Beziehungen gestalten durch Achtsamkeit

Transkript

1 weiterdenken. Beziehungen gestalten durch Achtsamkeit DVS-Tagung, 11. November 2017, Sempach Detlev Vogel

2 Detlev Vogel Das können Sie in diesem Workshop erwarten: 1. Achtsamkeitsübung 2. Welche Kompetenzen benötigen wir als LP, um positive Beziehungen zu den SuS aufzubauen? 3. Was genau macht positive Beziehungen in der Klasse aus? 4. Kann Achtsamkeit helfen, diese Kompetenzen zu entwickeln? 5. Aspekte und wissenschaftliche Studien zu Achtsamkeit 6. Achtsamkeit in der Schule

3 Detlev Vogel Wenn wir keinen inneren Frieden haben, wenn wir uns nicht wohl in unserer Haut fühlen, können wir unsere Kinder nicht wirklich gut erziehen. Wenn wir gut für unsere Kinder sorgen wollen, müssen wir gut für uns selber sorgen. Thich Nhat Hanh

4 Detlev Vogel Übung: den eigenen Atem wahrnehmen Setzen Sie sich aufrecht auf Ihren Stuhl, spüren Sie die Sitzfläche und Rückenlehne, den Boden unter den Füssen Schliessen Sie die Augen, wenn möglich. Wem das unangenehm ist, kann einfach vor sich ins Leere schauen. Wir gehen mit der Aufmerksamkeit zum Atem. Nehmen ihn einfach nur wahr, es gibt nichts zu verändern

5 Detlev Vogel Was brauchen wir als Lehrpersonen für Fähigkeiten, um positive Beziehungen mit unseren SuS aufzubauen? 1. Uns selbst wahrnehmen können 2. Unser Gegenüber wahrnehmen können 3. Bewusst entscheiden auch in schwierigen Situationen 4. Beziehungen gestalten können 5. Unsere Emotionen steuern können Modell der sozio-emotionalen Kompetenzen (Zins, Weissberg, Wang & Walberg; 2004)

6 Detlev Vogel Achtsamkeit kann helfen positive Beziehungen zu gestalten Die Haltung der Achtsamkeit - hier und jetzt unvoreingenommen und präsent sein, kann kleine Wunder im Schulalltag bewirken: Wenn wir selbst Momente der Stille erleben und innerlich zur Ruhe kommen, können wir besser wahrnehmen, was die SuS brauchen und wie wir sie erreichen können unsere eigenen Gefühle regulieren in jedem Moment wirklich ganz DA sein (Präsenz)

7 Detlev Vogel Jede lebendige Situation hat ein neues Gesicht, nie dagewesen, nie wiederkehrend. Sie verlangt eine Äußerung von Dir, die nicht schon bereitliegen kann. Sie verlangt nichts, was gewesen ist. Sie verlangt Gegenwart, Verantwortung, Dich. Martin Buber

8 Detlev Vogel Wirkungen von Beziehungsqualität auf Schüler/innen It`s the teacher! (John Hattie, 2013) 45% der Kinder in der Schweiz sind unsicher gebunden. (Bodenmann, 2017) Eine sichere Beziehung zur Lehrperson ist Voraussetzung für das Explorationsverhalten der Schülerinnen und Schüler. (Jennings & Greenberg, 2009) Lehrpersonen, deren Beziehungen zu SuS eine hohe Qualität aufweisen, haben 31% weniger auffälliges Verhalten in ihren Klassen. (Metaanalyse, Marzano et al, 2003)

9 Detlev Vogel Wirkungen von Beziehungsqualität auf Lehrpersonen Das Beziehungsgeschehen in der Schule hat einen herausragenden Einfluss auf die Gesundheit von Lehrpersonen. (Bauer, 2007b) Andererseits werden in Studien zur Belastung im Lehrerberuf vor allem unbefriedigende Beziehungen zu Schülern bzw. problematisches Schülerverhalten als Hauptbelastungsfaktoren genannt. (Schaarschmidt, 2005b)

10 Detlev Vogel Der Lehrerberuf als Beziehungsberuf Fortwährende Interaktion und Verantwortung für andere Menschen ist eine hohe Anforderung! Die meisten LP haben diesen Beruf gewählt, weil ihnen gute Beziehungen und ein gutes Klima wichtig sind. Allerdings es gibt: Schönwetterbeziehungen Schlechtwetterbeziehungen

11 Detlev Vogel Welche Faktoren sind für positive - achtsame - Beziehungen und Klassenführung relevant? Robert Pianta hat sie ganz konkret benannt und in einem System strukturiert: Classroom Assessment Scoring System (CLASS). Warum? Jeder von uns hat blinde Flecken wir können uns selbst nur begrenzt beobachten und realistisch einschätzen. In einer Adaption ist daraus eine Checkliste entstanden (Vogel, 2016) : Was tue ich für eine positive Beziehung zu SuS? Was könnte meine Beziehung zu SuS beeinträchtigen? Im Folgenden Auszüge daraus:

12 Detlev Vogel Was tue ich für eine gute Beziehung zu Schülerinnen und Schülern (SuS)? Sprache, Gestik, Mimik, Ausdruck + / / - 1 Die Kinder mit Namen ansprechen 2 Mit warmer und ruhiger Stimme sprechen 3 Höfliche Sprache verwenden, z.b. Bitte und Danke, das ist sehr nett! 4 Mit freundlichen Gesten und einer offene Körperhaltung auf die SuS zugehen 5 Häufig lächeln und lachen 6 Eigene Gefühle zum Ausdruck bringen, z.b. Begeisterung und Freude

13 Detlev Vogel Was tue ich für eine gute Beziehung zu Schülerinnen und Schülern (SuS)? Interaktion mit Schülerinnen und Schülern + / / - 7 Interesse an Aktivitäten und Erfolgen der Kinder außerhalb der Schule zeigen 8 Blickkontakt mit SuS suchen; besonders vor jeder Kontaktaufnahme wie Helfen, Ermahnen, etc. 9 Das Mass an körperlicher Nähe durch das Kind bestimmen lassen und meine Grenze wahren 10 Dem Kind bei jeder Frage, Bitte, Ermahnung, etc. Zeit für eine Reaktion geben 11 Das Tun der SuS bestätigen und das eigene Zutrauen an die Kinder zum Ausdruck bringen 12 Gemeinsame Aktivitäten und geteilte Aufmerksamkeit mit SuS suchen bzw. ermöglichen (Plaudern, Spielen, Staunen, Bauen, Backen, Bücher anschauen, etc.)

14 Detlev Vogel Austausch mit dem Nachbarn über Ihre Erfahrungen zu folgenden Aspekt: «Dem Kind bei jeder Frage, Bitte, Ermahnung, etc. Zeit für eine Reaktion geben.» (Keiner von uns wird diesem Aspekt immer gerecht, es geht also nicht darum, Gründe zu finden, warum das schwierig ist.) - Wie oft gelingt es Ihnen? - Wie empfindet vermutlich das Kind, wenn es Ihnen NICHT gelingt? - Wie empfinden Sie?

15 Detlev Vogel Was könnte meine Beziehung zu Schülerinnen und Schülern beeinträchtigen? 21 Reizbarkeit 22 Schreien 23 Mit harter Stimme sprechen 24 Drohungen ( Wenn du jetzt nicht, dann ) 25 Sarkastische, ironische oder erniedrigende Aussagen 26 Physische Kontrolle wie festhalten, unsanft schieben, etc.

16 Detlev Vogel Kann Achtsamkeit helfen, diese Kompetenzen zu entwickeln?

17 Detlev Vogel Definitionen von Achtsamkeit: Achtsamkeit ist das Gewahrsein der aktuellen Ereignisse und Erfahrungen. (Brown, Ryan & Creswell, 2007) Der Kern von Achtsamkeit ist eine annehmende, nichtwertende und mitfühlende Haltung gegenüber Anderen und sich selbst. (Kabat-Zinn, 1999)

18 Detlev Vogel Achtsamkeit: Präsenz und Nicht-Reaktivität «Auto-Pilot-Modus»: Wir folgen unbewussten Reaktionsmustern. Dadurch verpassen wir oftmals die Kostbarkeit vieler Momente auch mit unseren Schüler/innen. Auch in schwierigen Momenten sind wir «nicht ganz da», reagieren «nach Schema F». Das führt mitunter zu nicht angemessenen Reaktionen. Wie können wir ein «Fels in der Brandung» sein?

19 Detlev Vogel Reiz unbewusste Reaktion Achtsamkeit Reiz bewusste Reaktion Innehalten - genaues Wahrnehmen

20 Detlev Vogel Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht zur Wahl unserer Reaktion. In dieser Reaktion liegen unser Wachstum und unsere Freiheit. Viktor Frankl

21 Detlev Vogel Achtsamkeit: einen inneren Raum schaffen Diesen «Raum» können wir aufbauen, erweitern, trainieren Zentral ist dabei der Fokus auf unseren Atem und die Körperwahrnehmung Ein Raum, in dem wir nichts tun müssen, einfach sein dürfen

22 Detlev Vogel Wie ein Anker ein Boot vor dem Abdriften bewahrt, sorgt die bewusste Atmung dafür, dass wir uns auf den Moment konzentrieren und unser wahres Selbst nicht aus den Augen verlieren. Thich Nhat Hanh

23 Detlev Vogel Achtsamkeit regelmässig üben Das regelmässige Üben von Achtsamkeit hilft, aus dem Reiz- Reaktions-Schema auszusteigen, eine Art «inneren Raum» zu entwickeln. Als Lehrperson müssen wir auch Führen Führen ist das Gegenteil von reagieren. Wenn wir die Freiheit gewinnen, von der Frankl spricht, kommen wir in die Lage zu agieren statt zu reagieren, positiv zu führen, statt nur auf Regeln zu pochen.

24 Detlev Vogel Achtsamkeit: Ursprünge und Entwicklung Achtsamkeit stammt ursprünglich aus der buddhistischen Tradition und wurde in den 1970er Jahren von Jon Kabat-Zinn im Westen zunächst zur Burnout-Prävention und Stress- Reduktion adaptiert: MBSR-Kurse Mittlerweile diverse Anwendungsbereiche in Psychotherapie, Gesundheitsprävention, Wirtschaft und Pädagogik.

25 Detlev Vogel Achtsamkeit: Annehmende, nicht-wertende und offene Haltung Wir sind es gewohnt alles, was wir wahrnehmen unmittelbar, oft voreilig zu bewerten. Achtsamkeit bedeutet das, was uns entgegenkommt ZUNÄCHST einmal genau so anzunehmen, wie es nun einmal ist d.h.: auch unsere SuS so zu nehmen, wie sie sind Neugierige, interessierte Haltung den Menschen und der Welt gegenüber: Entdeckergeist oder auch: don`t-know-mind. Z.B. Absichten und Konzepte loslassen statt sie verbissen zu verfolgen

26 Detlev Vogel Wir werden befreit von dem, was wir annehmen, aber wir sind Gefangene dessen, was wir ablehnen. Swami Prajnonpad

27 Detlev Vogel Achtsamkeit: Empathie und Mitgefühl Achtsamkeit beinhaltet eine wohlwollende, verstehende und mitfühlende Haltung anderen Menschen, vielleicht auch Tieren und der Natur gegenüber. Z.B. ganz bewusst Menschen, die Schwierigkeiten haben oder sich in einer schwierigen Situation befinden, mit offenem Herzen zu begegnen - auch wenn wir ihr Verhalten befremdlich finden. Empathische Haltung Kindern gegenüber auch in schwierigen Momenten halten Es geht auch um eine mitfühlende Haltung sich selbst gegenüber.

28 Detlev Vogel Forschung: Wirkungen von Achtsamkeit auf psychische Gesundheit, sozio-emotionale Kompetenzen u. Professionskompetenzen Abnahme des subjektiven Stressempfindens (Shapiro et al., 2006) Zunahme an Lebensfreude, Gelassenheit und dem Gefühl von Sinnhaftigkeit (Brown, Ryan & Creswell, 2007) Verbesserte körperliche Selbstwahrnehmung (Hölzel et al., 2011) Verbesserung der Aufmerksamkeit (Diamond et al., 2007, 2010, 2011) Verbesserte Selbstregulation (Flook et al., 2010) und Fähigkeit, mit Emotionen umzugehen (Arch & Craske, 2006; Jimenez et al, 2010) Zunahme an Empathiefähigkeit (Dekeyser et al. 2008) Höhere Selbstwirksamkeitserwartung hinsichtlich Klassenführung (Jennings et al., 2013; Vogel, 2017)

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30 Detlev Vogel Forschung: Wirkungen von achtsamkeitsbasierten Trainings mit Schulkindern Höhere kognitive Leistungen der SuS (selektive Aufmerksamkeit, kognitive Flexibilität, Arbeitsgedächtnis (Jansen, Schulz & Nottberg, 2016). Positive Auswirkungen auf exekutive Funktionen wie z.b. Impulskontrolle (Saltzman & Goldin, 2008; Jansen, Schulz & Nottberg, 2016). Verbesserung der Resilienz, Reduzierung des wahrgenommen Stresses sowie verbesserte Bewältigungsfähigkeit festgestellt (Zenner et al., 2014). Mehr Ruhe und Selbstakzeptanz (Broderick & Metz, 2009; Saltzman & Goldin, 2008). Die Wirkungen sind bei Kindern mit niedrigen Ausgangswerten stärker ausgeprägt (Jansen, Schulz & Nottberg, 2016).

31 Detlev Vogel Achtsamkeit Zuhause/ Zeit für mich Als eine Art geistige Hygiene : Täglich ungestörte «Zeit nur für mich» Zuhause: Still sitzen und den Atem wahrnehmen. U.U. Achtsamkeits-CD`s, youtube als Hilfe

32 Detlev Vogel Achtsamkeit im Alltag Achtsamkeit im Alltag: achtsam essen, achtsam duschen, achtsam gehen, achtsam Geschirr spülen, Bewusst wahrnehmen: Natur, Menschen, uns selbst Wartezeiten für Aufmerksamkeit für mich selbst nutzen: Den Atem beobachten Was nehme ich körperlich wahr? Sich selbst fragen: Wie geht es mir jetzt, in diesem Moment?

33 Detlev Vogel Achtsamkeit in der Schule Während des Unterrichts oder in der Pause: Innehalten, den Atem spüren, den Körper spüren, «Wie geht es mir jetzt?» Nach dem Unterricht: 5 Minuten Stille, Atem, Körper. «Welche besonderen Begegnungen mit Schüler/innen hatte ich heute?» Wie ging es mir in diesen Momenten? Wie mag es dem Kind gegangen sein? Nehmen Sie sich jeden Tag ein paar Minuten dafür es lohnt sich!

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35 Achtsamkeit mit Schülerinnen und Schülern Ritual der «stillen Minute» z.b. zu Beginn des Schultages oder nach der Pause: Kinder beobachten mit geschlossenen Augen ihren Atem Bewusstes Gehen üben Wahrnehmungsübungen, wie z.b. das Schmecken einer Rosine Informationen über Umgang mit Stress Es gibt diverse Achtsamkeits-Projekte mit Jugendliche aus schwierigen Quartieren. Diese geben das dann ihrerseits an Kinder Jugendliche weiter Viele Schüler/innen lieben es!! und

36 Detlev Vogel Alles bekommt eine Ordnung, in der das Herz die Mitte ist. Katharina Martin

37 Detlev Vogel Achtsamkeit in der Lehrer/innen(weiter)bildung Training für Lehrpersonen und PH-Studierende 5 Trainingseinheiten über 8 Wochen Weiterbildungsangebot und Holkurs (SJ 18/19): Auch als Schulentwicklungsangebot: Angebote Erste Nationale Tagung Achtsamkeit in Schule und Bildung Achtsamkeit am Mittag: 30 Minuten für Studierende und Mitarbeitende /

38 Detlev Vogel Literatur: Brunsting, M.; Nakamura, Y. & Simma, C., (Hrsg.). (2013). Wach und Präsent Achtsamkeit in Schule und Therapie. Bern: Haupt. Rupprecht, S. (2015). Achtsamkeit macht Schule. Wie Achtsamkeit im Schulalltag helfen kann. Wiesbaden: Universum-Verlag. Simma, C. (2014). 77 Impulse für Achtsamkeit und Stille in der Grundschule. Mülheim an der Ruhr: Verlag an der Ruhr. Vogel, D. (2016). Achtsamkeit in der Schule? Pädagogische Beziehungen gestalten und zu mir Sorge tragen. Die neue Schulpraxis, 6/7, S. 4-7.