die bildungspolitische Erkenntnis, dass die Bildungseinrichtungen an der Aufgabe der Sprachförderung mitwirken müssen, um allen Kindern eine Chance auf Bildung zu ermöglichen. Parallel erfuhr die Institution Kindergarten eine Neudefinition als Bildungsinstanz (vgl. SEIDEL 2010), sodass
4 22 sich die Forderung nach Sprachförderung institutionenübergreifend auf Kindergarten und Grundschule auswirkte. Sprachförderung der deutschen Sprache kann aus heutiger Sicht als das Thema der letzten Jahrzehnte bundesdeutscher Bildungsgeschichte angesehen werden, das ohne Parallele ist sowohl an Größe und Vielfalt seiner Fördermaßnahmen als auch hinsichtlich der Eintracht, mit der es über politische Grenzen und Akteursgruppen hinweg verfolgt wird. Es übersteigt als Thema den bis dahin unübertroffenen Einzug der Naturwissenschaften in den Elementarbereich, da sie als schulvorbereitende Maßnahme unter Behördenaufsicht flächendeckend und jedes Kind betreffend durchgeführt wird. Andere Themen wie die Ganztagsschule, Veränderungen des dreigliedrigen Schulsystems oder die Inklusion werden von politischen und betroffenen Akteuren kontrovers diskutiert. Das Thema Sprachförderung hat keine Kontrahenten. Wenig Einigkeit gibt es über das Wie von Sprachtests und Sprachförderung: Auch im Hinblick auf Sprachförderung gibt es [ ] viele ungeklärte Fragen, deren Beantwortung dadurch erschwert wird, dass politische Vorgaben die fachliche Diskussion zuweilen unterminieren (KIZIAK, KREUTER und KLINGHOLZ 2012, S. 17). Im Grunde kann aber jede Situation zur Kommunikation mit Kindern genutzt werden, also gemeinsames Basteln oder sogar naturwissenschaftliches Experimentieren (ebd., S. 18, Unterstreichung GOTTWALD). Diese Studie setzt sich mit dem sogar des vorangegangenen Zitates auseinander. Es soll aufgezeigt werden, dass sich gerade das naturwissenschaftliche Experimentieren im Kern zur Sprachentwicklung eignet. Ohne den im späteren Verlauf der Arbeit beschriebenen Parallelen zwischen den Prozessen der Sprachentwicklung und dem Experimentieren vorgreifen zu wollen: Sowohl Experimentieren als auch Sprachentwicklung sind wesenshaft Suchen nach Bedeutung; beide Prozesse gehen vom Handeln aus, benötigen die Interaktion mit anderen, suchen nach Regelmäßigkeiten und zielen auf die Konservierung gefundener Bedeutungen in Symbolen, den gebrauchten Begriffen. Anders als sinnliche Eindrücke bewahren benutzte Formulierungen Bedeutungen. Dabei zwingen Wortwahl und grammatische Strukturierung ( Wer ist das Subjekt wer bewirkt was? ) die Sprechenden, gedachte Konzepte und Vermutungen festzulegen, Definitionen einzugrenzen und andere Erklärungsräume auszuschließen. DEWEY formuliert dazu: The suggestion of meanings by natural signs is limited to occasions of direct contact or vision. But a meaning fixed by a linguistic sign is conserved for future use (DEWEY 1933, S. 234). Die Möglichkeit, auf Bedeutungen und damit symbolisierte Konzepte zugreifen zu können, ist Basis des intellektuellen Lebens jedes Menschen:
5 23 Since intellectual life depends on possession of a store of meanings, the importance of language as a tool of preserving meanings cannot be overstated (ebd.). 2 Hier beschreibt DEWEY einen selten genannten funktionellen Aspekt der Sprache: Wir benötigen Sprache nicht nur zur Interaktion mit anderen; wir brauchen Sprache, Worte und Begriffe auch, weil sie Ideen, Konzepte und ihre Verbindungen untereinander speichern. Damit sind sie nicht nur Sprech-, sondern auch Denkbausteine, die intellektuelles Leben erst ermöglichen. Indem sie sinnliche Eindrücke verbalisieren, begeben sich Sprechende auf den Weg vom Konkreten zum Abstrakten. Zum Unbehagen von Schülerinnen und Schülern gegenüber Chemie und Physik trägt bei, dass Lehrkräfte zu früh zu hohe Abstraktionsstufen und Repräsentationsebenen nutzen, also chemische Formeln statt Wortgleichungen, physikalische Schaltpläne statt Beschreibungen. Häufig tun sie dies, bevor Schülerinnen und Schüler die darunter liegende Sprachebene fließend sprechen, und realisieren nicht, dass das Sprechen über bereits eine Abstraktionsstufe darstellt. Um den Kreis zu HEISENBERG zu schließen: Dieser Austausch über die Sache ist nötig, um meine vermutete Erklärung mit deiner abzugleichen. Nur der Beweis der Tragkraft einer Erklärung an Einwänden und Fragen von anderen zeigt, wie stabil ein Gedankengebäude ist. Diesen (im Kern wissenschaftlichen) Diskurs zu üben, ist Sache des Sachunterrichts. Dass dies auch für die Primarstufe keine übertriebene Forderung ist, beschreibt DEWEY. Er formuliert als grundsätzlichen Anspruch an die Bildungssysteme, vor allem eine Haltung des Denkens zu lehren: It is evident that education, upon its intellectual side, is vitally concerned with cultivating the attitude of reflective thinking, preserving it where it already exists, and changing looser methods of thought into stricter ones wherever possible (DEWEY 1933, S. 78, Unterstreichung GOTTWALD). Es spricht viel dafür, wissenschaftliche Diskussionsweisen gerade dann (in der Primarstufe) und dort (im Sachunterricht) auf leichte Art und Weise zu etablieren: Nach DEWEY kann das Denktraining auf indirekte (also leichte ) Weise geschehen, indem Lehrende passende Problemstellungen schaffen: The problem of method in forming habits of reflective thought is the problem of establishing conditions that will arouse and guide curiosity; of setting up the connections in things experienced that will [ ] promote the flow of suggestions, create problems and purposes that will favor consecutiveness in the succession of ideas (DEWEY 1933, S. 56). 2 Dass Sprache als Medium der Abbildung von Wirklichkeit Einschränkungen unterliegt, dazu DEWEY (1933, S. 234) sowie LÜCK (1999).
6 24 Diese Bedingungen zur Stimulierung einer fruchtbaren Diskussion können beim Experimentieren verwirklicht werden: Gut ausgewählte Experimente erzeugen nicht nur, sondern sie erhalten Neugier über einen Zeitraum; beim Experimentieren entstehen automatisch Verbindungen zwischen Phänomenen, die Vermutungen hervorrufen. Wenn die Lehrperson die Diskussion gut moderiert, kann sich eine Kultur des Herausarbeitens von Argumenten etablieren, die von zeitlicher Abfolge zu kausalen Zusammenhängen führt. Die frühe Primarstufe scheint der beste institutionelle Zeitraum, diese Art von Diskurs zu etablieren: 3 Das spielerische Lernen des Elementarbereiches wird überführt in eine Lernumgebung, in der das verbale Geschehen stärker im Vordergrund steht. Dabei liegt es nahe, dass eine Diskussionskultur, die Beobachtungen von Vermutungen und Argumente von Behauptungen unterscheidet, von der Lehrperson aktiv etabliert werden muss, um das kindlichnaive Gleichsetzen von Meinung und Argument weiterzuentwickeln. Dass sich die Naturwissenschaften und gerade das Experimentieren besonders eignen, eine Diskurskultur zu etablieren, beschreibt der französische Nobelpreisträger und Initiator des Programmes La main à la pâte, GEORGES CHARPAK: Weil es eine intelligente Annäherung an die Materie ermöglicht und erlaubt, sich ohne Illusionen, aber wirkungsvoll mit einer Realität zu konfrontieren, weil man ihren harten Widerstand schätzt (CHARPAK 2007, S. 30, Unterstreichung GOTTWALD). Mit Blick auf die spätere Verantwortung als Bürgerin und Bürger fährt er fort: Weil die Naturwissenschaften ein Kompliment an die Intelligenz sind, aber auch, weil sie heutzutage dazu anregen, über Ethik, Gerechtigkeit und den moralischen Sinn unseres Handelns und unsere Entdeckungen nachzudenken (ebd.). Welche Leistungen in einer naturwissenschaftlichen Diskussion erbracht werden und dass diese erlernt werden müssen, beschreibt er wie folgt: 3 PIAGET beschreibt den Unterschied von Gesprächen unter Kindergarten- und Grundschulkindern. Für Erstere formuliert er: Ebensowenig, wie [ ] Kinder sich die Überlegungen über die Ursache oder den Sinn von Phänomenen mitteilen, ebensowenig begründen sie ihre Behauptungen [ ] durch das logische»weil«oder»denn«. Die Diskussion besteht bei ihnen [ ] in einem einfachen Aufeinandertreffen von Behauptungen ohne logische Begründung (PIAGET 1972, S. 33). Für das Grundschulalter schreibt er jedoch, daß die Fähigkeit, die Erzählungen oder die Erklärungen zu ordnen, um das 7. bis 8. Lebensjahr erworben wird (ebd., S. 144). Entsprechend kann sicher ab diesem Alter eine argumentative Diskussionskultur eingeübt werden. Dabei wird auch jüngeren Kindern die Fähigkeit zum logischen Denken zugesprochen, doch ist für unsere Arbeit die Fähigkeit zur Argumentation zu berücksichtigen, nicht nur die zum Erkennen von kausalen Zusammenhängen an sich.
7 25 Jeder muss in den Sinn der Diskussion eindringen, [ ] die vorliegenden Tatsachen [ ] unterscheiden, um seine Wahl zu treffen und diese mit gutem Grund öffentlich geltend zu machen [ ]. Beurteilen, vernünftig sein, argumentieren, zuhören, diskutieren, die Mittel haben, um zu überzeugen, aber auch die eigene Meinung in Frage stellen und überdenken, nicht mit der Realität schummeln, [ ] dieser Sinn für Objektivität [ ] ist nicht so einfach zu erlangen und kann nur Ergebnis einer unterstützten Erziehung sein (CHARPAK 2007, S. 84). Der zuvor beschriebene harte Widerstand der Naturwissenschaften offenbart sich bei der Deutung der Phänomene, der eine besondere Bedeutung zugemessen wird. CHARPAK schreibt deshalb den Naturwissenschaften und dem Experimentieren die Förderung von Kompetenzen zu, die Menschen benötigen, um sich an der Diskussion über die Zukunft der Gesellschaft zu beteiligen (ebd., S. 83): Denn versteht man nicht wenigstens ein bisschen ihre Sprache, bleibt die technische Welt dunkel, verschwommen und öffnet somit weit ihre Tore für alle politischen und magischen Verirrungen (ebd., S. 30 f.). Als Auswirkung dieses Nicht-Verstehens beschreibt GEIGER die Verführbarkeit durch wissenschaftlich-technologische Symbolik (GEIGER 2009, S. 61). Es sind im omnipräsenten Wirtschaftsleben nicht wissenschaftliche Standards wie Transparenz, Überprüfbarkeit und Wiederholbarkeit, die beeindrucken, sondern die wissenschaftliche Anmutung von Wirkformeln in Kosmetikprodukten, Joghurts oder Reinigungsmitteln. Bei den erwähnten Konsumartikeln mag das eine private Problematik bedeuten, doch stellt sich dies bei der gesellschaftlich nötigen Abschätzung z. B. von Technikfolgen anders dar: Für die Zivilgesellschaft, für das Ringen um Macht, Gerechtigkeit, Emanzipation und Demokratisierung ist die Verbindung zwischen Handeln und Reflektieren, zwischen Wissen und Wahrheit [ ] elementar. [ ] Damit die Beziehungen begriffen, gelebt und entwickelt werden können, müssen sie aber erfahren werden. In der herkömmlichen Schule, mit ihrem normalen Unterricht, mit ihren Selbstverständnis als Lehranstalt findet das nicht statt (GEIGER 2009, S. 70). In der vorliegenden Arbeit wird naturwissenschaftliches Experimentieren stets mit dem dazugehörigen Diskurs gedacht, dessen Kultivierung eine Kernaufgabe des Sachunterrichts ist oder in unserer komplexen, auch naturwissenschaftlich und technisch geprägten Welt zumindest sein sollte.
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