Interpersonelle Schuldgefühle im Vergleich zwischen einer Bevölkerungsstichprobe, Medizinstudenten und Psychotherapiepatienten
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1 Z ed Psychol 3 (004), 3 9 Interpersonelle Schuldgefühle im Vergleich zwischen einer Bevölkerungsstichprobe, edizinstudenten und Psychotherapiepatienten Cornelia Albani, Gerd Blaser, Annett Körner, Reto Volkart 3, ichael Geyer & Elmar Brähler 4 Zusammenfassung Zahlreiche Untersuchungen zur Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Ärzten und edizinstudenten zeigen eine erhöhte Prävalenz von depressiven Störungen und Suchterkrankungen und eine erhöhte Suizidrate, wobei Ärztinnen noch stärker betroffen sind als Ärzte. aladaptive Schuldgefühle können u.a. einen Vulnerabilitätsfaktor für diese psychischen Störungen darstellen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit war deshalb die Untersuchung maladaptiver Schuldgefühle bei edizinstudenten im Vergleich mit einer altersentsprechenden Stichprobe von Psychotherapiepatienten und einer Bevölkerungsstichprobe. Es zeigte sich, dass sich die drei untersuchten n deutlich voneinander unterscheiden. edizinstudentinnen geben auf der Skala Schuldgefühl aus Verantwortung ähnlich hohe Werte wie Psychotherapiepatienten an. Schlagworte Interpersonelle Schuldgefühle, edizinstudenten, Psychotherapiepatienten, Repräsentativerhebung Abstract Interpersonal feelings of guilt in medical students compared with samples from the German population and psychotherapy patients Studies about the mental health in physicians and medical students show a high prevalence of depressive and abusive disorders and an increased risk of suicide. This is especially true in females. We propose the assumption that maladaptive feelings of guilt may contribute to the observed vulnerability. The objective of the study was to compare feelings of guilt in a sample of medical students with a sample of psychotherapy patients and a representative sample of the German population. A total of 089 subjects filled in a previously published questionnaire measuring feelings of guilt on three subscales: () guilt about having survived, () guilt about a separation, and (3) guilt about a feeling of responsibility. The total score is highest in psychotherapy patients. In accordance with our expectation, however, female students show about the same amount of guilt as the psychotherapy patients in the third subscale. This may contribute to an increased mental vulnerability. Key-Words Interpersonal guilt questionnaire, medical students, psychotherapy patients, German population Korrespondenzadresse: Cornelia Albani, Universitätsklinikum Leipzig, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische edizin, Karl-Tauchnitz-Str. 5, 0407 Leipzig. albc@medizin.unileipzig.de. Universitätsklinikum Leipzig, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische edizin, Karl- Tauchnitz-Str. 5, 0407 Leipzig. Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapeutische edizin, Dermatologie, Hauptstr.8, 7904 Freiburg. 3 ZEPT Zentrum für Psychotherapie, Scheuchzerstr. 8, CH-8006 Zürich. 4 Universitätsklinikum Leipzig, Selbständige Abteilung für edizinische Psychologie und edizinische Soziologie, Stephanstr., 0403 Leipzig. Einleitung und Fragestellung Die Bedeutung interpersoneller Schuldgefühle Während in der psychoanalytischen Theorie das Schuldgefühl intrapsychisch konzipiert und als die Wahrnehmung der Kritik des Über-Ich am Ich (Freud, 93) verstanden wird, betonen aktuelle, evolutionspsychologische Ansätze den interpersonellen Aspekt von Schuldgefühlen (Baumeister et al., 994). Aus dieser Perspektive dienen interpersonelle Schuldgefühle der Regulation von sozialem Verhalten und nprozessen. Durch interpersonelle Schuld- und Schamgefühle werden Beziehungen sowohl in der Familie wie auch im sozialen Umfeld aufrecht erhalten, kompetitives Verhalten minimiert und der Zusammenhalt einer gestärkt. Solche interpersonellen Schuldgefühle können adaptive Funktionen bezüglich Bindungsbedürfnissen, prosozialen Verhaltens und der Aufrechterhaltung von Ranggleichheit in einer haben (Cosmides & Tooby, 99). Sie stehen jedoch assertiven Bedürfnissen nach Individualität, persönlichem Erfolg und dem Durchsetzen eigener Interessen entgegen (Tooby & Cosmides, 996). Interpersonelle Schuldgefühle werden irrational und maladaptiv, wenn sie verstärkt und generalisiert auftreten und das Verhalten einschränken (Tangney, 995; Tangney et al., 99; Zahn-Waxler et al., 990). Die pathogenetische Bedeutung von interpersonellen Schuldgefühlen steht u.a. im Zentrum der Control astery Theory, einer kognitiv-affektiv orientierten, psychoanalytischen Behandlungstheorie, die von Weiss und Sampson und der San Francisco Psychotherapy Research Group entwickelt wurde (Weiss, 993; Weiss et al., 986; Albani et al., 999). Schuldgefühle stellen in der Theorie einen zentralen Faktor in der Entstehung Zeitschrift für edizinische Psychologie /004 3
2 psychischer Erkrankungen dar. Es werden unbewusste, pathogene Überzeugungen postuliert, die typischerweise in der Kindheit vermittelt werden oder als Resultat unbewusster Bewältigungsversuche traumatischer Erfahrungen entstehen. Pathogene Überzeugungen beinhalten häufig Schuld- und Schamgefühle. Sie ermöglichen die Aufrechterhaltung der Beziehung zu wichtigen Bezugspersonen und dienen der Bewältigung traumatischer Erfahrungen, indem sie Gefühle von Hilflosigkeit mindern (vgl. Volkart, 993), behindern jedoch eine autonome Entwicklung und führen zu Verhaltenseinschränkungen und psychischen Störungen. In empirischen Untersuchungen konnten Zusammenhänge zwischen Schuldgefühlen und depressiven Erkrankungen, posttraumatischen Belastungsstörungen (Kubany et al., 997) oder schweren körperlichen Erkrankungen (z. B. Faulkner & Kingston, 998; Ginsburg & Link, 989) gezeigt werden, wobei es sich um korrelative Zusammenhänge handelt. aladaptive Schuldgefühle spielen auch eine Rolle bei der Diskussion um das Helfersyndrom von Angehörigen sozialer Berufe (Schmidbauer, 977). Nach Schmidbauer liegt ein Konfliktbereich, unter dem die hilflosen Helfer leiden, in der starken Identifizierung mit dem elterlichen Über-Ich und einem überhöhten Ich-Ideal, was zu übertrieben altruistischem Verhalten und einer Hemmung bezüglich assertiver und selbstschützender Handlungsweisen führen kann. Für Ärzte liegen eine Reihe von Untersuchungen zur Prävalenz psychischer Erkrankungen vor: Ärzte berichten mehr depressive Symptome als die Normalbevölkerung (Firth-Cozens, 997; Frank & Dingle, 999). Die Prävalenz für Alkohol- und Substanzmissbrauch ist unter Ärzten höher als in anderen Berufsgruppen (Lindeman et al., 997; Roy & Linnoila, 986). In Untersuchungen in verschiedenen Ländern zeigte sich, dass die Suizidrate unter Ärzten höher ist als in der Allgemeinbevölkerung oder in vergleichbaren akademischen Berufsgruppen (z.b. (Boxer et al., 995; Pitts et al., 979), wobei die Rate für Ärztinnen noch höher ist als die für Ärzte (Ärztinnen,5 5,7, Ärzte, 3,4 mal höher siehe Die im Text verwendete grammatikalisch männliche Gattungsbezeichnung schließt änner und Frauen ein. Literaturübersicht von Lindeman et al., 996). Hem et al. (000) ermittelten in einer repräsentativen Untersuchung norwegischer Ärzte eine Lebenszeit-Prävalenz für Suizidgedanken von 5 %, wobei weibliches, Leben ohne Partner/in und Depression Risikofaktoren darstellen. Während in der Allgemeinbevölkerung die Rate der Suizidversuche die Rate der Suizide übersteigt (Hjelmeland & Bjerke, 996), zeigte sich bei den Ärzten eine Rate für Suizidversuche von nur,6 %, jedoch eine Suizidrate von 4,3 % (Hem et al., 000). Psychische Auffälligkeiten finden sich schon bei edizinstudenten: Guthrie et al. (995) konnten bei 3 % der untersuchten edizinstudenten auffällige Werte im General Health Questionnaire (Goldberg et al., 997; Goldberg & Hillier, 979) nachweisen; 50 % der Studenten beschrieben Stresssituationen v.a. in Zusammenhang mit dem Studium. In der prospektiven Studie mit edizinstudenten von Tyssen et al. (000) fanden sich bei % der Befragten behandlungsbedürftige psychische Probleme. Dinkel et al. (00) beschreiben dysfunktionale Einstellungen zu Körpergewicht und Essverhalten und eine hohe Prävalenz von Angstsymptomen bei edizinstudenten. Übereinstimmend werden in der Literatur erhöhte Depressionswerte für edizinstudenten berichtet (z. B. Aktekin et al., 00; Krüger et al., 98; Krüger et al., 986; Kuhnigk & Schauenburg, 999; oeller & Scheer, 970, 974). Zoccollillo et al. (986) ermittelten eine Lebenszeit-Prävalenz für eine ajor Depression von 5 % bei den untersuchten edizinstudenten. In einer prospektiven Untersuchung von norwegischen edizinstudenten fand sich eine Lebenszeit-Prävalenz bezüglich Suizidgedanken von 43 % und bezüglich Suizidversuchen von,4 % (Tyssen et al., 00). US-amerikanische edizinstudentinnen der Jahrgänge hatten im Vergleich zu ihren Altergenossinnen eine dreifach erhöhte Suizidrate (8,9 pro , Pepitone- Arreola-Rockwell et al., 98). In Sao Paulo zeigte sich für edizinstudenten der Jahre eine vierfach erhöhte Suizidrate gegenüber der Allgemeinbevölkerung (illan et al., 990). Die hohe Prävalenz depressiver Symptome bei edizinstudenten und Ärzten und die daraus resultierende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit unterstreichen die Notwendigkeit, Vulnerabilitätsfaktoren (persönliche und Umweltfaktoren) zu untersuchen, die präventiv beeinflussbar sein könnten. Arbeitsbedingungen spielen dabei eine wesentliche Rolle, erklären aber nur einen Teil der Varianz bezüglich Depressionen bei Ärzten (Firth-Cozens, 993). Firth-Cozens et al. (997) gehen davon aus, dass Persönlichkeitsvariablen dabei eine wichtige Rolle spielen, vor allem solche, die mit der Selbstwertregulation in Verbindung stehen. Blatt & Zuroff (99) beschreiben die Persönlichkeitsfaktoren need for approval und perfectionism, die mit den Depressionsformen anaclitic bzw. introjective in Verbindung stehen. In ihrer Längsschnitt-Untersuchung von edizinstudenten (und späteren Ärzten) konnten Firth-Cozens et al. (997) anhand der Werte für Selbstkritik in der Studentenzeit Depressionswerte und 0 Jahre später vorhersagen (starke Selbstkritik, später stärkere Depression), wobei dieser Zusammenhang bei ännern stärker ausgeprägt war. Im Zusammenhang mit einem defizitären Selbstwertgefühl und depressiven Störungen wären auch Schuldgefühle zu erwarten. In der vorliegenden Arbeit sollen maladaptive Schuldgefühle, erfasst mit dem Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS, Albani et al., 00), bei edizinstudenten im Vergleich zu Psychotherapiepatienten und einer klinisch unauffälligen Vergleichsstichprobe untersucht werden. Wir entschieden uns für diesen Fragebogen, weil es unseres Wissens neben dem Fragebogen von Volkart, der auf einer Skala die allgemeine Häufigkeit von Schuldgefühlen und auf einer weiteren Skala die Relativierung von Schuldgefühlen sowie die Fähigkeit, sich über Schuldgefühle handelnd hinwegzusetzen, erfasst (Volkart, 993), kein Instrument zur Erfassung interpersoneller Schuldgefühle gibt. Die wenigen englischsprachigen Instrumente zur Erfassung von Schuldgefühlen, die sich nicht nur auf eine psychoanalytische Sichtweise beschränken (z.b. Buss & Durkee, 957; osher, 966, 968) und für Forschungszwecke adäquat sind (Kugler & Jones, 99), fokussieren eher auf die Erfassung des affektiven Zustandes sich schuldig fühlen in einem allgemeinen Sinn, weniger den interpersonalen Aspekt von Schuldgefühl (z.b. Harder & Lewis, 987; Hoblitzelle, 987; Kugler & Jones, 99). Die von Tangney et al. entwickelten Instrumente 4 Zeitschrift für edizinische Psychologie /004
3 ( The Test of Self-Concious Affect TOSCA, Tangney et al., 99; Self Conscious Affect and Attribution Inventory, SCAAI, Tangney et al., 988) erfassen Schuldgefühl in einem konkreteren Sinn. Die empirischen Untersuchungen mit diesen Instrumenten lassen jedoch darauf schließen, dass adaptive Formen von Schuldgefühl gemessen werden, die empirisch eher mit Empathie und sozialer Anpassung als mit Psychopathologie in Verbindung stehen (Tangney et al., 99; Tangney, 990). Der von O Connor et al. (997) entwickelte Interpersonal Guilt Questionnaire (IGQ), dessen deutsche Kurzform Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS, Albani et al., 00) hier verwendet wird, basiert auf der bereits erwähnten Control astery Theory (Weiss, 993; Weiss et al., 986; Albani et al., 999). Der Fragebogen zielt auf die Erfassung maladaptiver, interpersoneller Schuldgefühle, die in pathogenen Überzeugungen Ausdruck finden und mit Psychopathologie in Zusammenhang stehen können. Wir gingen in unserer Untersuchung von folgender Hypothese aus: Psychotherapiepatienten und edizinstudenten unterscheiden sich von einer Bevölkerungsstichprobe durch höhere Werte für interpersonelle Schuldgefühle. Da sich in den bisherigen Studien mit der englischen Originalversion des Fragebogens sehr widersprüchliche Befunde bezüglich geschlechtsspezifischer Effekte zeigten (s.u.), verzichteten wir auf die Formulierung einer spezifischen Hypothese bezüglich möglicher sunterschiede und gingen diesbezüglich explorativ vor. Um Alterseinflüsse zu minimieren, wählten wir altersentsprechende Stichproben. aterial und ethode. Der Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS) Der Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS, Albani et al., 00) umfasst Items, die drei Skalen (Überlebensschuldgefühl, Trennungsschuldgefühl und Schuldgefühl aus Verantwortung) mit jeweils 7 Items bilden, aus denen zusätzlich ein Gesamt-Score (Summe der drei Skalenwerte) berechnet werden kann. Die Antwortmöglichkeiten sind fünffach abgestuft, von stimmt gar nicht () bis stimmt völlig (5). Die Skala Überlebensschuldgefühl beinhaltet Items, die die Überzeugung ausdrücken, dass persönlicher Erfolg und das Erreichen eigener Ziele dazu führt, dass andere leiden z.b. Item 3 Es ist mir sehr unangenehm, wenn ich erfolgreicher bei etwas bin als es Freunde oder Familienmitglieder sind. Die Items der Skala Trennungsschuldgefühl beschreiben negative Gefühle, die im Zusammenhang mit der Ablösung von den Eltern auftreten (Kritik an den Eltern üben, Schwächen der Eltern wahrnehmen, andere Auffassungen als die Eltern zu vertreten) z.b. Item Es ist für mich unangenehm, Dinge anders zu tun, als meine Eltern sie taten. Die Skala Schuldgefühl aus Verantwortung/Pflicht enthält Items, die übertriebenes Pflichtgefühl und übersteigertes Verantwortungsgefühl und Sorge für das Glück und Wohlergehen anderer kennzeichnen z.b. Item 4 Wenn mein Kind, mein Partner/Partnerin oder enge Freunde Probleme haben, möchte ich sie am liebsten für sie lösen. Die Skalen weisen insgesamt eine gute bis befriedigende interne Konsistenz (Cronbach s α Überlebensschuldgefühl 0,83, Trennungsschuldgefühl 0,80, Schuldgefühl aus Verantwortung/ Pflicht 0,7) auf. Die Überprüfung der Retest-Reliabilität erfolgte an einer Stichprobe von 76 edizinstudenten (Abstand 6 Wochen). Die Test-Retest-Koeffizienten (Pearson-Korrelationskoeffizient) betragen für die Skala Überlebensschuldgefühl 0,79, für die Skala Trennungsschuldgefühl 0,58, für die Skala Schuldgefühl aus Verantwortung 0,7 und für den Gesamtwert 0,76. Für die englische Version liegen zahlreiche Untersuchungen zur Validität des Instrumentes vor: es ließen sich Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß an Depressivität und interpersonellen Schuldgefühlen nachweisen (Esherick et al., submitted; O Connor et al., 999; O Connor et al., 997; O Connor et al., 00); Schuldgefühle stehen in positivem Zusammenhang mit dem Ausmaß symptomatischer Beeinträchtigung und Zwangssymptomen (Esherick et al., submitted); Patienten mit einer Suchterkrankung geben mehr Schuldgefühle an als nicht suchtkranke enschen (eehan et al., 996; O Connor et al., 997; O Connor et al., 994) und Überlebensschuldgefühle sind positiv mit submissivem Verhalten (erfasst mit der The Submissive Behavior Scale von Gilbert et al., 995) und mit automatischen Gedanken ( The Automatic Thoughts Questionnaire, Hollon & Kendall, 980) korreliert (O Connor et al., 000). Für die deutsche Version konnten Zusammenhänge zwischen Schuldgefühlen und sozialer Unsicherheit ermittelt werden (Albani et al., 00). In einer Repräsentativerhebung in der deutschen Allgemeinbevölkerung ergaben sich Einflüsse von Alter und auf die Skala Schuldgefühl aus Verantwortung" (höhere Werte für Frauen und Probanden mit höherem Alter). Frauen gaben außerdem höhere Werte auf der Skala Trennungsschuldgefühl an (Albani et al., 00). In einer gemischten Stichprobe von Studenten (n = 5) und Psychotherapiepatienten (n = 50) ermittelten O Connor (O Connor et al., 00) sunterschiede Unterschiede auf allen 3 Skalen. In einer weiteren Untersuchung mit College Studenten (n = ) zeigten sich für Frauen nur höhere Werte auf der Skala Schuldgefühl aus Verantwortung (O Connor et al., 997). In einer Studie mit Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen (n = ) ließen sich keine sunterschiede nachweisen (eehan et al., 996).. Durchführung der Untersuchung Der Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen wurde einer von 60 edizinstudenten im 6. Semester und einer altersentsprechenden, anfallenden Stichprobe von Psychotherapiepatienten der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische edizin des Universitätsklinikums Leipzig vorgelegt. Im Verlauf des Erstinterviewverfahrens wurden die Patienten über das Forschungsprojekt informiert, über die Freiwilligkeit der Teilnahme aufgeklärt und um die Teilnahme an der Untersuchung gebeten. Die Patienten bearbeiteten den Fragebogen während der ersten Tage des stationären Aufenthaltes. Im Untersuchungszeitraum wurden in der Klinik insgesamt 43 Patienten aufgenommen, von 386 dieser Patienten lagen vollständige Fragebogen vor. Die 30-jährigen Patienten dieser Stichprobe (n = 0) wurden in die vorliegende Untersuchung einbezogen. Zeitschrift für edizinische Psychologie /004 5
4 Tabelle: Unterschiede der FIS-Skalen zwischen einer Bevölkerungsstichprobe, Studenten und Psychotherapiepatienten (ittelwert, Standardabweichung, zweifaktorielle Varianzanalyse (, ), Scheffé-Test, zweiseitig) Skalen Bevölkerung Studenten Patienten Frauen n = 6 änner n = 5 Frauen n =36 änner n =85 Frauen n =84 änner n =6 Varianzanalyse Scheffé-Test df F Überlebensschuldgefühl,06 (0,74),96 (0,76),90 (0,63),86 (0,65),68 (0,8),53 (0,74) 38,6***,87 0,35 B - P ** B - P ** B - P * S - P ** S - P ** S - P ** S - P ** Trennungsschuldgefühl,5 (0,78),3 (0,67),09 (0,63),05 (0,64),33 (0,70),5 (0,7) 30,8*** 3,9,7 B - B ** B - S ** S - P * B - S ** B - S ** S - P * B - S ** Schuldgefühl aus Verantwortung 3,9 (0,67) 3,03 (0,63) 3,50 (0,6) 3,30 (0,6) 3,66 (0,66) 3,67 (0,60) 36,8*** 4,8*,06 B - S ** B - P ** B - P * B - S ** B - P ** B - S ** S - S ** B - P ** S - P ** FIS- Gesamtwert 7,78 (,7) 7,3 (,6) 7,50 (,39) 7, (,44) 8,67 (,70) 8,45 (,65),47*** 6,04* 0,49 B - S ** B - P ** B - P ** B - P * S - P ** S - P ** S - P ** *p 0,05, **p 0,0, ***p 0,00, df = Freiheitsgrade, F = F-Wert B - Bevölkerung - änner, B - Bevölkerung - Frauen, P - Patienten, P - Patientinnen, S - Studenten, S - Studentinnen Da die Studenten im Praktikum Psychotherapie/Psychosomatik um die itarbeit an unserer Erhebung gebeten wurden und den Fragebogen während des Praktikums ausfüllten, gab es keine Ablehnungen. Es erfolgte keine Vergütung. Zum Vergleich standen Daten zur Verfügung, die im Januar/Februar 998 von einem einungsforschungsinstitut im Rahmen einer bevölkerungsrepräsentativen ehrthemenumfrage erhoben wurden. Die in die Studie einbezogenen Personen wurden von geschulten Interviewern zu Hause aufgesucht und dort befragt. An der Untersuchung nahmen 935 Personen (65 (33,7 %) Ostdeutsche und 83 (66,3 %) Westdeutsche) im Alter von 8 60 Jahren teil. Die Ausschöpfungsquote der Erhebung lag bei 65 %. Für die vorliegende Untersuchung wählten wir aus dieser Stichprobe alle Befragten im Alter zwischen und 30 Jahren als Vergleichsgruppe aus (n = 378). Die Skalenwerte des Fragebogens der drei n wurden mittels zweifaktorieller Varianzanalyse (, ) verglichen. Bei signifikanten Effekten wurden Einzelvergleiche mit dem Scheffé-Test durchgeführt. Die Daten wurden mit Hilfe des statistischen Softwaresystems BDP (Dixon, 99) analysiert..3 Beschreibung der Stichproben Patienten (n =0) Das mittlere Alter der Patienten betrug 5,5 Jahre (SD,3, Range 30). 76,4 % der Befragten waren weiblich. 8,7 % der Patienten gaben an, ledig zu sein,,7 % waren verheiratet. Die ICD- Hauptdiagnosen ergaben folgende Verteilung für die Patientinnen: in 38,7 % lag eine neurotische Belastungs- und somatoforme Störung vor (F 4), in 8,8 % eine affektive Störung (F 3), in 5 % eine Verhaltensauffälligkeit mit körperlichen Störungen und Faktoren, v.a. Essstörungen (F 5) und in 7,5 % eine Persönlichkeitsstörung (F 6). Bei den Patienten fanden sich folgende ICD-Hauptdiagnosen: in 57,7 % lag eine neurotische Belastungsund somatoforme Störung vor (F 4), in 5,4 % eine affektive Störung (F 3) und in 6,9 % eine Persönlichkeitsstörung (F 6)..4 edizinstudenten (n =60) 5,6 % der befragten edizinstudenten waren weiblich. Das mittlere Alter betrug 4,7 Jahre (SD,7, Range 33). 8,4 % der Studenten gaben an, ledig zu sein, 4,9 % waren verheiratet..5 Bevölkerungsstichprobe (n = 378) 59,8 % der befragten Probanden waren weiblich. Das mittlere Alter betrug 6,9 Jahre (SD,4, Range 33). 55,0 % der Probanden gaben an, ledig zu sein, 39,9 % waren verheiratet. 3 Ergebnisse Die drei n unterscheiden sich deutlich voneinander (s. Tabelle). Die der edizinstudenten zeigt sich erwartungsgemäß als die homogenste. Es ergaben sich Einflüsse von und für die Skala Schuldgefühl aus Verantwortung und den Gesamtwert. Für die anderen beiden Skalen zeigte sich nur ein Einfluss der nzugehörigkeit. Es wurden keine seffekte ermittelt. Unsere Hypothese bestätigt sich für die edizinstudenten und die Patienten nur für die Skala Schuldgefühl aus Verantwortung. In der Bevölkerungsstichprobe 6 Zeitschrift für edizinische Psychologie /004
5 werden die niedrigsten Werte angegeben, gefolgt von den Studenten, wobei Studenten und Studentinnen signifikant höhere Werte als die Bevölkerungsgruppe haben. Die Patienten geben die höchsten Werte an und unterscheiden sich von den beiden anderen n. Für die Skala Überlebensschuldgefühl bestätigte sich unsere Hypothese nur für die Patienten, die die höchsten Werte angeben und sich damit deutlich sowohl von den edizinstudenten wie auch von der Bevölkerungsstichprobe unterscheiden. Das gleiche gilt für den FIS-Gesamtwert. Anders als erwartet zeigen die edizinstudenten die niedrigsten Werte auf der Skala Trennungsschuldgefühl. Sie unterscheiden sich von den Patienten und von der Bevölkerungsstichprobe. Die untersuchten Probandinnen weisen auf dieser Skala die höchsten Werte auf und unterscheiden sich damit deutlich von den Studenten. In allen drei n geben Frauen auf allen Skalen höhere Werte für Schuldgefühle an als änner. Die Unterschiede der Skalenmittelwerte überschritten die Signifikanzgrenze jedoch nur für die Skala Trennungsschuldgefühl in der Bevölkerungsstichprobe und Schuldgefühl aus Verantwortung in der Studentenstichprobe (s. Tabelle). 4 Diskussion Das Ziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung von Schuldgefühlen bei edizinstudenten im Vergleich mit Psychotherapiepatienten und einer Bevölkerungsstichprobe. Die Hypothese, dass sich Psychotherapiepatienten und edizinstudenten von einer Bevölkerungsstichprobe durch höhere Werte für interpersonelle Schuldgefühle unterscheiden, bestätigte sich für die der Psychotherapiepatienten bezüglich der Skalen Überlebensschuldgefühl, Schuldgefühl aus Verantwortung und den Gesamtwert, für die der edizinstudenten jedoch lediglich für die Skala Schuldgefühl aus Verantwortung. Auf dieser Skala gaben die edizinstudenten (v.a. die Studentinnen) ähnlich hohe Werte wie die Psychotherapiepatienten an. Die Items dieser Skala beinhalten Aussagen über übertriebenes Verantwortungsbewusstsein für das Wohlbefinden anderer, Sorgen, Schuldgefühle und Angst, andere durch Zurückweisung oder das Verfolgen eigener Interessen zu verletzen. öglicherweise führen solche maladaptiven interpersonellen Schuldgefühle zu altruistisch-selbstschädigendem Verhalten, verhindern angemessene assertive und selbstbehauptende Verhaltensweisen und könnten somit auch eine kausale Bedeutung für die psychischen Probleme von Ärztinnen haben. In der Untersuchung von Zehnder (99) berichteten edizinstudentinnen höhere Stresswerte als ihre männlichen Kollegen. In einer repräsentativen Befragung norwegischer Ärzte wurde der Zusammenhang zwischen Depressivität und dysfunktionalen Einstellungen (DAS Dysfunctional Attitude Scale) untersucht (Vaglum & Falkum, 999). Während bei Ärzten das Ausmaß der Depression mit Items der DAS-Skala Selbstkritik korreliert waren, ergaben sich bei Ärztinnen signifikante Korrelationen zwischen Items der DAS-Skala Abhängigkeit und Depressivität. Herschbach (99) ermittelte, dass Ärztinnen mehr Betroffensein gegenüber dem Leid der Patienten als änner angeben und sich durch Probleme mit itarbeitern mehr belastet fühlen. Ärztinnen haben (verglichen mit Ärzten) ein erhöhtes Risiko, an einer Depression zu erkranken. Die Lebenszeit-Prävalenz für psychische Störungen liegt für Ärztinnen zwischen 5 40 % (Firth-Cozens, 990). Bei Ärztinnen ist die Scheidungsrate erhöht, wobei Ärztinnen in 50 % Ärzte heiraten. Die Ehen von Ärzten, die nur in 0 % Ärztinnen heiraten, zählen jedoch zu den stabilsten (Uhlenberg & Cooney, 990). Bei Ärztinnen findet sich eine erhöhte ortalitätsrate gegenüber Kohorten vergleichbarer Bildung (Rimpelä, 989). Dass edizinstudentinnen ein höheres aß an Schuldgefühl aus Verantwortung angeben als edizinstudenten stützt auch die Befunde von Sieverding & Rauchfuß (993): edizinstudentinnen beschreiben am Ende ihres Studiums eine deutlich größere Diskrepanz zwischen ihrem subjektiven Karrierekonzept und ihrem Selbstkonzept als ihre männlichen Kollegen. Als für die Karriere im Krankenhaus förderlich werden männliche sstereotype wie Entscheidungsfreude und Durchsetzungsvermögen beschrieben, in ihrem Selbstkonzept beschreiben sich die edizinstudentinnen jedoch mit den typisch weiblichen sstereotypien (z.b. sozialemotionale Unterstützung und Verständnis für andere, Sanftheit). Verglichen mit der Bevölkerung wiesen aber auch edizinstudenten erhöhte Werte auf der Skala Schuldgefühl aus Verantwortung auf. Solche Schuldgefühle, die dazu führen, das Wohl anderer in den Vordergrund zu stellen, könnten u.a. auch das gesundheitsschädigende Verhalten junger Ärzte mit verursachen: Hrabal et al. (998) ermittelten bei ihrem Vergleich von edizinstudenten aus dem 3. und 9./ 0. Fachsemester, dass die fortgeschritteneren Studenten länger warten, bis sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und kritischer gegenüber Ärzten sind. Baldwin et al. (997) beschreiben, dass junge Ärzte zum Dienst gehen, obwohl sie sich nicht gesund fühlen, sich selbst edikamente verordnen und Freunde konsultieren statt einen (Fach-)Arzt, wobei /3 der Befragten gar keinen Hausarzt hat. Eine mögliche Erklärung für den Befund, dass die edizinstudenten die niedrigsten Werte für die Skala Trennungsschuldgefühl angeben und die Probandinnen die höchsten, könnte u.a. darin liegen, dass die Items sehr stark auf die Übereinstimmung mit den elterlichen Werten und Normen fokussieren, was von Studenten möglicherweise stärker abgelehnt wird. öglicherweise zeigt sich hier ein Effekt des höheren Bildungsgrades der Studenten. Studenten fühlen sich anscheinend weniger loyal an die Werte der Eltern gebunden und können selbständiger eigene Werte und Ziele verfolgen. Die Items der Skala Überlebensschuldgefühl kennzeichnen defensive Verhaltensweisen und Zurückhaltung bezüglich des eigenen beruflichen und privaten Erfolges. Psychotherapiepatienten weisen auf dieser Skala die höchsten Werte auf, was möglicherweise damit in Zusammenhang steht, dass Psychotherapiepatienten beruflichen und privaten Erfolg mitunter als Disloyalität und Verrat an der Herkunftsfamilie erleben, Rivalität mit Familienmitgliedern oftmals vermeiden und sozialer Aufstieg auch eine Abgrenzung von der Familie bedeuten kann, der teilweise gefürchtet wird. Im Gegensatz dazu könnten Leistungs- und Erfolgsorientierung bei edizinstudenten dazu beitragen, dass edizinstudenten die niedrigsten Werte auf dieser Skala angeben. Nach wie vor gilt, dass Stressoren in Gesundheitsberufen zu wenig beachtet werden (Heim, 99). Angesichts der Zeitschrift für edizinische Psychologie /004 7
6 maladaptiven Verhaltensstrategien von Ärzten ist Reimers Forderung nach einer bereits während des edizinstudiums beginnenden Primärprophylaxe psychischer Erkrankungen zuzustimmen (Reimer et al., 00). äulen (00) verweist auf spezifische Angebote von Ärzteorganisationen (z.b. in England, Kanada, USA, Dänemark oder Norwegen), die ediziner bereits während des Studiums und der Ausbildung auf einen besseren Umgang mit Stress vorbereiten und Einstellungen und Verhaltensweisen zur Verbesserung der Gesundheit von Ärzten fördern (z.b. eigener Impfschutz, eigener Hausarzt, keine Selbstverschreibung von edikamenten, Vorbeugung von Abhängigkeit, Entspannungsprogramme). Sowohl koordinierte Aktionen mit Präventionsmaßnahmen und vernetzten Hilfsangeboten wie auch diesbezüglich verstärkte Forschungsbemühungen sind auch in Deutschland notwendig. Literatur Aktekin,., Karaman, T., Senol, Y., Erdem, S., Erengin, H. & Akadydin,. (00). Anxiety, depression and stressful life events among medical students: a prospective study in Antalya, Turkey. edical Education, 35, 7. Albani, C., Blaser, G., Geyer,. & Kächele, H. (999). Die Control-astery Theorie eine kognitiv orientierte psychoanalytische Behandlungstheorie von Joseph Weiss. Forum der Psychoanalyse, 5, Albani, C., Blaser, G., Volkart, R., Körner, A., O Connor, L., Berry, J., Geyer,. & Brähler, E. (00). Der Fragebogen zu interpersonellen Schuldgefühlen (FIS) Anwendung in einer repräsentativen Bevölkerungsstichprobe und bei PsychotherapiepatientInnen. Psychotherapie Psychosomatik edizinische Psychologie, 5, Baldwin, P., Dodd,. & Wrate, R. (997). Young doctor s health: II. Health and health behaviour. Social Science & edicine, 45, Baumeister, R.F., Stillwell, A.. & Heatherton, T.F. (994). Guilt: An interpersonal approach. Psychological Bulletin, 5, Blatt, S.J. & Zuroff, D.C. (99). Interpersonal relatedness and self-definition: Two prototypes for depression. 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