ADHS und soziales Umfeld - Eine Exploration
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- Irmgard Geier
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1 Geisteswissenschaft Christophe Witz ADHS und soziales Umfeld - Eine Exploration Diplomarbeit
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3 Universität Koblenz-Landau Abteilung Landau ADHS und soziales Umfeld Eine Exploration Diplomarbeit Fachbereich 8: Psychologie Christophe Witz
4 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Definition und Geschichte Diagnostische Kriterien Differentialdiagnose Klassifikation nach ICD Klassifikation nach DSM-IV Diagnostische Leitlinien Komorbidität Beschreibung des Störungsbilds Prävalenz Verlauf Ätiologie Genetische Faktoren Neurologische Faktoren Kritik am genetisch-neurologischen Modell Umweltfaktoren Psychosoziale Faktoren Kritik an den psychosozialen Modellen Zusammenfassung Interventionen Kindzentrierte Verfahren 22 2
5 Pharmakotherapie Verhaltenstherapie Entspannungsverfahren Familien- und Schulzentrierte Verfahren Multimodale Therapie Zusammenfassung Aufmerksamkeit Definition Aufmerksamkeitstheorien Filtermodelle Computeranalogien Kritik an der traditionellen Modellen Neuropsychologische Modelle Aufmerksamkeitstheorien bei Kindern Aufmerksamkeitsdiagnostik Klassische Tests Der TEA-Ch Erziehungsstile Definition Stand der Forschung Methoden zur Erfassung von Erziehungsstilen Das FDTS ADHS und Erziehungsverhalten Vorliegende Befunde 47 3
6 5.2 Ein Arbeitsmodell Fragestellung und Operationalisierung Operationalisierung Verwendete Instrumente Hypothesen Untersuchungsablauf Stichprobenbeschreibung Ergebnisse der Studie Deskriptive Auswertung Auswertung der Hypothesen Diskussion Allgemeine Diskussion Hypothesenbezogene Diskussion Zusammenfassende Diskussion und Ausblick Zusammenfassung Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Literaturverzeichnis Anhang 99 4
7 1. Einleitung Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist zusammen mit aggressiven Verhaltensstörungen die häufigste psychische Störung im Kindes- und Jugendalter. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten hat diese Störung viel öffentliches (und Forschungs-) Interesse erfahren. Im Zentrum dieses Interesses standen Fragen wie z.b. diejenige nach der Verursachung der Störung oder nach den Möglichkeiten der verschiedenen Therapieformen. Der Theorieteil der vorliegenden Arbeit stellt die bisherigen Ergebnisse der Forschung zu diesem Thema vor. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf Faktoren des sozialen Umfelds. Welche Rolle spielt dieses Umfeld bei der Verursachung und Aufrechterhaltung der hyperkinetischen Störung? Dieser Frage soll in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden. Der empirische Teil der Studie untersucht ganz konkret den Zusammenhang zwischen elterlichem Erziehungsverhalten und Aufmerksamkeitsdefiziten bei Kindern. Die dabei verwendeten Begrifflichkeiten und Messinstrumente werden in den vorher-gehenden Kapiteln vorgestellt werden. Um den Übergang vom theoretischen zum empirischen Teil zu erleichtern, ist ein Kapitel eingefügt, welches die bisherigen Erkenntnnisse zu ADHS und sozialem Umfeld nochmals zusammen-fasst und ein Modell vorstellt, in dessen Rahmen die zu erwartenden empirischen Ergebnisse eingeordnet werden können. Da die zum gegenwärtigen Zeitpunkt vorliegenden Ergebnisse zu einer umfassenden Modellbildung nicht ausreichen, ist der vorgestellte Ansatz eher als Arbeitsmodell aufzufassen. Anschließend werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt und diskutiert. 5
8 Im weiteren Text wird der Begriff Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) gebraucht. In der Literatur sind verschiedene Begriffe im Umlauf, der Verfasser folgt mit seiner Entscheidung der Vorgabe von Barkley (1998). Die historische Entstehung des Begriffs ADHS wird in Kapitel 2 hergeleitet. 6
9 2. Die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Im nachfolgenden Abschnitt wird das Störungsbild ADHS genauer beschrieben. Dies beinhaltet eine kurze Übersicht über die Geschichte der Störung, ihrer diagnostischen Erfassung und bisherige Ansätze und Erklärungsmodelle. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die verschiedenen theoretischen Positionen zur Erklärung der Störung gelegt. Anschließend werden die verschiedenen Interventionsmöglich-keiten dargestellt. 2.1 Definition und Geschichte Die Kernsymptome der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitäts-störung heißen Ablenkbarkeit, Impulsivität und motorische Überaktivität. Es handelt sich um eine Störung mit unterkontrolliertem Verhalten (Davison & Neale, 1998); sie wird, neben aggressiven und dissozialen Verhaltensauffälligkeiten, zu den externalisierenden Verhaltensstörungen gezählt (Döpfner, 1998). Bereits 1845 beschrieb der Frankfurter Nervenarzt Heinrich Hoffmann die Figur des Zappelphillip in einem bekannten Kinderbuch, die typische ADHS-Symptome wie Unruhe und Zappeligkeit aufweist. Erstmalig in einer wissenschaftlichen Publikation erwähnt wird die Symptomatik von George Still im Jahre Er beschreibt dort aufsässige Kinder (größtenteils Jungen) mit einem Defekt der moralischen Kontrolle. Er beschreibt Symptome, die den heutigen Diagnosekriterien schon sehr ähnlich sind. Dazu zählen erhöhte Emotionalität, mangelnde Aufmerksamkeit und Überaktivität. Er nimmt neurologische Ursachen an und vermutet einen vererbten Anteil (Barkley, 1998). 7
10 In den 1920ern trat in Nordamerika eine Encephalitis Epidemie auf. Bei Kindern, die diese entzündliche Gehirnerkrankung überlebt hatten, traten Symptome auf, die man heute als ADHS-Symptome beschreiben würde. In den 30er und 40er Jahren konzentrierte sich daher die Forschung im Zusammenhang mit Verhaltensauffällig-keiten bei Kindern auf Verletzungen am Gehirn. In dieser Zeit wurde der Begriff Minimal brain dysfunction (MBD) geprägt (Barkley, 1998). Ende der 30er Jahre werden erstmals erfolgreich Stimulantien zur Behandlung verhaltensauffälliger Kinder eingesetzt (Bradley, 1937, zit. nach Trott, 1993). Etwa zur selben Zeit entstanden in den Vereinigten Staaten sogenannte child guidance centers, die sich als Dienstleistungs-zentren im Bereich Jugend- und Familienhilfe verstanden. Diese Zentren arbeiteten psychoanalytisch, interpretierten die Auffällig-keiten dieser Kinder als Ausdruck unbewußter unbewältigter Konflikte der Eltern und vermutete die Ursachen in der frühen Mutter-Kind Beziehung (Hinshaw, 1994). Sie behandelten mit Spiel- und Familientherapie. Hinshaw bemerkt dazu: Es ist in vielerlei Hinsicht kaum möglich, sich zwei unterschiedlichere theoretische Modelle auszudenken, als das organische versus das psychodynamische um die zugrundeliegenden Mechanismen des Aufmerksamkeitsdefizits und der Hyperaktivität zu erklären. (Hinshaw 1994, S.10, Übersetzung durch den Verfasser). In den 50er und 60er Jahren tauchte der Begriff Hyperkinetische Störung auf. Laufer (1957, zit. nach Barkley, 1998) vermutete die Ursache in einem Defizit des Zentralnervensystems. Seiner Theorie zufolge filtern die thalamitischen Gehirnregionen zu wenig Sti-mulation heraus, so daß das Gehirn von Eindrücken überschwemmt wird. Betroffenen Kindern wurden spezielle, reiz- und ablenkungs-arme Klassenzimmer zur Verfügung gestellt. Das Konzept des MBD (minimal brain dysfunction) wurde in den 60er Jahren zunehmend kritisiert. Beklagt wurden die mangelnde Validität 8
11 und die undurchschaubare Anzahl der Symptome, die unter diesem Begriff subsumiert wurden. Chess (1960, zit. nach Barkley, 1998) prägte den Begriff des hyperactive child syndrome und betonte die Bedeutung beobacht-barer und beschreibbarer Merkmale bei der Diagnostik der Störung führte das DSM-II (APA, 1968) den Begriff Hyperkinetische Reaktion der Kindheit ein. In den 70er Jahren wurde der Fokus auf zerebrale Mechanismen als Ursache von ADHS gelegt. Gleichzeitig kamen Theorien auf, die die Ursachen eher in Umwelteinflüssen vermuten (z.b. Feingold, 1975; Bettelheim, 1973). Block (1977) beklagte die zunehmende Beschleunigung westlicher Gesellschaften und macht diese für das vermehrte Aufreten von ADHS verantwortlich. Empirische Belege blieben aus. Douglas (1980, zit.n. Barkley, 1998)) rückte die Aufmerksamkeitsproblematik stärker in den Blickpunkt. Das DSM-III (APA, 1980) führt die Störung erstmals unter der Bezeichnung attention deficit disorder (ADD) und unterscheidet ADHS mit und ohne Hyperaktivität. Diese Unterscheidung wird im DSM-III-R (APA, 1987) wieder aufgehoben, allerdings im DSM-IV (APA, 1994) wieder eingeführt (siehe Kap. 2.2) gelingt Zametkin der Nachweis eines reduzierten Hirnstoff-wechsels bei Erwachsenen mit ADHS (vgl. Davison & Neale, 1998). Besonders die frontalen Regionen des Kortex scheinen davon betroffen zu sein. Der aktuelle Stand der Forschung wird in Kap. 2.4 dargestellt. 2.2 Diagnostische Kriterien nach ICD-10 und DSM-IV In Deutschland ist sowohl die Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 (WHO, 1992) als auch das Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen (DSM-IV, APA, 1994) gebräuchlich. Da sie sich in einigen Details unterscheiden, werden sie beide vorgestellt. 9
12 2.2.1 Differentialdiagnose Um eine ADHS-Diagnose nach ICD-10 oder DSM-IV zu stellen, muß zuerst ausgeschlossen werden, daß die Symptome nicht eine andere, plausiblere Ursache haben. Dazu zählen: - tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F84) - Angststörungen (F41.x, F93.0) - Affektive Störungen (manisch oder depressiv) (F30-39) Klassifikation nach ICD-10 Im ICD-10 sind die Hyperkinetischen Störungen (F90) unter Verhaltensund emotionale Störungen mit Beginn in Kindheit und Jugend (F9) klassifiziert. Es werden vier Arten der Hyperkinetischen Störungen unterschieden: - einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0) - Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F90.1) - Sonstige hyperkinetische Störungen (F90.8) - Nicht näher bezeichnete hyperkinetische Störung (F90.9) Die Kategorie F90.1 (ADHS mit Hyperaktivität und Störung des Sozialverhaltens) trägt der Tatsache Rechnung, daß hyperaktive Symptome oft zusammen mit dissozialen Verhaltensweisen auftreten (vgl. Davison & Neale, 1998). Sie wird diagnostiziert, wenn sowohl die Symptome einer ADHS als auch die einer Störung des Sozialverhaltens (F.91.x) auftreten. 10
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